Protocol of the Session on November 14, 2019

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort der Abgeordnete Bernd Voß.

Werte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank an den Minister, an die Landesregierung für diesen hervorragenden Bericht.

Vorweg ein Kommentar zum „Ritt auf der Rasierklinge“, der anscheinend in Jamaika stattfindet. Das, was hier im Haus passiert - das zu Ihrem Beitrag -, ist das, was draußen in der Gesellschaft an vielfältigen Einschätzungen zu diesem Thema wahrgenommen wird.

Es macht persönlich betroffen, wenn fast im Wochenrhythmus, im näheren und weiteren Umfeld scheinbar gut laufende Betriebe plötzlich aufgeben. Dahinter stehen mehrere Generationen der Familien, Wissen, Kompetenz im Beruf an dem Standort. Die sind dann weg. Häufig bleiben auch viele Fragen, wie auch sonst im Mittelstand, zum verbliebenen Vermögen und zu den sozialen Fragen der Zukunft. Ein landwirtschaftlicher Betrieb bleibt nicht im Standby-Betrieb.

Ich nenne nur eine Zahl, die deutlich macht, wo wir stehen: Allein bei den Milchviehhaltern haben bundesweit in den letzten zehn Jahren 40.000 von 100.000 aufgegeben. Alle Daten - das noch einmal an die Kollegen gerichtet - sind transparent, sie stehen im Netz, sie sind nachvollziehbar.

Wir verstehen den Frust der Menschen in den Betrieben, die in wirtschaftlich schwieriger Lage sind

und das Gefühl haben, sie können von ihrer harten Arbeit kaum noch leben und auch noch von allen Seiten gescholten werden. Ja, ein klares Bekenntnis: Wir brauchen eine bäuerliche Landwirtschaft für regionale gesunde Lebensmittelversorgung zum Erhalt der vielfältigen Kulturlandschaft, um nur einige Punkte zu nennen. Ja, wir brauchen auch dafür die gut ausgebildeten Bäuerinnen und Bauern mit ihrem Erfahrungswissen auf den Höfen. Das ist wichtig, um jeweils auch die Standorte weiter bewirtschaften zu können. Viele Bäuerinnen und Bauern braucht das Land.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Es ist der agrarpolitische Rahmen, der dazu geführt hat, dass derzeitig ohne die noch verbliebenen staatlichen Flächenzahlungen kaum noch ein Betrieb überleben könnte. Es sind die agrar- und handelspolitischen Entscheidungen des „Wachsens und Weichens“, befeuert mit einer Ausrichtung der Landwirtschaft auf Kostenführerschaft weltweit.

Verantwortlich sind die Bundesregierung und in weiten Teilen ihre Ministerinnen und Minister, die meistens von der CDU/CSU gestellt wurden, die diese Politik im Kanon mit einigen Berufsverbänden durchgesetzt haben.

Es sind die echten Reformen, die stets auch von ihnen behindert wurden, nicht nur in Deutschland, auch auf EU-Ebene. Folge der Politik der Bundesregierung über Jahre und Jahrzehnte ist eine zögerliche, in Teilen unwirksame Rahmensetzung in Bezug auf Umwelt, Tierschutzstandard, Märkte. Sie haben in vielen Bereichen falsche Ansätze gesetzt. Eine EU-Agrarpolitik, in deren System 70 % bis 80 % der Steuergelder ineffizient verteilt werden wir haben es gestern bei den Agrarjournalisten von Professor Feindt gehört - macht deutlich, wo wir stehen. Auch der letzte Bericht des EU-Rechnungshofes besagt, dass hier dringend Handlungsbedarf besteht, um zu effizienteren Systemen zu kommen.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Selbst wenn wir wollten, könnten wir nicht mit immer mehr Geld gegen eine falsche Agrarpolitik ansubventionieren. Daher müssen die EU-Agrargelder, die noch zur Verfügung stehen, vom Kopf auf die Füße gestellt werden, das heißt, die richtigen Anreize müssen gesetzt werden. Insoweit hat auch die Bundesregierung erheblichen Nachholbedarf.

(Kirsten Eickhoff-Weber)

Die Bauern und Bäuerinnen, die in diesem Rahmen vorangehen wollen, geraten bei fehlenden Leitplanken - wenn zu spät klar geregelt wird, wo es langgehen soll - in einen Wettbewerbsnachteil. Man muss sich immer wieder vor Augen halten, wer dort seiner Verantwortung nicht gerecht wird.

Jetzt will ich auf die Vorhaben der Bundesregierung eingehen, die von den Demonstranten und Demonstrantinnen beklagt werden. Ich beginne mit der Düngeverordnung. Dazu ist schon viel gesagt worden. Die Fakten sind seit 30 Jahren bekannt; das Handlungsdefizit ist offensichtlich.

Professor Taube spricht von „legalisierter Gewässerverschmutzung“. Dass wirksame Regelungen seit Jahren verschleppt werden, liegt vor allem an der Blockadehaltung des Bauernverbandes und an einer Bundesregierung, die sich darauf einlässt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Professor Taube ist nicht irgendwer. Er ist seit Jahrzehnten nationaler und europäischer Experte für Pflanzenbau und Nitratbelastung. Zu dem Themenbereich „Umwelt und Agrar“ hat er für die CDU die Verhandlungen zur Jamaika-Koalition geführt. Zugegeben: Er hat im agrarpolitischen Bereich in den letzten Jahren immer mehr grüne Positionen übernommen.

(Kirsten Eickhoff-Weber [SPD]: Er wollte Minister werden! - Heiterkeit SPD)

Zu den Folgen der Versäumnisse, auch derjenigen beim Bienen- und Artenschutz, gehört der hohe Anpassungsdruck für die Betriebe, das heißt, sie kommen heute richtig unter Druck. Die Zeit, in der noch gehandelt werden kann, um den negativen Entwicklungen entgegenzuwirken, von denen wir einige schon verzeichnen, wird immer kürzer. Es ist ähnlich wie beim Klimaschutz: Alles, was verpennt wird, holt die Akteure, auch die Betriebe, ein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dennys Bornhöft [FDP])

Es ist wichtig, noch einen zeitlichen Anpassungsrahmen hinzubekommen. Diejenigen, die den Handlungsbedarf leugnen, erweisen der Landwirtschaft schlicht und einfach einen Bärendienst.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Hei- ner Rickers [CDU] und Dennys Bornhöft [FDP])

Wir haben in Schleswig-Holstein bereits die Mittel eingestellt. 50 Millionen € sind von der Bundesregierung - das muss man positiv hervorheben - in den Kreislauf geschickt worden und werden von

uns kofinanziert, um das Bienen- und Artenschutzprogramm umzusetzen.

Ich weise auf einen weiteren Punkt des Programms hin, der für Schleswig-Holstein wichtig ist - dieser Punkt betrifft eine Entwicklung, die immer mehr in die falsche Richtung geht -: Das ist die Weidehaltung. Das ist der Kuhschiss, von dem sehr viele Insekten leben. Wenn auf den Grünländereien die Weidehaltung verbreitet wäre, könnten wir dem Insektensterben wenigstens zum Teil begegnen. Das wäre eine Win-win-Situation; denn Grünland ist wichtig für die CO2-Speicherung und damit für den Klimaschutz.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Hei- ner Rickers [CDU] und Dennys Bornhöft [FDP])

Ich komme zu einem weiteren Punkt, der - für mich völlig unverständlich - von Ihnen beklagt wird: die obligatorische staatliche Haltungskennzeichnung, zu der wir Grünen stehen. Wir tun dies nicht, um Bäuerinnen und Bauern zu quälen. In dem - gescheiterten - Koalitionsvertrag von Jamaika auf Bundesebene war das die agrarpolitische Maßnahme, auch mit sehr viel Geld hinterlegt, um es den Betrieben zu ermöglichen, entsprechend zu reagieren.

Warum ist das wichtig? Das, was auf Bundesebene herausgekommen ist - ein luschiges, freiwilliges Tierwohllabel -, führt letztlich dazu, dass die Big Player der Lebensmittelindustrie die Standards setzen. Das gilt für die Tierhaltung und wird demnächst für den gesamten Pflanzenschutzbereich gelten. Es ist alles andere als im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher - übrigens auch nicht im Sinne der Bauern und Bäuerinnen -, dass die Monopolisten hier das Setzen der Regeln übernehmen und der Staat diese Aufgabe abgibt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, SSW und vereinzelt FDP)

Ich will an dieser Stelle nicht auf das Mercosur-Abkommen eingehen. Sie alle wissen: Das ist nicht neu. Seit Bolsonaro regiert, steht das Abkommen zur Unterzeichnung bereit. Die Handelsströme existieren seit Langem. Sie alle wissen von der Diskussion, dass wir hier wie dort qualifizierten Außenschutz brauchen.

Frau Eickhoff-Weber, zum Glück ist beschlossen worden, mindestens 1,5 % mehr von der ersten in die zweite Säule umzuswitchen. Diese Mittel müssen nicht kofinanziert werden. Ungefähr 4,5 Millionen € fließen im Rahmen dieser Maßnahme nach

(Bernd Voß)

Schleswig-Holstein. Es ist klar, dass dieses Geld in die Agrarumweltmaßnahmen fließt, um maximal effiziente Politik zu erreichen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir hätten uns natürlich ein wesentlich umfangreicheres Umswitchen gewünscht, um eine neue, wirksame Agrarpolitik zu ermöglichen.

Ich komme zu einem weiteren wichtigen Punkt. Die Reformverweigerer in einigen Verbänden und in der Regierung verantworten, dass der Anpassungsdruck so hoch geworden ist und die Zeit immer knapper wird, um die öffentlichen Mittel wirksam einzusetzen. Wir müssen aber endlich zu einer anderen Politik kommen. Was der Bundesregierung und Teilen der Bauernverbände fehlt, ist der Wille, eine starke Botschaft zu senden: dass die verschiedenen alten und neuen Anforderungen hinsichtlich ökologischer und sozialer Standards letztlich vom Markt, von fairen, auskömmlichen Preisen für die Betriebe, getragen werden müssen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben nicht den Willen, das umzusetzen. Es ist übrigens unglaubwürdig, davon auszugehen, dass die notwendigen Schritte anders finanziert werden könnten. Klar muss sein, dass gegen zerstörte Märkte und die damit verbundene Vernichtung von volkswirtschaftlichen und bäuerlichen Werten nicht ansubventioniert werden darf. Der Kanon der marktwirtschaftlichen Maßnahmen - danach wird man ja häufig gefragt - beginnt bei besserem Wettbewerbsrecht, setzt sich fort über Marktbeobachtung und reicht bis hin zu Maßnahmen der Marktanpassung, zu Qualitätsstandards, Haltungskennzeichen und so weiter. Ich habe es schon gesagt: Was überhaupt nicht geht, ist, hilflos vor den Märkten zu stehen und keine Kraft und keinen Willen zu haben, Leitplanken zu setzen. Das schafft nur Verlierer und Verliererinnen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich auch das an dieser Stelle sagen: Das ist zutiefst marktfeindlich.

Ja, die anstehenden Veränderungsprozesse schaffen Unsicherheit. Der Minister hat deutlich darauf hingewiesen. Die Anpassungen, die erforderlich sind, müssen sich auch für die Betriebe perspektivisch rechnen. Es braucht auch positive Energie aus der Gesellschaft in die Betriebe hinein, um die Anpassungen umzusetzen.

Ja, Landwirte, Bauern und Bäuerinnen gehören nach Ärzten, Polizisten und einigen Berufsgruppen

mehr zu den beliebtesten Berufsgruppen. Ich weiß, Politiker und Journalisten stehen nicht ganz oben.

(Heiterkeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Werner Kalinka [CDU]: Es kommt im Ein- zelnen darauf an!)

Die Landwirtschaft, wie sie von vielen wahrgenommen wird, steht ganz unten auf der Skala.

Seit einigen Jahren geht ein Ruck durch das Land. Es waren nicht nur die Bauernproteste vom 22. Oktober dieses Jahres und von heute. Seit 2011 finden jährlich Demonstrationen statt. Jedes Jahr demonstrieren Zehntausende Menschen bei lausigstem Wetter, unter anderem auf der Grünen Woche in Berlin. Der Protest zeigt sich auch bei den Demonstrationen von Fridays for Future. Wir haben eine Zivilgesellschaft, der man nicht einfach ein X für ein U vormachen kann.

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende.

Essen, Umwelt, Tierwohl, Klima und die Frage, wie es den Bauern geht - diese Themen stehen ganz obenan auf der öffentlichen Agenda. Das dürfen wir nicht beklagen, sondern daraus müssen wir zusammen das Beste machen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Hei- ner Rickers [CDU] und Dennys Bornhöft [FDP])