Protocol of the Session on January 24, 2020

Ich halte es für völlig richtig, wenn die Diskussion über wahlrechtliche Fragen zur Bundestagswahl dort geführt wird, wo auch die Entscheidung getroffen wird - im Deutschen Bundestag. Neben einer Änderung des Bundeswahlgesetzes ist schließlich auch eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich. Hierzu bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag.

Ich halte das Votum des Innen- und Rechtsausschusses, den Antrag der SPD zurückzuweisen, für konsequent und richtig. Ich werte diese Entscheidung nicht als grundsätzliches Signal gegen das Wahlrecht ab 16 zur Bundestagswahl. Wer dieses Thema politisch durchsetzen möchte, sollte sich seine Mehrheiten nicht in Kiel, sondern in Berlin beschaffen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Wildnis in Schleswig-Holstein

Bericht der Landesregierung Drucksache 19/1782

Herr Präsident! Zwei große Umweltthemen, die miteinander zusammenhängen, bestimmen die aktuelle Politik: der Klimaschutz und die Biodiversität. Mein besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Erstellung dieses aktuellen und wichtigen Berichtes.

Das Artensterben findet nicht nur am Amazonas und in Südostasien statt, sondern auch bei und direkt vor unserer Haustür. Der Begriff „Insektensterben“ belegt dies. Um hier wirksam gegenzusteuern, hat die Bundesregierung bereits vor 13 Jahren eine nationale Biodiversitätsstrategie beschlossen, die bis zu diesem Jahr umgesetzt sein sollte.

Schleswig-Holstein hat seine Schularbeiten gemacht und schon vor vier Jahren, als eines der ersten Bundesländer, die Umsetzung angepackt. Das wir dabei statt der angestrebten 2 % der Landesfläche erst 1,9 % wildnisgeeigneter Gebiete erreicht haben, halte ich für marginal. Ich bin mir sicher, dass Schleswig-Holstein die letzten Flächen und deren Sicherung erreichen wird.

Bei der Entwicklung im Lande sollen zunächst Modellgebiete zu Wildnisgebieten entwickelt werden. Hierfür wurden neun Gebiete in acht Kreisen des Landes ausgewählt.

Die dem Bericht beigefügte Karte zeigt, dass dies aber nicht die einzigen Objekte sind. So wird zwischen Naturwald und Wildnisgebieten - gestaffelt nach Größen - unterschieden. Im Ergebnis auf dem Festland 159 Gebiete auf 24.776 ha und 5.270 ha im Nationalpark Wattenmeer, zusammen also gut 30.000 ha.

Für besonders wichtig erachte ich es festzustellen, dass mit den Wildnisgebieten keine neue Schutzgebietskategorie geschaffen wird. Die Sicherung der Gebiete erfolgt in erster Linie über das Eigentum.

Dabei muss nicht immer nur das Land oder eine Stiftung der Flächeneigentümer sein. Der ehemalige Leiter der Staatlichen Vogelwarte Radolfzell, Professor Peter Berthold, hat zusammen mit der Heinz-Sielmann-Stiftung in Baden-Württemberg etwas angestoßen, das beispielgebend wirken könnte. Sein Gedanke ist, der Pflanzen- und Tierwelt etwas zurückzugeben. In fast jeder Gemeinde gibt es Brachflächen, die durch Schaffung neuer Lebensräume ökologisch aufgewertet werden könnten. Vor allem im Südwesten Deutschlands ist dieser Gedanke auf fruchtbaren Boden gefallen. Was aber in Baden-Württemberg möglich ist, sollte in SchleswigHolstein nicht unmöglich sein.

Ich fasse zusammen: Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat die Zeichen der Zeit erkannt und gehandelt. Daher steht das Land bei dem Erreichen des 2-%-Ziels für die Schaffung von Wildnisgebieten heute gut da.

Herr Präsident! Vielen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Umweltministeriums für den Bericht „Wildnis in Schleswig-Holstein“. Viel mehr als ein Zwischenbericht war das nicht und kann es auch noch nicht sein. Fleißig wurden die einzelnen Punkte, die für Wildnisgebiete notwendig sind, aufgelistet und das dargestellt, was schon vor längerer Zeit klar war. In Schleswig -Holstein mit einer oftmals kleinteilig strukturierten Landschaft wird es kaum möglich sein, Flächen darzustellen, die die Größenvorgabe des Bundes erfüllen. Auch dies wissen wir schon länger.

Daher wird eine Flächendarstellung ein echter Kraftakt. Dies wird im Bericht allerdings nur kurz skizziert. Das ist klar, denn das wird einer der Konfliktpunkte sein. Das Erreichen des 2-%-Ziels darf keinesfalls auf Kosten der Biodiversität gehen, daher muss es eine Abstimmung mit Verbänden geben. Die Fokussierung auf Naturschutzflächen ist sicher die einfachere Lösung, muss aber dringend

(Minister Hans-Joachim Grote)

diskutiert werden. Die besten Gebiete müssen gemeinsam abgestimmt und in einem zeitlich angemessenen Rahmen umgesetzt werden.

Der Umwelt-und Agrarausschuss muss ebenso beteiligt werden, und es dürfen nicht am Parlament vorbei Flächen festgelegt werden. Deswegen erwarten wir im Ausschuss einen genaueren Bericht, der auch darauf eingeht, wo die Knackpunkte liegen und wo das Ministerium die größten Herausforderungen sieht.

Ebenso stellt sich die Frage, was Wildnis konkret bedeutet und wo dann trotzdem eingegriffen werden kann und soll. Die Andeutungen der FDP, dass Wildnis ja nichts kostet und daher prima ist, zeugen von großer Unwissenheit.

Die Errichtung von Wildnisflächen ist richtig und zukunftweisend, eine einvernehmliche Abstimmung aber unerlässlich. Dazu wollen wir vom Minister Antworten haben.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

„Die Natur braucht sich nicht anzustrengen, bedeutend zu sein. Sie ist es.“

Dieses Zitat stammt von Robert Walser.

Zwei Drittel der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger mögen Natur umso lieber, je wilder sie ist. Das sagt uns die Naturbewusstseinstudie von 2013. Aber wohin mit dieser Liebe, wenn Straßen und Siedlungen den Weg versperren, wenn Äcker und Weiden sich in geometrischen Mustern über das Land legen, wenn es einfach kaum noch Wildnis gibt in Deutschland?

Jahrhundertelang, bis zum Beginn der Industrialisierung, blieben etwa ein Drittel der Landflächen ungenutzt. Sich selbst überlassen, konnten sich natürliche Prozesse ohne beziehungsweise weitgehend ohne menschliches Zutun entwickeln. 2007 schrieb die nationale Biodiversitätsstrategie einen Anteil von 2 % Wildnis ins Pflichtenheft. Zu erreichen genau in diesem Jahr 2020. Tatsächlich sind wird mit einem Flächenanteil von gerade einmal 0,6 % weit davon entfernt.

Naturschutz durch Nichtstun - darum geht es beim Wildniskonzept. Das hört sich doch verlockend an. Wir könnten viel Geld sparen, wenn wir das zur Maxime im Naturschutz machen. Das wollen wir aber gar nicht. Erstens kommt das natürlich in unserer dicht besiedelten und stark genutzten Landschaft nur auf kleiner Fläche infrage, und zweitens

wäre es auch nicht zielführend für viele Arten und Lebensräume, die wir schützen und entwickeln wollen, weil die gerade auf angepasste Nutzung oder Pflege angewiesen sind.

Aber da, wo es geht, wollen wir der Natur ihren Lauf lassen. Worum geht es? Wildnis sichert die biologische Vielfalt. Manche Arten kommen nur in naturnahen ungestörten Lebensräumen vor. Ihr Überleben zu sichern ist unsere Verantwortung. Wildnis schützt unser Klima. Moore und Wälder binden Treibhausgase. Wildnis schützt uns selbst.

Flussauen mildern die Folgen von Hochwassern und Überschwemmungen. Wildnis ist unsere Lebensgrundlage. Sie liefert uns Sauerstoff, sauberes Wasser und unsere Nahrung. Wildnis ist unsere Chance. Tiere und Pflanzen entwickeln in Zeiten des Klimawandels Überlebensstrategien, von denen auch unsere Nutzpflanzen und -tiere profitieren. Wildnis macht gesund. Viele Medikamente werden aus natürlichen Stoffen entwickelt.

Es ist nicht ganz einfach, in unserem Bundesland, in dem 70 % der Fläche landwirtschaftlich genutzt werden, wo täglich eine mehrere fussballfeldgrosse Flächen für Straßen und Siedlungen versiegelt wird, geeignete Gebiete in den fachlich gebotenen Mindestgrößen zu finden.

Das zeigt dieser Bericht. Um überhaupt voran zu kommen, ist es vertretbar und realistisch, dass auch geeignete Gebiete von geringerer Größe einbezogen werden. Wichtig wird jetzt sein, diese Gebiete rechtlich abzusichern. Das heißt in der Regel, das Eigentum in öffentliche Hand oder die von gemeinnützigen Naturschutzstiftungen zu überführen.

Zwei Pluspunkte möchte ich am Ende noch besonders hervorheben: Mit dem Nationalpark Wattenmeer haben wir ein riesiges einmaliges und streng geschütztes Gebiet von Welterbestatus. Seine Landflächen tragen wesentlich zum Erreichen unseres Wildnisziels bei.

Hinzu kommen die Naturwälder, die wir als eines der ersten Bundesländer umfänglich umgesetzt haben. Auch hier mit Kompromissen bezüglich der Flächengröße aber immerhin. Hier wie dort kommen wir jedenfalls dem Wunsch von zwei Drittel der Bevölkerung schon nach: je wilder, desto lieber.

Herr Präsident! Mit der im Mai 2016 beschlossenen Novelle des Landesnaturschutzgesetzes geht das Ziel einher, 2 % der Landesfläche in sogenannte Wildnisgebiete umzuwandeln. 2 % der Landesflä

(Sandra Redmann)

che sollen also Gebiete sein, welche dem ungestörten Ablauf von Naturvorgängen gewidmet sind. Hiermit trägt Schleswig-Holstein seinen Anteil zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt bei, welche vorsieht, das gleiche Flächenziel bis 2020 für die Fläche von gesamt Deutschland zu erreichen.

Die Einrichtung solcher Wildnisgebiete wird von den Freien Demokraten ausdrücklich unterstützt. Nachdem in den 1980er-Jahren auf gezielte Maßnahmen wie extensive Beweidung, Entbuschung und Anlage von Biotopen gesetzt wurde, ist man aktuell wieder dazu übergegangen, Flächen der Sukzession zu überlassen. Es hat sich gezeigt, dass die häufig sehr aufwändigen Biotopgestaltungsund Biotoppflegemaßnahmen nicht effektiv waren. Auch in Schleswig-Holstein sind wir dazu übergegangen, es zu fördern, dass sich die Natur auch außerhalb des Wattenmeeres eigendynamisch und ungestört entwickeln kann.

Gemessen an der terrestrischen Gesamtfläche Schleswig-Holsteins müssten nach dem 2-%-Ziel circa 32.000 ha in Wildnisgebiete umgewandelt werden. Da eine verbindliche Einstufung als Wildnisbestand oder Eignung zur Wildnisentwicklung eine einzelgebietsbezogene Analyse erfordert, erfolgte zunächst eine Bestandsermittlung durch Benennung von potentiellen Wildnisgebieten, die einer konkreten Prüfung auf Eignung unterzogen wurden. Insgesamt wurden bisher 206 Gebiete mit 76.600 ha Fläche geprüft. Eine vorläufige Prüfung bis zum Frühjahr 2018 ergab, dass von dieser nur 24.776 ha Fläche als geeignet eingestuft wurden, was etwa 1,6 % der Landesfläche entspricht. Hinzu kommen noch 0,3 % der Landesfläche, also etwas über 5.200 ha Nationalpark als Wildnisgebietsvorschlag.

Wildnisflächen sollen möglichst unzerschnitten sein, um störende Einflüsse wie Stoffeinträge, Entwässerung und Freizeitaktivitäten des Menschen zu vermindern. Daher hat sich das MELUND bei der Prüfung vor allem auf größere Flächen von mehr als 20 ha konzentriert. Im weiteren Verfahren soll in den ermittelten Gebieten eine konkrete Umsetzung erfolgen. Gerne möchten wir mehr über die Erkenntnisse aus diesen Beispielgebieten erfahren.

Lassen Sie mich noch eine Sache zur nostalgisch angepriesenen „Unberührtheit“ dieser Flächen sagen: Eine solche wird auch bei großen Anstrengungen nicht zu erreichen sein. Anthropogene Einflüsse wie Stoffeinträge aus der Atmosphäre oder wandernde Arten lassen sich bei realistischer Betrachtung nicht verhindern.

Wir sind gespannt, wie die neuen Wildnisgebiete aussehen werden. Sie werden eine tolle Ergänzung der Landschaft Schleswig-Holsteins sein.

Wir danken der Landesregierung für den vorgelegten Bericht, und wir danken auch den Mitarbeitern des Landesamtes für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume - LLUR - für die Erstellung.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst bedanke ich mich beim Herrn Minister für diesen Bericht.

Der Begriff „Wildnis“ ist schwer zu fassen und nicht allgemeingültig definiert, sondern immer abhängig vom Naturverständnis und dem Menschenbild.

Als Wildnis empfunden wird Natur dann, wenn sie ursprünglich, vom Menschen unberührt eine eigengesetzlich funktionierende Gegenwelt zur genutzten Kulturlandschaft darstellt. Wildnis ist somit als Kontrast zur zivilisatorischen bzw. kulturellen Ordnung zu verstehen.

In Schleswig-Holstein soll Wildnis ein großes, unverändertes oder nur leicht verändertes Naturgebiet sein. Weitgehend ein sich eigendynamisch entwickelndes System ohne Nutzung durch Menschen.

Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt ist es nun, 2 % der Landesfläche bis 2020 zu Wildnis zu machen, wohlgemerkt der Bundesfläche, es ist ja eine nationale Strategie. Eingearbeitet wurde dieses Ziel in das schleswig-holsteinische Landesnaturschutzgesetz. Allerdings ohne konkrete zeitliche Vorgabe.

Das 2% Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) bis 2020 jedenfalls erreicht Schleswig-Holstein nicht– laut Bericht ist es auch nur mittel- bis langfristig zu erreichen.

Nach bisheriger Betrachtung sind nur 1,6 Prozent der Landesfläche wildnisgeeignet. Nur wenn Nationalparkflächen wie etwa natürliche Vorlandsalzwiesen oder die Insel Trischen als terrestrische Fläche dazu gerechnet werden, rückt das 2% Ziel in erreichbare Nähe.

Aktuell sind nur rund 0.7 % der Landesfläche als „Wildnis“ zu identifizieren. Es ist nahezu unmöglich, in einem Agrarland wie Schleswig-Holstein 2 % Landesfläche kurzfristig als Wildnis auszuweisen. Deswegen setzen sie wahrscheinlich den großzügigen Zeitrahmen von 10 bis 20 Jahren an.

(Dennys Bornhöft)

Die meisten der ausgewählten Gebiete befinden sich in der Marsch. Dort wird dich Flora und Fauna längerfristig kaum ändern. Die Flächen werden kaum intensiv genutzt, allenfalls Schafe sorgen im Rahmen des Deichschutzes für eine kurze Grasnarbe. Ähnlich verhält es sich bei der anderen Hauptgruppe, den Mooren. Diese müssten evtl. von Bäumen frei gehalten werden, um sich nicht in Bruchwald zu wandeln. Damit sind wir auch beim Kern der Thematik. Überalldort, wo eigentlich Hochwald wachsen würde, also auf der gesamten Geest, müssen stärkere Eingriffe stattfinden, um Flächen offen zu halten- bei Äckern und Weiden ist das klar, alle anderen Flächen die ungenutzt sind, unterliegen einer starken Sukzession, d.h. tendieren zur Waldbildung, beginnend mit Robinien, Birken, Rot- Weißund Schlehdorn usw., gefolgt von Ahorn, Linde, ggf. Ulme, Hainbuche, Buche, Eiche, Kiefer, d.h., diese Flächen müssen "gepflegt" werden, um die Flora und Fauna im Gleichgewicht zu halten. Sonst gehen sie nach ca. 100 Jahren in einen relativ artenarmen Hochwald über. Das trifft auch für "Naturwälder" zu. Bei dieser Pflege müssen schon früh die meisten Bäume entnommen werden und invasive Arten wie Ambrosie oder Chinesischer Knöterich bekämpft werden. Auch hier bedarf es zur Offenhaltung und Erhalt einer großen Artenzahl gerade bei Blumen und Insekten Maßnahmen wie z.B. 2-3 x Mahd pro Jahr. Das kennt man aus vielen Naturschutzgebieten. Das ist viel Arbeit für Gemeinden, Naturschutzverbände und Bauern, darüber muss man sich im Klaren sein- und es kostet Geld. Da gilt es abzuwägen.