Protocol of the Session on February 12, 2014

Insgesamt, denke ich, sollten wir diesen Vorstoß aufgreifen. Man sollte auch ungewöhnliche Wege gehen. Ich halte es für wichtig, dass der öffentliche Personennahverkehr gestärkt wird. Das ist aus Gründen des Umweltschutzes auch im Sinne der Erreichung der Klimaziele durchaus sinnvoll. Ich glaube, hier haben wir Nachholbedarf. Die bisherige Organisation ist sicherlich nicht voll zufriedenstellend. Deswegen sollte hier auch eine breite gesellschaftliche Diskussion geführt werden. Ich betrachte den Vorstoß der PIRATEN-Fraktion in der Richtung, dass damit auch eine breite gesellschaftliche Diskussion gewollt wird, dass über diese Dinge nachgedacht wird und neue Wege erprobt werden können. Insofern sollten wir diese Idee positiv aufgreifen. Vielen Dank.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Herzlichen Dank. - Das Wort hat nun der Abgeordnete Peter Strobel von der CDU-Landtagsfraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Kollegin Elke Eder-Hippler hat es eben schon gesagt: Die Novellierung des saarländischen ÖPNV-Gesetzes ist auf den Weg gebracht. Wir haben dazu ein zustimmendes Nicken von der Ministerin gesehen. Diese Novellierung in 2014, wie sie auch von den Aufgabenträgern gefordert ist - es gibt zum Beispiel eine Resolution des Kreistages St. Wendel, in der das gefordert wird -, ist also auf den Weg gebracht. Die Novelle soll den Interessen der Aufga

benträger, der Leistungserbringer und natürlich auch den Fahrgästen und damit den Nutzern Rechnung tragen. Was die PIRATEN vorschlagen, ist eine sozialistische Organisation des ÖPNV mit dem Ziel des Fahrens „für umme“.

Auf den wesentlichen Unfug Ihres Gesetzes möchte ich noch eingehen. Sie haben zum Beispiel in § 2 den fahrscheinlosen Transport gefordert. Das bedeutet, ich übersetze es einmal und Sie können das auch gleich als Wahlkampfslogan verwenden: ÖPNV für lau. Das ist offenbar das, was Sie uns damit näherbringen wollen. Bisher ist der ÖPNV eine freiwillige Aufgabe im Rahmen der Daseinsvorsorge. Die PIRATEN wollen daraus jetzt eine Pflichtaufgabe der Kommunen machen. Ich bin mir ganz sicher: Die werden vor Freude in die Luft springen und Ihnen applaudieren. Das ist eine ganz besondere Beglückung, die Sie den Kommunen an der Stelle zuteil werden lassen. In § 3 - und da stellen sich mir gleich die Nackenhaare - definieren Sie den Begriff der Leitmobilität. Und da werde ich ganz unruhig. Einer liberalen pluralistischen Gesellschaft eine Leitmobilität aufs Auge drücken zu wollen, das ist nicht mehr sozialistisch, das ist schon kommunistisch.

(Zurufe.)

Und deswegen erfahren Sie wahrscheinlich auch die Zustimmung von der LINKEN. Die erklärt dann noch, dass das sowieso alles steuerfinanziert werden soll, getreu dem Motto der LINKEN: Freibier für alle. Dass Sie hier zustimmen, war eigentlich klar.

(Beifall bei der CDU.)

Der wesentliche Unterschied zwischen dem, was wir denken und dem, was Sie denken, ist doch wohl, dass Sie den Verkehr ideologisch bearbeiten und wir bearbeiten das Thema Verkehr vollkommen ideologiefrei. Bei uns hat das Auto eine Bedeutung, bei uns hat der Fußgänger eine Bedeutung, bei uns hat der Radfahrer eine Bedeutung, bei uns hat der ÖPNV eine Bedeutung. Und alle Verkehrsteilnehmer werden von uns gleichberechtigt betrachtet. Das ist der große Unterschied zwischen Ihnen und uns.

(Beifall bei der CDU.)

Dazu will ich einmal beispielhaft anhand der Stadt Saarbrücken ein paar Erläuterungen abgeben. Dort sind jeden Tag mehr als hunderttausend Pendler unterwegs. Das schaffen Sie nicht mit Zügen und Bussen allein, das schaffen Sie nicht mit Autos allein. Wir brauchen dafür einen Mobilitätsmix. Nur ist man schon damals hingegangen innerhalb der Stadt und hat gesagt, wir machen es dem Auto schwerer. Früher gab es einmal die grüne Welle bei 50 km/h und der Verkehr ist damals tatsächlich geflossen. Heute gibt es sogenannte Pförtnerampeln. Ich frage Sie einmal: Was ist für die Menschen in der Stadt bes

( A b g. P r o f. D r. B i e r b a u m ( D I E L I N K E ) )

ser? Wenn der Verkehr einigermaßen fließt, in Ruhe und langsam, oder wenn es ständig staut?

Rad fahren innerhalb der Stadt Saarbrücken ist gefährlich. Da enden Radwege plötzlich im Nirwana. Auch das Radwegenetz in der Stadt Saarbrücken muss verbessert werden. Auch der ÖPNV in Saarbrücken ist keine echte Alternative. Der Anteil der öffentlichen Verkehrsmittel liegt in Saarbrücken unter 13 Prozent. Das ist Kleinstadtniveau. In vergleichbaren Städten liegt er zwischen 19 und 25 Prozent. Ich kann Ihnen auch sagen, woran das liegt. Ich habe nämlich einmal einen Versuch gemacht. Von dort, wo ich wohne, brauche ich mit dem Auto bis zum Winterberg sieben Minuten, wenn es schlecht läuft. Wenn ich mit Bus und Bahn von dort, wo ich wohne, zum Winterberg will, dann fahre ich eineinhalb Stunden, weil ich zigmal umsteigen muss und weil das einfach nicht funktioniert. Wenn man das möchte, dann muss man das verbessern.

Ich sage Ihnen auch noch etwas zur derzeitigen Finanzsituation. In Saarbrücken zahlt jeder einen Zuschuss von 80 bis 100 Euro zum ÖPNV per anno. Diese Größenordnung ist mit Berlin vergleichbar. Aber jetzt frage ich Sie: Wie sieht denn das Angebot in Berlin aus?

Der Park-and-Ride-Zustand in Saarbrücken ist auch eine Katastrophe. Es gibt also einen sehr großen Handlungsbedarf, der zunächst einmal abgearbeitet werden muss, bevor man alles „für lau“ stellt. Ich habe es eben schon gesagt: Wir brauchen einen vernünftigen Mobilitätsmix, nicht aber eine „Leitmobilität“.

(Beifall von den Koalitionsfraktionen. - Zurufe von der Opposition.)

In den §§ 5 und 6 gehen Sie sodann auf die Organisation und die Aufgabenträgerschaft ein. Auch hier streben Sie sozialistische Strukturen an. Der Zweckverband Personennahverkehr ZPS und die Managementgesellschaft VGS übernehmen die Mittel und die Auftragsvergabe. ZPS und VGS verfügen über die Regionalisierungsmittel, die dann per Gusto verteilt werden sollen. Ob es noch Direktbetrauungen geben kann, dazu treffen Sie keine Aussage, das bleibt völlig unklar. Die Verkehrsunternehmen werden zu reinen Leistungserbringern degradiert und je nach Wohlwollen eingesetzt.

Mit § 12 kommen wir zur Finanzierung: Dieser Nahverkehrsbeitrag, das ist Sozialismus pur!

(Abg. Huonker (DIE LINKE) : Sie wiederholen sich!)

Alle Über-18-Jährigen, also rund 850.000 Bürgerinnen und Bürger, sollen das bezahlen. Ob eine Inanspruchnahme stattfindet oder nicht, das lassen Sie völlig außer Acht. Sie übersehen dabei auch die Frage, ob es den Betroffenen überhaupt möglich ist,

das zu nutzen, ob man also in einem Einzugsbereich des ÖPNV lebt.

(Abg. Maurer (PIRATEN) : Das wollen wir ja ausbauen!)

Wie wird denn nach Ihrer Meinung die Möglichkeit der Nutzung gewährleistet? Bei einer erzwungenen Nutzung werden Sie ja wohl einiges gewährleisten müssen, was das Thema Taktung betrifft, was Fahrplanverdichtungen, Anschlüsse, zusätzliche Haltestellen angeht. Was sehen Sie für das Wochenende vor? Wenn ich ständig mit dem Bus und mit der Bahn fahren soll, dann erwarte ich auch, dass die 24 Stunden am Tag fahren. Dann kann man nicht einfach irgendwann den Betrieb einstellen. Das alles bringt Mehrkosten, die Sie mit Sicherheit auch nicht ansatzweise bedacht haben.

(Zuruf des Abgeordneten Augustin (PIRATEN).)

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Stellen Sie sich einmal vor, ein Landwirt lebt mit seiner Familie im nördlichen Saarland. Er hat eine Frau, zwei schulpflichtige Kinder, er wohnt im Außenbereich. Zur Hauptstraße beträgt die Entfernung, sagen wir einmal, vier Kilometer. Bauen Sie nun dieser Familie eine neue Bushaltestelle an die Einmündung zur Hauptstraße? Holen Sie die Kinder zuhause ab, weil es unzumutbar ist, sie morgens vier Kilometer zur Haltestelle gehen zu lassen und abends wieder zurück? Was machen Sie denn mit solchen Einzelfällen?

(Zuruf von der CDU: Taxi rufen!)

Um eine auch nur annähernd Ihren Zielen entsprechende Versorgung zu erreichen, werden die Kosten und damit die Nahverkehrsabgabe in astronomische Höhen schnellen. Sie haben eben Zahlen genannt, aus denen die pure Hoffnung spricht. Sagen Sie doch einmal, was eine vierköpfige Familie künftig zahlen soll, wenn sie zum Beispiel auch noch ein 18-jähriges Kind hat! Sie haben eben gesagt, es würden wohl etwa 20 Euro sein. Das wären 720 Euro pro Jahr - ob man mit Bus und Bahn fährt oder nicht!

(Anhaltende Zurufe. - Zuruf von der LINKEN: Nur die Erwachsenen! - Abg. Neyses (PIRATEN) tritt ans Saalmikrofon.)

720 Euro! Das sind zwei Erwachsene und ein 18jähriges Kind. Sie können sich gleich wieder setzen, Herr Neyses, ich habe Ihre Frage beantwortet!

(Heiterkeit und Beifall bei den Koalitionsfraktio- nen.)

Sie können doch gar nicht sagen, ob es 800 Euro sein werden oder 1.000 oder 1.200 Euro. Das können Sie doch überhaupt nicht beantworten! Und was ist mit den Behinderten und den Senioren? Zocken Sie die auch ab? Zahlen die auch? Sie haben ja

( A b g. S t r o b e l ( C D U ) )

eben gesagt, alle würden zahlen. Wer ist denn „alle“? Sind das alle 850.000 Einwohner über 18 Jahre? Das haben Sie nirgends, an keiner Stelle, definiert.

Als Fazit ist zu sagen: Das sozialistische ÖPNV-Gesetz der PIRATEN ist unsozial, in seiner Finanzierung kaum kalkulierbar, es ist absolut willkürlich. Deswegen wird es von uns abgelehnt. - Vielen Dank.

(Beifall von den Koalitionsfraktionen. - Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Man muss sich schon entscheiden: „sozialistisch“ oder „kommunistisch“?)

Das Wort hat nun der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hubert Ulrich.

(Zuruf von der SPD: Der sozialistische Abgeord- nete. - Heiterkeit.)

A b g. U l r i c h ( B 9 0 / G R Ü N E ) : Das kriegst du zurück!

(Heiterkeit.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Also, Kollege Strobel, bislang war die Debatte zu diesem an sich sachlichen Thema ja auch relativ sachlich verlaufen. Sie haben es nun wirklich geschafft, hier einen Unterton reinzubringen, der, so glaube ich, der Sache nicht angemessen ist.

(Beifall von den Oppositionsfraktionen.)

Ich glaube, ich stehe nun wirklich nicht im Verdacht, Sozialist oder Kommunist zu sein oder mit diesen Ansichten zu liebäugeln. Nichtsdestotrotz erscheint mir der Antrag der PIRATEN vom Grundsatz her nicht verkehrt. Natürlich muss man darüber diskutieren, wie sich so etwas finanzieren lässt. Natürlich ist das ein großes Problem, und daher sagen wir an dieser Stelle auch, dass das so nicht geht. Es ist sicherlich ein Grundproblem, wie man eine solche Finanzierung sicherstellt. Macht man das einfach durch eine Umlage, gerät man tatsächlich in all die Probleme, die von Ihnen zu Recht benannt wurden und die andere auch benennen. Das ist ganz klar. Ich sage auch nicht, dass wir GRÜNE für eine solche Umlage wären.

Es gibt nun aber einmal auf der Erde eine Reihe von Regionen und Städten, die einen kostenfreien ÖPNV anbieten. Tallinn zum Beispiel hat das - Kollege Hilberer hat mir das eben noch einmal gesagt -, allerdings steuerfinanziert. Mailand hatte das auch einmal, Hasselt in Belgien hat es leider gerade wieder abgeschafft. Portland, Seattle, dort gab es das über Jahrzehnte hinweg. Der Gedanke an eine solche Lösung ist also nicht abwegig.

Kollege Strobel, ich will durchaus einmal aufgreifen, was Sie gesagt haben. Man muss sich wirklich einmal die Gründe klarmachen, warum wir im Saarland beim ÖPNV bundesweites Schlusslicht sind. Das ist ja nicht einfach so vom Himmel gefallen! Das hat und damit bin ich wieder bei Ihnen, Kollege Strobel ja schon etwas mit Ideologie zu tun, nämlich mit der Autoideologie, die wir in diesem Lande seit den Fünfzigerjahren pflegen, getragen durch die beiden jetzt regierenden Parteien SPD und CDU.

(Zuruf von der CDU: Ei, dann musst du mit dem Fahrrad fahren!)

Man darf daran erinnern - damit die SPD in dieser ganzen Debatte nicht zu kurz kommt -, dass die Sozialdemokraten in den Achtziger- und Neunzigerjahren - Oskar Lafontaine hat das immer ganz groß vor sich her getragen - das Saarland zum „Autoland Saarland“ stilisiert haben. Das alles hat ja Folgen, denn die Leitinvestitionen, die wesentlichen Investitionen, gingen in den zurückliegenden Jahrzehnten in den Automobilverkehr. Der öffentliche Personennahverkehr ist im Saarland seit den Fünfzigerjahren das Stiefkind der Politik. Das ist ein Faktum!

(Zurufe von den Koalitionsfraktionen.)

Deshalb ist das Saarland Schlusslicht beim ÖPNV; das gilt übrigens auch für den Radverkehr. Die Politik hatte dafür eben kein Herzblut. Wir als GRÜNE haben es innerhalb der Jamaika-Koalition ja geschafft, die Bezuschussung zu verändern. Die Zeit war ja kurz, aber wir konnten zumindest einmal die Schwerpunkte verschieben von 40 : 60 zugunsten des Autos auf 60 : 40 zugunsten des ÖPNV. Wir waren diesbezüglich auf dem richtigen Weg, auch was das ÖPNV-Gesetz angeht - und damit will ich dann auch langsam zum Thema kommen.

(Lachen bei der SPD.)