Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das führt auch dazu, dass gerade in einer Krisensituation, in der diese Fragestellung und die unterschiedlichen Antworten, die wir darauf geben, in den Fokus rücken, diese auch in den Fokus der Öffentlichkeit und unserer eigenen Wahrnehmung rücken. Dass es trotzdem in den vergangenen Jahren gelungen ist, immer wieder Impulse für Europa zu setzen - ich sage ganz offen und selbstkritisch, dass es nicht immer mit der notwendigen Sensibilität mit Blick auf die anderen europäischen Partner geschehen ist, aber immer in einem Schritt nach vorne -, dass es trotz aller Unterschiede notwendig war und möglich geworden ist, dass wir uns nach vorne entwickelt haben bei dem, was in den vergangenen Jahren und gerade in den vergangenen Monaten an notwendigen Schritten in einem durchaus mühsamen Prozess der Bewältigung der Krise und der aktuellen Fragen der europäischen Zusammenarbeit neu auf uns zugekommen ist, dass wir letztendlich bei aller Mühe die deutsch-französische Achse trotzdem aufrechterhalten haben, ist der Beweis für die Substanz, die in dieser Beziehung steckt. Das ist der Beweis dafür, dass diejenigen, die in der Umfrage gesagt haben, die deutsch-französischen Beziehungen sind eine Notwendigkeit für die Zukunft, so recht hatten wie kaum ein anderer in diesem Land.
Ja, wir stehen in diesem Jahr des Jubiläums vor keiner einfachen Situation. Ich habe die grundlegenden Fragen, die es durchaus strittig zwischen Deutschland und Frankreich gibt, angesprochen. Wir erleben aber auch, dass sich in unserem Verhältnis, in unserer Freundschaft durch die unterschiedliche Entwicklung, auch die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung, die Wahrnehmung und Gewichtungen verschoben haben. Auch das ist ein Ergebnis des Stimmungsbarometers.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will es an dieser Stelle mit der gebotenen Ernsthaftigkeit sagen: Auch wenn sich im Moment - ich betone ausdrücklich: im Moment - die Situation so darstellt, dass Deutschland besser als andere europäische Staaten und auch besser als Frankreich aus der Krise herausgekommen ist, so gibt es keinen, aber auch überhaupt keinen Grund für irgendeine Art von Überheblichkeit gegenüber anderen europäischen Staaten oder Frankreich.
Denn das, was in den nächsten Jahren vor uns liegt, ist eine ganze Reihe von gemeinsamen Fragen, Herausforderungen und Problemstellungen, die alle
entwickelten Demokratien und Industriestaaten treffen werden. Wir tun gut daran, gemeinsam mit anderen - auch und gerade gemeinsam mit Frankreich nach Antworten auf diese Herausforderungen zu suchen. Die Frage, wie wir in Zukunft stabile Staatshaushalte schaffen und wie wir es damit schaffen, nicht mehr zum Gegenstand von weltweit agierenden Finanzspekulanten zu werden, ist eine Frage, die jeden von uns umtreiben muss. Wir dürfen uns nichts vormachen - wer wüsste das besser als wir, die Vertreter eines Haushaltsnotlagelandes -, dass wir erst ganz am Anfang dieses steinigen Weges sind und dass die größten Mühen noch vor uns liegen. Die Frage, wie wir angesichts der demografischen Entwicklung, die zugegebenermaßen in Frankreich weniger dramatisch verläuft als in Deutschland, die aber auch dort spürbar sein wird, und wie wir angesichts der medizinischen Entwicklung auch für die Zukunft unsere sozialen Sicherungssysteme stabil halten wollen, ist nicht nur ein Thema in Frankreich oder sonstwo in Europa, sondern auch bei uns. Meine sehr geehrten Damen und Herren, zur selbstkritischen Reflexion gehört, dass wir die grundlegenden Antworten auf diese Fragen noch mehr als schuldig sind. Wir stehen erst am Anfang der Diskussion und Debatte darüber, wie das aussehen soll.
Wie wir moderne Infrastruktur gemeinsam errichten, auch als Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit Europas insgesamt in der Welt, ist eine Frage, die uns gemeinsam umtreibt. Wir erleben das Phänomen, dass jeder Fortschritt will, dass es aber dort, wo sich Fortschritt in Baumaßnahmen vor der eigenen Haustür realisiert, auch eine vornehme Zurückhaltung gibt. So möchte ich es einmal ausdrücken. Wie gehen wir damit um? - Das ist eine zutiefst europäische Frage, die natürlich jeder Partner in eigener Verantwortung beantworten muss, wo es aber guttut, über die Grenzen zu schauen und zu sehen, wo man voneinander lernen kann.
Das gilt insbesondere auch für das Thema Energiewende und Umweltpolitik. Es ist interessant, dass im Stimmungsbarometer deutlich geworden ist, dass eine der größten Zukunftsherausforderungen und eines der wichtigsten Themen, von denen insbesondere die Franzosen sagen, man könne mit Deutschland zusammenarbeiten und auch etwas lernen, die Energiewende und der Umweltschutz sind. Deswegen werden wir dies hier diskutieren. Wir erleben es auch im Großraum. Energiewende und Energiepolitik sind keine Themen, die an nationalen Grenzen Halt machen. Das Thema Umweltschutz ist keines, das an nationalen Grenzen Halt macht, sondern es betrifft Menschen, die in diesem Raum leben. Für die Frage, ob es Giftwolken, atomare Verstrahlung oder Schmutz im Fluss gibt, schert es diese Menschen nicht, wo Staaten Grenzen gezogen haben, sondern wir sind alle gemeinsam für diese Themen
verantwortlich. Gestatten Sie mir diese aktuelle Anmerkung auch und gerade bei der Regierungserklärung: Deswegen bleibt das erklärte Ziel der saarländischen Politik, dass wir die größtmögliche Sicherheit für die Menschen in der Großregion dadurch schaffen, nach wie vor und mit aller Entschiedenheit dafür einzutreten, dass Cattenom vom Netz geht.
Mit der gleichen Entschiedenheit sollten wir jede Verbesserung, die die Sicherheit von Cattenom jetzt verstärkt, ebenso unterstützen, weil auch das ein Beitrag für die Lebensqualität in dieser Region ist.
Die Energiewende ist ein Thema, das uns verbindet, denn es geht für alle Staaten um die Frage, wie sie sich hinsichtlich der Energieversorgung autarker aufstellen als bisher. Es geht um den Klimawandel und die Frage, wie jeder Teil dieser Welt, Europa und andere Staaten dieser Welt, ihren Teil leisten können, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Auch da können wir voneinander lernen. Wenn wir als Deutsche wollen, dass nicht nur in Deutschland Atomkraftwerke abgeschaltet werden, sondern sonstwo in der Welt auch, dann sind wir dazu verdammt, die Energiewende und die Alternativen zur Atomenergie zu einem Erfolg zu machen, denn das ist der beste Beitrag, um andere Länder davon zu überzeugen, von der Atomenergie zu lassen. Das ist eine Aufgabe, der wir uns mit voller Kraft widmen sollten.
Wir stehen gemeinsam vor der Herausforderung der Integration. Wir haben Zuwanderung in alle europäischen Staaten. Es hat lange gedauert, bis wir in Deutschland in der Lage waren und es anerkannt haben zu sagen: Ja, auch Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Wir alle stehen vor der Frage der Integration. Wie soll sie gelingen? Was müssen wir angehen, damit Integration gelingen kann? Auch hier können wir voneinander lernen, auch hier können wir gemeinsame Schritte gehen. Das gilt insbesondere für die entscheidende Frage, wie das friedliche Zusammenleben der Völker in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gewährleistet werden kann, letztlich die Frage, wie jeder Mensch gemessen an seinen Fähigkeiten die Chance erhält, das Beste aus seinem Leben zu machen. Es geht um das Thema Bildung und Chancengerechtigkeit. Wenn wir uns etwa die Ergebnisse von PISA anschauen, stellen wir fest, dass es trotz unterschiedlicher Schulsysteme in Deutschland und Frankreich vergleichbare Probleme gibt. Auch das ist ein Themenfeld, wo wir deshalb zusammenarbeiten sollten und voneinander lernen sollten.
Voneinander lernen sollten wir in Deutschland von der französischen Seite vor allem mit Blick auf ein ganz bestimmtes Themenfeld, nämlich wie wir Familie und Kinder wahrnehmen. Meine Damen und Herren, wenn wir in Deutschland das Themenfeld Familie, Frauen und Kinder diskutieren, taucht immer zu allererst das Wort „Problem“ auf. In Frankreich sind Kinder selbstverständlich. Es ist vollkommen selbstverständlich für Männer wie für Frauen, dass man Familie und Beruf hat. Ich würde mir diese Selbstverständlichkeit auch für Deutschland wünschen. Das ist das große kulturelle Gut, das Frankreich uns voraushat und das wir in Deutschland auch dringend brauchen. Dazu sollten wir unseren Beitrag leisten.
Es verbinden uns auch gemeinsame außenpolitische Fragestellungen. Es mag vermessen sein, hier im saarländischen Landtag über Außenpolitik zu reden. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was sich in den letzten Monaten in Nordafrika abgespielt hat, ist etwas, das - ob wir es wollen oder nicht - uns wesentlich unmittelbarer berührt, als wir es uns vorstellen. Auch hier können wir von Frankreich lernen: Durch die historischen Verbindungen weiß Frankreich, dass Afrika nicht weit weg ist. Afrika ist ein Steinwurf von Europa entfernt. Deswegen ist alles, was sich im Norden Afrikas abspielt, eine Entwicklung, die uns in höchstem Maße betrifft und auch in höchstem Maße umtreiben muss. Wenn wir in Zukunft nicht zu einer Festung Europa verkommen wollen, bei der es nur noch darum geht, die Schotten dicht zu machen, wenn wir wollen, dass das, was für Menschen in Europa selbstverständlich ist, nämlich in Wohlstand und Freiheit leben zu können, auch um uns herum gewährleistet ist und damit Menschen auch nicht mehr in dem Maße zuwandern müssen wie jetzt, dann haben wir die Aufgabe und die Pflicht, gerade in diesen Gebieten auch für Wohlstand, Freiheit und Entwicklung zu sorgen, meine Damen und Herren.
Deswegen ist uns Afrika näher, als wir es vielleicht wahrnehmen wollen und als es uns vielleicht lieb ist.
Ich sage bewusst: Wohlstand und Freiheit. Denn es geht um mehr als den materiellen Wohlstand, den wir zu verteidigen haben. Es geht um ganz grundlegende Werte, um eine ganz grundlegende Freiheit. Die Freiheit eines jeden Individuums, egal ob Mann oder Frau, sein Leben nach den eigenen Vorstellungen leben zu können, egal welchen Glauben man hat, egal welche sexuelle Präferenz man hat, egal welches Geschlecht man hat. Das, was für uns eine
Selbstverständlichkeit ist, ist für viele, meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade für viele Frauen auch in Nordafrika, keine Selbstverständlichkeit. Es ist ein Recht, für das sie Tag für Tag unter Einsatz ihres Lebens kämpfen. Deswegen ist das, was zurzeit in Mali geschieht, mit Blick auf ein gemeinsames, geschlossenes Vorgehen gegen islamischen Terrorismus auch eine Verteidigung unserer ganz individuellen Freiheitsrechte.
Gerade uns im Saarland sollte das betreffen, denn wir haben im Saarland in vielfältiger Art und Weise Beziehungen zu Mali. Ich denke zum Beispiel an die Städtepartnerschaft mit Bous. Ich denke an meine eigene Heimatstadt mit einer mehr als dreißigjährigen Entwicklungspartnerschaft zusammen mit einer französischen Stadt für die Gemeinde Ber in Mali.
Wenn Sie die Menschen vor Ort kennen, wenn Sie sie von Angesicht zu Angesicht erlebt haben, wenn Sie erlebt haben, wie in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch Investitionen auch von saarländischen Kommunen, durch den Bau von Schulen, durch das Anlegen von Reisfeldern, insbesondere in Verantwortung von Frauen, soziales Gefüge sich verändert hat, Frauen eine andere Stellung erhalten haben, und dann erleben, dass das über Nacht durch das Vorrücken von islamischen Terroristen zunichte gemacht wird, dass es einen Rückfall ins Mittelalter gibt, dann muss uns klar sein: Mali ist vor der saarländischen Haustür, das ist ein Thema, das auch uns betreffen muss, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Deswegen sage ich im Jahr 2013, im Élysée-Jahr: Wir haben allen Grund, aufeinander zu schauen, voneinander zu lernen, miteinander zu arbeiten. Das gilt insbesondere für uns im Saarland. Denn dieser Dreiklang Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft, wie er für Deutschland gilt, gilt in einem noch viel stärken und besonderen Maße für uns hier im Saarland.
Wir waren im Saarland schon seit dem Dreißigjährigen Krieg ständig einem Wechsel unterworfen. Mal gehörten wir zu französischen Herrschaften, mal gehörten wir zu deutschen Herrschaften, aber im seltensten Falle, meine sehr geehrten Damen und Herren, gehörten wir Saarländer uns selbst, konnten wir selbst bestimmen, wie wir leben wollen. Auch das ist eine Wurzel, die uns gerade mit Blick auf die Diskussionen um die Zukunft des deutschen Föderalismus so entschlossen macht, diese Eigenständigkeit auch zu verteidigen.
Das ist der Grund, meine sehr verehrten Damen und Herren, weshalb wir gerade nach dem Zweiten Weltkrieg, als es um die Frage der Zukunft des Landes ging, uns in einer sehr emotionalen, in einer sehr schwierigen Abstimmung gegen das Europäische
Statut, das damals von Bonn und Paris ausgehandelt worden war, ausgesprochen haben. Es war ein Kampf. Jeder, der mit Menschen spricht, die in dieser Zeit aktiv waren, weiß das. Es gab in der damaligen Auseinandersetzung keinen Saarländer und keine Saarländerin, die nicht eine dezidierte Meinung zu dieser Frage gehabt hätten, die nicht dezidiert Jasager oder Neinsager waren. Das ging quer durch Orte, quer durch Vereine, quer durch Familien. Jeder, der diese Zeit erlebt und aktiv begleitet hat, hat immer wieder deutlich gemacht, dass dieses Nein des Saarlandes zum europäischen Statut kein Nein zu Europa war, ganz im Gegenteil.
Das ist deutlich geworden, als der damalige Ministerpräsident Franz-Josef Röder 1957, als zum ersten Mal zehn saarländische Abgeordnete in den deutschen Bundestag einzogen, anlässlich dieses Datums Folgendes gesagt hat: „Durch die natürliche Beschaffenheit unseres Raumes, meine Damen und Herren, scheint das Schicksal der Saar vorgezeichnet zu sein. Wir sind eingebettet in eine der Torlandschaften, die dem europäischen Westen leichten Zugang nach Mittel- und Osteuropa verschaffen. Südlich von uns die Zaberner Senke und die Burgundische Pforte, nördlich die Nahe- und Mosel-Pforte, wir in der Mitte, im Schnittpunkt der Kräftelinien, die von Osten und Westen ausstrahlen. Welch glückliche Lage in friedlichen Zeiten, um den Verkehr der europäischen Völker untereinander zu fördern! Welch gefährliche Lage in Zeiten der Spannungen und kriegerischen Auseinandersetzungen! (...) Wenn wir uns infolge dieser gefährdeten Grenzlage daher sehr entschieden und sehr entschlossen zu unserem deutschen Volk bekennen, so sind wir andererseits aus dem gleichen Grunde umso aufgeschlossener für das große Ziel der europäischen Einigung, durch die allein wir aus dieser Lage befreit werden können.“ Meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was Franz-Josef Röder 1957 gesagt hat, gilt auch heute noch und hat an Aktualität nichts verloren.
Deswegen war von Anfang an nach dem Zweiten Weltkrieg das Ja der Saarländerinnen und Saarländer zur Bundesrepublik Deutschland 1955 gleichzeitig auch ein entschiedenes Ja zu Europa. Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese europäische Vision ist Realität geworden. Sie bestimmt unseren Alltag, sie durchdringt jeden einzelnen Schritt, den wir Tag für Tag in unserer Region gehen. Wenn wir von der Großregion reden, dann reden wir zum Beispiel vom Eurodistrict SaarMoselle mit rund 600.000 Einwohnern. Wenn wir von der Großregion reden, dann reden wir über 200.000 Pendler tagtäglich. Das ist die größte grenzüberschreitende Arbeitsmarktregion in ganz Europa. Es ist uns, die wir die Kleinheit unseres Gebietes gewohnt sind, über
haupt nicht bewusst, dass wir in diesem Punkt die führende europäische Region schlechthin sind. Wenn wir über die Großregion und über saarländisch-französische Beziehungen reden, dann reden wir über 150 französische Unternehmen, die ihre Niederlassung oder Tochtergesellschaft im Saarland haben und 200 deutsche - sprich saarländische Unternehmen, die das Gleiche in Frankreich haben.
Alleine aus dieser Realität erwächst ein besonderer Resonanzboden und eine besondere Kompetenz für Europa, eine besondere Kompetenz für Frankreich und die deutsch-französischen Beziehungen, eine Kompetenz, die wir tagtäglich hier in dieser Region, aber auch in der Bundesrepublik einsetzen. Das ist unsere Aufgabe und Verpflichtung und zu dieser Verpflichtung, meine sehr geehrten Damen und Herren, stehen wir auch.
So verwundert es auch nicht, dass in der Reihe der Bevollmächtigten für die deutsch-französischen kulturellen Beziehungen auch immer gerade saarländische Ministerpräsidenten zu finden sind und dass gerade die saarländischen Ministerpräsidenten bleibende Entscheidungen und Fortschritte für die deutsch-französische Freundschaft angestoßen haben. Das war beim saarländischen Ministerpräsident Oskar Lafontaine der Fall, der von 1991 bis 1994 das Amt des Bevollmächtigten hatte. Oskar Lafontaine hat es sich in dieser Zeit zur Aufgabe gemacht, insbesondere mit Blick auf die allgemeinbildenden Schulen, Fortschritte zu machen. In diese Zeit fällt die Regelung der AbiBac-Schulen. Die Tatsache, dass wir heute in Deutschland und Frankreich 140 AbiBac-Schulen haben zeigt, dass diese Idee zu Beginn der Neunzigerjahre mittlerweile zu einem nicht mehr wegzudenkenden, ja zu einem Kernbestand deutsch-französischer Bildungsarbeit geworden ist. Und dafür gebührt Oskar Lafontaine in dieser Funktion auch die Anerkennung dieses Hauses.
Die gleiche Anerkennung gebührt meinem Amtsvorgänger Peter Müller, der dieses Amt von 2003 bis 2006 in Händen hatte und der es sich in dieser Zeit insbesondere zur Aufgabe gemacht hat, das deutsch-französische Geschichtsbuch nicht nur auf den Weg zu bringen, sondern auch zu realisieren. Und heute, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist das deutsch-französische Geschichtsbuch Realität. Es liegt in seinen drei Bänden vor, es wird an den AbiBac-Schulen in den Oberstufen als Lehrmaterial eingesetzt und es findet zunehmend Verbreitung. Eine der interessantesten Erfahrungen, die ich persönlich gemacht habe, war mein Besuch 2011 an dem deutsch-französischen Gymnasium in Buc bei Versailles. Ich habe dort mit den Schülerinnen und Schülern über das deutsch-französische
Geschichtsbuch geredet und sie gefragt, wie sie es empfinden, weil es eine Mischung aus deutscher Lehrtradition und französischer Lehrtradition darstellt. Das Schönste und auch Interessanteste, was die Schülerinnen und Schüler gesagt haben, war, dass sie mit Blick auf dieses Geschichtsbuch zum ersten Mal das Gefühl haben, dass keine Seite im eigenen Interesse und schönfärberisch ihre Geschichte darstellt, sondern dass dieses Werk die deutsch-französische Geschichte objektiv darstellt, und das ist, glaube ich, ein riesiger Schritt nach vorne.
Wenn wir feststellen, dass es heute zwischen Japan und Korea eine Kommission gibt, die sich zur Aufgabe gemacht hat, ein japanisch-koreanisches Geschichtsbuch zu schreiben nach der Blaupause des deutsch-französischen Geschichtsbuches und damit zusammenhängend die schmerzvolle japanisch-koreanische Vergangenheit aufzuarbeiten, dann zeigt das, dass gerade der Aussöhnungsgedanke, der in diesem Buch steckt, weit über die europäischen Grenzen hinaus wirkt, und dann zeigt das, dass wir auch hier Peter Müller dankbar sein müssen, dass er diese Initiative auf den Weg gebracht hat, meine sehr geehrten Damen und Herren.
In seine Amtszeit fiel auch die erstmalige gegenseitige Anerkennung der beruflichen Abschlüsse zwischen Deutschland und Frankreich. Genau das ist ein Punkt, auf den ich in den nächsten Jahren in der verbleibenden Zeit meiner Tätigkeit als Bevollmächtigte einen besonderen Schwerpunkt legen möchte. So wie wir es geschafft haben, dass es ganz selbstverständlich das deutsch-französische Abitur gibt, das AbiBac, so wie wir es geschafft haben, dass es ganz selbstverständlich deutsch-französische Studiengänge gibt, so müssen wir es auch schaffen, dass es ganz selbstverständlich binationale deutschfranzösische Berufsausbildungen gibt. Wir haben einen Nachholbedarf im Bereich der beruflichen Bildung. Wir spüren das gerade hier in dieser Region. Deswegen sollte dieser weitere Schritt in der Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen von uns ausgehen.
Aber nicht nur die Ministerpräsidenten in der Rolle der Bevollmächtigten, sondern die Landespolitik insgesamt war immer Schrittmacher der deutsch-französischen Freundschaft. Die Landespolitik hat immer an der Spitze der Bewegung gestanden. 1970 etwa mit der Gründung der deutsch-französischen Regionalkommission. Ein Jahr später entstand die Regierungskommission Saarland-Lothringen-Luxemburg-Rheinland-Pfalz. 1986 gab es den Interparlamentarierrat, 1995 den Gipfel der Großregion, eine