Protocol of the Session on June 20, 2019

Die Gewerkschaften haben schon lange ein Interesse daran, auch die Unternehmen an Tarifverträge zu binden, die derzeit noch außerhalb dieser Regelungen sind. Trotzdem sind die Arbeitgeber oft nicht bereit, diesen Schritt mitzugehen. Zu vielfältig scheint die Interessenlage im Arbeitgeberlager zu sein. Da gibt es die, die sich durch einen Tarifvertrag sichere und planbare Verhältnisse erhoffen und die natürlich auch eine gewisse Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern verspüren. Dann sind da die, die immer noch versuchen, den Lohn so gering wie möglich zu halten, um auch hieraus Profit schlagen zu können. Dieses Dilemma werden die Arbeitgeberverbände nicht auflösen können, und deshalb ist der Gesetzgeber gefragt.

Der Gesetzgeber ist in einer sozialen Marktwirtschaft immer gefragt. Er muss verbindliche Rahmenbedingungen geben. Wir brauchen allgemeinverbindliche Tarifverträge, wir brauchen Tariftreue, wir brauchen gleiche Löhne für aus dem Ausland entsandte Arbeitnehmer, und wir brauchen gleiche Löhne für Menschen, die bei Subunternehmen arbeiten. Wenn die Tarifpartner dies nicht hinbekommen beziehungsweise wenn die Gesetze hier noch Lücken haben, dann ist der Gesetzgeber gefragt.

Nordrhein-Westfalen schlägt vor, darüber nachzudenken, die Rahmenbedingungen für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen zu verbessern. In richtiges Deutsch übersetzt heißt das wohl, dass es nicht mehr von der alleinigen Entscheidung der Tarifpartner abhängig sein soll, ob eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung zustande kommt. Hier gibt es nun einmal die Blockademöglichkeit eines der Tarifpartner, und das führt zu der nicht zufriedenstellenden Situation. Deshalb macht es nach unserer Auffassung Sinn, hier nach neuen Lösungen zu suchen.

Dabei soll die Tarifautonomie, also die Verhandlungshoheit über einen Tarifvertrag, nicht ausgehöhlt werden. Vielmehr würde sie gestärkt, wenn Tarifverträge für alle in einer Branche gelten könnten. Denkbar wäre zum Beispiel, dass man gesetzlich festlegt, dass bei einer bestimmten Prozentzahl an Tarifbindung automatisch ein Verfahren zur Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit erfolgen muss. Man könnte sogar so weit gehen, dass dieses grundsätzlich für nicht tarifgebundene Bereiche zu geschehen hat. Dann gäbe es eine hohe Motivation auch für bisher unwillige Arbeitgeber, für alle, in Tarifvertragsgespräche einzusteigen, und gleichzei

tig hätten wir die Sicherheit, dass es keine ungeregelten Arbeitssituationen mehr gibt. Die Freiheit, einen eigenen Tarifvertrag, zum Beispiel einen Haustarifvertrag, abzuschließen, gäbe es immer noch, aber es gäbe eben auch die Sicherheit für die Arbeitnehmer, unter geregelten Bedingungen zu arbeiten.

Wir stellen immer wieder fest, dass die heutige Zeit schnelllebig ist, die Menschen oft überfordert sind und die Menschen viel mehr Unsicherheit auf ihrem Lebensweg haben als früher. Das führt zu Verdrossenheit, und hier müssen wir als Politik etwas tun. Sonst wenden sich die Menschen den Extremisten zu. Jemand, der jeden Morgen zur Arbeit geht, hat ein Anrecht darauf, dass der Staat ihm geregelte und sichere Lebens- und Arbeitsbedingungen ermöglicht.

Deshalb stimmen wir dem SPD-Antrag zu. Wir freuen uns, dass die Landesregierung der Initiative von Nordrhein-Westfalen zugestimmt hat. - Vielen Dank.

(Beifall SSW und SPD)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Thomas Hölck.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Ausführungen der Kollegen der Jamaika-Koalition mit Interesse zugehört, und ich höre auch gern Herrn Kalinka zu, weil wir uns in dieser Frage - glaube ich - kaum unterscheiden. Die Frage, die Sie nicht beantwortet haben, ist: Was wollen Sie eigentlich tun?

(Birte Pauls [SPD]: Genau!)

Da ist ein großes Defizit in Ihren Reden gewesen. Sie haben etwas verhindert: Durch den Beschluss eines neuen Vergabegesetzes haben Sie die Tarifbindung geschwächt.

(Beifall SPD und SSW - Birte Pauls [SPD]: Genau!)

Um Tarifbindung und Tarifautonomie wieder zu stärken, muss das Vergabegesetz dafür sorgen, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die tarifgebunden sind. Dann wird es auch eine stärkere Tarifbindung der Firmen in Schleswig-Holstein geben.

(Lars Harms)

Ich finde es fatal, dass eine Landesregierung, ein Staat signalisiert: Es ist uns bei durch die Vergabe ausgelösten Investitionen von rund 14 Milliarden €, 15 Milliarden € in diesem Land egal, ob die Unternehmen tarifgebunden sind. Das ist ein fatales Signal. Das darf so nicht sein. Wir brauchen hier eine Änderung.

(Beifall SPD und SSW)

Wenn sich das Gleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer derart verschlechtert hat wie zum Beispiel in den Pflegeberufen, muss der Staat eingreifen und handeln und dafür sorgen, dass die Löhne angemessen sind.

(Beifall SPD und SSW - Birte Pauls [SPD]: Genau!)

Gleiches gilt für die Auswüchse bei der Leiharbeit, zum Beispiel in der fleischverarbeitenden Industrie. Dort herrschen nicht nur schlimmste Arbeitsbedingungen und Ausbeutung, sondern auch Lohndumping in einer Art und Weise, die wir uns nicht gefallen lassen dürfen. Da muss der Staat eingreifen, und da kann die Tarifautonomie manchmal ein Stück vernachlässigt werden. Es gibt einfach Situationen, die nicht hinnehmbar sind. Hier muss der Staat eingreifen. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD, SSW und Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Kay Richert.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Man kann die Diskussion gern kontrovers führen, aber man muss sie auch ehrlich führen. Das vermisse ich ein bisschen.

Sie behaupten hier immer wieder, die Abschaffung des Tariftreue- und Vergabegesetzes, das explizit vergabefremde Kriterien in den Vergabeprozess einbringt und damit den Wettbewerb verzerrt, habe die Tarifbindung geschwächt. Das ist purer Unsinn. Ihre Behauptung, man könnte vor diesem Hintergrund ein Grundrecht einschränken, finde ich ziemlich krude und erschreckend. Was kommt denn als Nächstes? Welche Grundrechte schränken wir denn als Nächstes ein? Vielleicht könnten wir die Meinungsfreiheit oder die Freizügigkeit einschränken? Freiheit stirbt scheibchenweise, und das sollten wir verhindern.

(Zuruf Beate Raudies [SPD])

Ich möchte noch zwei Feststellungen machen.

Erstens. Es wird hier immer auf die Leiharbeiter, auf die Werkverträge abgehoben. Wie viele von den gesamten Arbeitnehmern sind das denn?

(Beate Raudies [SPD]: Zu viele!)

- Wie viele sind das denn?

(Beate Raudies [SPD]: Zu viele! - Wolfgang Baasch [SPD]: Zu viele! - Weiterer Zuruf SPD: Schauen Sie sich das einmal an!)

- Nein, Moment. Drehen Sie die Diskussion nicht um.

(Zurufe Dr. Heiner Dunckel [SPD] und Birte Pauls [SPD])

Wir haben ungefähr 45 Millionen Arbeitnehmer. Davon sind 43,8 Millionen Arbeitnehmer keine Leiharbeitnehmer.

(Unruhe SPD)

Warum ist denn der Rest nicht gewerkschaftlich organisiert? Können Sie mir das beantworten? - Nein, das können Sie mir nicht beantworten.

(Beate Raudies [SPD]: Ach so! Und deswe- gen sind wir schuld oder was? Selber schuld, dass man sich nicht organisiert oder was? - Birte Pauls [SPD]: Typisch FDP! - Zuruf: Warum sind Sie denn nicht in der FDP?)

- Nein, es hat jeder die Freiheit, sich zu koalieren oder es nicht zu tun. Sie können niemanden zwingen, in eine Gewerkschaft einzutreten.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch?

Herr Kollege, natürlich gibt es individuelle Freiheiten und individuelle Rechte. Die haben Sie ja nun ausgiebig beschrieben. Nun machen Sie mir aber einmal deutlich, wie ein rumänischer Leiharbeiter bei einem fleischverarbeitenden Betrieb in Schleswig-Holstein seine Rechte kennen soll, wenn er nicht einmal eine Beratungsstelle findet, die ihm sagt, welche Rechte er hat. Wie soll er die finden?

(Thomas Hölck)

(Volker Schnurrbusch [AfD]: Es gibt doch eine Beratungsstelle vom Land!)

- Wissen Sie, Herr Kollege: Gewerkschaften haben über ihre Mitglieder hinaus die Verpflichtung, zu beraten, und auch die Verpflichtung, die Arbeitnehmerrechte insgesamt wahrzunehmen. Das tun sie auch. Der DGB in dem Bereich Schleswig-Flensburg, Nordfriesland zum Beispiel, in dem ich Verantwortung trage, tut das aktiv und geht auf diese Menschen zu.

(Zuruf SPD: Genau!)

Es gibt auch eine Beratungsorganisation; mobifair heißt die, glaube ich.

(Beate Raudies [SPD]: Faire Mobilität heißt die!)

Die wird auch -

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD] - Zuruf SPD: Genau!)

- Ja, stellen Sie sich doch bitte hinten an, und brüllen Sie nicht dazwischen, sonst kann ich Sie nicht verstehen.

(Serpil Midyatli [SPD]: Oh!)

Es ist so, dass die Gewerkschaften diese Verantwortung wahrnehmen und auf die Leute zugehen. Trotzdem: Wenn ein Gewerkschaftsvertreter auf mich zugeht und sagt: „Ich biete dir meine Hilfe an“, muss ich als Individuum entscheiden können, ob ich sie annehme.