Protocol of the Session on July 21, 2017

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von Voltaire wird der Satz kolportiert:

„Ich missbillige, was du sagst, aber ich werde bis zum Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.“

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD und AfD)

Ich persönlich würde auch etwas ungern für Äußerungen von AfD-Politikern vom Schlag Höcke, Poggenburg oder Gauland in den Tod gehen. Aber im Kern ist der Satz für unsere Demokratie überlebensnotwendig.

Darum ist es nicht hinzunehmen, wenn missliebige, unsachliche, ja selbst menschenverachtende politische Meinungsäußerungen, Veranstaltungen und Versammlungen von politischen Gegnern mit gewalttätigen Störungen oder mit Sachbeschädigungen verhindert oder auch gestört werden. Ich glaube, insoweit sind wir uns wohl alle in diesem Hause einig.

Was Sie allerdings in einer Demokratie ertragen müssen, meine Damen und Herren von der AfD, ist der Gegenwind, der Ihnen entgegenbläst. Und das wollen Sie nicht. Ihre zur einzig wahren Meinung hochstilisierte Monopol- und Opferhaltung fordert in autoritärem Gehabe einen Tadel und mindestens einen Eintrag ins Klassenbuch für alle, die Ihnen die Meinung geigen. Dass Ihre nationalistische, sexistische und xenophobe Programmatik nicht unwidersprochen bleibt, dass sie Gegendemos ertragen und dulden müssen, dass es auch jedem gastronomischen Betrieb freigestellt bleibt, Sie zu beherbergen und zu verköstigen, das ist so in einer Demokratie, auch wenn es Ihnen nicht passt.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ihren Versuch, politische Gegnerinnen und Gegner zu diskreditieren, indem sie beim Landeswahlleiter an den Pranger gestellt werden, lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

Lassen Sie uns konkret betrachten, welches Rechtsstaatsverständnis hinter Ihrem Antrag steht. Soweit die von der AfD beklagten Angriffe, Störungen und Sachbeschädigungen - gegenüber Personen, Räum

lichkeiten, Wahlplakaten oder anderen Gegenständen - strafbar sind, werden sie auf entsprechende Anzeige hin von der Polizei erfasst. Sie werden auch in der jährlich veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik dokumentiert, und zwar gesondert als „politisch motivierte Straftaten“. Dort kann man nachschauen. Wenn man noch mehr Fragen hat, kann man das Innenministerium anschreiben beziehungsweise - als Abgeordneter - eine Kleine Anfrage stellen; dann bekommt man noch viel mehr Informationen. Das reicht dann auch aus.

Staatsanwaltschaften und Gerichte entscheiden über die etwaige Strafbarkeit der begangenen Taten, und das ist auch gut so.

Alles, was nicht die Schwelle zur Strafbarkeit überschreitet, ist im politischen Meinungskampf von Demokratinnen und Demokraten hinzunehmen und muss daher auch nicht erfasst und dokumentiert werden.

Aber Ihr Misstrauen gegen Polizei und Justiz - Ihre „Systemkritik“ - geht so weit, dass Sie ein Verfahren an den rechtsstaatlichen Strukturen vorbei etablieren wollen. Die Ansiedlung beim Landeswahlleiter ist nur eine ganz dünne Tünche über Ihrer Absicht, mit diesem Antrag bestehende staatliche Strukturen als ineffektiv und schwach zu denunzieren. Damit wollen Sie Ihrem Antrag lediglich den Anschein der Seriosität verleihen.

Dass Ihnen parlamentarisch-demokratische Prozesse tatsächlich fremd sind, merkt man auch daran, dass Sie einen Gesetzänderungsantrag einbringen müssen, wenn Sie die Aufgaben und Zuständigkeiten des Landeswahlleiters in der von Ihnen geforderten Art ändern wollen. Diese Zuständigkeiten und Aufgaben sind nämlich abschließend im Landeswahlgesetz geregelt. Rechtsstaatlich sauber hätte es daher, wenn Sie das so wollen, einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedurft.

(Serpil Midyatli [SPD]: Burkhard, du bist immer viel zu nett!)

- Nein!

(Serpil Midyatli [SPD]: Doch!)

Übrigens betreibt Ihre Partei seit März 2016 eine sogenannte „Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter“ mit sechs ehrenamtlich tätigen ehemaligen Richtern, Staatsanwälten und Anwälten, die akribisch jegliches Ungemach dokumentieren, das die AfD erleiden muss.

Ich sage Ihnen: Das ist zynisch und anmaßend, weil mit der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter von 1961 bis 1992 eine Stelle bestand, die Hinweisen auf Tötungshandlungen an der innerdeutschen Grenze, Unrechtsurteile aus politischen Gründen, Misshandlungen im Strafvollzug oder politische Verfolgung in der ehemaligen DDR nachging. Sich nun auf die gleiche Ebene mit den Opfern dieses Unrechtsstaates zu stellen, macht deutlich, in welch absurder Weise Sie sich in Ihre Opferhaltung hineingesteigert haben. Wir lehnen den Antrag deswegen ab. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Kay Richert.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die in dem Antrag beschriebenen Dinge sind in der Tat schlimm und dürfen nicht toleriert werden. Aber für die Erfassung und Verfolgung dieser Straftaten gibt es bereits eine Stelle; das ist die Polizei. Das wurde schon mehrmals gesagt.

Die Erfassung erfolgt in der Kriminalstatistik. Man kann sich dort jederzeit informieren, wie die Tendenzen in der politisch motivierten Kriminalität sind. Wenn dieser Kriminalität eine gewisse Organisiertheit zugrunde liegt, dann taucht dies sogar in dem Verfassungsschutzbericht auf; darüber durften wir vor Kurzem diskutieren. Wer den Bericht gelesen hat, konnte es auch daraus ersehen.

Die von Ihnen beantragte neue „Erfassungsstelle“ halten wir für unnötig. Wir werden daher den Antrag ablehnen. - Danke schön.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Vorredner haben es schon gesagt: Rechtsstaatlichkeit und politisch motivierte Erfas

sungsstellen passen nicht unbedingt zusammen; das ist wohl so.

Bedrohungen, auch in der schlimmsten Form, kennen wir in der Tat alle. Das ist nichts Neues für uns. Das gilt für uns alle. Körperverletzung - ja, auch das kann einem als Politiker passieren. Natürlich kann es auch zu Sachbeschädigungen, zum Diebstahl von Plakaten, zu Zerstörungen kommen. All das kennen wir. Insofern besteht kein Unterschied zwischen uns und Ihnen von der AfD. Ich will nicht sagen, dass es etwas ist, was wir ertragen müssen. Aber, wie Kollege Dr. Bernstein schon sagte, wir müssen es zur Anzeige bringen. Das ist unser Job, nichts anderes.

Ich glaube, dass es auch viele andere Menschen gibt, die genau solche Dinge zu erleiden haben, insbesondere dann, wenn politisch gegen diese Menschen und gegen Institutionen, die sie repräsentieren, gehetzt wird; das dürfte Ihnen ja nicht ganz fremd sein. Zu thematisieren, was diese Menschen zu erleiden haben, wäre mindestens genauso wert.

Wenn Sie eine „Erfassungsstelle“ für Bedrohungen fordern, dann sage ich Ihnen: Diese gibt es schon, und zwar flächendeckend im Land Schleswig-Holstein: unsere Polizei! - Danach, wenn es zur Anzeige gebracht worden ist, muss es seinen juristischen Gang gehen. Insoweit darf es keine Unterschiede geben.

Wir haben polizeiliche Statistiken; das hat Kollege Peters gerade noch einmal deutlich gemacht. Es braucht wirklich keine Datei, die an der Rechtsstaatlichkeit vorbei arbeitet.

Ein Vergleich mit der Datei in Salzgitter hat nun wirklich zu unterbleiben. Damals ging es um schlimmste Verfehlungen eines Unrechtsstaates, die vor Ort nicht aufgezeichnet werden konnten, eben weil es ein Unrechtsstaat war. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein solcher aber nicht. Deswegen brauchen wir eine solche Datei nicht.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die Landesregierung hat der Minister für Inneres, ländliche Räume und Integration -

(Zuruf: Dreiminutenbeitrag!)

- Ein Dreiminutenbeitrag? Pardon! Das habe ich nicht gesehen. - Herr Abgeordneter Schaffer.

(Burkhard Peters)

Ich werde keine drei Minuten brauchen. - Ich will ganz kurz noch einmal deutlich machen, dass ich in meinem Redebeitrag eine scharfe Grenze zwischen den strafrechtlich zu verfolgenden Inhalten und dem, was nicht so einfach juristisch zu erfassen ist, gezogen habe. Wenn ich dann höre, dass insbesondere die Bedrohung - oder vielmehr: die Einflussnahme, die Einschüchterung - von Gastwirten und der damit zum Teil einhergehende Verlust der Existenzgrundlage als „Gegenstand der politischen und der demokratischen Auseinandersetzung“ betitelt wird, Herr Peters, dann befremdet mich das doch arg. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Nunmehr hat für die Landesregierung der Innenminister Hans-Joachim Grote das Wort.

Herr Ministerpräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten!

„Landtagspräsident“ würde reichen, Herr Minister.

(Heiterkeit)

Entschuldigung! Sehen Sie es mir nach; das ist der Zeit geschuldet.

(Beifall Serpil Midyatli [SPD])

Meine Damen und Herren, in der heutigen Debatte ist bereits vieles gesagt worden. Ich kann dies auch im Namen der Landesregierung - voll und ganz unterstützen.

Selbstverständlich lehne auch ich jede Art und jede Form der Gewalt ab, ob es Angriffe auf das Eigentum anderer sind, ob es die Zerstörung von Wahlkampfmaterial ist, erst recht dann, wenn sich Gewalt gegen Menschen richtet.

Der Antrag, über den wir heute zu beraten haben, beruft sich auf die im Grundgesetz verbrieften Rechte auf freie, friedliche Meinungsäußerung und auf die Versammlungsfreiheit. Es geht dabei nicht, wie Sie vorhin sagten, um Emotionen oder Gefühle;

es geht hier um Fragen, die wir rechtlich behandeln wollen.

Die zentralen, absolut schützenswerten Rechte sind Kernbestandteile unserer Verfassung. Allerdings sind sie auch ohne den vorliegenden Antrag bereits gut geschützt und bedürfen aus meiner Sicht keiner zusätzlichen Stelle.