Protocol of the Session on May 16, 2019

Natürlich gehört auch der Brexit zu den Herausforderungen. Positiv ist, dass sich der Brexit nicht als Spaltpilz der EU-27 erwiesen hat.

(Jörg Nobis [AfD]: Abwarten!)

Die britische Hängepartie beim Brexit-Austrittsdatum hat sich aber wie Mehltau über die EU gelegt. Er hat die Diskussion über Europa abgeschnürt, auch über die äußeren Herausforderungen Europas,

(Hartmut Hamerich)

über die wir reden müssen: Klimawandel, Digitalisierung, anhaltender Migrationsdruck oder Fragen der Sicherheit und Verteidigung, um einige zu nennen.

Herausfordernd sind auch die veränderten geopolitischen Kräfte, ich meine insbesondere den wachsenden Einfluss Chinas in Europa. Wie aber können wir den äußeren Herausforderungen begegnen, und wie können wir die EU nach innen reformieren, um sie demokratischer, sozialer und bürgernäher zu gestalten?

Der Zeitpunkt für die dringende Reform ist günstig. Die aktuellen Umfragen zeigen eine wieder wachsende Zustimmung zur Europäischen Union. Das gilt auch für die mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten, obwohl wir deren Regierungen derzeit eher als Integrationsblockierer wahrnehmen.

Neue politische Prioritäten konnten wir noch nicht in der nötigen Deutlichkeit vernehmen, auch nicht auf dem EU-Gipfel in Sibiu. Deshalb wird die neue EU-Kommission diese schnellstmöglich festlegen müssen.

Ich bin sicher, die Diskussion über Europa wird nach der Wahl noch einen Gang zulegen, bei den Älteren, aber insbesondere bei den Jungen. Das müssen wir fördern. Die Austauschprogramme Erasmus+ und ihre Vorläufer tragen dazu bei. Deshalb müssen wir diese ausbauen.

Bei der Beantragung von Fördergeldern müssen Anträge, Abrechnungen und Berichte vereinfacht werden. Teilweise ist das bei uns in Schleswig-Holstein ja bereits gelungen. Das hat zu einer Verdopplung der Anzahl der Anträge für Schulpartnerschaften und Lehrerfortbildungen geführt. Denn Begegnungen sind die beste Werbung für Europa und für die europäische Idee von Frieden, Freiheit und Toleranz.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, vereinzelt CDU und Beifall Birgit Herdejür- gen [SPD])

Hier wird die Basis für das Europa von morgen gelegt. Davor steht jetzt die Europawahl. Das müssen wir besser rüberbringen. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern ehrlich erklären, was in der EU alles sicherlich nicht perfekt läuft. Aber es läuft vieles besser mit der EU als ohne sie. Wer allein in einem Beiboot sitzt, kann nur kentern. In stürmischer See braucht der Tanker eine starke europäische Mannschaft. Wir sollten den Populisten weder die Lufthoheit über die Stammtische

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

noch die Offensive im politischen Diskurs überlassen -

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

nicht hier im Landtag, nicht im Bundestag und auch nicht im Europäischen Parlament. Politik darf sich daher nicht allein mit Kommissionspapieren und Gipfelergebnissen begnügen. Die sind wichtig, aber sie beantworten nicht die Fragen, die sich viele stellen: Welches Europa brauchen wir? Welches Europa wollen wir? Und wie schaffen wir dieses Europa? Darüber sollten wir sprechen - auch nach der Wahl. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten des SSW, Drucksache 19/1434. Es ist Ausschussüberweisung beantragt worden. Ich frage einmal: an den Bildungsausschuss und mitberatend an den Europaausschuss?

(Zuruf SSW: Ja!)

- Ich bitte also um Ihr Handzeichen, wenn Sie zustimmen wollen, dass der Antrag, Drucksache 19/1434, dem Bildungsausschuss und mitberatend dem Europaausschuss überwiesen werden soll. Das ist einstimmig so beschlossen.

Dann kommen wir zur Abstimmung in der Sache. Ich lasse zunächst über den Alternativantrag der Fraktion der AfD, Drucksache 19/1488, abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Abgeordneten der AfD-Fraktion. Wer ist dagegen? - Das sind alle anderen Abgeordneten. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Ich lasse dann über den Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW, Drucksache 19/1441, abstimmen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Abgeordneten der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Abgeordneten des SSW, die Abgeordneten der Fraktionen von FDP und CDU. Wer ist dagegen? - Das sind die Abgeordneten der AfD-Fraktion. Damit ist dieser Antrag angenommen.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

(Ministerin Dr. Sabine Sütterlin-Waack)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes Gesetzentwurf der Fraktion der AfD Drucksache 19/1107

Bericht und Beschlussempfehlung des Bildungsausschusses Drucksache 19/1398

Ich erteile das Wort dem Herrn Berichterstatter des Bildungsausschusses, dem Abgeordneten Peer Knöfler.

Herr Präsident, ich verweise auf die Vorlage.

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Wortmeldungen zum Bericht gibt es nicht.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die AfDFraktion hat der Abgeordnete Dr. Frank Brodehl.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Wir wollen, dass Gemeinschaftsschulen wieder die Möglichkeit bekommen, Schüler ab der 8. Klasse entsprechend deren Leistungsvermögen in getrennten Kursen und Klassen zu unterrichten, und zwar je nachdem, ob diese den Hauptschulabschluss oder den Realschulabschluss anstreben. Es soll also wieder die Möglichkeit abschlussbezogener Klassen geben. Das ist nur logisch, denn wenn wir Haupt- und Realschulabschlüsse vergeben, sollte es auch die entsprechenden Klassen oder Kurse zumindest in den Hauptfächern geben.

Lange Zeit haben sich dafür auch die FDP und die CDU starkgemacht: Im Koalitionsvertrag heißt es dazu, dass den Gemeinschaftsschulen die Wahlmöglichkeit gegeben werden solle, „eigenständig über die Form der Differenzierung“ entscheiden zu dürfen. Umgesetzt wurde das bis jetzt aber nicht.

Das Verbot abschlussbezogener Klassen - von RotGrün 2012 extra ins Schulgesetz eingeführt - war ein Bestandteil ihrer Einheitsschulideologie.

(Lachen Beate Raudies [SPD])

Meine Damen und Herren, es gibt keinen Grund, an diesem Verbot festzuhalten. Nachdem CDU und

FDP bereits im Ausschuss gegen unser Vorhaben gestimmt haben, bin ich heute gespannt auf die Erklärung für diese 180-Grad-Wende.

Die Umsetzung unseres Antrags bedeutet keine neue Strukturdebatte, denn keine Schule wird gezwungen, irgendetwas zu machen, was vor Ort nicht ausdrücklich gewünscht wird. Schulen sollen vielmehr die Möglichkeit erhalten, abschlussbezogene Klassen oder Kurse einrichten zu können. Nochmals: Es geht uns lediglich um die Aufhebung eines Verbots, wodurch übrigens nicht einmal Kosten entstünden.

Selbst, wenn dies so wäre - es geht um grundsätzliche Fragen: Wie begegnen wir der Unterschiedlichkeit von Schülern? Wie sorgen wir dafür, dass jeder Einzelne ein Maximum aus sich herausholen kann? Wie erreichen wir, dass der Zusammenhang zwischen Bildungsverlauf und sozialer Herkunft aufgelöst wird? - In Schleswig-Holstein werden diese Fragen bis heute in der Tat widersprüchlich beantwortet.

An Gymnasien und Förderzentren wird in relativ leistungshomogenen Klassen unterrichtet - mit den entsprechenden Resultaten: Lerneffektivität und Bildungsgerechtigkeit sind hier entsprechend hoch.

An Gemeinschaftsschulen, die nach wie vor von den meisten Schülern besucht werden, hält man hingegen am längeren gemeinsamen Lernen fest auch einem Überbleibsel aus der SPD-Zeit. Hier setzt man zumindest in der Theorie auf Binnendifferenzierung, also darauf, dass die Lehrkraft allen Schülern der Klasse gleichermaßen gerecht wird, vom Förderschüler über den Hauptschüler und den Realschüler bis hin zu dem Kind, das eine Gymnasialempfehlung hat. Können Sie sich so etwas vorstellen?

(Beate Raudies [SPD]: Ja! Sehr gut!)

Können Sie sich so etwas im Schwimmen vorstellen, vom Nichtschwimmer über den Schwimmer mit Seepferdchen bis zum Leistungsschwimmer? Oder in Mathematik? Natürlich können Sie sich das vorstellen, aber nur dann, wenn Sie die Folgen und Ergebnisse ausblenden.

Auf genau diese wurde in der schriftlichen Anhörung des Ausschusses von maßgeblichen Bildungswissenschaftlern hingewiesen: Eine - bezogen auf die kognitiven Fähigkeiten - eher homogene Organisation der Klassen führt zu insgesamt höheren Leistungen. Das ist empirisch belegt, übrigens auch von Professor Olaf Köller aus dem IPN in der

(Präsident Klaus Schlie)

Nachbarschaft, auf dessen Meinung Sie ja sonst zu Recht viel Wert legen.

Die Gegenthese, dass in leistungsgemischteren Klassen die Schwächeren von den Stärkeren profitierten, ohne dabei selbst in ihrem Lernfortschritt gehindert zu werden, ist übrigens empirisch nicht belegt. Das Gleiche gilt für die These, nach der längeres gemeinsames Lernen für das Sozialverhalten der Schüler besonders förderlich sein soll: Stärkere helfen den Schwächeren, man profitiert gegenseitig voneinander. Natürlich kann das so sein. Die Möglichkeit hierzu besteht ohne Zweifel, aber die Forschungsergebnisse hierzu sind desillusionierend und ernüchternd: Wird eine Lerngruppe zu heterogen, sinkt der Wert des sozialen Miteinanders sogar.

Antonius Hansel von der Universität Rostock fasst beide Aspekte wir folgt zusammen:

„Hinter der These vom Erfolg eines … gemeinsamen Lernens verbergen sich Wunschdenken und … Absichtserklärungen ohne Reflexion der Folgen …“

Alle Schüler, nicht nur Gymnasiasten oder Förderschüler, haben einen Anspruch auf individualisierte Bildungsgänge. Das sollte endlich wieder für die Mehrheit aller Schüler - der Schüler, die die Gemeinschaftsschule besuchen - möglich sein. Lassen Sie uns die Gemeinschaftsschule dadurch stärken, dass wir wieder mehr Formen der Differenzierung ermöglichen.