Protocol of the Session on March 27, 2019

Dies alles haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Ausländerämtern und allen damit befassten Behörden tagtäglich vor Augen, die diese „Vorgänge“ zu bearbeiten haben. Im wahrsten Sinne werden Schicksale dort besiegelt.

Meine Damen und Herren, das ändert aber nichts an der Pflicht der zuständigen Behörden, auf die Rückkehr ausreisepflichtiger Menschen hinzuwirken sowie darauf, dass diese Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt werden. Bei fehlender Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise sind sie auch gegen ihren Willen, gegebenenfalls zwangsweise, in ihren Herkunftsstaat zurückzubringen. Rechtsstaatlichkeit und - und! - humanitäre Grundsätze sind bei jeder Rückkehrmaßnahme zu beachten, nicht nur bei der Vorbereitung und während der Abschiebung, sondern auch in der Situation nach der Ankunft in dem jeweiligen Heimatland.

Nach Einschätzung des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen - UNHCR - aus dem Dezember 2016 sind diese Voraussetzungen für eine sichere Rückkehr nach Afghanistan nicht in jedem Einzelfall gegeben. Daran - das haben wir vorhin in verschiedenen Beiträgen gehört hat sich nichts geändert. Ich wiederhole ausdrücklich: An diesem Status hat sich nichts geändert. Denn trotz intensiver Bemühungen der afghanischen Regierung zur Stabilisierung des Landes ist es noch ein langer Weg, bis in diesem durch Konflikte geprägten Land demokratische und humanitäre Standards flächendeckend gelten werden. Sicherheitsrelevante Vorfälle wie rund um die Parlamentswahl 2018, also vor nicht allzu langer Zeit, belegen dies.

Aus diesem Grund haben sich die Partner der Jamaika-Koalition im Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode selbst verpflichtet. Diese Selbstverpflichtung ist Auftrag für die Regierung. In dem Koalitionsvertrag heißt es - wir haben es wiederholt gehört -:

„Bei Rückführungen in Staaten mit besonders unübersichtlicher Sicherheitslage, wie derzeit Afghanistan,“

- explizit genannt! -

„wird in jedem einzelnen Fall das zuständige Ministerium prüfen,“

- das ist mein Haus

„ob eine Rückkehr nach humanitären Gesichtspunkten zu verantworten ist.“

Um eine solche Einschätzung treffen zu können, wird auch in Schleswig-Holstein die Lagebewertung des Auswärtigen Amtes einbezogen. Diese Bewertung dient nicht nur uns als Entscheidungsgrundlage, sondern bundesweit nutzen sie alle zuständigen Behörden und Gerichte für ihre Entscheidungsfindungen. Diese Lagebewertung berücksichtigt unterschiedliche Quellen, nicht nur die eigenen Quellen der deutschen Auslandsvertretung, sondern gerade auch die Berichterstattung internationaler Organisationen. Dazu gehören der UNHCR sowie verschiedene internationale NGOs. Damit vermitteln sie ein umfängliches Gesamtbild der humanitären und der sicherheitsrelevanten Lage in Afghanistan.

Es handelt sich dabei jedoch um eine allgemeine Lagebewertung - Achtung! - zur Entscheidungsfindung, nicht etwa um eine einzelfallbezogene Entscheidung, wie das jeweilige Land zu entscheiden hat.

Meine Damen und Herren, um Ihnen darzulegen, dass wir uns bereits an die in dem Antrag formulierten Anforderungen halten, möchte ich Ihnen die Zahlen der afghanischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nennen, die wir hier in Schleswig-Holstein haben. Laut Ausländerzentralregister mit Stand vom 28. Februar 2019 leben in diesem Land etwa 1.900 vollziehbar ausreisepflichtige afghanische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und sind als solche registriert. Davon sind genau 1.683 nach § 60 a Aufenthaltsgesetz in Schleswig-Holstein geduldet. Die Differenz zwischen 1.683 und 1.900 sind diejenigen, die untergetaucht sind. Diejenigen, die hier bekannt sind, sind also in Schleswig-Holstein geduldet. Davon wiederum sind etwa 1.100 aus medizinischen oder aus explizit humanitären Gründen als solche eingestuft. Zugleich bedeutet das im Umkehrschluss, dass sich - wegen der Differenz zwischen 1.100 und 1.900 - fast 800 vollziehbar ausreisepflichtige Personen im Land aufhalten, für die eine Abschiebung aufgrund bestehender Gesetzeslage durchzuführen wäre. Etwa 550 Personen davon haben keine Reisedokumente. Ungefähr 250 Personen dulden wir, die aber überwiegend untergetaucht sind.

Generell ist die Organisation von Abschiebungen nach Afghanistan aus verschiedenen Gründen äußerst schwierig. Die Zahl der monatlichen Abschiebungen ist für Deutschland insgesamt sehr niedrig. Bezogen auf Deutschland insgesamt können monatlich 50 Personen in ein Flugzeug gesetzt werden. Diese Zahl wird nicht einmal annähernd ausgeschöpft. Damit wir endlich wissen, worüber wir

heute eigentlich streiten: Aus Schleswig-Holstein wurden im gesamten Jahr 2018 fünf Personen - mit ausschließlich strafrechtlichem Hintergrund! - dorthin abgeschoben. Im Jahr 2019 sind es bisher drei Straftäter gewesen. Das sind die Dimensionen, die Zahlen, über die wir sprechen.

Ich finde, ein klarer Blick auf die Fakten ist notwendige Bedingung auch für die Beurteilung staatlichen Handelns. Eine wirklich sachorientierte Diskussion stellt die Bedürfnisse der schutzsuchenden Menschen in den Mittelpunkt und die Integration derer, die auf absehbare Zeit Teil unserer Gesellschaft sein werden. Ich glaube, wir alle in diesem Saal sind uns darüber klar, dass viele dieser Menschen irgendwann eine dauerhafte Duldung erlangen werden.

Das alles sind Fragen, die wir politisch zu diskutieren haben, aber nicht nur auf Landesebene. Dazu bedarf es auch grundlegender Entscheidungen auf Bundesebene.

Ich bin überzeugt: Auf diesem Weg können wir an den Grundsätzen schleswig-holsteinischer Flüchtlingspolitik festhalten, und wir können sicherstellen, dass der Humanität in den Fällen Vorrang vor einer Rückführung gewährt wird, in denen dies geboten und im Einzelfall angemessen ist.

Wo wir in Schleswig-Holstein in Bezug auf Abschiebungen bundesweit stehen, konnten wir nun wirklich am Montag in den Medien lesen. Ich glaube, diese Zahl ist selbsterklärend. Für die einen ist es das Signal: Schleswig-Holstein hat die rote Laterne, weil hier die wenigsten Menschen abgeschoben werden. - Ich glaube, das ist nicht Zufall, sondern Ausdruck des aktiven Handelns der hier verantwortlichen Personen.

Ich bin angetreten mit der Verantwortung für diese sicherlich nicht einfache Aufgabe im Spagat zwischen Rechtsumsetzung und Humanität. Wir haben einen Koalitionsvertrag, der dies wirklich gut regelt. Ich kann für die Landesregierung sagen: Wir stehen zu dem, was wir gesagt haben. Wir handeln vor allem nach dem, was wir gesagt haben. Daher empfehle ich, diesem Antrag zuzustimmen und ihn so anzunehmen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

(Minister Hans-Joachim Grote)

Es ist beantragt worden, über den Antrag in der Sache abzustimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag Drucksache 19/1359 gegen die Stimmen der AfD und der Abgeordneten von Sayn-Wittgenstein angenommen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes über den Vollzug der Abschiebungshaft in SchleswigHolstein (Abschiebungshaftvollzugsgesetz Schleswig-Holstein - AHaftVollzgG SH)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 19/939

Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses Drucksache 19/1354

Ich erteile das Wort der Berichterstatterin des Innen- und Rechtsausschusses, der Abgeordneten Barbara Ostmeier.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Innen- und Rechtsausschuss hat seine Beratung zum Gesetzentwurf nach umfangreicher schriftlicher und mündlicher Anhörung am 20. März dieses Jahres abgeschlossen. Im Rahmen der Ausschussberatung legten sowohl die Fraktionen der SPD als auch die regierungstragenden Fraktionen Änderungsanträge vor. Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD wurde in der abschließenden Beratung gegen die Stimmen von SPD und SSW mit den Stimmen der übrigen Ausschussmitglieder abgelehnt. Der Änderungsantrag der regierungstragenden Fraktionen wurde mit den Stimmen der Abgeordneten der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Abgeordneten der Oppositionsfraktionen und des SSW angenommen.

Dementsprechend empfiehlt der Innen- und Rechtsausschuss mit den Stimmen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen von SPD, AfD und SSW dem Landtag die Annahme des Gesetzentwurfs in der vorliegenden geänderten Fassung. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Ich danke der Frau Berichterstatterin. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Barbara Ostmeier für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Nicht erst seit Vorlage dieses Gesetzentwurfs haben wir mehrfach über das Für und Wider von Abschiebehafteinrichtungen sowie den Vollzug innerhalb dieser Einrichtungen diskutiert.

60 Anzuhörenden aus den unterschiedlichsten Bereichen wurde im Innen- und Rechtsausschuss die Gelegenheit zu einer schriftlichen Stellungnahme gegeben. Ende Januar haben wir im Ausschuss eine ganztägige umfangreiche Anhörung mit über 30 Teilnehmenden durchgeführt.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste, wir als regierungstragende Fraktionen mussten uns teilweise sehr harsche Kritik anhören. Das geht nahe, und ich mache auch keinen Hehl daraus, dass es natürlich auch mich persönlich sehr betroffen macht und es eine schwierige Entscheidung und Debatte ist.

Aber es ist auch im Sinne der Anhörung, sich der Kritik zu stellen, zumindest nach meinem parlamentarischen Verständnis. Ich kann Ihnen versichern, dass sich CDU, FDP und Grüne sehr ernsthaft und intensiv mit der vorgetragenen Kritik beschäftigt haben. Lassen Sie mich kurz zwei grundsätzliche Anmerkungen machen. Die Ablehnung einer Abschiebehafteinrichtung an sich betrachte ich mit Respekt. Die Meinung kann man vertreten. Mit der Vereinbarung im Koalitionsvertrag ist die Grundsatzentscheidung für eine Abschiebehafteinrichtung in Schleswig-Holstein jedoch gefallen und steht nicht zur Diskussion. Dazu gibt es auch eine Vereinbarung mit Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern, hier eine Abschiebehafteinrichtung zu installieren.

Die Entscheidung, ob jemand in Abschiebehaft genommen werden muss, ist nicht Gegenstand dieses Gesetzentwurfs. Der vorliegende Gesetzentwurf dient dem Zweck, für die mit der Unterbringung verbundenen grundrechtsrelevanten Eingriffe die notwendigen Rechtsgrundlagen zu treffen. Der in die Beratung gegebene Gesetzentwurf regelt ausschließlich die Grundzüge der Vollzugsgestaltung, zum Beispiel die Aufnahme und Unterbringung der

(Vizepräsidentin Kirsten Eickhoff-Weber)

abzuschiebenden Personen, die Bewegungsfreiheit innerhalb der Einrichtungen und vieles mehr.

Mit der eigenen Regelung schaffen wir die Grundlage für eine klare Abgrenzung zum Strafvollzug. Wir stehen zu unserer Verantwortung und geben diese nicht in andere Bundesländer ab.

Im Ergebnis haben wir uns auf folgende bedeutsame Änderungen verständigt: Mit Blick auf das kritisierte Bargeldverbot, das der Vermeidung von Streitigkeiten innerhalb der Einrichtung dienen soll, gibt es jetzt eine Klarstellung im Gesetzestext. Die Verfügbarkeit über sogenannte Eigengeldguthaben wird nunmehr zur Klarstellung in den Gesetzestext aufgenommen. Ein grundsätzlicher Einschluss während der Nachtruhe ist nicht mehr vorgesehen. Darüber hinaus wird zukünftig sichergestellt, dass den Untergebrachten ersatzweise Handys ohne Bildund Kamerafunktion zur Verfügung gestellt werden. Entsprechend der neuerlichen Rechtsprechung dürfen unumgängliche Fixierungen nur unter Richtervorbehalt vorgenommen werden. Für den Fall, dass Untergebrachte schuldhaft gegen Pflichten oder Anordnungen verstoßen, wurde dem Gesetzentwurf ein abgestufter Katalog von Maßnahmen vorgelegt.

Was die Unterbringung von Frauen, Kindern und Minderjährigen angeht, haben wir uns in der letzten Plenartagung auf eine gemeinsame Vorgehensweise verständigt. Bis dahin werden wir selbstverständlich die bestmöglichen Rahmenbedingungen für den hoffentlich nicht eintretenden Ausnahmefall schaffen.

Zwei Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes ist eine Überprüfung der Anwendung und der Auswirkungen vorgesehen. Auch hier gibt es die Möglichkeit einer Nachsteuerung.

Meine Damen und Herren, auf die nunmehr vorliegenden Änderungen haben wir uns nach ausführlicher Auswertung der Anhörung verständigt. Ich finde, es liegt ein ausgewogenes Vollzugsgesetz zur Abstimmung vor.

(Beifall CDU und FDP)

Ich bedanke mich bei allen Beteiligten im Innenministerium und auch bei denen, die sich der Anhörung für die intensive Begleitung der Beratungen gestellt haben.

Gestatten Sie mir zum Abschluss noch eine Anmerkung. Die CDU-geführte Landesregierung steht für eine humane Flüchtlingspolitik. Herr Dr. Stegner, wir sprechen eben nicht nur über Abschiebehaft. Beispielhaft für viele Initiativen möchte ich den

dringend erforderlichen Ausbau der flächendeckenden freiwilligen Rückkehrberatung, die unter dieser Regierung auf den Weg gebracht wurde, das landeseigene humanitäre Aufnahmeprogramm für 500 besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder, die fraktionsübergreifende Verständigung auf eine Clearingstelle und den Einsatz für den „Spurwechsel“ auf Bundesebene nennen.

Ich kann nicht erkennen, dass diese Landesregierung eine menschenunwürdige Flüchtlingspolitik verfolgt. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. - Vielen Dank.