Protocol of the Session on November 19, 2020

(Beifall SPD und SSW)

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Lasse Petersdotter das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Ich bin davon überzeugt, dass kaum ein anderer Bereich der Bildung im 21. Jahrhundert so sehr an Bedeutung gewinnen wird wie der Weiterbildungsbereich. Weiterbildung ist ein Ansatz - das ist nicht neu, wird aber immer relevanter -, der zeigt, dass man nach Schule, Ausbildung und Studium einfach nicht ausgelernt hat.

In einer Gesellschaft, in einer Welt, die sich immer schneller dreht, in der es immer mehr Herausforderungen gibt, gibt es immer mehr Situationen der individuellen Überforderung - sei es Digitalisierung, sei es ein gesellschaftlicher, ein kultureller Wandel. All das fordert uns heraus. Damit diese Herausforderungen und die teilweisen Überforderungen nicht zu Frustration, zum Zurückziehen und zum SichAbgrenzen von den Entwicklungen führt, müssen wir ernsthaft über eine neue Weiterbildungskultur in Betrieben und Gesellschaft sprechen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das muss im Interesse der Arbeitgeber sein.

Es liegt auch in der Verantwortung von Arbeitgebern, ihre Beschäftigten in die Lage zu versetzen, die Herausforderungen, die der Job so bringt, bewältigen zu können. Das ist mit einer Ausbildung nach dem 18., 19., 20. Lebensjahr nicht durch. Selbst nach dem Studium ist das lange noch nicht

(Dr. Heiner Dunckel)

durch. Man wird immer wieder nachbessern müssen.

Es gibt - gerade im technischen Bereich - Erkenntnisse darüber, dass Leute für den individuellen Bereich weiter- und fortgebildet werden. Wenn ein Betrieb eine neue Maschine anschafft, gibt es natürlich eine Fort- und Weiterbildung - die allerdings oft von der Versicherung gefordert wird. Da gibt es andere Anreize.

Auch darüber hinaus wird es in der Zukunft nicht möglich sein, dass nur die nachfolgenden Generationen zum Beispiel in der Digitalisierung die Herausforderungen übernehmen. Man muss dem bestehenden Personal immer wieder die Befähigung vermitteln, sodass es von seinen alltäglichen Aufgaben nicht überfordert wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Anita Klahn [FDP])

Ein ganz wichtiger Bereich der Fort- und Weiterbildung ist: Weiterbildung bedeutet Bildungsgerechtigkeit im Alltag. Das ist ein Aspekt, bei dem es immer wieder schwierig ist, sein eigenes Leben herumzureißen. Wenn man drei-, vier-, fünfmal im Leben die falsche Abzweigung gegangen ist, muss das okay sein. Wir müssen es Menschen zugestehen, nicht immer ideal zu entscheiden und in ihrem Bildungsweg nicht immer so wahnsinnig rational gewesen zu sein. Es kann nur gut und richtig sein, wenn man sich auch im höheren Alter noch weiterund fortbilden kann, um vielleicht mit den Schwierigkeiten, mit denen man auf die Welt gekommen ist, fertig zu werden, oder die Schwierigkeiten, in die man hineingeboren wurde, zu überwinden, das Ruder herumzureißen und die Welt für sich selbst und die eigene Familie zu verändern. Insofern kann der Gedanke der Bildungsgerechtigkeit im Alter der Weiterbildung eine ganz neue Bedeutung geben und unsere Gesellschaft bedeutend gerechter machen.

Darüber hinaus macht Weiterbildung Spaß. Die Idee eines rein interessengeleiteten und neugierorientierten Bildungsbegriffs ist uns leider in vielen anderen Bildungseinrichtungen nicht den ganzen Tag über geläufig. Es gab auch bei mir in der Schule Bereiche, die mich nicht immer interessiert haben. Sie waren alle wichtig, aber das, was ich dort gelernt habe, war nicht immer von reiner Neugier geleitet. Das ist okay. Es gibt Dinge, die man gelernt haben sollte, die zum Grundrüstzeug gehören. In der Weiterbildung aber kann ich es mir selber aussuchen. In der Weiter- und Fortbildung kann ich sagen: Ich möchte jetzt Italienisch, Dänisch oder was auch immer lernen. - Ich kann sagen: Ich

möchte gerne kochen lernen, ich möchte gerne Yoga lernen. - All das gehört zum Menschen dazu und kann eine wahnsinnig zufriedenstellende und Spaß bringende Erfahrung sein.

Die freiwillige Idee von Weiterbildung haben wir in der Coronazeit durchaus erlebt. Viele von uns haben sich doch Gedanken gemacht: Okay, ich habe ein paar mehr Freiräume. Was mache ich mit den Freiräumen?

Ich will nicht dafür werben, dass jeder die Freiräume, die er in seiner Coronazeit freiwillig oder nicht freiwillig erlebt hat, möglichst effizient genutzt und Mandarin gelernt haben muss. Keine Frage. Aber es gab den einen oder anderen Menschen, der sich einmal ein YouTube-Video angeschaut hat, wie man häkelt oder was auch immer macht, was man vielleicht vorher nicht gemacht hat. Es ist großartig, das von Zuhause, vom Mittagstisch oder von der Couch aus, machen zu können.

Bildung ist etwas Tolles. Bildung für alle ist die beste Form von Bildung. Genau das ist es, was sich die Volkshochschulen seit über hundert Jahren auf die Fahnen geschrieben haben.

Die Volkshochschulen sind eine der wenigen Bereiche, die wirklich das erreichen, was wir hier immer wieder sagen. Sie sind in der Fläche vertreten. Ich sehe auf ebenbürtiger Ebene eigentlich fast nur noch die Feuerwehren und die Sportvereine, die es schaffen, so in der Fläche und im ländlichen Raum vertreten zu sein, wie es die Volkshochschulen mit insgesamt 145 Volkshochschulen in Schleswig-Holstein an 232 Standorten sind. Das muss man erst einmal schaffen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Da geht es natürlich von A bis Z, von Gesundheitsbildung über Grundbildung, die wir in der Koalition gestärkt haben, bis hin zu Meditationskursen, all das, was den Menschen ausmacht und ihn interessieren könnte, es gibt ein wahnsinnig breites Angebot und auch ein unglaublich gut digitalisiertes Angebot. Die VHS-Cloud ist wirklich gut gemacht. Dafür kann man einmal werben. Wir als Koalition haben die Volkshochschulen darin sehr bestärkt mit unseren zusätzlichen Mitteln für Digitalisierung.

Ich finde den Vorschlag des SSW gut und freue mich darauf, im Ausschuss näher darüber zu diskutieren. Ich möchte den Begriff aber weiter fassen, ich möchte, dass wir auch über andere Initiativen sprechen, wie zum Beispiel opencampus, die seit 2014 hochprofessionell in Kiel und darüber hinaus

(Lasse Petersdotter)

im Zusammenhang mit den Hochschulen, aber nicht nur an den Hochschulen, Weiterbildungsangebote schaffen, für die man sowohl Leistungspunkte bekommen als auch sich einfach so interessieren kann.

Ich habe in einem Kurs, den ich dort zum Thema Social-Media-Arbeit in der Politik gegeben habe, meinen ehemaligen Informatiklehrer getroffen. Er saß dort im Publikum und hat gesagt: „Ich wollte einmal gucken, was ihr da alles so treibt.“ Das ist doch eine herausragende Zusammenkunft, die dort ermöglicht wird.

Das Weiterbildungsgesetz schafft gute Grundlagen, über die wir im Ausschuss weiter diskutieren werden. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich bedanke mich für den Weiterbildungsbericht. Das ist der erste Bericht, der mit der Reform 2017 angefordert wurde, den wir jetzt vorliegen haben.

Lebenslanges Lernen ist Ausdruck des liberalen Selbstverständnisses mündiger Bürgerinnen und Bürger. Wir sind dabei, uns für die kontinuierliche Weiterentwicklung, Verbesserung und Finanzierung von Weiterbildungsangeboten einzusetzen. Ehrlicherweise sei darauf hingewiesen - das klang hier vorhin an -, dass das immer nur unter den Möglichkeiten geht, die der Haushalt bietet.

(Unruhe)

Frau Abgeordnete, kleinen Moment bitte. - Ich möchte Sie bitten, die Gespräche ein bisschen einzuschränken. Es ist sehr laut hier vorne. - Besten Dank!

Vielen Dank. - Bei den Weiterbildungsangeboten geht es - das ist hier mehrfach gesagt worden - darum, dass dem Menschen entsprechend seiner eigenen Lebensumstände Bildungsangebote unterbreitet werden, die er nutzen kann und soll, nach freier

Entscheidung, um selbstbestimmt teilhaben, aber auch um berufliche und gesellschaftliche Aufstiegschancen nutzen zu können.

Es mag abgedroschen klingen, immer wieder vom „lebenslangen Lernen“ zu sprechen, aber dass sich die Arbeitswelt wandelt, ist schon immer so gewesen. Ich kann da aus eigener Erfahrung sprechen: Ich habe einen Beruf erlernt, den es in der heutigen Form nicht mehr gibt. Ohne die Nutzung von Weiterbildungsangeboten hätte ich diesen Beruf mit seinen Veränderungen nicht weiter ausüben können.

Ein weiteres Beispiel: Wer im Jahr 1960 am Rechenschieber Buchhaltung gelernt hat, wird das im Jahr 2000 ohne Fortbildung schlicht und einfach nicht mehr können. Wir haben in den letzten 20 bis 30 Jahren erlebt, dass sich gerade in der Berufswelt Arbeitsprozesse in wahnsinniger Geschwindigkeit verändern und anpassen. Daher begrüße ich ausdrücklich die KMK-Vereinbarung, in der genau dies zum Ausdruck gebracht wird.

Nur wenn wir im engen Austausch mit Bund, Kommunen, Sozialpartnern und Trägern versuchen, tragfähige Konzepte zu entwickeln, wird das erfolgreich sein. Denn ohne Weiterbildung - das muss allen klar sein - werden wir die Veränderungsprozesse nicht bestehen können.

Es ist im Interesse aller. Weiterbildung trägt maßgeblich dazu bei, den eigenen Arbeitsplatz, das eigene Einkommen und die Unabhängigkeit zu sichern. Der Staat profitiert davon, dass er weniger für Transfergesellschaften, Subventionen und Sozialtransfers bereitstellen muss. Daher sollte er ein Interesse daran haben, Weiterbildung zu unterstützen.

Allerdings reicht der globale Begriff „Weiterbildung“ allein nicht aus. Wir müssen schauen, welche Angebote im Bericht aufgelistet sind und wie sie genutzt werden. Natürlich ist es richtig, dass es ein breites, vielfältiges Angebot gibt; das geht aus dem Weiterbildungsbericht hervor.

Wir sollten aber auch schauen, was am häufigsten genutzt wurde. Das sind in der Tat die Sprachen. Das liegt natürlich daran, dass ich im Berufsleben mit Deutsch allein weiterkomme - das ist schon lange vorbei -, und auch Englisch ist inzwischen selbstverständlich. Eine weitere Sprache wie Spanisch, Französisch oder auch Russisch oder Chinesisch gehört inzwischen dazu. Und auch die Bereiche Pädagogik und Psychologie liegen mit großem Abstand vor allen anderen Angeboten.

(Lasse Petersdotter)

Auch wenn dies zweifellos einen unverzichtbaren Beitrag zur Verständigung leistet, darf an dieser Stelle durchaus die Frage gestellt werden, inwieweit die Fortbildung an den Bedarfen der Betriebe ausgerichtet ist. Denn die Freistellung eines Arbeitnehmers ist für den Arbeitgeber immer mit Kosten verbunden, die irgendwo erwirtschaftet werden müssen. Ich erhöhe die Bereitschaft eines Arbeitgebers, wenn er einen beruflichen und wirtschaftlichen Nutzen für sich sieht, wenn der Arbeitnehmer dem Betrieb eine Woche fernbleibt.

Wenn wir uns über eine Reform des Weiterbildungsgesetzes unterhalten, müssen wir auch darüber sprechen, wie wir sinnvolle, nutzbare Kompetenzerwerbe darstellen können.

Die Kollegin Jette Waldinger-Thiering hat es schon angesprochen: Wir müssen natürlich auch schauen, dass Angebote, die für alle gedacht sind, auch von allen in Anspruch genommen werden können - unabhängig von Alter, Geschlecht, beruflicher Situation und Lebensphase.

(Beifall FDP und SSW)

Der Bericht zeigt: Junge Frauen sind in der Familienphase eingebunden und dadurch anders gehandicapt als junge Männer, die mit Vollgas durch Weiterbildung in ihre berufliche Karriere starten. Daran können und müssen wir arbeiten.

Ein weiterer wichtiger Punkt wurde bereits angesprochen: Wir müssen die Digitalisierung in Coronazeiten nicht nur in den Schulen deutlich vorantreiben, sondern auch bei den Weiterbildungsträgern. Gerade in Coronazeiten ist es wichtig, dass man einen Weiterbildungskursus auch von zu Hause ohne Zeitverlust durch An- und Abreise und ohne zusätzliche Kosten ableisten kann. Auch das würde die Attraktivität der Weiterbildung ohne Zweifel stärken.

Wir sollten im Ausschuss weiter beraten, mit welchen Instrumenten und mit welcher Zielsetzung wir die vorhandenen Strukturen der Weiterbildung überprüfen wollen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal ganz deutlich sagen: Ja, die Volkshochschulen spielen eine wichtige Rolle, aber wir haben eine Fülle anderer Weiterbildungsträger in diesem Land, und die müssen wir mit einbeziehen, die müssen wir mit beleuchten.

Wenn wir das jetzt als Auftrag an die Landesregierung geben, dann ist das - ehrlich gesagt - ein Jahrhundertwerk, auf dessen Fertigstellung wir lange warten müssen. Das würde einen sechsstelligen Be

trag kosten, den man lieber direkt in die Strukturen geben sollte.

Wir sollten uns im Ausschuss intensiv mit der Fragestellung auseinandersetzen: Wohin wollen wir, was soll es werden, welche Instrumente wollen wir einsetzen? - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.