Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetzesvorhaben zur Einführung einer Musterfeststellungsklage ist auf Bundesebene gescheitert, und das zu Recht. Anders als der Antrag der SPD glauben machen möchte, wird das Ziel der effektiven Stärkung eines kollektiven Rechtsschutzes mit dem Ende 2016 vorgelegten Gesetzentwurf des Bundesjustizministers nicht erreicht. Die zur Klageerhebung befugten qualifizierten Einrichtungen werden die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen können. Dies belegen bereits langjährige Erfahrungswerte seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechtsverstößen im Jahr 2002.
Die Anzahl der Verfahren, die von den betreffenden Einrichtungen eingeleitet worden sind, war äußerst gering, unter anderem auch, weil Schadenereignisse, bei denen es regelmäßig um hohe Millionenforderungen geht, mit Kosten verbunden sind, die von Verbraucherschutzeinrichtungen nur im Ausnahmefall finanziert werden können.
Darüber hinaus wird durch die Möglichkeit, Ansprüche in einem Klageregister anzumelden, die irrtümliche Vorstellung gefördert, dass bereits dadurch die individuellen Verbraucherrechte ausreichend gewahrt seien. Im Rahmen einer Musterfeststellungsklage können jedoch nur solche Fragen geklärt werden, die auch musterverfahrensfähig sind. Fragen der individuellen Schadenverursachung oder -bezifferung gehören nicht dazu und sind gegebenenfalls gesondert gerichtlich geltend zu machen. Auch die Möglichkeiten eines Vergleichsabschlusses können nach dem vorgelegten Gesetzentwurf nicht überzeugen, weil die Anmeldung einer Forderung ohne anwaltlichen Rechtsbeistand kaum möglich erscheint. Das Ziel der kostengünstigen Interessenwahrnehmung wird dadurch konterkariert.
Aus dem Parlament liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich erteile nun der Ministerin für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung, Frau Dr. Sütterlin-Waack, das Wort für die Landesregierung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass ich heute in diesem Hohen Haus zu dem Thema reden darf, das nach dem Kanzlerduell am meisten gegoogelt wurde, nämlich zur Musterfeststellungsklage, freut mich sehr. Um es einleitend in aller Deutlichkeit zu sagen: Nicht nur als Verbraucherschutz-, sondern auch als Justizministerin ist für mich eines vollkommen klar: Den Bürgerinnen und Bürgern müssen wirksame prozessuale Instrumente zur Verfügung stehen, mit denen sie ihre zivilrechtlichen Ansprüche nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich durchsetzen können. Der Rechtsstaat muss effektiven Rechtsschutz gewähren.
Die aktuelle Diskussion gibt Anlass, darüber nachzudenken, ob hier möglicherweise Änderungen notwendig sind. Unser Zivilprozessrecht ist auf einen Zweiparteienprozess zugeschnitten: Ein Kläger verklagt einen Beklagten. Nur für Kläger und Beklagten ist ein Urteil bindend. Am Ende zahlt der Verlierer die Prozesskosten.
Unser modernes Wirtschaftsleben ist inzwischen aber vielfach von Massengeschäften geprägt. Rechtswidriges Verhalten von Unternehmen kann eine Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern gleichermaßen schädigen. Die Manipulation von Dieselmotoren durch Automobilhersteller - wir haben es heute schon gehört - ist das aktuellste Beispiel.
Warum schrecken einige Geschädigte oftmals vor einer Klagemöglichkeit zurück? - Wahrscheinlich ist das Kostenrisiko den meisten Betroffenen zu hoch. Dies gilt umso mehr bei den sogenannten Streuschäden, wenn also der Schaden der oder des Einzelnen für sich betrachtet gering ist. Was also tun?
Abhelfen könnte die Einführung einer zivilprozessualen Kollektivklage. Mit einer solchen Durchbrechung des Zweiparteienprinzips würde eine Vielzahl Geschädigter in einem einzelnen Prozess vertreten werden. Sie würden bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche unterstützt, ohne selbst und jeder für sich sofort mit dem entsprechenden Kostenrisiko klagen zu müssen. Die Einführung einer Sammelklage könnte deshalb einen effektiven Verbraucherschutz befördern.
Zugleich würde die Justiz - auch bei uns in Schleswig-Holstein - entlastet, da gleichgelagerte Fragen zentral in nur einem Verfahren entschieden werden
könnten. Zahlreiche andere EU-Mitgliedstaaten bieten dieses in unterschiedlicher Form bereits an. Das deutsche Zivilprozessrecht kennt dagegen kollektiven Rechtsschutz bislang nur in Sonderformen. Diese sind auf enge Anwendungsbereiche beschränkt und haben besondere Voraussetzungen.
Als neues und allgemein anwendbares Mittel der kollektiven Rechtsverfolgung könnte also die Musterfeststellungsklage durchaus hilfreich sein. Sie ist in ähnlicher Form bereits durch das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz im Jahre 2005 etabliert worden. Auf Drängen der Justizministerinnen und Justizminister der Länder hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Ende Juli 2017 einen Diskussionsentwurf zur Einführung einer Musterfeststellungsklage an die Länder und Verbände verschickt.
Nach dem Vorschlag wäre die Erhebung einer solchen Klage zulässig, wenn eine gewisse Mindestzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern betroffen ist. Die Zahl ist noch streitig. Nur qualifizierte Verbrauchereinrichtungen - wir haben es eben gehört - wären befugt, eine solche Klage zu erheben. Das Musterfeststellungsverfahren würde die einheitliche Entscheidung zentraler Streitfragen ermöglichen. Statt selbst klagen zu müssen, könnten sich die Betroffenen in einem elektronischen Klageregister anmelden. Sie würden dabei kein prozessuales Risiko tragen. Am Ende könnte auch ein gerichtlicher Vergleich geschlossen werden.
Würde das Verfahren hingegen durch ein Urteil beendet, müssten die geschädigten Verbraucherinnen und Verbraucher zwar anschließend jeder für sich ihre individuellen Ansprüche in einem Zweiparteienprozess durchsetzen, aber es wäre ihnen geholfen. Wenn das Musterfeststellungsurteil Bindungswirkung hätte, müssten die zentralen Streitfragen also nicht noch einmal entschieden werden.
Der Diskussionsentwurf zur Musterfeststellungsklage ist umstritten. Aber auch die kritischen Stimmen setzen sich damit bereits inhaltlich auseinander. Dabei sind folgende Fragen zu klären:
Wie viele Verbraucherinnen und Verbraucher müssen betroffen sein, damit eine Musterfeststellungsklage zulässig ist?
Wie verhindern wir einerseits die „Klageindustrie“ und gewährleisten andererseits, dass Klagen auf Ersatz für Streuschäden effektiv durchgesetzt werden können?
In welchem Umfang entfalten die Feststellungen des Musterfeststellungsurteils Bindungswirkung für die nachfolgenden Klagen?
Einen Aspekt muss ich in diesem Zusammenhang noch einmal betonen; Herr Kilian hat das auch schon getan: Der vorliegende Entwurf der Musterfeststellungsklage ist - anders als der Antrag der SPD-Fraktion vermuten lässt - nicht geeignet, die Verbraucherrechte speziell im Dieselskandal zu stärken. Das Gesetz soll nämlich erst zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten. Ansprüche betroffener Verbraucher wären also bereits verjährt, bevor die Erhebung der ersten Musterfeststellungsklage überhaupt möglich wäre.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Manipulation von Dieselmotoren zum Anlass nehmen wollen, um eine Lösung zu erarbeiten, dann stellen sich politische, wirtschaftliche, aber auch rechtliche Fragen. Die Beantwortung dieser Fragen benötigt Zeit; denn Sorgfalt geht vor Schnellschuss.
Bei aller berechtigter und notwendiger Kritik am Versagen der Vorstände der Automobilkonzerne: Besonnenheit ist sowohl im Interesse der Verbraucher als auch für die 800.000 Beschäftigten in der Automobilindustrie in unserem Land notwendig. Vielen Dank.
Es ist beantragt worden, den Antrag der SPD-Fraktion in der Drucksache 19/154 und den Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP in der Drucksache 19/203 an den Umwelt- und Agrarausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist das mit den Stimmen der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP, dem SSW und zwei Abgeordneten der AfD-Fraktion bei Stimmenthaltung von zwei Abgeordneten der AfD-Fraktion so beschlossen.
Wir kommen dann zu Punkt b): Antrag der AfDFraktion in der Drucksache 19/146. Hier ist Sachabstimmung vorgesehen, also keine Ausschussüberweisung.
- Okay, dann stimmen wir jetzt über die Ausschussüberweisung ab. Wer möchte den Antrag der AfDFraktion in der Drucksache 19/146 an den Ausschuss überweisen? - Die Gegenprobe! - Damit ist dies mit den Stimmen der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP sowie den Abgeordneten des SSW gegen die Stimmen der AfD-Fraktion abgelehnt.
Damit kommen wir zur Abstimmung in der Sache über den Antrag der AfD-Fraktion in der Drucksache 19/146. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! Stimmenthaltungen kann es somit nicht geben. Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der FDP sowie der Abgeordneten des SSW gegen die Stimmen der AfD-Fraktion abgelehnt.
Bundesinitiative zur Durchsetzung eines Verbots der betäubungslosen Schlachtung aus religiösen Gründen
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne somit die Aussprache. Das Wort für die AfD-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Doris von Sayn-Wittgenstein.
„Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt.“
Untersuchungen mit Haus- und Wildtieren haben in den letzten Jahrzehnten aufgezeigt, dass viele Tierarten auf sich selbst und auf ihre Gruppe bezogen Gefühle und Empfindungen zeigen. Dies deckt sich mit der in vielen Religionen und Philosophien geteilten Vorstellung von Tieren als Geschöpfen Gottes.
Als im Jahr 2002 der Tierschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen wurde, war dies ein wichtiger kultureller Meilenstein auch in Bezug auf Nutztiere. So heißt es seitdem im Tierschutzgesetz unter § 4 a Absatz 1:
Bei der Schlachtung soll unnötiges Leid der Tiere vermieden werden. So weit, so gut, will man meinen. Doch § 4 a des Tierschutzgesetzes hat noch einen Absatz 2, in dem es unter Nummer 2 heißt:
„Abweichend von Absatz 1 bedarf es keiner Betäubung, wenn die zuständige Behörde eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung (Schächten) erteilt hat. Sie darf die Ausnahmegenehmigung nur insoweit erteilen, als es erforderlich ist, den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen …“
Dieses betäubungslose Schlachten ist „ein klarer Fall von Tierquälerei“, so die Bundestierärztekammer. Diese führt weiter aus, dass das Schächten zu „erheblichen Leiden und Schmerzen“ bei den Tieren führe.
Abgesehen von der in unserer Antragsbegründung ausgeführten Tatsache, dass selbst innerhalb der muslimischen und jüdischen Religionsgemeinschaft das betäubungslose Schlachten höchst umstritten ist, muss doch die Frage erlaubt sein:
Sollte uns die Wahrung des Tierschutzes, um noch einmal Gandhi zu bemühen, als moralischer Fortschritt, aber auch als wissenschaftlich-rational belegte Notwendigkeit nicht mehr als religiös begründete Vorstellungen aus frühen Jahrhunderten wert sein?
So hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon in einem Urteil aus dem Jahr 2000 diesbezüglich festgehalten, dass die Religionsfreiheit durch ein Schächtverbot gerade nicht berührt sei.