Ich erteile hierzu dem Minister für Inneres, ländliche Räume und Integration, Hans-Joachim Grote, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt der komplette Bericht unseres Verfassungsschutzes mit 175 Seiten vor. Lassen Sie mich einige Ausführungen dazu machen.
Der islamistische Terrorismus bleibt nach wie vor die größte Herausforderung für die Sicherheitsbehörden in Schleswig-Holstein. Die Gefährdungslage in diesem Bereich ist unverändert hoch, auch wenn es im vergangenen Jahr keinen islamistisch motivierten Anschlag in Deutschland gegeben hat.
Die Sicherheitsbehörden in Deutschland haben allerdings seit dem Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016 insgesamt sieben geplante Terroranschläge verhindert.
Auch wir in Schleswig-Holstein müssen nach wie vor jederzeit mit Anschlägen rechnen, wie die Festnahme in Meldorf im Januar 2019 noch einmal hautnah vor Augen geführt hat.
Das islamistische Personenpotenzial in SchleswigHolstein ist im Vergleich zum Vorjahr erneut angestiegen, und zwar von 550 auf 645 Personen. Das liegt im Wesentlichen daran, dass die salafistische Szene von 500 Personen 2017 auf 600 Personen im Berichtszeitraum angewachsen ist. Daher werden unsere Sicherheitsbehörden die islamistische Szene nach wie vor fest im Blick behalten.
Die rechtsextremistische Szene ist in SchleswigHolstein im vergangenen Jahr um 15 % auf 1.100 Personen zurückgegangen. Etwa 400 von ihnen gelten als gewaltorientiert. Ein Grund für diesen Rückgang ist eine insgesamt stark nachlassende Antiasylagitation. Außerdem gab es 2018 keine Demonstrationen, keine eigenen Kampagnen und lediglich kleinere Musikveranstaltungen der Szene in Schleswig-Holstein.
Nach wie vor verläuft die Kommunikation in der rechtsextremistischen Szene hauptsächlich über das Internet, vorrangig in den sozialen Netzwerken. Insbesondere die Szene der Neuen Rechten schafft dort Plattformen zum Austausch und zur ideologischen Arbeit.
Darüber hinaus posten Rechtsextremisten auch Gewaltphantasien mit teilweise sehr konkreten Vorschlägen, für deren Verwirklichung häufig Flüchtlinge das Hassobjekt sind, aber auch der politische Gegner.
Bislang wurde in Schleswig-Holstein nichts davon in die Tat umgesetzt. Das Ziel unserer Sicherheitsbehörden ist und bleibt deshalb, so früh wie möglich das Entstehen rechtsextremistischer beziehungsweise rechtsterroristischer Netzwerke zu erkennen, aber auch, gegen sie und sich selbst radikalisierende Einzelpersonen unverzüglich mit allen rechtsstaatlichen Mittel vorzugehen.
Zu den Reichsbürgern ist festzustellen: Diese sind in Schleswig-Holstein nicht organisiert. 313 Personen werden als Reichsbürgerinnen oder Reichsbürger im Berichtszeitraum identifiziert, 83 mehr als 2017. Das ist ein Anstieg, der sich vor allem dank der Dunkelfeldaufhellung deutlich konkretisiert. Bei zwölf Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern
Das linksextremistische Personenpotenzial in Schleswig-Holstein liegt mit 670 Personen konstant auf dem Niveau der drei Vorjahre. Innerhalb der Strömungen ist erneut eine leichte Verschiebung vom dogmatischen zum autonomen Spektrum zu verzeichnen. Das dürfte auch an der Überalterung des dogmatischen Spektrums liegen. Die autonome Szene hat hingegen das Potenzial, anlassbezogen neue Anhänger zu gewinnen. Aktivitäten entwickelt die Szene unter anderem im Themenfeld Antifaschismus, dort vor allem im Zusammenhang mit dem Kommunalwahlkampf der Partei Alternative für Deutschland. Der AfD wird von der Szene vorgeworfen, rassistische, islamfeindliche und antidemokratische Inhalte zu vertreten. Die Partei steht daher nach wie vor im Fokus, vor allem was den Bereich der undogmatischen Linksextremen angeht. Die Intensität der Aktionen war jedoch deutlich geringer als im Vorjahr.
Die wichtigsten Gruppierungen im Bereich des nicht religiös motivierten Extremismus mit Auslandsbezug sind weiterhin die linksextremistische prokurdische Arbeiterpartei Kurdistans, die PKK, und ihre politischen Gegner, die türkisch-rechtsextremistische Ülkücü-Bewegung. Sie protestierten von Januar bis April 2018 - so die PKK-Anhänger zeitweise täglich gegen die türkische Militäroffensive in Afrin in Syrien. Unterstützt wurden sie dabei auch von den deutschen Linksextremisten.
Meine Damen und Herren, mit dem 125-seitigen Bericht liegt Ihnen eine sachliche, faktenbasierte Beschreibung und Bewertung des politischen Extremismus in Schleswig-Holstein vor. Er ist eine solide Grundlage für eigene Schlussfolgerungen und politisch strategische Überlegungen. Ich bin gespannt auf die Debatte und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDUFraktion hat der Abgeordnete Claus Christian Claussen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als erstes bedanke ich mich bei unserem Minister für seinen Bericht. Ich danke auch
Wir haben es gehört: Die Gefahren für unsere Verfassung sind vielfältig, und die Bedrohungen ändern sich auch stetig. Islamistischer Extremismus und Terrorismus, rechtsextreme Bestrebungen, Reichsbürger, Linksextremismus, Spionageabwehr und politisch motivierte Kriminalität, Cybercrime das alles fordert die Wachsamkeit des Verfassungsschutzes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können am 23. Mai dieses Jahres den 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes feiern. Deshalb sollten wir uns vor Augen führen, was wir denn da eigentlich schützen. Das Grundgesetz ist die beste, die freiheitlichste, die liberalste und sozialste Verfassung, die wir je in Deutschland gehabt haben,
und sie hat sich Gott sei Dank auch als die wehrhafteste erwiesen. Die Weimarer Reichsverfassung ist am 14. August 1919 in Kraft getreten und war spätestens am 30. Januar 1933 am Ende. Das sind keine 14 Jahre. Das sollte uns eine Mahnung sein.
Ich glaube, dass eine wesentliche Gefahr für unsere Verfassung gerade davon ausgeht, dass unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung als etwas Selbstverständliches wahrgenommen wird, etwas, was einfach so da ist und sowieso weiter bestehen wird. - So ist es aber nicht. Unsere Freiheit, unsere Demokratie muss täglich verteidigt und immer wieder neu erkämpft werden, da sich immer wieder neue Gefahren für sie entwickeln.
Selbstverständlich war die Welt 1949 eine völlig andere als die heutige. Aber die Erfahrung von Krieg, Terror und Gewalt, die das Grundgesetz geprägt hat, sind auch heute aktuelle Bedrohungen. Wir müssen alles daran setzen, die Freiheit zu erhalten, ohne dass unsere oder die folgenden Generationen diese katastrophalen Erfahrungen unserer Vorfahren selbst durchmachen müssen.
Verrückte, Kriminelle, Extremisten und Terroristen - sie alle bedrohen unser Grundgesetz. Aber auch Hetze, die Herabwürdigung von demokratischen Institutionen und demokratischer Prozesse gefährden unsere Verfassung, genauso wie eine falsch verstandene Liberalität und Toleranz, die eine völlige Beliebigkeit herstellen. Das Grundgesetz ist eine offene Ordnung, ein Freiheitsversprechen für jeden. Aber es ist nicht neutral, es ist eine Werteordnung,
Jeder - das sage ich gerade im Hinblick auf unsere gestern geführte Europadebatte -, der diesen Grundkonsens - wenn auch nur verbal durch Hetze oder Demagogie - aufkündigt, betätigt sich feindlich gegenüber unserer Verfassung.
Es gilt, den Kerngehalt des Grundgesetzes in einer sich ändernden Welt zu erhalten, anzupassen und auszubauen. Das sollte vorsichtig, mit Augenmaß und voller Respekt vor der bisherigen Leistung unserer Verfassung geschehen. Das sollten wir selbst uns bei unseren Entscheidungen als Legislative auch deutlich vor Augen führen.
Aber nicht nur die Parlamente, sondern jeder ist aufgerufen, unsere Verfassung und unsere Freiheit zu verteidigen. Verfassungsschutz ist eben nicht nur die Aufgabe einer Behörde, sondern geht uns alle, jeden und jede an.
Darüber hinaus müssen wir unsere Verfassungsschutzbehörden auch mit den rechtlichen, sachlichen und personellen Ressourcen ausstatten, die sie brauchen, um ihre schwierigen Aufgaben erfüllen zu können. Was das konkret bedeutet, können wir gern im Ausschuss miteinander besprechen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen chinesischen Fluch, der da lautet:
Herr Minister, Sie haben ihn nicht ausgesprochen, auch niemand vor Ihnen, aber es gibt keinen Zweifel: Wir leben in interessanten Zeiten. Das findet seinen Ausdruck im jährlichen Verfassungsschutzbericht, der von Jahr zu Jahr umfangreicher wird.
Dieser Verfassungsschutzbericht ist kein Fluch, sondern eher ein Segen - zusammen mit den anderen Monitoring-Ergebnissen, Studienerkenntnissen
Von den sieben Schwerpunktthemen des Berichts beschäftigen die Öffentlichkeit zwei besonders stark, das sind der Islamismus und der Rechtsextremismus. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, was kommt: Was ist denn mit dem Linksextremismus? Der beschäftigt uns jedenfalls längst nicht mehr so viel wie früher. Seit dem G-20-Gipfel in Hamburg 2017 hat nicht einmal mehr die militante autonome Szene von sich reden gemacht. Es ist kaum noch der Erwähnung wert, dass die DKP - man möchte schon fast sagen: seligen Angedenkens - es fertig bringt, in ihrer Europafeindlichkeit die AfD noch rechts zu überholen.
Beim radikalen Islamismus ist die Dynamik dagegen besonders hoch. Während in den letzten Jahren aus nahezu allen europäischen Ländern radikalisierte Männer und Frauen in das vom IS kontrollierte Territorium ausgewandert sind, hat sich die Bewegung nun umgekehrt. Der IS ist nach seiner militärischen Zerschlagung de facto kein Regime mehr, aber er bleibt eine gefährliche Terrormiliz.
Auf die Behörden kommt sehr viel Arbeit zu, da nichts daran vorbeiführt, Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, wieder einreisen zu lassen. Es ist außerordentlich schwierig, in jedem Einzelfall zu recherchieren, ob der oder die Betreffende sich an den Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt hat.
Nicht vergessen werden darf das Schicksal von Kindern, die in den letzten Jahren durch eine Erziehung im IS radikalisiert wurden und die sich jetzt einem gewaltigen Graben zwischen den Werten ausgesetzt sehen, die ihnen bisher vermittelt wurden und an denen möglicherweise ihre Eltern noch festhalten, und den Werten, die unsere Gesellschaft bestimmen.
Islamismus ist sozial ausgegrenzt. Die ganz große Mehrzahl der Musliminnen und Muslime, die in Deutschland leben, haben nichts als Hass und Verachtung für terroristische Anschläge über, ob sie nun in Mitteleuropa oder im Nahen und Mittleren Osten stattfinden.
Das ist offensichtlich anders mit dem Rechtsextremismus, der es geschafft hat, zumindest mit einzelnen Elementen eines geschlossenen rechten Weltbildes bis in die Mitte der Gesellschaft und in die Parlamente vorzudringen. Die deutsche Zivilgesellschaft steht aus historischen Gründen in einer noch höheren Verantwortung als die Zivilgesellschaft in unseren Nachbarländern, allergisch darauf zu rea
gieren, wenn mit der Floskel: „Das wird man ja noch sagen dürfen“ Aussagen aus der Mitte der Gesellschaft kommen, die noch vor wenigen Jahren politische Wege schneller beendet haben. Sätze, mit denen sich ein Martin Hohmann noch vor wenigen Jahren ins politische Aus geschossen hat, werden heute von Gauland und Höcke in den Parlamenten, aber auch in den Medien und bei Veranstaltungen geäußert, ohne dass dies Konsequenzen hat.