Protocol of the Session on January 23, 2020

Die Belegungssituation hat sich in den vergangenen Jahren sehr zugespitzt. Die vorhandenen 319 Frauenhausplätze reichen nicht aus - das wissen wir alle -, um allen schutzbedürftigen Frauen und Kindern Unterschlupf zu gewähren. Hier hilft flankierend das Projekt der Landesregierung Frauen_Wohnen, das Frauen, die in einem Frauenhaus Schutz gesucht haben, unterstützt, wieder eine eigene Wohnung zu beziehen, die sie auch bezahlen können.

Wichtig und nötig ist auch das Renovierungs- und Sanierungskonzept - das hat die Ministerin auch angesprochen -, das über das IMPULS-Programm 10 Millionen € für die Modernisierung, Erweiterung und Instandsetzung von Frauenhäusern bereitstellt und den Frauen somit Fluchtmöglichkeiten bietet.

Sie sehen: Es gibt einen großen, einen bunten, einen riesigen Strauß an wirkungsvollen Maßnahmen und viel Engagement für von Gewalt betroffene Frauen. Meine Damen und Herren: Gewaltschutz und Gleichstellung sind die Qualitätsmerkmale einer guten demokratischen Gesellschaft. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Frau Abgeordnete, ich darf Sie darauf hinweisen, dass bei mündlichen Berichten eine Überweisung an den Ausschuss nicht möglich ist. Ein entsprechendes Vorgehen müsste im Rahmen des Selbstbefassungsrechts erfolgen.

Für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Beate Raudies das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Vertreterinnen des LandesFrauenRats der Gleichstellungsbeauftragten und des LFSH! Am 1. Februar 2018 ist in Deutschland das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention, in Kraft getreten. Damit verpflichtet sich Deutschland auf allen staatlichen Ebenen, alles dafür zu tun, dass Gewalt ge

(Katja Rathje-Hoffmann)

gen Frauen bekämpft, Betroffenen Schutz und Unterstützung geboten und Gewalt verhindert wird.

Ich danke Ihnen für Ihren Bericht, Frau Ministerin. Er hat deutlich gemacht, dass wir in SchleswigHolstein auf einem guten Weg sind. Aber wir könnten noch besser sein. Gut war zum Beispiel unser Beschluss, 6,5 Millionen € für ein Sofortprogramm zur Sanierung der Frauenhäuser bereitzustellen. Schade nur, dass die dazugehörige Richtlinie erst Ende 2018 fertig wurde. So wundert es nicht, dass 2018 kein Cent geflossen ist.

Bis heute wurden nur Fördermittel für drei Häuser bewilligt. Das Verfahren ist sehr kompliziert, weil neben der Förderung aus dem IMPULS-Programm auch die Inanspruchnahme von Mitteln aus der sozialen Wohnraumförderung geprüft wird. Dabei reicht schon heute die Zahl der Plätze in den Frauenhäusern nicht aus.

Immer wieder müssen Frauen abgewiesen werden, oder sie schlafen in den überfüllten Häusern in Vierbettzimmern im Etagenbett, auf Sofas oder einer Matratze auf dem Fußboden.

Frauenhäuser sind unverzichtbare Anlaufstellen für Frauen und Kinder, die vor häuslicher Gewalt fliehen müssen. Umso wichtiger ist es, dass überall im Land genügend Plätze in einem bedarfsgerechten und zeitgemäßen Zustand vorhanden sind.

(Beifall SPD, vereinzelt CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Deswegen war es gut, dass Jamaika im November 2017 unserem Antrag gefolgt ist und parallel zu den Sanierungsmaßnahmen eine Bedarfsanalyse auf den Weg gebracht hat. In Angriff genommen wird diese allerdings erst jetzt, fast zwei Jahre später. Ich wage die Prognose, dass diese Analyse einen Mehrbedarf an Frauenhausplätzen ergeben wird.

Die spannende Frage wird dann sein, wie wir den Bau dieser zusätzlichen Frauenhausplätze finanzieren wollen. Denn unentbehrlich ist vor allem die Hilfe für die Opfer.

Deswegen ist es gut, dass die Bundesfrauenministerin Franziska Giffey die Initiative „Stärker als Gewalt“ gestartet hat. Das Ziel der Initiative ist es, von Gewalt betroffene Frauen und Männer zu ermutigen, sich Unterstützung zu holen und die Hilfsangebote besser bekannt zu machen.

Ich finde übrigens diesen Anblick - in der ersten Reihe der CDU-Fraktion sitzen nur Frauen - sehr schön.

(Beifall)

Ich war bei der Initiative der Bundesfrauenministerin Franziska Giffey stehen geblieben. Ich will darauf hinweisen, dass diese Initiative durch ein Bundesinvestitionsprogramm begleitet wird. In den nächsten vier Jahren will der Bund mit jährlich 30 Millionen € den Aus-, Um- und Neubau sowie die Sanierung von Frauenhäusern und Fachberatungsstellen fördern. Das sind rund 1 Million € jährlich für Schleswig-Holstein, Geld, das wir gut gebrauchen können, um die Frauenhausplätze und die Beratungsstruktur im Land zu modernisieren.

Es wäre schön, wir hätten die Bedarfsanalyse schon vorliegen und wüssten, wo die Bedarfe sind.

(Beifall SPD)

Unseren Haushaltsantrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Jamaika-Koalition, den Zuschuss aus Landesmitteln zu verdoppeln, haben Sie leider abgelehnt. Ich glaube aber, dass künftig mehr Engagement des Landes, und zwar nicht nur finanzieller Art, nötig ist. Auch bei der Struktur und der Anzahl der Beratungsstellen - auch diese Prognose wage ich - wird es Veränderungen geben. Die Landesmittel für die Arbeit der Frauenhäuser und der Frauenberatungsstellen werden in absehbarer Zeit deutlich steigen müssen. Hier sind Sie, Frau Ministerin, noch Antworten schuldig geblieben, beziehungsweise hier müssen wir gemeinsam Antworten auf diese Fragen suchen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr als einmal pro Stunde wird statistisch gesehen in Deutschland eine Frau durch ihren Partner gefährlich körperlich verletzt. 2018 wurden 122 Frauen durch Partnerschaftsgewalt getötet. Das bedeutet statistisch: an jedem dritten Tag eine. Das ist eine grausame Zahl. Die Dunkelziffer ist weitaus höher.

Gewalt gegen Frauen geht uns alle an; sie kommt in allen sozialen Schichten und Altersgruppen vor. Wir alle kennen in unserem direkten Umfeld Frauen, die betroffen sind: Es kann die Freundin sein, die Kollegin, die Nachbarin, die eigene Schwester oder die eigene Mutter. Wir alle können und wir alle müssen etwas dagegen unternehmen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, vereinzelt CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Aminata Touré.

(Beate Raudies)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Es ist notwendig, das Thema Gewalt gegen Frauen immer wieder auf die Tagesordnung zu rufen. Meine Kollegin hat es Ihnen gerade gesagt, die Zahlen für 2018, die das Frauenministerium im November 2019 veröffentlicht hat, besagen Folgendes: An jedem dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Mehr als einmal pro Stunde wird eine Frau durch ihren Partner gefährlich verletzt. Jede dritte Frau ist mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen.

Schleswig-Holstein muss sich nicht verstecken, wenn es darum geht, welche Maßnahmen wir ergriffen haben, sei es die Finanzierung, um die Istanbul-Konvention als bislang einziges Bundesland umzusetzen, oder die Investition in Frauenhäuser mit über 6 Millionen €. Da kommt sicher noch mehr.

Die Ministerin hat eben berichtet, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden. Ich finde, wir als Frauenpolitikerinnen und -politiker aus Koalition und Opposition sind mit der Ministerin in der Zusammenarbeit außerordentlich konstruktiv.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von der Einbringung des Antrags bis zur heutigen Debatte sind etwas mehr als ein Jahr vergangen. Wir haben uns als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dieser Zeit Gedanken gemacht und uns die Frage gestellt, wie dieses Thema eigentlich noch einmal anders diskutiert werden müsste. Bislang ist es so, dass das Thema ausschließlich als frauenpolitisches Thema behandelt wird. Wir haben uns die Frage gestellt: wieso eigentlich? Wir haben uns gedacht, es braucht eigentlich einmal einen Perspektivwechsel in dieser Frage.

Meine Kollegen Lasse Petersdotter, Burkhard Peters und ich haben zusammen mit zwei Polizistinnen und Polizisten und einer Juristin eine Veranstaltung im Rahmen meines Jour fixe Frauen- und Gleichstellungspolitik ausgerichtet. Meine These: Gewalt gegen Frauen muss mehr als Thema der inneren Sicherheit diskutiert werden. Weshalb? - Gucken wir uns die Zahlen noch einmal ganz genau an: 81,3 % der Opfer von Gewalt sind Frauen, 18,7 % sind Männer. Übrigens: Da es mehr als zwei Geschlechter gibt, muss man an dieser Stelle in der BKA-Statistik noch einmal nachsteuern. In Partnerschaften betrifft Gewalt zu 98,4 % Frauen. Bei Mord und Totschlag sind 77 % der Opfer Frauen. Die Täter sind in über 80,5 % der Fälle Männer.

Da kommt bei mir schon die Frage auf, warum dieses Thema allein als frauenpolitisches Thema verbucht wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Oliver Kumbartzky [FDP])

Ja, einerseits ist es absolut richtig und wichtig hervorzuheben, dass es in einem sehr hohen Maße Frauen sind, die es betrifft und die sich um das Problem kümmern, in den Frauenhäusern, in den Beratungsstellen, in der Prävention und so weiter und so fort. Es ist absolut notwendig, mit einer sozialpolitischen Brille auf dieses Thema zu blicken. Mir ist auch völlig klar, dass die Zusammenarbeit mit der Polizei durchaus sehr gut funktioniert. Mir ist auch bewusst, dass die Zahlen bereits differenziert in der polizeilichen Kriminalstatistik aufgeführt werden. - Aber ehrlich gesagt, reicht mir das nicht.

Mein Punkt ist folgender: Wir alle hier wissen am besten, welchen fachpolitischen Bereichen welche Bedeutung zugemessen wird - politisch wie auch gesellschaftlich. Deshalb denke ich: Warum das Thema nicht einmal als Top-1-Thema bei einer Innenministerkonferenz oder einer gemeinsamen Konferenz zusammen mit den Frauenministerinnen und -ministern?

Wenn man das alles nebeneinanderlegt: Im Schnitt sind über 80 % Frauen von unterschiedlichen Gewaltformen betroffen; Männer, die zu über 80 % der Fälle Täter sind, knapp 35 % sind Ehepartner, knapp 30 % sind nichteheliche Partner, knapp 40 % sind ehemalige Partner. Das bedeutet wiederum: Selbst das Sich-lösen aus einer Beziehung bedeutet nicht, dass man dann in Sicherheit ist. Orte, an denen Frauen Zuflucht suchen, weil sie um ihre Sicherheit bangen, sind die Frauenhäuser. Frauenhäuser haben wiederum nicht genügend Plätze, um Sicherheit zu bieten. - Wenn man das alles nebeneinanderlegt, dann fragt man sich doch: Warum wird dieses Thema nicht gesamtgesellschaftlich gedacht und diskutiert?

Ich habe darüber mit unterschiedlichsten Personen gesprochen und viel Zustimmung bekommen, das Thema anders zu diskutieren, um dadurch beispielsweise auch andere Maßnahmen zu diskutieren und zu entwickeln. Natürlich gibt es auch Menschen, die das nicht richtig finden. Eine Aussage, die mir sehr in Erinnerung geblieben ist, ist, es sei zu alarmistisch, das als innenpolitisches Thema zu diskutieren. Wenn ich das einmal sagen darf - mit aller Ernsthaftigkeit und Deutlichkeit -: Alarmistisch ist nicht, dieses Thema innenpolitisch zu diskutieren

oder ihm diese Bedeutung beizumessen, sondern die Zahlen sind alarmierend.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW, vereinzelt CDU und FDP)

Zum Schluss möchte ich noch einmal wiederholen: Wir glauben, dass dieses Thema aus zwei Perspektiven betrachtet werden muss, einerseits aus einer frauenpolitischen Perspektive, andererseits aber auch aus einer innenpolitischen Perspektive. Daran wollen wir arbeiten - und das vor allem im Sinne der betroffenen Frauen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW, vereinzelt CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete Anita Klahn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich möchte dem Justizministerium und der Frau Ministerin für den Bericht danken. Ich teile die Einschätzung der Kollegin Touré, dass das Thema Gewalt gegenüber Frauen nicht ein rein frauenpolitisches Thema ist, sondern ein gesellschaftliches Thema und auch etwas mit Menschenrechten zu tun hat. Das muss man einmal ganz deutlich so benennen. Leider ist es nach wie vor ein Thema, dem wir uns stellen müssen - in Politik und in der Gesellschaft.

Ich möchte mich für den Hinweis der Ministerin bedanken, den sich vielleicht jeder noch einmal zu Gemüte führen möchte: Keiner muss auf irgendetwas warten, jeder kann anfangen, bei sich vor der Tür, mit seinem politischen Mandat und in seiner Verantwortung!

Die polizeiliche Kriminalstatistik spricht hier eine klare Sprache. In den Zahlen der kriminalstatistischen Auswertung des Bundeskriminalamtes zur Partnerschaftsgewalt 2018 heißt es, dass 81,3 % der Betroffenen von Gewalt Frauen sind. Von den 140.755 Personen, welche 2018 von der Kriminalstatistik als Opfer versuchter und vollendeter Gewalt erfasst wurden - mithin Opfer von Tötungsdelikten, Körperverletzungen, Vergewaltigungen, sexueller Nötigung, sexueller Übergriffe, Bedrohungen, Stalking, Nötigungen, Freiheitsberaubungen, Zuhälterei und Zwangsprostitution; das Wort ist so schrecklich, dass ich es gar nicht auszusprechen vermag -, sind 114.393 Frauen. Ich finde, diese Zahl ist einfach zu hoch. Wie schon gesagt, wird

die Dunkelziffer - weil vieles nicht zur Anzeige gebracht wird - noch deutlich höher sein.

Meine Damen und Herren, noch viel erschütternder ist aber die Aussage aus der erwähnten Kriminalstatistik, dass nämlich 122 Frauen 2018 durch Partnerschaftsgewalt getötet wurden. Frau Raudies hat dies noch einmal detaillierter ausgerechnet. Wenn man sich das in Gänze vor Augen führt, kann man das nicht akzeptieren.

Wir leben in einem freiheitlichen Land, und für uns sollte so etwas nicht akzeptabel sein.