Protocol of the Session on May 7, 2020

Die erste Reaktion, die ich da gehört habe, war: Na ja, wir werden wahrscheinlich in die Pflegeeinrichtung ziehen und da für zwei Wochen oder je nachdem, wie lange das geht, übernachten, leben, damit dann, wenn es einen Lockdown gibt, wenn es erste Infektionen gibt, wenn sich die Pflegeeinrichtung in Quarantäne befindet, weiter gepflegt werden kann; es führt ja kein Weg daran vorbei.

Das ist eine Form der Hingebung, die es in kaum einem anderen Berufsfeld gibt und zum Glück auch in kaum einem anderen Berufsfeld geben muss. Das

sind Menschen, die schon vorher teilweise am Limit gearbeitet haben. Wir hatten fast synchron die Debatte über das UKSH und die Tarifverhandlungen mit ver.di, die Monika Heinold geführt hat. Wir haben immer wieder gesehen, wie sehr Pflege und das Gesundheitssystem in Deutschland am Limit sind.

In diesem Bereich ist Kontakt unvermeidbar. Man kann sich schützen, wie man will, man muss in Kontakt treten, auch wenn man Schutzbekleidung hat. Das ist körperlich und psychisch wahnsinnig anstrengend, sowohl dann, wenn ein Ausbruch geschieht, als auch dann, wenn keiner geschieht, wenn man sich immer wieder fragt: Was passiert am nächsten Tag, kann ich Überstunden abbauen oder nicht, muss ich es gerade jetzt machen, weil ich nächste Woche so sehr gefragt bin wie bisher kaum in meinem bisherigen Arbeitsleben?

Das alles ist eine Riesenbelastung. Dem gegenüber steht eine - da sind wir uns alle einig - viel zu geringe finanzielle Entlohnung. Dieses Zusammenspiel macht den Unterschied zu allen anderen Branchen aus, die das Leben am Laufen halten. Das ist der Unterschied zu dem, was an der Kasse passiert. Ich weiß, dass der Job an der Kasse stressig ist; auch ich habe als Kassierer Silvester und überall gearbeitet, es war immer stressig, und Kunden sind häufig richtig ätzend, und das ist auch jetzt gerade der Fall. Trotzdem ist die Lage eine andere, wenn jemand in der Pflege tätig ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist es richtig, hier gemeinsam mit anderen Bundesländern die Pflegenden zu unterstützen und einen Bonus auszuzahlen, sowohl in der Altenals auch in der Krankenpflege.

Obwohl vieles in der Krise ungewiss war und wir zwischenzeitlich Situationen haben, in denen sich die Frage stellt, ob das Desinfektionsmittel noch reicht, wenn für zwei Wochen noch genug da war, und auch die Versorgung mit Schutzbekleidung nicht immer sichergestellt war, viel Verunsicherung in der Gesellschaft herrschte, gerade auch in den Pflegeeinrichtungen und im Gesundheitssystem egal, an welchem Stand der Krise wir waren, zu jeder Zeit war klar, dass man sich auf das Pflegepersonal in dieser Gesellschaft verlassen kann, auch in der Krise. Das ist schon herausragend.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Birte Pauls [SPD])

Ich kann gut verstehen, dass viele jetzt Erleichterung verspüren durch die Lockerungen, die sich

(Beate Raudies)

gestern und heute und in den letzten Wochen ergeben haben. Ich möchte trotzdem erinnern: Die Krise ist nicht vorbei. Das Bewusstsein, dass wir uns in einer Krise befinden, in der Menschen pleitegehen werden, in der Menschen maximale existenzielle Nöte erleben werden, in der Menschen sterben werden, in der Unternehmen nicht weiter vorankommen werden, in der sich persönliche Pläne zerschlagen werden, diese Krise ist immer noch da. Wir müssen die Krise weiter ernst nehmen.

Wir befinden uns jetzt mehr oder weniger an einem Entscheidungsweg. Ist es ein Wendepunkt, oder ist es nur eine Verschnaufpause vor der nächsten, womöglich schlimmeren Welle? Das entscheidet sich jetzt und hängt davon ab, wie verantwortungsbewusst wir mit den Freiheiten umgehen.

Für beide Szenarien werden wir Antworten geben müssen, und genau darauf ist der Nachtragshaushalt ausgelegt. Wir stellen heute nicht die Weichen für die Zukunft - das ist ein Bild, das bei normalen Haushaltsberatungen gern verwendet wird -, sondern wir lenken den Zug momentan auf Sicht. Das ist nicht ideal, aber es gehört zu einer Krise, dass Dinge nicht ideal sind.

Das bedeutet für uns, dass die Rettung der regionalen Wirtschaft ganz vorne steht. Das sieht man auch in den Summen: 300 Millionen € für ein Darlehensprogramm, das sehr schnell beschlossen wurde, 150 Millionen € für Betriebe zwischen 10 und 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Man sieht, dass es uns sehr stark um die Wirtschaft geht. Es mag hart klingen, aber es geht gerade nicht darum, die Wirtschaft am Laufen zu halten, sondern die Wirtschaft am Leben zu halten. Das ist in unserem Wirtschaftssystem ein Widerspruch in sich.

Das macht es für uns alle sehr schwierig. Das bedeutet auch, dass Fehler geschehen werden. Jedes Handeln birgt immer die Gefahr des Scheiterns und, Fehler zu machen. Genau darauf muss man sich jetzt einlassen. Es wird Menschen geben, die dieses System ausnutzen. Da muss man sehr genau hingucken. Frau Heinold hat das angesprochen.

Nichtsdestotrotz haben wir dabei einen Kompass, und der Kompass ist: Wir müssen Arbeitsplätze sichern und Monopole verhindern, sowohl in Schleswig-Holstein als auch global. Die Pandemie hat gezeigt, wie gefährlich Monopole sind und wie schwierig es ist, wenn die regionalen Wirtschaftsketten nicht zur Daseinsversorgung ausreichen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Noch zwei Hinweise zur Wirtschaft. Erstens: Es ist unfassbar, was die Investitionsbank Schleswig-Holstein und die Verwaltung gerade leisten und wie gerade im Rekordtempo uralte Klischees über die langsame und umständliche Verwaltung abgestempelt und endgültig weggeheftet werden. Was da geleistet wird, ist großartig und hilft allen Menschen in diesem Land.

(Beifall)

Zweitens: Die Hilfen, die teilweise ein bisschen unkonditioniert wirken, sind richtig. In der jetzigen Phase waren wir bis gestern - man muss gucken, wann sich die Phasen abwechseln - in einer Phase der Versicherung, in der es - wie gesagt - darum ging, die Wirtschaft am Leben zu halten. In dieser Phase der Versicherung ist es nicht notwendig, nach ökologischen Standards zu gucken, sondern es geht da tatsächlich um Existenzen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Liebe FDP, in der nächsten Phase der Stimulation wird es aber maßgeblich wichtig sein, nach ökologischen und gerechten Standards vorzugehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Unruhe)

Zurzeit wird oft ein Generationenkonflikt vermutet oder befürchtet, auf der einen Seite durch Schulden, die ja irgendwann zurückgezahlt werden müssen darauf komme ich gleich zu sprechen -, und auf der anderen Seite der Generationenkonflikt, wenn die Konsequenzen und Antworten auf die Krise uns in die nächste Krise stürzen. Dann werden wir den Generationenkonflikt nicht aushalten können und sagen: Na ja, wir mussten den Status quo erhalten, wir schaffen es irgendwann durch Innovation und andere Lösungen.

Herr Kollege Stegner, Sie haben die Vorgehensweise des Umweltministers kritisiert, der früh gesagt hat, Konjunkturpakete müssten sich nach ökologischen Standards richten. Natürlich müssen sie das. Was wäre denn die Alternative? Die Alternative zu ökologischen Standards ist eine Abwrackprämie, die keinem Menschen hilft und den Planeten noch weiter herunterreißt.

Bevor Sie dazwischengehen, möchte ich noch einen Satz sagen. Sie sagen, so mache man Strukturpolitik mit dem Holzhammer. Lieber Strukturpolitik mit dem Holzhammer als weiter rückwärtsgewandte Politik mit Brett vorm Kopf!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Lasse Petersdotter)

Herr Abgeordneter, ich habe Ihrer Zwischenbemerkung entnommen, dass Sie die Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner gestatten.

Sehr gern.

Bitte.

Herr Kollege Petersdotter, in der Notwendigkeit eines ökologisch-sozialverträglichen Umbaus unserer Industriegesellschaft sind wir kein Stück auseinander; da liegt der Dissens nicht. Ich habe auch durchaus ein gewisses Verständnis für parteipolitische Motive, was die Themenkonjunktur angeht. Das kann ich nachvollziehen.

Nur: In der Situation, in der das ausgesprochen wurde, haben wir genau das, was Sie beschrieben haben, nämlich, dass Betriebe um ihre nackte Existenz kämpfen. Die empfinden das in der Verkürztheit der Kommunikation als Bedrohung. So war es sicher gar nicht gemeint.

Insofern war es eine kleine kollegiale Hilfe, darauf hinzuweisen, dass man mehr Akzeptanz für das Notwendige bekommt, wenn man den Menschen keine Angst macht. Das war der Punkt.

(Beifall SPD und SSW - Zurufe)

Ich finde es sehr schmeichelhaft und anständig, dass Sie sagen, sobald ökologische Forderungen aufgestellt würden, sei das Parteipolitik der Grünen. Ich nehme einmal eine Zeitung, die nicht unbedingt ein grünes Kampfmedium ist. Das „Handelsblatt“ hat zwei Tage vor der Idee des Umweltministers die Stellungnahme des Chefs des Instituts für Weltwirtschaft, vieler Institutionen, die nicht die Sperrspitze des Ökokommunismus sind, veröffentlicht mit dem Inhalt, dass man Konjunkturprogramme unbedingt nachhaltig aufstellen muss.

Am Tag nach der Ideenäußerung von Herrn Albrecht stand auf der Titelseite des „Handelsblatts“: 60 DAX-Unternehmen forderten Konjunkturpakete. - Ich sehe schon die Gesichter der FDP, es gibt gar

nicht 60 DAX-Unternehmen. 60 Unternehmer aus dem DAX-Spektrum und Familienunternehmer fordern, dass man die Konjunkturpakete ökologisch aufstellt. Es ist Parteipolitik, aber nicht nur. Wir stehen als Partei außerhalb, aber auch innerhalb der Krise dafür.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Un- ruhe)

Herr Abgeordneter Petersdotter, gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?

Sehr gern.

Lieber Herr Kollege Petersdotter, ich bewundere Ihre rhetorische Fähigkeit, Dinge zurückzuweisen, die man gar nicht behauptet hat.

(Zurufe)

Ich bleibe dabei sagen: Die SPD unterstützt den sozialökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft ausdrücklich. Etwas anderes ist nicht vertretbar.

Ich habe mich allerdings mit dem Zeitpunkt und der Zuspitzung der Bemerkung des Herrn Umweltministers befasst und habe, da ich ja Zeitungsleser bin und die Medienlandschaft in Deutschland generell beobachte, festgestellt, dass manche Parteikollegen des Umweltministers zu der etwas betrüblichen Entwicklung der Umfragewerte befragt worden sind. Ich habe keinen Grund, dazu etwas zu sagen; uns geht es auch so. Ich verstehe das.

Nur, in der Situation, in der wir gerade sind, muss die Kommunikation so sein - darum bemühen wir uns alle -, dass die, die um ihr nacktes Leben ringen, nicht Angst haben müssen, dass ihnen das genommen wird, weil man ihnen Bedingungen aufoktroyiert, die sie nicht erfüllen können. Nur darum ging es, um nichts anderes.

(Vereinzelter Beifall SPD und FDP)

- Ich bedanke mich für die Verbrüderung und freue mich auf Beispiele für gutes Timing und wenig Zuspitzung.

(Unruhe)

Um einen Themenschwenk zu machen weg von der Ökologie hin zum Fokus, den auch der Ministerpräsident heute nach vorn gestellt hat: Es ist richtig, dass sich die Koalition und der Haushalt sehr stark auf die Belange von Familien und Kindern richten. Lange Zeit gab es die Debatte, ob Familien oder Kinder aus dem Fokus geraten seien. Das ist mitnichten der Fall. Von vornherein wurde immer wieder darüber diskutiert, welche Auswirkungen die Krise auf Spielplätze und Kitas hat. Wir müssen die wissenschaftliche Lage immer wieder orten und gucken, welche Studien es gibt, was in China publiziert wird, was in gerade in Island publiziert wird und so weiter. Das ist mit Sicherheit alles nicht einfach.