Protocol of the Session on October 30, 2020

(Lasse Petersdotter)

(Beifall FDP, vereinzelt SPD und Beifall Hans-Jörn Arp [CDU])

Diese Tatsache infrage zu stellen, ist geschichtsvergessen und revisionistisch oder auch schlicht dumm, und die Personen, die heute die Reichskriegsflagge zeigen, sollten sich einmal bewusstmachen, dass auch sie von dem Schutz unseres Rechtsstaates profitieren. In einem autoritären Staat, wie sie ihn anstreben, wären solche Meinungsäußerungen verboten. Sie würden mit nicht rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt und unterbunden werden,

Ich habe auch durchaus Verständnis für die Motive, die hinter dem Antrag von Ihnen, Herr von Pein, stehen. Er schießt aber meines Erachtens über das Ziel hinaus. Das haben meine Vorredner hier auch schon deutlich gemacht. Es wird eben im Hinblick auf die Entscheidung des OVG Bremen, das besagt, ein Verbot bedarf einer gesetzlichen Grundlage, schnell übersehen, dass auch dieses Gesetz verfassungsgemäß sein muss, und das ist auch zu erwähnen.

Ich will drei Aspekte herausstellen, die mir in dieser Debatte wichtig sind. Erstens. Der Antrag der SPD berücksichtigt meines Erachtens nicht hinreichend, dass empfindlich in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingegriffen wird. Wir setzen neue Maßstäbe für Eingriffe in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Davor sollten wir uns hüten.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Wir wollten uns auch nicht dem Verdacht aussetzen, dass wir mit solchen gesetzlichen Regelungen versuchen, unliebsame Meinungen zu unterdrücken. Das wäre fatal und stärkt diejenigen, gegen die wir vorgehen wollen.

Viele, die hier sitzen, haben auf Demonstrationen sehr kritische Meinungen gegen die Regierenden vertreten. Das steht allen Menschen zu, auch wenn uns die Meinungen hin und wieder nicht gefallen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Zweitens. Der SPD-Antrag berücksichtigt darüber hinaus nicht, dass es schon heute verboten ist und bestraft werden kann, die Reichskriegsflagge oder andere Symbole früherer deutscher Staaten zu verwenden, wenn weitere Umstände hinzutreten. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, und ich halte es für notwendig, ihn zu beachten. Wir sollten eine Einzelfallprüfung vornehmen, bevor wir mit generellen Verboten arbeiten. Ich halte es für sinnvoller, wenn wir zunächst die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, die uns heute schon zur Verfügung ste

hen, wenn wir gegen ein nicht zumutbares Zeigen der Reichskriegsflagge vorgehen wollen.

(Beifall FDP)

Das kann man durch Verbote, durch Auflagen im Versammlungsrecht erreichen oder auch durch Bußgelder nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz. Das ist alles schon heute möglich und ist meines Erachtens ausreichend.

Drittens. Schließlich ist zu bedenken, dass es den Gruppierungen, gegen die wir vorgehen wollen, ein Leichtes ist, ihre Symbole und Abzeichen beliebig und schnell auszutauschen. Es ist ein bisschen wie das Rennen von Hase und Igel: Wir werden immer hinterher sein, zu spät kommen und versuchen, mit neuen gesetzlichen Verboten auf Provokationen dieser Menschen zu reagieren.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Das Problem, das wir nicht aus den Augen verlieren dürfen, ist: Wir werten diese Gruppierungen damit möglicherweise auf, weil sie uns vermeintlich immer ein Schnippchen schlagen. Das möchte ich nicht zulassen.

Obwohl die Diskussion, die die SPD hier angestoßen hat, durchaus ihre Berechtigung hat - das ist bei allen Vorrednern deutlich geworden -, weil es um die Frage geht, wie ein freiheitlicher und demokratischer Rechtsstaat mit solchen geschichtsvergessenen, revisionistischen und nationalistischen Gruppierungen umgehen soll, finde ich Ihren Lösungsansatz falsch. Er wirkt hilflos und ist am Ende in weiten Teilen wirkungslos. Die Diskussion erinnert mich ein bisschen an die Debatte, die wir geführt haben, als ich in den Landtag nachrückte, im Hinblick auf Zahlen- und Buchstabenkombinationen auf Kfz-Kennzeichen.

(Beifall Kay Richert [FDP])

Meine Damen und Herren, mit Verboten erreichen wir nicht das, was unser Ziel sein sollte, nämlich dass Menschen, die solche Symbole mit politischen Aussagen verknüpfen und verwenden, keinen Einfluss in unserer Gesellschaft gewinnen sollen.

Das können wir erreichen, wenn wir die vorhandenen Möglichkeiten ausschöpfen und uns energisch gegen solche Strömungen stellen. Wir werden unsere hochrangigen Freiheitsrechte immer schützen müssen, und wir sollten sie nicht übereilt einschränken. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Jan Marcus Rossa)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Tobias von Pein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gern auf einen, zwei Punkte eingehen und bedanke mich für die faire, offene Debatte.

Reichsflagge oder Reichskriegsflagge - im Grunde genommen hat der Kollege Petersdotter schon die Antwort gegeben: Es geht im Kern um die Provokation. Wenn damit eine Provokation hergestellt und sich auf vergangene, ewiggestrige, vordemokratische Zeiten bezogen werden soll, sollten wir das nicht tolerieren.

Deswegen der Ansatz, den wir in großer Einigkeit mit vielen anderen im Bundesgebiet verfolgen. Ich habe den CDU-Innenminister und andere genannt. Es ist nicht abwegig, darüber nachzudenken, im Strafgesetzbuch die Schärfe des Rechts zu nutzen. Da zieht für mich nicht unbedingt das Argument eines Eingriffs in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

(Unruhe - Glocke Präsidentin)

Wir können das gern weiter diskutieren. Ich kann nicht erkennen, an welcher Stelle Sie rechtlich eingreifen wollen, Herr Rossa. Denn beim Versammlungsfreiheitsgesetz Schleswig-Holstein haben wir über drei Jahre darüber diskutiert, wie wir mit Neonazi-Demonstrationen umgehen. Wir haben das vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Lübeck und anderer Demonstrationen getan und haben klar herausgeschält, welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt, um abzuwägen zwischen der Verhältnismäßigkeit und einer angemessenen Einschränkung von Aktionen, die wir nicht wollen, die die nationalsozialistische Terrorherrschaft verherrlichen. Da haben wir eine gute Lösung gefunden. Was Sie gesagt haben, wäre nach dem Informationsfreiheitsgesetz Schleswig-Holstein nach meiner Interpretation heute schon möglich. Daher geht Ihr Antrag keinen Schritt nach vorn.

Wir sind weiter dafür, das im Strafgesetzbuch strafbar zu machen, weil wir davon überzeugt sind, dass das eine Sache ist, die heute nicht mehr nur historisch betrachtet werden soll. Heutige Neonazis und Geschichtsklitterer benutzen das jeden Tag, um unsere Demokratie zu unterhöhlen.

Deswegen halten wir daran fest. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und finde gut, dass darüber eine Diskussion im Ausschuss stattfindet.

Das ist ja bei Anträgen zu diesem Thema nicht immer der Fall. Ich freue mich sehr darauf und warte ab, was bei der Innenministerkonferenz herauskommt und was die Ministerin hierzu sagen wird. Vielen Dank.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Für die Landesregierung hat die Ministerin für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung, Dr. Sabine Sütterlin-Waack, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch mich haben die Bilder mit den schwarz-weiß-roten Reichskriegsflaggen auf den Stufen unseres Bundesparlaments entsetzt. Ich selbst war Mitglied des Deutschen Bundestags, in diesem ehrwürdigen, Hohen Haus der Demokratie. An diesem Ort jubelschreiende Massen mit schwarz-weiß-roter Flagge zu sehen, hat mich erschüttert. Wir dürfen solche Provokationen und die symbolträchtigen Bilder nicht hinnehmen und einfach zum Alltagsgeschäft übergehen. Ich begrüße, dass wir uns in diesem Haus dazu deutlich positionieren.

(Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Auch ich habe mich gefragt: Was können wir dagegen tun? Was können wir tun, um solche Bilder zu verhindern?

Ich kann den Vorstoß Bremens mit seinem Verbotserlass nachvollziehen. Allerdings habe ich schon im September gesagt: Bei der Frage eines möglichen Verbots der Reichsflagge und der Reichskriegsflagge sollten wir bundeseinheitlich vorgehen. Die kommende Innenministerkonferenz ist ein geeigneter Anlass, um über dieses Thema zu reden, zumal der Bremer Erlass nicht nur nach meiner Einschätzung rechtlich angreifbar ist.

Einige Menschen, insbesondere Rechtsextreme, Reichsbürger und andere Demokratiegegner, benutzen die Reichsflaggen in letzter Zeit vermehrt auf Demonstrationen. Das allein genügt aber nicht für Sicherstellungsmaßnahmen oder die Ahndung mit einem Bußgeld.

Leider hat sich diese rechtliche Einschätzung in diesem Punkt bestätigt. Beim Bremer Oberverwaltungsgericht liegt bereits eine Entscheidung vor.

Demnach ist das Verbot des Zeigens von Reichskriegsflaggen im Rahmen einer Versammlung rechtswidrig. Das bloße Mitführen und Zeigen der Flagge stellt danach keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dar. Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände - so führt das Gericht aus - ist kein Straftatbestand erfüllt, weder der Straftatbestand der Volksverhetzung noch der Tatbestand, der die Verwendung von Kennzeichen bestimmter politischer Organisationen unter Strafe stellt.

Wie Sie wissen - das haben wir eben auch vom Kollegen Petersdotter gehört -, liegen die Ursprünge und die überwiegende staatliche Verwendung der Reichskriegsflagge und der Reichsflagge im Kaiserreich. Unbestritten ist, dass eine Affinität des äußersten rechten Spektrums zur schwarz-weiß-roten Flagge besteht. Deswegen ist sie aber nicht automatisch ein Kennzeichen einer verbotenen nationalsozialistischen Organisation. Das bloße Zeigen der Flagge - so sehen es auch die Bremer Gerichte - ist Ausdruck der Meinungsfreiheit. Diese Freiheit ist grundrechtlich geschützt.

Die Meinungsfreiheit stellt es allen frei, grundlegende Werte und Wertungen der Verfassung infrage zu stellen, solange der Grad der Strafbarkeit nicht erreicht ist. Das ist aufgrund der geäußerten Meinungen manchmal schwer zu ertragen und kaum auszuhalten - für Sie und für mich. Aber, meine Damen und Herren, all das zeigt: Wir müssen sorgfältig vorgehen und rechtssichere Lösungen entwickeln.

Rechtlich nicht zu haltende Verbote wie in Bremen sind ein Bumerang. In den entsprechenden Kreisen feiert man die Entscheidung dort natürlich als einen Erfolg. Deshalb wiederhole ich noch einmal meinen Appell, keinen Alleingang zu unternehmen. Stattdessen brauchen wir ein bundesweit abgestimmtes, rechtssicheres Vorgehen.

Deshalb nehme ich das Thema mit in die nächste Innenministerkonferenz. Das ist der Rahmen, um zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Gern werde ich Ihnen im Ausschuss dazu berichten. Vielen Dank.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Dr. Frank Brodehl [fraktionslos])

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag, Drucksache 19/2490 (neu), sowie den Alternativantrag, Drucksache 19/2535, dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich sehe, dass das einstimmig so beschlossen ist.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Zweite Lesung des Entwurfes eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (Jugendförde- rungsgesetz - JuFöG -)

Gesetzentwurf der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/1632

Bericht und Beschlussempfehlung des Sozialausschusses Drucksache 19/2475 (neu)