Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut mich außerordentlich, dass das Thema Bildungspolitik heute insofern auf eine große Gemeinsamkeit aller Fraktionen gestoßen ist, dass die Teile, die im Koalitionsvertrag hier heute zur Bildungspolitik vorgestellt worden sind, im Wesentlichen zu keinen großen Auseinandersetzungen geführt haben. Ganz offensichtlich - das leite ich daraus ab - treffen wesentliche Teile und Vorhaben der Bildungspolitik dieser Landesregierung auch auf Zustimmung der Oppositionsparteien. Zumindest entnehme ich das der heutigen Debatte. Eine fundierte inhaltliche Kritik habe ich dazu jedenfalls nicht vernommen.
Insofern gehe ich davon aus, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele zukünftig unsere gemeinsamen Ziele sein werden, die da lauten: Erstens, wir wollen mehr Bildungsgerechtigkeit. Das heißt mehr Bildung für alle durch eine Entkopplung der Bildungschancen von der sozialen Herkunft. Alle Menschen in diesem Land sollen ihre Bildungspotenziale entfalten können. Wir wollen zweitens mehr Förderung und bessere Lernbedingungen zur bestmöglichen Qualifizierung junger Menschen. Dies soll durch längeres Lernen erreicht werden. Und wenn ich sage längeres Lernen, dann bedeutet das nicht nur ein längeres gemeinsames Lernen in der Schule, sondern längeres Lernen und längeres gemeinsames Lernen umfasst natürlich auch den Bereich vor der Schule. Insofern richten wir unseren Blick in dem Zusammenhang auch auf das schulvorbereitende letzte Kindergartenjahr.
Dazu gehört zweitens die Ausweitung der Grundschulzeit um ein Jahr bis zum fünften Schuljahr. Das ist immerhin mehr als bis zum vierten Schuljahr. Das längere gemeinsame Lernen umfasst auch den Bereich der weiterführenden Schulen, weil wir hier die Differenzierung öffnen wollen und den Umfang der Differenzierung der Schulkonferenz überlassen wollen. Hier sind die Eltern beteiligt, und an dieser Stelle stärken wir auch das Elternwahlrecht im Zusammenhang mit der Schulstruktur. Wir wollen drittens
eine Reform des Bildungssystems unter Berücksichtigung der Faktoren demografische Entwicklung, Erhaltung eines wohnortnahen qualifizierten Bildungsangebotes mit allen Abschlüssen und darüber hinaus eine noch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, weil dies in Zukunft noch wichtiger wird. Aus diesem Grund werden wir zusätzlich zu den Betreuungsangeboten auch weitere gebundene Ganztagsschulen einrichten.
Und wenn Sie mich jetzt fragen: Wie geht das? Das geht zuerst einmal durch eine bessere Bildungsfinanzierung.
Wir wollen - erstens - die demografische Rendite, also die Stellen, die durch zurückgehende Schülerzahlen frei werden und zur Verfügung stehen, nicht aus dem System herausholen, wie das in der Vergangenheit des Öfteren der Fall war. Die Stellen bleiben vielmehr im Schulsystem - zur Verbesserung der Qualität.
Wir wollen - zweitens - eine schrittweise Erhöhung der Bildungsausgaben auf einen Anteil am Gesamthaushalt von bis zu 30 Prozent. Das gab es noch nie in diesem Land!
Drittens wollen wir - und das ist eine logische Folge dieser Argumentation - keine Beteiligung des Bildungsressorts an generellen Sparquoten, zu denen es eventuell im Zuge der Umsetzung der Schuldenbremse kommt.
Meine Damen und Herren, denken wir einmal zurück, beispielsweise an die Neunzigerjahre, an die Zeit vor 1999. Damals sah das noch ganz anders aus. Damals gab es die linearen Sparquoten über alle Ressorts. Damals gab es Stelleneinsparungen, zum Beispiel die Einsparung von bis zu 1.000 Lehrerstellen. Mit uns wird es das in Zukunft nicht geben. Wir investieren in die Bildung - in die Bildung als einem zukunftsträchtigen Bereich dieses Landes, in die Bildung als Zukunftsbereich der Kinder in diesem Land. Das ist uns einfach wichtig.
Wir werden auch in diesem Lande den Rechtsanspruch auf eine Betreuung der Unter-Dreijährigen ab dem ersten Lebensjahr, wie er von der Bundesregierung zur Einführung bis zum Jahr 2013 vorgegeben ist, umsetzen. Denn die Familien brauchen das. Die Eltern in diesem Land müssen die Sicherheit haben, dass sie, wenn sie berufstätig sein wollen, auch einen Betreuungsplatz in diesem Lande bekommen. Dies werden wir so umsetzen.
Wir werden des Weiteren im Bereich der Erzieherinnenausbildung das Niveau insofern anheben, als wir die Erzieherinnenausbildung auf Fachhochschulniveau anbieten, dies in einem Stufenplan. Denn wir
wissen, dass der Schatz der frühen Kindheit gehoben werden muss. Was wir in der frühkindlichen Bildung leisten können, was wir auch durch eine gute Erzieherinnenausbildung qualitativ noch verbessern können, das ist uns sehr viel wert. Investieren wir an dieser Stelle nicht, müssen wir später alles teuer reparieren.
Ich kündigte bereits an, dass wir unter dem Stichwort „längeres gemeinsames Lernen“ die Verlängerung der Grundschulzeit wollen. Das ist ja nichts Neues in der Republik. Es gibt ja Länder, die eine Verlängerung der Grundschulzeit haben. Man geht dort nicht nur bis zum fünften Schuljahr, sondern bis zum sechsten Schuljahr. Beispielsweise ist das Vorhaben in Hamburg so. Es gibt das in Berlin so, wo übrigens ja die Linkspartei auch mitregiert.
Dies sage ich auch mit Blick auf die Frage nach einem möglichen Wechsel, mit Blick auf die Problematik, wo die Kinder hingehen können, wenn man in ein anderes Bundesland wechselt. Die Lösung dieses Problems hat man ja auch in Berlin vorgenommen. Das gibt es in Brandenburg und so weiter.
Wir wollen eine individuelle Förderung der Kinder im vierten und fünften Schuljahr erreichen, indem wir auch ein differenziertes Förderinstrument anbieten. Denn entscheidend ist - auch bei allen, die jetzt schon gegen dieses fünfte Schuljahr Opposition machen: Wie ist die Ausgestaltung dieses fünften Schuljahres? Wie ist in diesem fünften Schuljahr die Vorbereitung auf die beiden weiterführenden Schulen?
Und übrigens: Oskar Lafontaine hat ja den europäischen Standard angesprochen, den wir hierzulande beim Umbau unseres Schulsystems auch berücksichtigen sollten. Ein längeres gemeinsames Lernen, auch bis zum fünften Schuljahr, nähert sich natürlich dem europäischen Standard an! Blieben wir beim vierten Schuljahr
(Abg. Linsler (LINKE) : Wir waren ja mit sechs Jahren einverstanden! Und jetzt sind es nur noch fünf Jahre!)
und dort müssten wir ja wohl bleiben, wenn Sie einer Verfassungsänderung nicht zustimmten -, so würden wir uns diesem europäischen Standard nicht nähern können. Uns nun zu unterstellen, wir wollten eigentlich eine Verfassungsänderung gar nicht, ist im Grunde eine Unverschämtheit! Das ist eine Unverschämtheit, denn -
Denn ob eine Verfassungsänderung an dieser Stelle überhaupt zustande kommt, das liegt ja nicht an den Koalitionsfraktionen, an den Fraktionen, die die Landesregierung tragen! Das liegt ja an Ihnen, Herr Maas und an Ihrer Fraktion, und es liegt an Ihnen, Herr Lafontaine und an Ihrer Fraktion. Wir brauchen ja Ihre Zustimmung für diese weitgehende Schulreform.
Ich entnehme aber Ihren Redebeiträgen, dass Sie gesprächsbereit sind. Wir werden uns zusammensetzen und über alles reden. Wir werden auch alle Bedenkenträger einbeziehen. Irgendwann aber, meine Damen und Herren von der Opposition, kommt auch für Sie der Lackmustest: Was wollen Sie? Wollen Sie in diesem Lande Fundamentalopposition betreiben? Oder wollen Sie auch einen Beitrag leisten, damit wir mit der Bildungsreform einen bedeutenden Schritt vorankommen - für unsere Kinder und für die Zukunft des Landes?
Ich weise des Weiteren darauf hin, dass wir im Zusammenhang mit der notwendigen Schulreform in diesem Lande ein neues Schulmodell im Bereich der weiterführenden Schulen einführen wollen. Auf der einen Seite werden wir dann das Gymnasium haben, das mit dem sechsten Schuljahr beginnen wird. Auf der anderen Seite werden wir die Gemeinschaftsschule haben. Auch diese ist keine Neuerfindung von uns! Die Gemeinschaftsschule gibt es, inklusive der Begrifflichkeit, bereits in Schleswig-Holstein und in Berlin - wo ja die Linkspartei mitregiert -, und es wird sie demnächst auch unter der Großen Koalition in Thüringen geben. Die Gemeinschaftsschule steht aber ja auch vom Namen her im Wahlprogramm der Linkspartei!
Ich erwarte daher, dass Sie sich unser Modell genau anschauen und dass Sie dann prüfen, was davon Ihren Vorstellungen entspricht. Ich lade Sie ein, mit uns gemeinsam eine fortschrittliche Schulreform, die allen in diesem Lande zugutekommt, zu machen.
Wir werden auch die Lehrerausbildung reformieren. Es ist bereits gesagt worden, dass wir umstellen von der schulformbezogenen Lehrerausbildung auf eine Stufenlehrerausbildung. Wir werden das Lehramt für die Primarstufe und die Sekundarstufe I, das Lehramt für die Sekundarstufe I und das Lehramt für die Sekundarstufen I und II einführen. Das macht Sinn vor dem Hintergrund der Schulreform in diesem Land. Das macht aber auch Sinn, um Lehrpersonal, je nach Stufenausbildung, flexibler an unterschiedlichen Schulformen einsetzen zu können. Auch dies
ist ein großer Fortschritt, den wir in diesem Lande beanspruchen. Ich lade Sie ein, sich auch an dieser Diskussion zu beteiligen.
Wir werden auch mit Blick auf Schulstrukturreformen und parallel dazu die Lehrerfortbildung reformieren, denn ich weiß ja, dass Schulstrukturreformen allein noch keine Verbesserung in diesem Land bringen werden. Wir werden einschlägige Programme anbieten, damit die Lehrer auch zurechtkommen mit der Reform, damit sie wissen, was es bedeutet, individuelle Förderung in den Schulklassen zu betreiben.
Im Übrigen werden wir auch die Klassen im Rahmen eines Stufenplanes verkleinern. Die „Kleinere-Klassen-Garantie“, die die Vorgängerregierung eingeführt hat,
Ich sagte es bereits: Ich halte nichts von ideologischen Auseinandersetzungen um „Zwangsganztagsschulen“ oder Ähnliches. Wir werden, weil wir das Wahlrecht hochhalten, den Eltern ein echtes Wahlangebot unterbreiten, das Angebot zur Wahl zwischen verschiedenen Schulformen und zur Wahl zwischen verschiedenen Betreuungsangeboten.
Zu diesen Betreuungsangeboten zählt: Wir werden erstens - die freiwillige Ganztagsschule fortführen. Wir werden - zweitens - auch das Angebot an Ganztagsklassen aufrechterhalten. Wir werden aber drittens - und damit wird ein komplettes Wahlangebot bestehen - den Eltern auch die Möglichkeit bieten, gebundene Ganztagsschulen, die wir einrichten werden, auszuwählen. Das ist auch eine Frage der Schulträgerschaft; die müssen Anträge stellen. Diese Anträge werden wir prüfen und entsprechend den Prüfergebnissen auch genehmigen. Ich lade Sie herzlich ein, uns an dieser Stelle zu unterstützen.
Ein Punkt ist heute noch nicht genannt worden: Die Lehrerschaft sieht sich einer zunehmend schweren Aufgabe gegenüber, bedingt durch gesellschaftliche Veränderungen, durch das Aufbrechen und die Veränderungen der Familienstrukturen. Wir müssen in den Schulen, neben dem Vorhalten eines vernünftigen Unterrichtsangebots, neben der Gewährleistung einer guten Personalausstattung, neben einer Verbesserung der Qualität, auch die schulischen Unterstützungssysteme verbessern. Daher werden wir das, was die Vorgängerregierung - das sage ich ganz bewusst - erfolgreich eingeführt hat, flächendeckend ausbauen: die Schulsozialarbeit. Unser Ziel ist es, an jeder mittelgroßen Schule mindestens
einen Sozialarbeiter auf einer festen Stelle zu haben. Wenn das kein Angebot an die Opposition ist, dann weiß ich es auch nicht mehr! Immerhin habe ich auch diesen Aspekt in Ihren Wahlprogrammen gelesen.
Ich komme zum Schluss. Unser Ansatz geht dahin, im Bildungssystem mehr Gerechtigkeit herzustellen. Unser Ansatz geht dahin, mehr Chancengleichheit herzustellen. Unser Ansatz geht dahin, mehr Bildung für alle zu verwirklichen. Damit im Zusammenhang steht natürlich auch unser Vorhaben, unser Grundsatz: Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein.
Und deshalb haben wir es nach langem Ringen um einen Kompromiss in der Koalition erreicht, dass die Studiengebühren für das Erststudium abgeschafft werden. Dies ist ein großer Erfolg und folgt dem Satz, der nach wie vor richtig ist: Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen!