- Müssen wir uns nicht auch Gedanken darüber machen, wie wir wieder einen stärkeren regionalen Bezug zu den Dingen herstellen können? Ich finde, das ist eine lohnende Diskussion. Ich mache mir die Welt nicht, wie sie ist. Ich mache mir die Welt so, wie sie vielleicht für die arbeitenden Menschen und die Familien gut sein könnte.
Herr Kollege Kalinka, wenn man Ihre Rede hört, ist man förmlich darüber gerührt, wie Sie es mit den Arbeitnehmerrechten halten. Da das wahrscheinlich keine besinnliche Rede sein soll -, wir haben ja auch nicht Weihnachten frage ich -: Was folgt eigentlich aus dem, was Sie hier vortragen, mit Blick auf das Abstimmungsverhalten Ihrer Koalition im Bundesrat, wenn selbst die Bundestagsfraktion der CDU, in der ja nicht nur der Arbeitnehmerflügel vertreten ist, verstanden hat, dass jetzt endlich etwas gegen die Ausbeutung in der Paketzustellerbranche unternommen werden muss?
Was folgt eigentlich aus Ihren warmen Worten, außer dass Sie nicht zustimmen wollen, ernsthaft etwas dagegen zu tun? Das würde ich gern wissen.
- Daraus folgt, dass das kein Thema ist, das mit dem heutigen Tag beendet ist, sondern ein Thema, mit dem wir uns weiter beschäftigen, bei dem wir unser Meinungsbild machen und die notwendigen Diskussionen führen. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung. Das ist kein Thema, das heute erledigt ist. Wir beraten allerdings für unser Landesparlament, und wir freuen uns, dass wir in Berlin nicht auf taube Ohren stoßen.
Meine Damen und Herren, die Grundsätze, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, dass Arbeit sich lohnen muss und dass zum Arbeitsleben auch die Würde gehört, müssen wir mit der Wirklichkeit abgleichen. Je schneller wir dies auf dem richtigen Weg haben, desto stabiler bleibt im Übrigen auch unsere Gesellschaft, weil die Menschen dann wissen, dass dies ein richtiger Weg ist, für den es sich lohnt, sich einzusetzen, zu arbeiten und sich zu engagieren. Das scheint mir ein letzter nicht unwichtiger Punkt zu sein. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es gibt in Schleswig-Holstein prekäre Arbeitsverhältnisse. Das gilt nicht nur für die Branche der Paketboten, sondern auch für eine ganze Reihe weiterer Branchen. Nach wie vor finden sich immer wieder Schlupflöcher hin zu prekären Beschäftigungen. Viele von den prekär beschäftigt Arbeitenden kommen aus osteuropäischen EU-Ländern zu uns. Die EU-Entsenderichtlinie und ihre Umsetzung sind zwar ein großer Fortschritt in der EU-Politik, aber noch kein Garant für gerechte Lebensbedingungen bei uns.
Welche Folgen diese Arbeitsmigration hat, hat sich der Sozialausschuss vor einigen Jahren in Lettland angeschaut. Er hat sich die Folgen für die Familien, für die Wirtschaft für die sozialen Strukturen angeschaut.
In einem EU-Mitgliedsland wie Rumänien sind 5 Millionen von 20 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ganz oder zeitweise Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter im europäischen Ausland. Die Folge sind über 300.000 Arbeitsvollwaisen.
Selbst wenn eine faire Bezahlung des landesüblichen Mindestlohns über die EU-Richtlinie garantiert ist, ist das Einkommen von Arbeiterinnen und Arbeitern hier und auch in anderen Ländern zum Beispiel durch unangemessene Nebenkosten, nicht bezahlte Überstunden und so weiter oft geschmälert.
Zoll, praktikabel umzusetzen. Ob jemand das richtige Papier - zum Beispiel aus Rumänien - vorlegt, lässt sich kurzfristig manchmal schlecht ermitteln. In Europa gibt es über 24 Sprachen und für den Zoll immer wieder neue Situationen.
Das Projekt „Faire Mobilität“ ist ein wertvolles Informationsangebot in einigen Muttersprachen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den EU-Ländern. Das wird von der jetzigen ebenso wie von der vorherigen Landesregierung unterstützt.
Von den schwierigen Bedingungen im Niedriglohnsektor sind natürlich nicht nur Menschen aus anderen Ländern betroffen; ich bringe einmal die Zahlen der Gewerkschaften für den Postkurier- und den Expressdienstleistungsbereich in Schleswig-Holstein: Nur 31 % der Beschäftigten sind sozialversicherungspflichtige Vollbeschäftigte; 24 % sind sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigte; 31 % Beschäftigte üben die Tätigkeit als Minijobs aus; 14 % machen es als Minijobs im Nebenjob. Das ist nicht alles: Viele Arbeitnehmer in dem Bereich sind scheinselbständig und werden natürlich nicht erfasst.
Das funktioniert, weil wir das Prinzip der Werkverträge haben; es verschwimmt, wenn es immer weitergegeben wird. Jüngst haben die Kontrollen in Niedersachsen den Handlungsbedarf bestätigt.
Herr Kollege Voß, vielen Dank! - In Ihrem Antrag, den Sie, die Jamaika-Koalition, formuliert haben, habe ich keine Worte zur Nachunternehmerhaftung gelesen. Werden Sie sich als Fraktion dafür einsetzen, dass die Landesregierung sich im Bundesrat dafür einsetzt, genau diese Nachunternehmerhaftung als neues Instrument - in Ihrem Antrag wird diese nicht erwähnt - umzusetzen?
- Vielen Dank, dazu hätte ich gleich noch etwas gesagt. Natürlich ist die Nachunternehmerhaftung eines der Instrumente, das nachgeschärft werden muss. Ich möchte Sie verbessern: Die Nachunternehmerhaftung ist nicht neu. Im Baugewerbe besteht sie seit 2002 und hat sich soweit bewährt. Im letzten Jahr haben wir sie in der fleischverarbeiten
den Industrie eingeführt. Das ist eines der Instrumente; weitere sind Zeitaufzeichnung, Zeitkonten und so weiter. Nach dem Urteil von gestern werden wir hierzu gute Umsetzungsmöglichkeiten finden müssen.
- Ja, natürlich; aber ich betone - das habe ich am Anfang gesagt -: Die Paketbranche ist nur ein Bereich, der betroffen ist und der im Moment medial ganz oben steht. Aber wir müssen uns alle Bereiche anschauen. Ich glaube, das spiegelt unser Antrag wesentlich wider.
Die Hauptzollämter in Schleswig-Holstein, Lübeck und Kiel klagen über Personalmangel. Die hier vorgeschriebenen Kontrollen über die Einhaltung der sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen erfolgen meist nur risikoorientiert oder aufgrund von Hinweisen.
Ich glaube, allen ist klar: Schleswig-Holstein will mit dieser Regierung das mittelstandsfreundlichste Land werden. Fair wirtschaftende kleine mittelständische Unternehmen dürfen am Markt keinen Nachteil erfahren, weil große Konzerne ihre Verantwortung an Subunternehmen abgeben, die diese ihrerseits weitergeben und so weiter. Das alles sind keine legalen Praktiken, die aber im jetzigen Gesetzessystem möglich sind. Von daher muss hier gesetzlich nachgearbeitet und vorgegangen werden.
Die Nachunternehmerhaftung nimmt insbesondere die großen Player in die direkte Mitverantwortung. Sie erleichtert und verkürzt die behördlichen Kontrollen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, wenn es um die Administration geht.
Ich habe es bereits gesagt: Das alles ist nicht neu. Wir haben die Nachunternehmerhaftung bereits in anderen Branchen und werden sie wahrscheinlich auch in weiteren Branchen bekommen.
Die große Koalition auf Bundesebene aus CDU, CSU und SPD hat im Koalitionsausschuss - ich glaube, das war vorletzte Nacht - beschlossen, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nachunternehmerhaftung auch für die Zustellerbranche auf den Weg zu bringen. Das ist aus unserer Sicht eine gute Entscheidung. Wir dürfen nicht zulassen, das große namhafte Unternehmen Schlupflöcher suchen, sie auch immer wieder finden, und gesetzli
che Vorgaben umgehen. Das ist schlicht und einfach Gift für die soziale Marktwirtschaft. Von daher bitte ich darum, die beiden Anträge in den Wirtschaftsausschuss und mitberatend in den Sozialausschuss zu überweisen. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind in unserem Beruf oft auch am Abend unterwegs. Wenn ich dann allerdings zu Hause bin und es klingelt an der Tür - so nach acht Uhr -, dann fühle ich mich gestört. Das ist eine Zeit, in der man zur Ruhe kommen will, in der man gern mit der Familie auf dem Sofa sitzt und in der man sich über den Tag austauscht.
Früher waren in dieser Zeit die späten Störer oft Freunde der Kinder oder distanzlose Nachbarn. Heute ist es häufig jemand, der vielleicht auch gern bei seiner Familie wäre, nämlich ein Paketzusteller; meist ist es ein junger Mann mit einem unmarkierten weißen Lieferwagen, bei dem vorne hinter der Windschutzscheibe ein Pappschild mit dem Logo eines größeren Zustellers steht.
Ohne Zweifel: Es gibt in der Paketzustellerbranche massive Missstände, aber nicht nur hier. Auch in anderen Bereichen der Wirtschaft sind in den vergangenen Jahren massive Missstände aufgedeckt worden.
Herr Kollege Baasch, Sie sprechen vom verantwortungslosen Handeln, davon, dass 16-Stunden-Tage und die Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen ein Skandal seien. Sie haben damit natürlich Recht. Brauchen wir aber deshalb neue Gesetze? Müssen wir die gesamte deutsche Wirtschaft deshalb schlechtmachen und verurteilen? Muss die Bürokratie erweitert werden, um die Missstände in den Griff zu kriegen?
Wir müssen festhalten: Lohndumping und Unterschreitung des Mindestlohns sind bereits verboten; das Ausnutzen von Scheinselbstständigkeit ist verboten.