Protocol of the Session on March 28, 2019

Frau Präsidenten! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu dem Blödsinn, den Herr Schaffer hier von sich gegeben hat, sage ich jetzt besser nichts; denn ich habe die Befürchtung, dass ich ausfallend werden würde.

(Volker Schnurrbusch [AfD]: Na, na, na! „Blödsinn“ ist unparlamentarisch!)

Deshalb lasse ich das an dieser Stelle lieber.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Pflegesituation zu hinterfragen ist grundsätzlich immer eine gute Sache. Die richtigen Taten folgen zu lassen, ist dann eigentlich noch viel besser; denn einen großen neuen Erkenntnisgewinn gibt dieser Branchencheck Pflege tatsächlich nicht her.

Sehr bedauerlich ist die geringe Anzahl der Beteiligten. Von den 918 befragten Einrichtungen haben gerade einmal 249 Einrichtungsleitungen, also 27 %, an der Befragung teilgenommen - das kann man positiv sehen; ich habe es ein bisschen anders gelesen, aber gut -; davon sind 50 % private Einrichtungen. Welche privaten Einrichtungen daran teilgenommen haben, ergibt sich aus dem Bericht leider nicht. Mir stellt sich allerdings die Frage, ob die großen gewinnorientierten Träger die besten Ratgeber in Sachen zufriedene Mitarbeiter sind.

(Katja Rathje-Hoffmann)

Bei der Befragung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist - hinter diese Zahl setze ich jetzt ein Fragezeichen, weil mir andere Zahlen geläufig sind - in dem Bericht von 23.638 Pflegekräften in der Altenpflege die Rede. Diese Personen sind dann noch nicht einmal weiter aufgeschlüsselt worden. Ganze 706 Personen davon haben an der Befragung teilgenommen. Bei den 706 Personen konnte man noch nicht einmal sicherstellen, dass sie tatsächlich in der Altenpflege tätig sind, weil es eine öffentliche Online-Befragung war. Hätte man ein Jahr gewartet, hätte man mit der Pflegeberufekammer einen sicheren und guten Adressaten gehabt.

Wenn man eine solche Befragung in der Haupturlaubszeit Juli/August und damit bei noch engerer Personaldecke als ohnehin üblich durchführt, darf man sich vielleicht über die geringe Rückläuferquote auch nicht wundern.

Es wurden Fragen gestellt, die etwas außerhalb der üblichen Kritikpunkte, wie Bezahlung und Personalmangel - das hören wir ja immer wieder -, liegen und die zu den weichen Faktoren in der Arbeitszufriedenheit zählen. Ziel war es, Best-Practice-Beispiele herauszufiltern und Merkmale zu finden, die mit hoher Arbeitszufriedenheit einhergehen. So weit, so gut. Aber die Antworten sind total logisch. Natürlich habe ich mit einer strategischen Personalentwicklung, einer anständigen Mitwirkung, einer guten Einarbeitungszeit und eigener Ausbildung einen geringeren Fachkräftemangel. Das ist einfach logisch.

Genauso umgekehrt: Wenn der Arbeitsplatz schlecht erreichbar ist, die Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel in der ambulanten Pflege, schwierig und wirklich nicht gut sind und sich das Personal nicht auf Dienstpläne verlassen kann, braucht man schlichtweg nicht damit rechnen, dass die Fachkräfte vor meiner Einrichtung Schlange stehen.

Eine hohe Fluktuation, dauerhafte Überforderungssituationen und der ständige Einsatz von Zeitarbeitsfirmen machen komplett unzufrieden. Das erstaunt genauso wenig wie, dass Gesundheitsangebote und Unterstützung bei der Kinderbetreuung als positiv gewertet werden. Sehr schön, bloß aber kommen letztere Maßnahmen reichlich spät. Was für eine Überraschung!

Erschreckend und bestätigend ist, dass lediglich 31 % der befragten Einrichtungsleitungen angaben, dass in ihren Einrichtungen zurzeit kein Fachkräftemangel herrsche. Der Rest der Befragten gab an, dass die Einrichtungen teilweise oder nur eingeschränkt geführt werden könnten.

Dass die Ausbildung zu einer strategischen Personalentwicklung gehört, ist ziemlich logisch und eine Selbstverständlichkeit. Die 19 % der befragten Einrichtungen, die nicht ausbilden, sollten sich über einen Fachkräftemangel besser nicht beschweren. Wir sollten darüber diskutieren, ob diese nicht den doppelten Beitrag in den Ausbildungsfonds einzahlen müssen; denn die Ausbildung ist nun einmal grundlegend wichtig. Und wer sich daran nicht beteiligt, aber trotzdem später davon profitiert, muss eben mehr bezahlen oder auf eine andere Art und Weise bestraft werden.

Knapp 38 % der befragten Personen gaben an, dass sie sich nicht vorstellen könnten, in den nächsten Jahren in der jetzigen Einrichtung zu arbeiten. Davon gaben 50 % an, dass sie ganz aus dem Pflegeberuf ausscheiden möchten.

Wir müssen auch die Angst bei den pflegenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Digitalisierung ernst nehmen. Wir reden immer ganz viel über Digitalisierung und den positiven Eigenschaften der Digitalisierung, aber wenn Mitarbeiter, die damit tagtäglich umgehen sollen, Angst davor haben, müssen wir das sehr ernst nehmen.

Was hat dieser Branchencheck gebracht? Nichts Neues jedenfalls, und die Realität hat diesen Check schon längst eingeholt. Auf Freiwilligkeit insbesondere bei den gewinnorientierten Pflegeeinrichtungen können wir hier nicht warten; das ist aber das Signal aus diesem Branchencheck sowie ein Runder Tisch und so weiter.

Ich sage: Auf Freiwilligkeit können wir hier nicht warten. Wir brauchen für alle Bereiche der Pflege einen gesetzlichen Personalbemessungsschlüssel, der sicherstellt, dass die Pflegenden ihren eigenen qualitativen Ansprüchen an eine zugewandte fachlich fundierte Pflege gerecht werden können. Das ist die Grundlage. Darüber hinaus sind verlässliche Dienstpläne und natürlich auch eine angemessene Bezahlung wichtig; aber danach wurde in diesem Branchencheck besser gar nicht erst gefragt.

Wenn das alles nicht passiert - also ein gesetzlicher Personalbemessungsschlüssel, verlässliche Dienstpläne und so weiter -, helfen alle anderen Angebote - seien sie noch so sinnvoll wie Gesundheitsvorsorge und so weiter - nicht, diesem Fachkräftemangel irgendetwas entgegenzusetzen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

(Birte Pauls)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Lasse Petersdotter.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Pflege ist ein Schwerpunktthema der Jamaika-Koalition, und das aus gutem Grund: Bei der Pflege brennt es an allen Ecken in den Krankenhäusern, in den Pflegeheimen und auch in der ambulanten Pflege. Die Pflege ist somit selbst ein Stück weit zum Pflegefall geworden. Heute geht es eben um die Altenpflege in unserem Land, konkret um den Branchencheck.

Laut Landespflegebericht gab es im Jahr 2015 428 ambulante Pflegedienste und 686 stationäre Pflegeinrichtungen in Schleswig-Holstein. Dort waren insgesamt rund 42.300 Menschen beschäftigt. 2017 bezogen in Schleswig-Holstein 109.000 Personen Leistungen der Pflegeversicherung. 67 % der Pflegebedürftigen wurden in ihrem Zuhause gepflegt, 33 % in stationären Pflegeinrichtungen. Eine große Verantwortung liegt also auf den Schultern der Familie, der Angehörigen sowie der Freundinnen und Freunden der jeweiligen Person.

Aber unsere Gesellschaft wird immer mobiler. Die sozialen Netze vor Ort werden lockerer. Immer mehr Menschen sind auf fremde oder auf andere Hilfe angewiesen. Umso wichtiger wird, dass professionelle Unterstützungsangebote in der Pflege ausreichend vorhanden sind. Wir brauchen mehr ambulante und stationäre Pflegeangebote, und wir brauchen mehr Menschen, die hauptberuflich pflegen wollen und pflegen können. Hier nehmen die Probleme aber eher zu als ab.

Die Arbeit, die in der Pflege vollbracht wird, ist sowohl körperlich als auch psychisch anspruchsvoll und immer sehr belastend. Die Bezahlung ist mäßig, und die gesellschaftliche Akzeptanz und die Anerkennung sind immer noch viel zu gering.

Die Verweildauer im Beruf variiert sehr stark; viele steigen nach wenigen Jahren wieder aus. Offene Stellen bleiben lange unbesetzt. Hinzu kommen Ausfallzeiten durch Krankheit und Urlaub. Die verbleibenden Kolleginnen und Kollegen arbeiten immer wieder an ihrem und über ihr Limit hinaus.

Wir müssen es schaffen, dass ganz viele junge Menschen sich für den Beruf der Pflege entscheiden. Minister Garg hat aber auch schon angesprochen: Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Men

schen in ihren Berufen bleiben und bleiben können, dass es Perspektiven gibt, dass es Entlastung für die Menschen, die pflegen, gibt, und dass Menschen auch wieder zurückkommen und sich für ihren ursprünglichen Berufswunsch wieder entscheiden können und Strukturen vorfinden, unter denen sie auch entsprechend arbeiten können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau deshalb haben wir die Altenpflegeausbildung für die Auszubildenden in Schleswig-Holstein kostenfrei gestellt. Das war ein riesiger Erfolg, für den man immer wieder bei Treffen vor Ort gelobt wird. Dabei wird immer wieder betont, welche Auswirkungen er hat. Er kann aber natürlich nur ein Schritt sein.

Wir müssen es schaffen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Pflege zufrieden sind und gesund bis zur Rente arbeiten können. Diese Grundsätzlichkeit haben wir in anderen Berufsfeldern ehrlicherweise nicht. Die Überlegung, ob ein Mensch zufrieden und gesund bis zur Rente arbeiten kann, sollte eine Grundvoraussetzung jeder Berufstätigkeit sein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Initiiert durch die Trägerverbände haben Landesregierung, Arbeitsagentur, Gewerkschaften und das Kompetenzzentrum Fachkräftegewinnung eine Zukunftswerkstatt durchgeführt. Das Ergebnis ist der Branchencheck Pflege. Gemeinsam mit der Fachhochschule Kiel wurden Konzepte und Fragestellungen entwickelt.

In zwei Runden wurden Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Altenpflegeinrichtungen in Schleswig-Holstein befragt; 294 Pflegeinrichtungen - immerhin ein Viertel - und 706 Pflegekräfte haben mitgemacht. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Für die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - dabei geht es um die Bindung und Kontinuität der Beschäftigten an ihre Pflegeinrichtung ist erstens entscheidend, dass eine eigene Ausbildung und eine strategische Personalentwicklung vorliegen, dass es eine gute Erreichbarkeit durch öffentliche Verkehrsmittel gibt, dass ehrenamtliches Engagement in der Einrichtung möglich ist und ein verlässlicher Dienstplan und eine schlanke Dokumentation gewährleistet sind.

Hierbei spielt Digitalisierung eine Rolle: Wenn man beispielsweise bei der Dokumentation auf

sprachbasierte Möglichkeiten zurückgreifen könnte, könnte das ein Fortschritt sein. Gleichwohl muss man die Überlastung und Überforderung dabei immer mitdenken, denn nicht jeder Mensch kann neben der hochanspruchsvollen pflegerischen Tätigkeit auch noch alles ausführlich dokumentieren und aufzeichnen. Digitalisierung kann dort helfen, ist aber nicht die alleinige Lösung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Dokumentation ist einer der großen Belastungspunkte. Viele Menschen in der Pflege sind in die Pflege gegangen, um zu pflegen, und nicht, um Menschen und jeden Vorgang zu dokumentieren so wichtig das auch ist. Bei jeder MDK-Prüfung ist die Dokumentation wichtig.

Wenn es aber alleine schon möglich wäre, die Dokumentation per Sprachbefehl erfolgen zu lassen, dass es die Möglichkeit gäbe, über ein Mikrofon einzugeben, dass man Frau sowieso dieser und jener Maßnahme unterzogen hat, wäre das schon wahnsinnig hilfreich, wenn man sich dafür nicht immer wieder an einen Rechner setzen und alles noch einmal aufschreiben muss, was man den Tag über gemacht hat, denn dabei hat man nicht die Zeit für die Bewohnerinnen und Bewohner.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP, Lars Harms [SSW] und Sandra Red- mann [SPD])

Das nur kurz als fachfremde Notiz eines Sohnes einer Altenpflegerin.

Die Unterstützung bei der Kinderbetreuung - damit kommen wir wieder zu diesem Punkt - ist ebenso wichtig.

Im Gegenzug wirkt sich eine hohe Fluktuation nachteilig auf die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. Das wundert nicht: Gerade in diesen Berufen ist man sehr auf das Team angewiesen, auf die Zusammenarbeit, auf die Verlässlichkeit. Wenn sich die Dienstpläne verändern, wenn man einen Wechsel in den unterschiedlichen Schichten hat, muss man die Leute kennen und wissen, welche Schwerpunkte und welche Bezüge sie zu den jeweiligen Bewohnerinnen und Bewohnern haben. Daher brauchen wir eine Durchgängigkeit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Wichtige Faktoren sind hierbei dauerhafte Überforderungssituationen und ein hoher Anteil an Zeitarbeitskräften, die all das erschweren. Die Frage, wer in dieser Situation Henne und wer Ei ist, bleibt allerdings schwer zu beantworten.

Weitere Faktoren für die Zufriedenheit und die Bindung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die Bezahlung, die Wertschätzung, die Anerkennung, das Team- und Betriebsklima, Arbeitszeiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und - ich sage es noch einmal - die Bezahlung, denn von aller Wertschätzung dieser Welt, die immer wieder gerade auch aus dem politischen Spektrum kommt, die schön und gut ist, kann man am Ende die Familie nicht ernähren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Im Grunde hängt alles mit allem zusammen. Das hat aber auch Potenziale, denn wenn wir an einer Stelle etwas zum Guten verändern, ist es so möglich, dass sich neue Chancen öffnen. Die Ergebnisse des Branchenchecks Pflege wurden intensiv in Arbeitsgruppen beraten, um konkrete Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Die Branche selbst die Pflegeeinrichtungen, die Chefs und Chefinnen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - sollen motiviert und unterstützt werden. Sie können ihre Arbeitsbedingungen verbessern und zielführende Maßnahmen für eine gelungene Gewinnung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und die langfristige Bindung entwickeln. Das ist gut für alle: für die Pflegenden, für die, die gepflegt werden, für das Unternehmen und für die Gesellschaft.

Wir Grüne haben vor Kurzem hier im Parlament selbst eine Veranstaltung mit über 140 Gästen durchgeführt. Das Interesse an dem Thema ist groß. Es gab einen Vortrag über Buurtzorg, der uns alle sehr tief beeindruckt hat. Nach dem Beispiel aus Holland werden den Pflegekräften durch diesen innovativen Ansatz in der ambulanten Pflege Verantwortung, Kompetenz, Entscheidungen und Souveränität zurückgegeben. Das ist eine klassische Winwin-Situation für alle. Ich kann nur empfehlen, sich genauer mit diesem Konzept auseinanderzusetzen.

Auf der Fachtagung zum Branchenpflegecheck am Montag sind die Ergebnisse der Fachöffentlichkeit vorgestellt worden. Arbeitsgruppen haben sich spannende Best-Practice-Beispiele vorgenommen. Ein Branchendialog ist gestartet worden. Das ist ein guter Schritt. Heute diskutieren wir hier im Landtag politisch über die Ergebnisse. Auch diese Bilanz kann ermutigend sein.

Jamaika handelt. Schleswig-Holstein ist auf dem Weg. Gute Pflege kann gelingen, wenn wir an einem Strang ziehen. Das tun wir. In Sachen Pflege verbindet uns im Haus einiges, vor allen Dingen ein