Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Baasch, als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich mich natürlich gefragt: Warum stellt der Kollege diesen Antrag? Das fragt man sich ja öfter; aber man könnte diesen Antrag umformulieren in „Wiedereinführung des gescheiterten Tariftreue- und Vergabegesetzes (TTG)“. Da habe ich mich gefragt:
Haben Sie vielleicht gar nicht mitbekommen, dass dieses Gesetz Murks war und dass es ein richtiges Aufatmen im Land gab, als wir diesem Gesetz ein Ende bereitet haben?
Warum bescheren Sie uns einen solchen Wiedergängerantrag? Ich möchte Ihnen einmal ins Gedächtnis rufen, was denn Tatsache war:
Das TTG ist gescheitert. Niemand hatte sich an diese Regelungen gehalten, aber nicht etwa deshalb, weil es niemand wollte, sondern deshalb, weil es faktisch einfach nicht möglich war. Kleine und mittlere Unternehmen waren benachteiligt, weil sie aufgrund der komplexen Anforderungen dieses Gesetzes und der unübersichtlichen Anforderungen gar nicht an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen konnten. Das war übrigens das ernüchternde Ergebnis Ihrer eigenen Evaluation. Die hat als einzig logisch umsetzbaren Schluss die Abschaffung dieses Gesetzes zugelassen.
Schleswig-Holstein ist ein Land des Mittelstands. Wir wollen zum mittelstandsfreundlichsten Bundesland werden. Es gibt rund 123.000 Betriebe in unserem schönen Land. Davon sind über 99 % kleine und mittlere Unternehmen mit jeweils bis zu 250 Beschäftigten. In Schleswig-Holstein gibt es rund 1 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftige und drei Viertel davon arbeiten im Mittelstand.
Der Mittelstand bietet die meisten Ausbildungsplätze an, und hier findet die Integration junger Menschen in das Arbeitsleben statt. Wir wollen doch die heimische mittelständische Wirtschaft fördern. Warum sollen wir sie dann mit einem Werkzeug wie dem TTG quälen und große Unternehmen und Konzerne privilegieren? Das verstehe ich einfach nicht.
Das TTG hat ja auch die selbstgesteckten Ziele nicht erreicht. Seien wir doch einmal ehrlich: 2013 bis 2019 hat dieses Gesetz in Schleswig-Holstein gegolten. Hat sich in dieser Zeit die Tarifbindung irgendwie erhöht? - Nein, hat sie nicht. Nach Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung hat sich die Tarifbindung unter den Beschäftigten von 2013 bis 2017 - neuere Zahlen gab es leider nicht - von 29 % auf 28 % abgesenkt und die Tarifbindung der Betriebe von 55 % auf 52 %. Die Hans-Böckler-Stiftung ist ja nun nicht verdächtig, gegen Gewerkschafts- oder Arbeitnehmerinteressen zu argumentieren.
Das TTG hat die mittelständischen Betriebe im Land benachteiligt. Es hat die öffentliche Vergabe gelähmt. Das TTG ist gescheitert, das war ein Misserfolg.
Weil das so ist, haben wir die Situation für die mittelständischen Betriebe in Schleswig-Holstein durch unser Gesetz merklich verbessert. Das TTG hat mit seinen vielen Regelungen und noch mehr Formblättern ohne Zweifel übertrieben. Das haben wir durch ein gerechtes und einfaches Vergabegesetz mit sechs Paragrafen geändert, das die Vergabe öffentlicher Aufträge regelt. Das ist nämlich der Sinn dieses Gesetzes.
Weitere Anforderungen sind ja auch nicht ausgeschlossen. Die Vergabestellen können zu den jeweiligen Verfahren passende Bedingungen hinzuformulieren. Dazu möchte ich noch Folgendes sagen: Im Koalitionsvertrag, den Sie ja bestimmt gelesen haben, haben wir vereinbart, dass wir umweltbezogene innovative Aspekte beachten wollen, dass wir soziale Standards und auch Nachhaltigkeitskriterien beachten wollen. Von daher verstehe ich Ihre Kritik gar nicht. Bei dem, was wir gemacht haben, wissen die Unternehmen, woran sie sind. Sie können jetzt wieder an den Ausschreibungen teilnehmen.
Gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen, für den Mittelstand, gilt doch auch: Nur dann, wenn die Unternehmen erfolgreich sind, können auch die Mitarbeiter an diesem Erfolg teilhaben.
Sehr geehrte Damen und Herren. Die SPD versucht hier auf allen möglichen Wegen, die Tarifbindung zu erhöhen. Auch das ist irgendwie ein Wiedergänger. Und - auch dies habe ich hier mehrfach gesagt dieses Ziel teile ich ausdrücklich. Auch für mich sind starke Gewerkschaften ein Garant dafür, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am wirtschaftlichen Erfolg angemessen teilhaben können. Das ist natürlich auch ein Teil des sozialen Friedens.
Nicht einig mit Ihnen bin ich mir allerdings über die Art der Umsetzung. Ganz und gar nicht zielführend finde ich es übrigens, wenn sie hier die Klassenkampfrhetorik wieder auspacken und von skrupellosen, egoistischen Unternehmern sprechen. Das ist doch wirklich von vorgestern.
Nicht die Abschaffung der Tarifautonomie oder eine generelle Überstülpung von Regelwerken sind das Mittel der Wahl, um den Gewerkschaften ihre
Größe und ihre Relevanz wiederzugeben. Diese Aufgabe können die Gewerkschaften doch nur aus sich selbst heraus erledigen. Die Beschäftigten müssen in ihrer Mitgliedschaft einen Mehrwert erkennen. Sie müssen wissen, was sie denn von einer Mitgliedschaft haben.
Ich biete hier ausdrücklich unsere Hilfe an. Aber Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie durch staatliche Regelungen zu ersetzen, das werden wir nicht mitmachen. Denn die Sozialpartnerschaft ist doch ein Teil unserer sozialen Marktwirtschaft. Und das werden wir nicht aufgeben.
Ich finde das ganz interessant, was Sie so ausführen zur Triebkraft von Unternehmerinnen und Unternehmern. Ich gehe davon aus, dass Ihnen als Liberaler Adam Smith ein Begriff ist. Wissen Sie auch, dass Adam Smith in der Triebkraft der Marktwirtschaft den Egoismus des einzelnen Unternehmers sieht? Der steht ja nun nicht im Verdacht, ein Sozialist gewesen zu sein, oder?
(Christopher Vogt [FDP]: Das ist 400 Jahre her! - Dr. Kai Dolgner [SPD]: 400 Jahre? - Guckt mal nach! Also ihr kennt eure eigenen Ahnen nicht einmal. Das ist so peinlich! - Heiterkeit SPD)
Die soziale Marktwirtschaft ist doch eine Weiterentwicklung des Kapitalismus. Da spielt eben nicht der reine Egoismus eine Rolle, sondern auch die soziale Verpflichtung. Und die bindet auch die Unternehmer.
Es geht um den der Marktwirtschaft intrinsischen Egoismus, der übrigens von Herrn Smith gar nicht als negativ bewertet wird. Die der sozialen Marktwirtschaft zugrundeliegende Erkenntnis ist doch, dass der Egoismus der Unternehmer intrinsisch ist in Form eines gesunden Eigennutzes - ich verweise auf die ordoliberale Theorie -, dass der aber durch soziale Maßnahmen wie ein Tariftreuegesetz eingehegt werden muss. Sonst können wir uns dazu gern einmal auf einen Kaffee treffen.
- Nein, soziale Marktwirtschaft ist nicht 19. Jahrhundert. Die der sozialen Marktwirtschaft zugrundeliegende Erkenntnis ist es doch gerade, dass der Egoismus des Unternehmers durch soziale Maßnahmen eingehegt werden muss, weil dieser es nicht von selber tut, und das haben Sie gerade in Abrede gestellt.
Das ist die sogenannte Theorie der unsichtbaren Hand. Aber die besagt nicht, dass nur der Unternehmer aufgrund seines Egoismus handelt, sondern sie besagt, dass alle Menschen aufgrund des Egoismus handeln.
(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Ja, aber nach Ihrer Auffassung machen das die Unternehmer nicht; denn sie sind die besseren Menschen!)
Ich habe das Gefühl, dass uns diese Diskussion nicht weiterbringt und führe einfach meine Rede zu Ende.
Wir hatten gerade von Wiedergängern gesprochen, und zwar im Zusammenhang mit Ihrem Antrag. In der volkstümlichen Literatur gibt es viele Rezepte, wie man mit Wiedergängern umgeht, zum Beispiel den Einsatz von Eichenpfählen oder Knoblauch. Bei dem Wiedergängerantrag der SPD, den wir wahrscheinlich in einem halben Jahr wiedersehen werden, setze ich einmal auf das Mittel des Arguments und die aus der Erfahrung gewonnene Einsicht.