Protocol of the Session on June 20, 2019

- Es ist nicht ausgesprochen worden. Können Sie sich das erklären?

- Ich kann mir das daraus erklären, dass die Fahrverbote, die in der Bußgeldkatalogverordnung stehen, Regelfahrverbote sind. Das heißt, die Behörde hat ein Ermessen, unter besonderen Umständen von einem solchen Fahrverbot absehen zu können,

(Zurufe: Aha!)

was aus meiner Sicht auch völlig in Ordnung ist, weil es natürlich auch einmal Fälle geben kann beispielsweise wenn irgendetwas Lebensbedrohliches in einem solchen Fahrzeug passiert -, bei denen man sagt: „Gut, dann muss man davon absehen.“ Aber das ist etwas, was im Ermessen der Behörde beziehungsweise des Gerichts steht.

(Beifall CDU - Zuruf Martin Habersaat [SPD])

Gestatten Sie eine weitere Zwischenbemerkung des Abgeordneten Dr. Dolgner?

(Martin Habersaat [SPD]: 40 lebensgefährli- che Geburten auf einer Autobahn an einem Tag!)

Darum ging es nicht.

(Kai Vogel)

Herr Habersaat, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dolgner, so denn Herr Claussen dem zustimmt.

Ich kenne das konkrete behördliche Ermessen nicht,

(Zuruf: Aha!)

was hier stattgefunden hat. Aber gestehen Sie ein, dass es ein Unterschied ist, ob es ein behördliches Ermessen gibt oder ob der Rechtssetzer das behördliche Ermessen einschränkt und sagt, es soll immer ein Fahrverbot ausgesprochen werden? Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich bei den Fällen, über die wir hier geredet haben, in denen keine Fahrverbote ausgesprochen worden sind, nicht um Geburten gehandelt hat. Insofern: Sagen Sie immer noch, dass der Antrag der SPD in dem Punkt überflüssig sei?

Das sage ich immer noch, weil ich der Auffassung bin, dass man dieses Ermessen nicht von vornherein ausschließen sollte. Das würde der Systematik, die wir bislang haben, vollkommen entgegenlaufen. Das wäre etwas völlig Neues. Und das halte ich nicht für richtig.

(Beifall CDU - Dr. Kai Dolgner [SPD]: Das ist aber etwas anderes!)

Um schärfere Sanktionen zu verlangen, verweisen Sie jetzt auf die Situation in Österreich. Das ist meines Erachtens auch ein bisschen dünn. Man muss sich doch angucken, wie die Systematik innerhalb der Bußgeldkatalogverordnung ist und wie sich diese Delikte denn entsprechend eingruppieren.

Im Bereich der Geschwindigkeitsübertretung muss man, um eine ähnliche Sanktion - also 200 € oder mehr und auch zwei Punkte beziehungsweise Fahrverbot - zu bekommen, außerorts zwischen 51 und 60 km/h zu schnell fahren, also auf der Landstraße konkret mit über 150 km/h unterwegs sein. Da sieht man doch, dass es um massive Verkehrsverstöße geht, die sich gegen die Verkehrssicherheit richten.

Beim letzten Punkt Ihrer Forderung, in regelmäßigen Abständen Schilder aufzustellen, meine ich auch: Das ist nicht unbedingt eine politische Frage, die wir hier im Landtag an herausgehobener Stelle diskutieren müssen. Das ist einfach eine Frage von Verkehrserziehung und von sinnvollem Verwaltungshandeln.

Außerdem muss man auch darauf hinweisen, dass es auch Straftatbestände gibt, die solche Verhaltensweisen regeln. Das sind nämlich die §§ 315 b und 315 c StGB - Straftatbestände, die die Gefährdung des Straßenverkehrs oder gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr bestrafen, die dann zu Fahrverboten oder aber auch - das ist in der Regel dann der Fall - zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen.

Was bleibt also von Ihrem Antrag? Eigentlich ist alles schon geregelt. Das einzig Interessante wäre, ob man mit einer schlichten Erhöhung der Bußen die Erhöhung, die ich angesprochen hatte, war 2017 vereinbart worden - das Verhalten der Verkehrsteilnehmer wirklich geändert bekommt.

Das eigentliche Problem - insoweit stimme ich meinem Vorredner zu - ist im Grunde genommen, dass wir einen deutlich zunehmenden und radikalen Egoismus haben, der immer weiter Platz greift. Das ist eine bedauernswerte gesellschaftliche Entwicklung, und der sollten wir uns auch entgegenstellen. Ich fürchte aber, dass wir mit einer Erhöhung der Bußgelder hinsichtlich dieser Verhaltensweisen, die angesprochen worden sind und die ich gar nicht rechtfertigen will, nicht weiterkommen.

Insofern beantrage ich die Ausschussüberweisung, meines Erachtens federführend an den Verkehrsausschuss und mitberatend natürlich an den fast allzuständigen Innen- und Rechtsausschuss. Da können wir uns einmal darüber unterhalten. Aber der Kern Ihres Anliegens oder die Aussagen, die Sie in Ihrem Antrag treffen, die sind einfach falsch. - Vielen Dank!

(Beifall CDU und vereinzelt FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat häufen sich in der letzten Zeit die Meldungen, dass Menschen in Rettungsgassen ihr Auto wenden und gegen die Fahrtrichtung zur nächsten Ausfahrt fahren, und das teilweise mit haarsträubenden Begründungen: um einen Flieger noch rechtzeitig zu erreichen oder ganz allgemein, weil der Stau so lang ist und es so lange dauert.

Es ist also so, dass es offenbar bei vielen Menschen als Kavaliersdelikt gesehen wird. Dabei vergessen

sie, dass das sogenannte Geisterfahren auf der Autobahn, also das Rückwärtsfahren, zu den sieben Todsünden des Straßenverkehrs gehört.

Werden damit konkret andere Menschen oder der Autoverkehr gefährdet, greift nämlich schon das scharfe Schwert des § 315 c StGB. Da sind diese sieben Sünden genau katalogmäßig aufgeführt. Da drohen dann auch Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren.

Aber auch ohne eine konkrete Gefährdung ist das Umdrehen zur nächsten zurückliegenden Ausfahrt kein Pappenstiel und kann mit Punkten, einem saftigen Bußgeld und in einigen Fällen bereits jetzt mit Fahrverbot geahndet werden. Kollege Claussen hat das alles genau dargelegt.

Meine Damen und Herren, der besondere Unrechtsgehalt dieses Verhaltens liegt meines Erachtens darin, den persönlichen Eigennutz ohne Rücksicht auf die besondere Gefährdungssituation für andere an die erste Stelle zu setzen.

Und dazu gibt es wirklich erschreckende Zahlen, die man im Netz nachlesen kann. Nur in 15 % der Fälle wird spontan eine Rettungsgasse gebildet, und die Helfer des Deutschen Roten Kreuzes geben an, dass in nahezu 80 % der Fälle durch zu enge oder fehlende Rettungsgassen Zeit verlorengeht bei der Rettung - wertvolle Zeit, denn es geht meistens darum, Schwerverletzte zu bergen, sie zu behandeln oder sogar Schlimmeres zu verhindern.

Vielen Verkehrsteilnehmern scheint nicht bewusst zu sein, dass auch bei den üblichen Staus im Berufsverkehr und nicht erst, wenn ein Unfall das auslösende Moment für den Stau war, grundsätzlich schon eine Rettungsgasse zu bilden ist. Daher gibt es hier in jedem Fall noch Nachhilfebedarf bei der fahrenden Bevölkerung.

Wir Grüne werden in manchen Medien zu Unrecht damit zitiert, dass wir gegen eine Ausweitung des Fahrverbots seien. Es stimmt zwar, die letzte deutliche Verschärfung des Bußgeldkatalogs in diesem Bereich geschah erst 2017. Vorher gab es in der Tat ganz unverständlich geringe Sanktionen in diesem Bereich. Darum kann man natürlich grundsätzlich die Frage stellen, warum wir erneut an der Sanktionsschraube drehen müssen. Dennoch lehnen wir den Antrag inhaltlich nicht von vornherein ab und sind auch bereit, über Verschärfungen zu diskutieren.

Zwei Dinge scheinen mir für die Diskussion im Ausschuss aber wichtig und relevant zu sein: Erstens. Es gilt, genau herauszuarbeiten, wo aus Sicht

der Sicherheits- und Ordnungsbehörden eine Regelungslücke besteht, denn bereits jetzt kann ein Fahrverbot für das Wenden und Rückwärtsfahren auf der Autobahn verhängt werden. Das haben wir schon gehört. Zweitens. Es ist eine juristische Herausforderung, eine etwaige Verschärfung stimmig im Gesamtgefüge des Bußkatalogs einzuordnen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Abgeordneten Dr. Dolgner?

Wie immer gern.

Vielen Dank, Kollege Peters. - Dann wollen wir an der Stelle doch konkret werden, was auch der Anlass für unseren Antrag war, nämlich die sicherlich auch von Ihnen im Vorfeld dieser Debatte gesichtete Medienberichterstattung bezüglich der Wende-Vorfälle auf der A 1. Würden Sie nach Ihrem Empfinden, das ja unterschiedlich sein kann, ein Fahrverbot für angemessen halten oder nicht? Es lag keine von den zitierten Notlagen eindeutig vor, die Fälle sind nämlich inzwischen aufgeklärt.

Also eine ganz einfache Frage:

(Zuruf Lukas Kilian [CDU])

- Ich darf die Frage formulieren, oder? Es haben zehn Autofahrer in der Rettungsgasse ohne rechtfertigenden Grund gewendet, um persönlichen Nutzen zu ziehen. Halten Sie in der Situation ein Fahrverbot für angemessen?

- Wie gesagt, es gibt Regelbußgeldkatalogsanktionen. Hier muss die Behörde schauen: Was war im konkreten Einzelfall genau der Fall? Daraufhin muss entschieden werden. Ich bin jetzt hier nicht bereit, irgendeine Schelte für irgendwelche Ordnungsbehörden auszusprechen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Ich will Ihnen aber sagen, dass meines Erachtens der Bußgeldkatalog durchaus angeschärft werden kann, und dazu komme ich gleich noch, nämlich dazu, aus welchem Grund das so ist. Bitte warten Sie einen kleinen Moment.

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Ich kann dazu noch eine konkrete Zusatzinformation geben!)

(Burkhard Peters)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenbemerkung?

Ja, natürlich.

Mir ist es fern, die Behörde zu schelten. Die Behörde hat, was Sie offensichtlich nicht wissen, erklärt, dass man dort kein Fahrverbot verhängen könne. Die Behörde hat zumindest das Bußgeld auf 400 € verdoppelt. Das war das Maximum, was die Behörde in der Situation erreichen konnte, weil der Rechtssetzer nichts anderes vorgegeben hat.

(Zuruf)

- Das ist nicht verkehrt. Ich kann Ihnen die dpa-Meldung gern vorlesen, aber ich will das nicht überstrapazieren. Die offizielle Begründung ist: Es habe keine Gefährdung vorgelegen, und es sei kein Unfall passiert. Weil aber der Vorsatz da war, hat man das vorgesehene Bußgeld auf 400 € erhöht. Das war die Auslegung der Behörde, und die halten wir in keiner Weise für fehlerhaft, und wir glauben auch nicht, dass die Behörde dies hätte weiter auslegen können, weil der Rechtssetzer schlicht und ergreifend diese Grenzen gesetzt hat.