Protocol of the Session on November 14, 2019

Ich sage aber auch, dass es mich ebenso fassungslos macht, wenn Politiker am Abend des 9. Oktober ihre Solidarität - - Nein, ich finde es gut, wenn Politiker am Abend des 9. Oktober in die Synagogen gehen, um dort ihr Mitgefühl, ihre Solidarität zu versichern und ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Ich hätte mir gewünscht - auch ein Großteil der Bevölkerung -, dass Ähnliches etwa nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz passiert wäre.

(Dr. Heiner Dunckel [SPD]: Das ist genau die Relativierung!)

Gestatten Sie eine Bemerkung des Abgeordneten Kilian?

Selbstverständlich.

Herr Dr. Brodehl, gestatten Sie mir zuerst eine Zwischenbemerkung: Mir ist es relativ egal, ob Sie sich von irgendetwas distanzieren, weil Sie mit Ihrer AfD-Fraktion sich meines Erachtens seit Jah

ren hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag bewusst so gerieren, als ob Sie mit irgendwelchen Auswüchsen innerhalb Ihrer Partei nichts zu tun hätten. Wenn diese konkret angesprochen werden, versuchen Sie, sich mit semantischen Mitteln irgendwie herauszuwinden. Sie hätten sich vor Jahren distanzieren können, indem Sie die Partei verlassen hätten.

Nun zu meiner Zwischenfrage: Warum sollen wir Ihnen irgendeines Ihrer Worte in der heutigen Debatte glauben? Ich stelle diese Frage vor folgendem Hintergrund: Sie sind hier vor Jahren angetreten, als Fraktion in den Landtag gewählt worden und haben behauptet, dass die AfD Schleswig-Holstein in keiner Weise Rechtsextreme oder rechtsextremes Gedankengut dulde. Gleichzeitig hatten Sie zu diesem Zeitpunkt in den eigenen Reihen ein Mitglied, das laut Presseberichterstattung - die Sache ging bis zum Landesparteigericht - den Holocaust geleugnet hat. Mitarbeiter der Fraktion haben dies eidesstattlich versichert.

Wie passen Ihre heutigen Worte damit zusammen, dass Sie ein solches Mitglied in Ihrer Landtagsfraktion, das heißt in Ihren Reihen, erst einmal behalten haben? Wie passt das mit Ihrer Versicherung zusammen, Sie hätten mit Rechtsextremen nichts zu tun? Ich wiederhole: Ein Mitglied Ihrer Fraktion soll gegenüber Fraktionsmitarbeitern den Holocaust geleugnet haben.

- Das kann ich Ihnen sehr eindeutig beantworten. Es ist eben nicht so, dass wir irgendetwas toleriert hätten oder dass wir abgewartet hätten. Wir haben vielmehr direkt, am selben Morgen - ich habe es selbst erst aus der Zeitung erfahren -, die Konsequenzen gezogen. Wir haben natürlich erst einmal das Gespräch gesucht und direkt, in der nächsten Fraktionssitzung, eine Entscheidung getroffen. Diese Sitzung konnte erst einberufen werden, nachdem Kollege Nobis aus Israel heimgekehrt war. Das Gegenteil dessen, was Sie gesagt haben, ist der Fall. Wir haben direkt, schnell und ohne überlegen zu müssen, gehandelt.

Gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Abgeordneten Kilian?

(Präsident Klaus Schlie)

Kommt es Ihnen nicht komisch vor, dass dieses ganze Haus Sie auf den Umstand hingewiesen hat, dass in Ihrer Partei Rechtsextreme sind, und Sie das offensichtlich aus der Zeitung erfahren?

- Wir müssten uns durchaus über die Begriffe „rechtsextrem“, „rechtsradikal“, „Rechtsextremismus“ unterhalten.

(Unruhe SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP - Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder einmal relativie- ren Sie!)

- Das hat überhaupt nichts mit Relativieren zu tun, sondern mit verschiedenen Worten, mit verschiedenen Begriffen, mit denen man eine Sache beschreiben kann.

Wenn Sie fragen, ob es mir komisch vorkommt, dann sage ich Ihnen, wie es mir soeben gegangen ist - ich sagte es bereits eingangs -: Ich war tatsächlich negativ überrascht, dass selbst dieser Anlass dazu benutzt wird, um die AfD pauschal zu verunglimpfen. Das hat mich überrascht.

(Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weil die AfD das Problem ist!)

Haben Sie die Frage beantwortet? Wollen Sie weiterreden, oder?

Das waren meine abschließenden Worte. - Vielen Dank.

Dann dürfen Sie sich setzen. - Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mich zum Schluss der Debatte, was die Abgeordneten angeht, gern an die Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinden auf der Tribüne wenden. Diese Debatte sollte nicht den Eindruck erwecken, als ob wir über uns selbst redeten. Wir wollten über Antisemitismus reden. Die große Mehrheit dieses Hauses ist ehrlich dafür, Antisemi

tismus mit allen Kräften, die wir haben, zu bekämpfen. Darum geht es.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Es geht nicht um die Befindlichkeiten einer rechtsradikalen Partei. Es geht darum, dass wir das tun, was Eka von Kalben hier gesagt hat.

Es ist schlimm genug, dass wir im Jahr 2019 darüber reden müssen. Aber ich versichere noch einmal, dass die Demokraten in diesem Hause alles dafür tun, dass solche Dinge nie wieder Einfluss gewinnen können. Wir sind nicht nur erschrocken, wenn solche Gewalttaten stattfinden, sondern wir wollen schon im Vorwege alles dafür tun, dass sich die Menschen in Deutschland sicher fühlen können. Wir wollen, dass hier kulturelles Leben blühen kann. Wir wollen, dass die Menschen die Religionsfreiheit, wie sie im Grundgesetz verankert ist, leben können; das gilt für alle Religionen. Wir stehen für Vielfalt und drücken das aus. Wir lassen hier nicht den Eindruck erwecken, als ob wir uns von einer kleinen Gruppe diktieren ließen, wie hier debattiert wird. Das darf nicht der Fall sein. Ich finde, dass wir hier miteinander mit großer Mehrheit eine sehr gute Entschließung auf den Weg bringen. Das und nicht das andere sollten Sie als den Willen unseres Hauses entgegennehmen.

(Lebhafter Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte gegenüber den Vertretern der jüdischen Gemeinden ganz deutlich machen ich glaube, dass ich da für weite Teile unseres Hauses spreche -, dass es uns ein Anliegen ist, heute deutlich zu machen, wie wichtig es uns ist, jüdisches Leben in Schleswig-Holstein, Deutschland, Europa und überall auf der Welt zu haben. Das ist uns ein wichtiges, ehrliches Anliegen. In der Tat hat die AfD dieses Anliegen nicht.

Es ist als Parlament unsere Aufgabe, dies in dieser Runde deutlich zu machen. Es ist auch ein Einstehen gegen Rechtsradikalismus, wenn wir der AfD die Maske aus dem Gesicht reißen.

Es ist richtig, was meine Kollegin Jette WaldingerThiering gesagt hat: Die AfD sitzt zwar hier und

gibt sich bürgerlich. Im tiefsten Inneren aber verfolgt sie diese Ziele nicht.

Es reicht auch nicht, sich wie der Kollege Brodehl hier hinzustellen und zu sagen: Wir können ja einmal über Einzelfälle reden. - In Ihrer Partei, Herr Dr. Brodehl, gibt es zu viele dieser Einzelfälle. Es gibt zu viele Menschen bei Ihnen, die sich so äußern, dass man es nicht missverstehen kann. Es sind Antisemiten. Wenn in meiner Partei in leitenden Stellungen, in Landtagen als Fraktionsvorsitzende, im Bundestag als Fraktionsvorsitzender Leute solche Äußerungen von sich geben würden, würde ich nur eine Konsequenz ziehen, nämlich diese Partei verlassen. Ich bin unheimlich stolz darauf, dass ich mir beim SSW und alle anderen sich bei ihren Parteien keine Sorgen machen müssen, dass sie aus diesem Grund ihre Partei verlassen müssten. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die Landesregierung hat die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Karin Prien.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Sehr geehrter Herr Wolodarski, sehr geehrte Frau Ladyshenski, sehr geehrte Frau Dr. Shames, sehr geehrter Herr Dr. Friedmann! Ich bin sehr froh, dass Sie heute hier bei uns in dieser Debatte im Landtag sind.

Meine Damen und Herren, viele Jahre haben manche von uns fälschlicherweise geglaubt und ein wenig gehofft, dass Antisemitismus nur ein Problem weniger verstörter Menschen sei. Dabei hatte uns schon die Philosophin Hannah Arendt mit auf den Weg gegeben:

„Vor dem Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher.“

Haben wir nicht richtig hingehört? Antisemitismus war immer da, aber seine hässliche Fratze zeigt sich leider unverhohlen in einer sich radikalisierenden Gesellschaft.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dazu vor einigen Tagen gesagt:

„Antisemitismus ist … der Seismograf für den geistigen und moralischen Zustand einer Gesellschaft.“

Was aber hilft? Welche Strategien sind wirksam? Aus meiner Sicht ist es an der Zeit, dass wir den Umgang mit unserer Geschichte zumindest um eine Perspektive erweitern. Ich finde, der Antrag der demokratischen Fraktionen in diesem Landtag weist den richtigen Weg. Es geht um starkes jüdisches Leben. Vor ein paar Jahren gab es eine Ausstellung „Jüdische Lebenswelten in Deutschland heute“. In diesem Zusammenhang hat eine Schülerin aus Erfurt gesagt:

„,Über Juden wusste ich eigentlich nur aus dem Geschichtsunterricht... Ich habe noch nie so darüber nachgedacht, wer sind diese Menschen und wie ist das eigentlich heute?‘ In der Regel hat man nur diesen geschichtlichen Aspekt, und da hat man … so ein bisschen das schlechte Gewissen.“

Ich glaube, dass diese Aussage das Gefühl einer ganzen Generation trifft. Sie zeigt uns: Wir brauchen in der Geschichtsdidaktik einen Perspektivwechsel. Wir müssen viel mehr über das jüdische Leben abseits von 1933 bis 1945 wissen und vermitteln.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW - Zuruf Dr. Frank Brodehl [AfD])

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich glaube, ich bin da unverdächtig: Natürlich ist und bleibt die Schoah Teil der deutsch-jüdischen Geschichte. Jüdisches Leben in Deutschland ist aber eben so viel mehr. Unsere Geschichte ist viel älter. Jüdische Künstler, Wissenschaftler und Schriftsteller haben seit jeher unser Land geprägt und überragende Leistungen gebracht: Heinrich Heine, Albert Einstein, Max Liebermann und die von mir bereits genannte Hannah Arendt. Sie sind Teil unserer Gesellschaft.

Den Juden von Köln wurde erstmals im Jahr 321 nach Christus urkundlich gestattet, für die Verwaltung der römischen Provinz zu arbeiten. Im Jahre 2021 werden wir 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland und auch in Schleswig-Holstein feiern.

Was wir heute sind, sind wir auch wegen des jüdischen Teils in uns. Die öffentliche Wahrnehmung der deutsch-jüdischen Geschichte darf sich nicht nur auf Verfolgung und Vernichtung beschränken. Juden dürfen nicht ausschließlich als Opfer und Verfolgte dargestellt und wahrgenommen werden. Die deutsch-jüdische Geschichte etwa des 19. Jahrhunderts ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte.

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Ja!)

(Lars Harms)

Die Geschichte endet auch nicht mit der Schoah. In den letzten Jahren hat sich in Deutschland zum Glück wieder eine aktive jüdische Gemeinde entwickelt. Hieran wollen wir anknüpfen. Das jüdische Leben und die jüdische Religion sind positive Aspekte unserer gemeinsamen Geschichte. Das muss auch an unseren Schulen eine größere Rolle spielen. Wir müssen im Unterricht über antisemitische und antiisraelische Mythen und Ressentiments sprechen und diese entlarven. Den Schulen kommt da eine zentrale Rolle zu. Deswegen ist es richtig, unsere Fachanforderungen - übrigens in vielen Fächern - daraufhin zu überprüfen, ob wir da in ausreichender Weise unterwegs sind. Das tun wir gerade und werden hierzu bis zum Jahresende zu einem Ergebnis kommen.