Protocol of the Session on December 17, 2009

Herr Maas, bei Ihren Zwischenrufen in der Rede von Herrn Hinschberger musste ich ein wenig schmunzeln. Es ist der Ausdruck „Wortbruch“ gefallen. Die Sozialdemokraten stehen neben Frau Ypsilanti immer noch für einen der größten Wortbrüche in dieser Republik - bei der Mehrwertsteuererhöhung im Jahre 2004.

(Erregte Zurufe von den Oppositionsfraktionen. - Abg. Commerçon (SPD) : Sie haben Ihr Wort gebrochen.)

Herr Commerçon, Sie haben doch ein Mikrofon vor sich. Sagen Sie mir doch einmal, an welcher Stelle ich mein Wort gebrochen habe.

(Abg. Commerçon (SPD) : Ich habe es Ihnen vorgelesen. Ich habe es schriftlich.)

Sie können mir dazu gerne eine Zwischenfrage stellen. Das können Sie gerne tun, anstatt mit Zwischenrufen den Versuch zu starten, meine Rede zu unterbrechen.

(Abg. Commerçon (SPD) : Sie haben es unterschrieben. Die Kollegen auch. Ihre Unterschrift ist nichts wert.)

Für den größten Wortbruch in dieser Parlamentsgeschichte steht nach wie vor die Sozialdemokratie im Jahre 2004 in Bezug auf die damalige Mehrwertsteuererhöhung. Daran führt kein Weg vorbei. Dafür gibt es auch keine Verjährung. Das werden Sie sich noch eine Reihe von Jahren in verschiedenen Parlamenten dieser Republik anhören müssen.

(Erneuter Zuruf des Abgeordneten Commerçon (SPD).)

Unter dem Strich gilt: Wir werden den Antrag der Sozialdemokraten ablehnen, aber nicht weil wir ihn in der Sache für falsch halten,

(Lachen bei den Oppositionsfraktionen)

sondern weil es ein Schaufensterantrag ist und weil wir schon weit vor Ihrem Antrag aus einer anderen Motivation heraus diese Position bezogen haben. Vielen Dank.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen. - Abg. Pauluhn (SPD) : Das ist aber auch ganz neu!)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Dr. Heinz Bierbaum.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Machen wir uns nichts vor, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist schlicht ein ganz schlecht gemachtes Gesetz. Weder von der Angebotsseite her sind damit genügend Anreize verbunden, noch hat es von der Nachfrageseite her irgendwelche Effekte. Dieses Wachstumsbeschleunigungsgesetz schafft kein Wachstum, sondern erhöht die öffentliche Armut. Dieses Wachstumsbeschleunigungsgesetz bedeutet eine erhebliche Belastung insbesondere für die Länder und Kommunen und bietet überhaupt keine Anreize. Das sieht man, wenn man sich die Maßnahmen im Einzelnen anschaut. Woher sollen die

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) )

großen Entlastungen kommen? - Nachfrageseitig versuchen Sie, ein bisschen etwas mit dem Kindergeld zu machen. Der Effekt ist relativ gering, was alle Studien zeigen, die es darüber gibt. Wir haben natürlich überhaupt nichts dagegen, dass Familien besser gestellt werden. Was aber im Gesetz vorgeschlagen wird, bedeutet ganz klar eine soziale Schieflage, weil nämlich die Erhöhung des Kindergeldes und der Kindergeldfreibeträge insbesondere den einkommensstarken Schichten zugute kommt und nicht den anderen. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Sie können überhaupt nicht plausibel machen, warum Verlustvorträge weiter ausgeweitet werden sollen und warum die Zinsschranke relativiert werden soll. Das hat ökonomisch überhaupt keinen Effekt. Das ist lediglich Klientelbedienung.

(Zuruf von der FDP: Doch!)

Der Gipfel ist die Geschichte mit der Mehrwertsteuersenkung für Übernachtungen in Hotels. Die Grenzregion ist bereits bemüht worden. Schauen Sie doch einmal nach Frankreich. Der Effekt ist null. Es ist überhaupt nichts weitergegeben worden. Dies bedeutet, es wird etwas völlig Unsinniges gemacht. Anstatt von diesen Erfahrungen zu lernen, wiederholt man den gleichen Fehler. Wenn man sich die einzelnen Punkte anschaut, so erkennt man, dass nicht viel Sinnvolles übrig bleibt.

Schauen Sie sich doch einmal an, wie die Steuersenkungen in den letzten Jahren gewirkt haben. Daraus sind keine entscheidenden wachstumspolitischen Impulse hervorgegangen, denn Steuersenkungen führen nicht zu diesem sich selbst tragenden Aufschwung, den Sie, Herr Hinschberger, beschwören. Es ist pure Ideologie.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen. - Abg. Hinschberger (FDP) : Schauen Sie auf die Jahre 2006 und 2007.)

Meine Damen und Herren, der entscheidende Punkt besteht darin, dass die Wachstumsschwächen mit diesem Gesetz nicht angegangen werden. Die eigentliche Wachstumsschwäche in der Bundesrepublik Deutschland ist die schwache Binnennachfrage. Dies bedeutet, wir haben zu wenig öffentliche Ausgaben und zu wenig privaten Konsum. Beides müsste in diesem Sinne angeheizt werden. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist das Gegenteil von dem, was wirklich notwendig wäre.

(Beifall von den Oppositionsfraktionen.)

Ein Wort zum Schluss: Die Haltung der CDU zu diesem Wachstumsbeschleunigungsgesetz erinnert mich an Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Auf der Bundesseite stimmen Sie dem zu, auf der Länderseite wollen

Sie dem nicht zustimmen. Das ist eine völlig schizophrene Haltung. Ich plädiere dafür und werbe darum, dass dem Antrag der SPD, den ich nicht für einen Schaufensterantrag halte, zugestimmt wird. Denn das ist eine wirklich konsistente Haltung. Wir lehnen das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ab. Danke.

(Beifall von den Oppositionsfraktionen.)

Das Wort hat der Ministerpräsident Peter Müller.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte, die wir jetzt führen, hat drei Fragen zum Gegenstand. Erstens, wie ist das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu beurteilen? Zweitens, was folgt daraus für das Abstimmungsverhalten eines Bundeslandes, unseres Bundeslandes im Bundesrat? Drittens, wie ist der zur Abstimmung vorgelegte Antrag der SPD-Fraktion zu beurteilen? Ich will zu allen drei Fragen aus der Sicht der Landesregierung Stellung nehmen.

Was die inhaltliche Beurteilung des Gesetzes anbetrifft, gibt es unterschiedliche Einschätzungen auch zwischen den Fraktionen, die die Landesregierung tragen; das ist aus den Beiträgen der Sprecher der Fraktionen deutlich geworden. Einige Dinge, die in dieser Debatte gesagt wurden, können allerdings so nicht stehen bleiben, meine sehr verehrten Damen und Herren von der LINKEN und der SPD, weil sie schlicht an den Tatsachen und den Inhalten des Gesetzes vorbeigehen.

So ist zunächst einmal behauptet worden, dies sei ein Gesetz für die Großunternehmen. Richtig ist, dass in diesem Gesetz Elemente enthalten sind, die die Unternehmenssteuerreform betreffen. Selbst wenn man sich nur diese Elemente anschaut, stellt man fest, dass die Regelungen dort weit überwiegend Regelungen nicht zugunsten der Großkonzerne sind, sondern Regelungen zugunsten der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Der Mantelkauf betrifft die kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht. Das ist richtig. Wenn aber die Sofortabschreibung erhöht wird auf 410 Euro, wenn die Sammelabschreibung erhöht wird auf 1.000 Euro, wenn die Zinsschranke abgesenkt wird, dann sind das Maßnahmen, die dazu führen, dass kleine und mittelständische Unternehmen mehr Liquidität haben, die sie in der Krise brauchen. Deshalb sind das in der Sache vernünftige Maßnahmen, das Gegenteil von einer Bevorzugung der Großkonzerne. Dies zu behaupten ist schlicht Unsinn, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU.)

(Abg. Prof. Dr. Bierbaum (LINKE) )

Zweiter Punkt in diesem Zusammenhang: Der mit weitem Abstand dickste Brocken in diesem Gesetz sind die familienbezogenen Leistungen. Das ist die Erhöhung des Kindergeldes und die Erhöhung des Kinderfreibetrages

(Zuruf des Abgeordneten Linsler (LINKE) )

mit einer Entlastungswirkung von 4,6 Milliarden insgesamt. Jetzt ruft der Kollege Linsler dazwischen, was er eben am Mikrofon auch darzustellen versucht hat: „Was den Reichen zugute kommt.“ Dazu will ich auf Folgendes hinweisen. Erstens. 4,2 der 4,6 Milliarden Euro entfallen auf die Erhöhung des Kindergeldes und nicht auf die Erhöhung des Kinderfreibetrages. Das heißt, davon profitieren die Bezieher kleiner Einkommen, die Bezieher mittlerer Einkommen. Wenn Sie das Bürgerentlastungsgesetz mit berücksichtigen, dann hat die größte Entlastungswirkung dieses Gesetz für diejenigen, die ein Einkommen bis zu 50.000 Euro im Jahr haben. Das sind diejenigen, die am stärksten entlastet werden. Das sind nicht die Bezieher der Spitzeneinkommen, das sind die Facharbeiter, das sind die Leute, die jeden Tag zur Arbeit gehen. Dass man etwas für sie tut, ist in der Sache sicherlich nicht zu beanstanden.

(Beifall bei der CDU und bei B 90/GRÜNE).)

Lieber Herr Kollege Linsler, wahr und richtig ist, dass die Erhöhung des Kinderfreibetrags zu Entlastungseffekten führt, die höher sind als die Erhöhung des Kindergeldes. Woran hängt das? Das hat etwas mit der Proportionalität des Steuersystems zu tun. Wir haben ein Steuersystem, das sagt: Wer niedrige Einkommen hat, soll niedrige Steuern und niedrige Steuersätze zahlen, und wer höhere Einkommen hat, soll höhere Steuern und höhere Steuersätze bezahlen, soll eben nicht 15 oder 20 Prozent, sondern 30 oder 35 Prozent zahlen. Wenn wir aber sagen, dass derjenige, der mehr hat, mehr bezahlen soll, dann muss auch die Entlastung zwingend bei denen größer sein, die höhere Sätze zahlen. Wer proportional mehr bezahlt, muss auch an Entlastungen proportional stärker beteiligt werden. Das ist die normalste Sache der Welt.

(Beifall bei der CDU und bei B 90/GRÜNE. - Abg. Linsler (LINKE) : Da unterscheiden wir uns!)

Im Übrigen, lieber Herr Kollege Linsler, was die Entlastung derjenigen anbetrifft, die hohe Einkommen haben, wäre ich an Ihrer Stelle doch etwas vorsichtig. Wer bei der Haushaltslage der Landeshauptstadt Saarbrücken seine Stimme dafür erhebt, dass künftig auch den Kindern der Millionäre das Schulessen bezahlt wird, sollte an diesem Punkt sehr, sehr zurückhaltend sein. Wenn wir über Glaubwürdigkeit reden, dann ist an dieser Stelle jede Glaubwürdigkeit verwirkt.

(Beifall bei der CDU und bei B 90/GRÜNE. - Zu- rufe von der LINKEN und der SPD.)

Die Kollegin Hoffmann-Bethscheider ruft dazwischen, das freie Mittagessen sei ein Ausdruck christlicher Nächstenliebe.

(Weitere Zurufe von den Oppositionsfraktionen.)

Wissen Sie, was christlich ist? Christlich ist, dass starke Schultern mehr tragen als schwache Schultern. Christlich ist, dass Transfer dort stattfindet, wo Bedürftigkeit vorhanden ist.

(Anhaltende Zurufe von den Oppositionsfraktio- nen.)

Wir werden denen, liebe Frau Ries, die Hilfe brauchen, nur dann helfen können, wenn diejenigen, die sich selber helfen können, sich selber helfen. Deshalb ist eine solche Maßnahme wie diejenige, die jetzt in Saarbrücken beschlossen worden ist, weder christlich noch sozial noch vernünftig. Sie ist schlicht unsinnig, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU. - Anhaltende Zurufe von den Oppositionsfraktionen.)

Viele Inhalte dieses Gesetzes sind deshalb durchaus wünschbar. Das will ich klar und deutlich sagen.

Jetzt kann man sicher - auch das räume ich ein - an dem einen oder anderen Punkt über die Wachstumseffekte streiten. Wenn in dem Zusammenhang allerdings das Beispiel Ermäßigung der Steuersätze für die Übernachtung in Hotels genannt wird, so ist dies exakt das falsche Beispiel. Denn wir wissen auch aus der Anhörung, dass - und das hat ja zu viel Enttäuschung geführt - der Restaurantbereich erklärt hat: Wir werden die Spielräume, die sich ergeben, weniger dazu benutzen, die Preise zu senken. Wir werden sie nutzen, um zu modernisieren. Wir werden sie nutzen, um Investitionen vorzunehmen. Dann ist exakt an der Stelle wirklich ein Wachstumseffekt gegeben.

Trotzdem sage ich: Darüber kann man streiten. Das akzeptiere ich. Im Ergebnis bleibt aber festzuhalten, dass die Mehrzahl der Maßnahmen in diesem Gesetz ohne Weiteres wünschbar sind. Die Frage ist: Sind sie auch machbar? Diese Frage muss natürlich aus der Sicht eines Bundeslandes beantwortet werden, und diese Antwort kann anders aussehen. Deshalb kann auch ein Abstimmungsverhalten anders aussehen, als sich dies aus der Sicht des Bundes, auf nationaler Ebene darstellt.

Vor diesem Hintergrund ist schlicht und einfach auf den bekannten Tatbestand hinzuweisen, dass dieses Gesetz mit einer Mehrbelastung für den saarländischen Haushalt in einer Größenordnung von 40 Millionen Euro jährlich verbunden ist. Das wäre eine weitere Verschärfung der Situation neben anderen