Protocol of the Session on August 29, 2019

Wir werden im Sozialausschuss über viele Wege sprechen müssen, um die hausärztliche Versorgung in Schleswig-Holstein zu sichern. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Bernd Heinemann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nun wollen Sie es aber wissen, liebe AfD. Jetzt haben Sie gleich mehrere Gesetzentwürfe, zum Beispiel aus Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt, abgeschrieben und legen sie uns vor. Der Ärztemangel auf dem Land und in sozialen Brennpunkten der Städte ist uns seit geraumer Zeit bekannt, und wir handeln und müssen weitere Lösungen erarbeiten.

(Jörg Nobis [AfD]: Wie haben Sie denn ge- handelt?)

- Hören Sie mir zu, dann sage ich es Ihnen, Herr Nobis: Medizinische Versorgungszentren, mehr Zuarbeit und Verantwortung durch qualifiziertes Fachpersonal sind ein Beispiel. Mehr Zweigpraxen und vor allem die Nutzung von mehr E-Health und künstlicher Intelligenz in der Diagnoseermittlung sind weitere Beispiele. Auch die Nutzung der Chancen durch die Verknüpfung der Sektoren eröffnet Potenziale, auf die wir auch im fachärztlichen Bereich immer stärker angewiesen sind. Es können weitere dazukommen, bis hin zu Hol- und Bringdiensten. Hier kommt den Kommunen eine große Verantwortung für die Infrastruktur insgesamt zu.

Um die hausärztliche Versorgung zu entlasten, wurden im vergangenen Jahr delegierbare Hausbesuche von medizinischen Assistenzfachkräften in die Regelversorgung aufgenommen. Aber da geht noch mehr, meine Damen und Herren.

Wir brauchen bei all diesen Bemühungen trotzdem mehr Ärztinnen und Ärzte in den kritischen Versorgungsbereichen. Die Gesetzentwürfe aus Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt, die Sie uns vorlegen, klingen zunächst ganz gut und einfach. Für uns aber steht das, was Sie abschreiben, auf dünnem Eis - sowohl was die Praktikabilität als auch die soziale und rechtliche Einordnung angeht.

Wir haben erhebliche Zweifel, ob eine 20-jährige Abiturientin die Tragweite einer Entscheidung, die

den Wert eines Einfamilienhauses beinhaltet, wirklich übersehen kann. Was hat bei einem derartigen Vertragswerk die persönliche und die berufliche Situation für eine Bedeutung? Was ist mit den 400.000 € und mehr, die sich die jungen Ärztinnen und Ärzte mit der Übernahme einer bestehenden Praxis auch noch ans Bein binden müssen? Diese Summe fällt unter Zwang womöglich noch höher aus, weil der Wettbewerb um die ländlichen Arztstellen hinzukommt, damit die Leute ihren Vertrag erfüllen können.

Jede und jeder von uns weiß aus seiner Biografie, dass sich Ziele und Ideen ändern können. Oder hatte jemand von Ihnen das Ziel, Abgeordneter zu werden, fest eingeplant und seine Berufsausbildung vertraglich darauf ausgerichtet? Ist es ein Härtefall, wenn die besagte junge Ärztin ein Mandat als Abgeordnete bekommt, oder muss sie dann zurückzahlen? Welche Bedeutung hat eine Familiengründung, nachhaltige Erkrankung oder berufliche Umorientierung? Ist die Annahme eines Mandats dann vielleicht ein Vertragsbruch? Muss sie dafür 250.000 € zahlen?

Wer weiß in jungen Jahren, ob alle Träume und Pläne bis nach dem Studium halten? Das kann man nicht einmal für ein Eheversprechen sagen. Sehen Sie sich doch einmal unsere Scheidungsraten an!

(Zuruf Dennys Bornhöft [FDP] - Heiterkeit)

- Wir haben ja mehrere Kandidaten dabei, die das alles planen müssen. - Besser als eine betonierte Quote ist nach unserer Auffassung, dass das Studium der Allgemeinmedizin und der Beruf des Allgemeinmediziners oder einer Fachärztin auf dem Land attraktiver gemacht werden. Vorstellbar ist auch ein deutlich erhöhter Bonus beim Numerus clausus für eine zwischengeschaltete Ausbildung zur medizinischen Fachkraft in einer Hausarztpraxis, womöglich mit einem zusätzlichen Aufschlag für Erfahrung in sozialen Brennpunkten oder in einer Landarztpraxis. Hier setzt übrigens die Universität in Lübeck an; auch darauf wollen wir uns in der Anhörung konzentrieren.

Wir wollen Vorschläge zur Versorgung hören, die nicht an Einzelschicksale anknüpfen, sondern alle möglichen Ressourcen einbeziehen und nachhaltig wirken. Besonders den Hochschulen kommt bei der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten eine hohe Verantwortung zu, die durch den demografischen Wandel noch verstärkt wird.

Wir finden es deshalb falsch, sich einseitig auf Gesetze zur Realisierung hochpreisiger Zwangsverträge einzulassen. Lassen Sie uns bei den kommenden

(Hans Hinrich Neve)

Haushaltsberatungen lieber mehr Mittel für EHealth und Telemedizinkompetenzen berücksichtigen. Es wird in der Medizin immer wichtiger, das Zeitalter der Digitalisierung zu nutzen. Dazu gehört auch die elektronische Gesundheitsakte.

Der Gesetzentwurf springt schlicht zu kurz und ist nicht lebensnah. Ich bin überzeugt, dass gerade wir in Schleswig-Holstein als einer der führenden Gesundheitsstandorte es besser können. Wir werden gemeinsam unsere Vorschläge für die Gesundheitsversorgung im Sozialausschuss einbringen und gute Lösungen finden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall SPD, Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Medizinische Versorgung zu sichern, ist die zentrale Aufgabe guter Gesundheitspolitik. Diese Aufgabe wächst im ländlichen Raum und auch in einigen städtischen Bereichen zu einer echten Herausforderung heran. So weit ist das alles richtig.

Jetzt kommen wir zu dem Gesetzentwurf und dem, was dahintersteckt. Wenn so viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte 60 Jahre und älter sind - dieses Wissen haben wir -, müssen wir handeln, weil sie irgendwann einmal Nachfolgerinnen und Nachfolger für ihre Praxen brauchen werden. Auch das ist richtig.

Woher sollen diese Nachfolgerinnen und Nachfolger denn jetzt kommen? Wir können Sie nicht herbeizaubern; sie müssen ein Studium durchlaufen alles schön und gut. Aber wenn sie während des Studiums merken, dass sie ein großes Talent in der Chirurgie besitzen, eine tolle Neurochirurgin werden könnten und vorher so einen Vertrag unterschrieben haben, müssen sie 250.000 € zahlen, um in ihrem Traumberuf gute Arbeit zu leisten. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Ich kann es nicht verstehen, wie immer wieder versucht wird, auf diese Art und Weise in die Freiheit der Berufsausübung von Ärztinnen und Ärzten einzugreifen.

Was wir brauchen, sind positive Anreize und positive Verstärkung. Vor allen Dingen aber brauchen wir eines, und ich werde nicht müde, in vielen Vieraugengesprächen, die ich seit sieben Jahren hier in

diesem Parlament führe, darauf hinzuweisen: Wir brauchen bundesweit mehr Medizinstudienplätze. Das ist einfache Mathematik. Ich kann das nicht mehr hören.

(Beifall CDU, FDP und SSW)

Früher waren Kolleginnen und Kollegen bereit, 80 Stunden in der Woche zu arbeiten. Es kann Tag und Nacht der Fall sein, dass jemand an die Tür einer Landarztpraxis kommt, wenn Sie im gleichen Haus wohnen, an der Tür klingelt und sagt: „Ich habe mir in den Finger geschnitten“, „Meine Frau kriegt gerade ein Kind“ - „Kannst du mal helfen?“. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die haben das als Einzelkämpfer Jahrzehnte ihres Lebens so gemacht und fanden das richtig und gut. Wenn jetzt aber junge Menschen sagen: 40 Stunden Arbeit in der Woche reichen mir, dann brauchen wir allein deshalb doppelt so viele. Das ist einfache Mathematik, um die Lücke zu füllen.

Es gibt noch einen ganz gravierenden Unterschied zwischen den Einzelkämpferpraxen und den jungen Leuten. Die jungen Leute wollen nicht mehr allein arbeiten. Sie wollen in einem Team arbeiten, sie wollen sich austauschen, sie wollen mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten. Da müssen wir hin.

Wenn ich mir anschaue, was zum Beispiel in Büsum oder auf der Hallig Hooge geleistet wird, erkenne ich: Das ist eine gute Art intelligenter Vernetzung. Es gibt auch Sicherheit. Wenn Sie fachfremde Dinge beurteilen müssen, in denen Sie nicht zehn Jahre lang Erfahrungen gesammelt haben, dann ist es gut, wenn Sie über telemedizinische Möglichkeiten bei den Universitätskrankenhäusern oder bei Fachleuten nachfragen und sich Unterstützung holen können, um die Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt CDU und SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist mir in dem Zusammenhang noch ganz wichtig: Ich weiß sehr wohl, was im Koalitionsvertrag steht. Wir haben uns an dem Abend die Köpfe heiß diskutiert. Ich glaube, das ging bis tief in die Nacht. Ich weiß auch, dass es viel Kritik an dieser Regelung gibt und dass die Frage besteht, ob das überhaupt möglich sein wird. Aber eines ist für uns Grüne völlig klar: Wir haben den Koalitionsvertrag unterschrieben, wir stehen dazu. Das muss aber auch verfassungskonform sein. Ich bin sehr gespannt, ob es nicht doch junge Menschen geben wird, die sagen: Ich klage dagegen, ich habe ein Problem.

(Bernd Heinemann)

An dieser Stelle eine persönliche Anmerkung: Wir haben alle nichts davon, wenn die Kinder reicher Eltern im Ausland den vorklinischen Teil absolvieren und dann nach zwei Jahren nach SchleswigHolstein kommen und sagen: Gib mir den teuersten Anwalt, den ich kriegen kann. Diese klagen sich dann hier ein und absolvieren hier den klinischen Teil. Auch diejenigen brauchen wir, aber wir brauchen doch Lösungen für alle jungen Menschen. Bei diesem Gesetzentwurf habe ich ganz gravierende Zweifel daran, dass er uns helfen wird.

Trotzdem freue ich mich auf die Beratung. Es ist bestimmt sinnvoll, dass wir uns einmal angucken, ob es Wege gibt, wie wir das Ziel, und das Ziel ist gut, erreichen können. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP, SSW und vereinzelt SPD)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Dennys Bornhöft.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unterschiedliche Lebensverhältnisse und Lebenssituationen zwischen Stadt und Land müssen wir immer wieder diskutieren und debattieren, ob ein kleiner Supermarkt in erreichbarer Nähe ist, ob eine weiterführende Schule mit gymnasialer Oberstufe in der Nähe ist, ob es eine Bahnstation gibt, oder ob eine Hausärztin oder ein Hausarzt in erreichbarer Nähe und verfügbar ist. Das sind wesentliche Fragen für das Gemeinwohl vor Ort.

Die Daseinsvorsorge im ländlichen Raum muss in Teilen neu gedacht werden. Ich denke, die meisten hier kennen noch die ZDF-Serie „Landarzt“. Selbst ich kenne sie zumindest vom Hörensagen von meinen Eltern.

(Zurufe)

- Dann habe ich sie länger nicht gesehen. Auf jeden Fall gibt es die Serie leider nicht mehr. - Der Minister sagte es gerade: Das Bild, das dort gezeichnet wird, ist ein Stück weit aus einer anderen Zeit. Das ist nicht mehr ganz die Lebens- und Arbeitsrealität.

Es gibt neue Anforderungen von Ärztinnen und Ärzten, die sich selbst natürlich zu Recht Gedanken darüber machen, wie man zum Beispiel Familienplanung in das Arbeitsleben einfügt. Das muss bei der Ausgestaltung der medizinischen Ausbildung ein Stück weit stärker im Fokus liegen.

Im Koalitionsvertrag haben wir einige Ideen festgehalten, wie im ländlichen Raum die Aufrechterhaltung und die Schaffung von Strukturen der Gesundheitsversorgung unterstützt werden können, beispielsweise durch die Möglichkeit der Gründung von öffentlich-rechtlichen Genossenschaften, die auch eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger vor Ort ermöglichen.

Bei dem Thema der hausärztlichen Versorgung mit Ärztinnen und Ärzten haben wir uns in der Jamaika-Koalition auch ein unterstützendes Ziel gesetzt. Es sollen nämlich 10 % der Medizinstudienplätze gegebenenfalls an diejenigen vergeben werden, die sich verpflichten, im Anschluss an ihr Studium und nach der Ausbildung in strukturschwächeren Regionen praktizierend tätig zu sein.

Das wird übrigens nicht nur den ländlichen Raum stärken, sondern auch die dringend notwendige Öffnung des für viele doch sehr schwer zu erreichenden Medizinstudiums voranbringen. Ich denke, jeder von uns kennt jemanden aus dem Bekanntenkreis, der Semester über Semester gewartet hat, um dem Wunsch nachgehen zu können, Medizin zu studieren. Wir haben hier eine Problemlage, das haben meine Vorredner auch schon gesagt.

(Unruhe - Glocke Präsidentin)

- Gut, das galt nicht mir. Vielleicht galt das Herrn Stegner, das kann sein. - Bei hausärztlicher Versorgung geht es auch um die Erhaltung von eigentlich wirtschaftlich vorzüglich laufenden Praxen. In Rheinland-Pfalz wurden beispielsweise finanzielle Förderungen für diejenigen erhöht oder vereinfacht, die in eine Praxis hineingegangen sind oder selbst eine neue Praxis gründen wollen, die Ärzte anstellen wollen oder eine Praxis übernehmen, denn die Unternehmensnachfolge ist wegen des demographischen Wandels in jeder Branche ein Thema, insbesondere im Gesundheitsbereich.

Wie erwähnt, wurde in Nordrhein-Westfalen vor Kurzem eine Landarztquote eingeführt. Die entsprechenden Medizinstudienplätze erfreuen sich großer Beliebtheit und Nachfrage. Die Leute haben also weiterhin Lust auf ein Medizinstudium. Sie haben auch weiterhin Lust, im ländlichen Raum zu wirken. Nun ist aber Nordrhein-Westfalen weiß Gott und zum Glück nicht Schleswig-Holstein. Die Problemlage dort hat dort nicht nur aufgrund der Fläche, sondern auch aufgrund der Zahlen eine ganz andere Dimension. Wenn wir als Jamaika-Koalition der Meinung gewesen wären, es wäre fachlich korrekt, einfach den Gesetzentwurf aus NRW zu verwenden, um unsere Passage aus dem Koaliti

(Dr. Marret Bohn)

onsvertrag zu erfüllen, dann hätten wir das sicherlich gemacht, werte AfD-Rumpfraktion. Dafür braucht es keinen von Ihnen zusammenkopierten Antrag hier im Landtag.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)