Protocol of the Session on March 6, 2019

Das klingt relativ eindeutig, aber es gibt eine breite theologische Diskussion darüber, ob Paulus das tatsächlich als Vorschrift formuliert hat oder ob er nur örtliche Bräuche referiert hat, um sich dann von ihnen abzugrenzen.

Im Koran ist das etwas eindeutiger. Wenn ich es richtig sehe, verlangt die Mehrheit der Korangelehrten das Tragen einer Burka und zumindest viele auch das Tragen des Niqab. Aber eine beträchtliche Zahl, insbesondere weiblicher Theologinnen, sieht das aus guten Gründen anders.

Wir leben aber heute nicht in Mesopotamien, nicht in den griechischen Provinzen des Römischen Reiches und auch nicht im Arabien des 7. Jahrhunderts. Deutschland ist ein säkularer Staat und eine säkulare Gesellschaft, die ihre Regeln nicht nach den tatsächlichen oder vorgestellten Vorschriften der einen oder anderen Religion aufstellt. Zu diesen Regeln gehört auch die Religionsfreiheit. Das schließt das Recht ein, sich zu einer Religion zu bekennen oder dies nicht zu tun. Es schließt nicht das Recht ein, seine Religion anderen aufzudrängen.

Wir haben vor über zehn Jahren ausgiebig über das Recht diskutiert, aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen. In klarer Unterscheidung zur Vollverschleierung dürfen Schülerinnen ein Kopftuch tragen, müssen es aber da abnehmen, wo es für den Unterricht eine Beeinträchtigung oder eine Gefährdung darstellen würde. Wenn also beispielsweise im Chemieunterricht mit brandgefährlichen Chemikalien hantiert wird, könnte ein in Brand geratenes Kopftuch eine konkrete Gefahr für die Schülerin darstellen.

In der öffentlichen Diskussion stehen sich zwei Positionen gegenüber. Gehört das Recht auf Vollverschleierung in der Öffentlichkeit zur Religionsfreiheit und muss deshalb hingenommen werden, oder ist die Vollverschleierung ein Verstoß gegen gesellschaftliche Regeln in Deutschland, und verstößt sie gegen das Prinzip, dass niemand seine religiösen Überzeugungen anderen aufdrängen darf, ganz abgesehen von den praktischen Problemen wie der Identifizierbarkeit des Menschen, der einem gegenübersteht?

(Dr. Heiner Dunckel)

Natürlich gibt es auch weitere Aspekte. Die eine oder andere muslimische Frau mag das Recht auf Tragen des Niqab oder der Burka als Ausdruck ihrer religiösen Selbstverwirklichung begreifen. Aber viele andere muslimische Frauen wollen dies gerade nicht. Für diese Frauen wird es natürlich schwieriger, dem Druck ihrer religiösen Gemeinschaften und häufig auch ihrer Familien standzuhalten, wenn die Vollverschleierung im Stadtbild immer selbstverständlicher wird.

Das Vordringen der Verschleierung in der Öffentlichkeit kann nicht mit der Hinwendung Einzelner zu mehr Spiritualität erklärt werden. Es ist aber sicherlich erklärbar mit den Veränderungen beispielsweise in der Türkei und in ähnlichen Ländern.

Ich möchte an dieser Stelle eine deutsche Islamkritikerin zu Wort kommen lassen, nämlich die aus einer albanischen muslimischen Familie aus Nordmazedonien stammende Autorin Zana Ramadani. Sie schreibt in ihrem Buch „Die verschleierte Gefahr“:

„Kopftuch und Vollverschleierung sind die Leichentücher der freien Gesellschaft.“

Sie macht geltend, dass es im Islam religiöse Kleidungsvorschriften nur für Mädchen und Frauen, nicht aber für Jungen und Männer gibt, und fügt hinzu, dass die Vollverschleierung nicht nur Mädchen und Frauen, sondern auch Jungen und Männer diskriminiert. - Vielleicht ein kurzer Hinweis: Natürlich gibt es auch bestimmte Formen der Verschleierung für Männer; das muss man tatsächlich auch noch mal sagen.

Sie sagt ferner:

„Kleider machen Leute.“

Das überrascht uns nicht.

„Mit ihrer Kleidung dokumentieren die Träger, zu welcher religiösen Gruppe sie gehören.“

(Zuruf FDP: Sie tragen eine schöne Krawat- te!)

- Nicht wahr? Die habe ich extra angelegt.

(Lars Harms [SSW]: Ist das Vorschrift bei der SPD?)

- Wir arbeiten daran. - Man dokumentiert also, zu welcher Gruppe man gehört. Das gilt nicht nur für religiöse Gruppen, und das ist insofern völlig zu akzeptieren. Aber im aktuellen Fall müssen wir uns natürlich auch bezogen auf Hochschulen fragen, welche Dresscodes gelten und welche nicht.

Eine weit weniger profilierte Islamkritikerin, die genauso der CDU angehört wie Zana Ramadani, sagte gegenüber der FAZ:

„Aus meiner Sicht hat eine vollverschleierte Frau in Deutschland kaum eine Chance, sich zu integrieren.“

Sie schränkte dies allerdings ein mit der Bemerkung, zur Religionsfreiheit gehöre auch, seinen Glauben öffentlich zu leben, und zog sich auf die Forderung zurück, „präzise Handlungsvorgaben für die Bereiche zu machen, in denen eine Vollverschleierung nicht geboten ist“. - Bei diesem CDUMitglied handelt es sich übrigens um Angela Merkel.

Das Problem ist leicht beschrieben und schwer gelöst. Die von der AfD vorgeschlagene Änderung im Hochschulgesetz würde das Problem wohl eher verschärfen, als dass es dieses beseitigt. Wir sind grundsätzlich der Ansicht, dass es Sache der Hochschule und ihrer Selbstverwaltungsorgane sein sollte, diese Fragen für ihren Zuständigkeitsbereich zu lösen - und ich glaube, die Hochschulen können das auch.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Frank Brodehl [AfD]: Nein, das können sie nicht!)

Unsere Antidiskriminierungsbeauftragte und Bürgerbeauftragte vertritt einen anderen Standpunkt. Wir nehmen natürlich immer sehr ernst, was Samiah el Samadoni sagt. Auch die CAU hat ja um juristische Rückendeckung gebeten, und dem sollten wir uns prinzipiell nicht verweigern.

Aber noch einmal: Wir sind der Meinung, das lässt sich auf der Ebene der Hochschulen, auf der Ebene der Selbstverwaltungsorgane klären und lösen. Wir sind da sehr zuversichtlich - ich habe ein Beispiel genannt -, dass jeder einzelne Dozent oder Hochschullehrer dies sicherlich auch gut kann. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Lasse Petersdotter das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Vielleicht nur ganz kurz als Reaktion auf das, was Herr Dunckel gerade gesagt hat: Es gibt

(Dr. Heiner Dunckel)

sehr wohl Kleidervorschriften auch für Männer, je nachdem, wie fromm oder gar radikal der Islam ausgelegt wird. Dies kann in Bezug auf Hosen gelten; dies kann auch in Bezug darauf gelten, dass ein Mann keine Seide oder kein Gold tragen darf, weil diese Stoffe und Materialien den Frauen vorbehalten sind.

So ganz konnte ich den Anfang und den Schluss Ihrer Rede nicht zusammendenken. Auf der einen Seite haben Sie eingangs gesagt, es dürfe keine gesetzliche Grundlage oder Regelung geben, auf der anderen Seite aber sagten Sie, dass wir den Bedürfnissen der Universität Kiel entgegenkommen und gesetzliche Grundlagen schaffen müssen. Das bekomme ich nicht übereinander.

(Zuruf SPD: Nein! Hat er so nicht gesagt!)

- Wir können das im Zweifelsfall dann im Protokoll nachlesen.

Ich möchte auch ganz gern auf das eingehen, was Herr Kollege Loose gesagt hat. Er meinte, wir führten hier Diskussionen über Einzelfälle. Die Universität blickt auf eine 350-jährige Geschichte zurück; Stand heute gibt es dort mehr als 27.000 Studierende - und eine Studentin davon ist mit Gesichtsschleier zu einem Seminar erschienen. Gleich darauf gab es eine breite öffentliche Debatte. Die Bildungsministerin hat bereits wenige Stunden später eine Gesetzesinitiative angekündigt; der Ministerpräsident hat Ähnliches gefordert und dies mit dem Argument begründet, auf das hier ebenfalls verwiesen wurde, nämlich, dies passe nicht in die hiesige Bildungsinstitution.

Ich finde die Begründung, etwas passe nicht, reichlich unkonkret; dies ist schwierig für eine solche sehr komplizierte Verbotsdiskussion. Ich wünsche mir zudem, dass solche Generaldebatten auch in anderen Einzelfällen geführt werden. Es wäre gut, wenn wir auch über solche Fälle hier nochmals diskutieren könnten. Dies ist anscheinend aber nur bestimmten Bereichen vorbehalten.

Ich möchte auch auf die Debatten und Positionen der anderen Fraktionen eingehen. Die FDP fordert ein Niqab-Verbot; dies sei ein Symbol der Unterdrückung der Frau und deswegen zu verbieten. Man wolle Grenzen setzen. Die CDU geht hierbei noch viel weiter. Sie sagt, man wolle den Gesichtsschleier pauschal überall dort verbieten, wo man es kann. Das finde ich eine reichlich weitgehende Forderung. Es ist eine politische Maximalforderung, zu sagen: „Wir möchten eine potenzielle Grundrechtseinschränkung überall dort durchführen, wo diese durchführbar ist.“ Das muss uns auch immer wieder

daran erinnern, dass die Grundrechte immer noch Abwehrrechte gegen den Staat sind.

Die SPD wiederum stellt für sich erst einmal fest: Kopftuch ja, Niqab nein. Mir ist in dieser Debatte wirklich wichtig, immer wieder zu betonen, dass wir nicht über das Kopftuch sprechen, und ich würde mich auch freuen, wenn wir diese Debatten nicht sofort miteinander - zumindest deutet sich dies für mich an - vermengen würden.

Darüber hinaus sagt der Kollege Habersaat: Religionsfreiheit findet dort ihre Grenzen, wo offene Kommunikation beeinträchtigt wird. - Das wundert mich schon sehr; eine bloße Beeinträchtigung sollte doch bitte sehr nicht als ausreichend erachtet werden, um Religionsfreiheit potenziell einschränken zu wollen. So weit geht nicht einmal das bayerische Gesetz, das hier schon ein paarmal zitiert wurde.

Zur Erinnerung: Der einzige Grund für das Verbot an der CAU ist das Argument der Gestik und Mimik - oder etwa nicht?

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Nein!)

- Genau, für die AfD ist dies nämlich nicht der einzige Grund. Dieser Debatte müssen wir uns stellen und müssen uns immer wieder überlegen: Woher kommt die Diskussion, und wohin wird diese am Ende des Tages führen?

Wenn wir diese Diskussion im Universitätskontext betrachten, dürfen wir nicht vergessen, dass wir an den Universitäten so gut wie keine mündlichen Noten haben. Wir haben Vorlesungen mit über 300 Studierenden, wo niemand wirklich weiß, wer im Saal sitzt, und wo unklar ist, welche Gestik und Mimik man ab der dritten oder vierten Reihe noch wahrnehmen kann. - Ich bin für die Darstellung aus der Praxis von Herrn Kollegen Dunckel sehr dankbar.

Wir haben Studierende mit einer Gesichtslähmung, wir haben Lehrende mit Sehbeeinträchtigungen Menschen, die wunderbar lernen und lehren können, ohne dass Gestik und Mimik eine wirkliche Relevanz für den Alltag hätten. Wir haben internationale Studierende - wir dürfen nicht vergessen, dass Gestik und Mimik Kulturpraktiken sind, die sehr viel stärker regional ausgeprägt sind -, die trotzdem problemlos am Lehrbetrieb der Universitäten teilnehmen, die ja stark internationalisiert sind.

Also, welche Relevanz hat das Stirnrunzeln in der sechsten Reihe? - Ich glaube, es hat keine Relevanz. Wie sollen Dozierende Gestik und Mimik lesen? Wer kann das? Gibt es dafür standardisierte Verfahren? Gibt es dafür so etwas wie ein Handbuch, auch

(Lasse Petersdotter)

mit dem Ziel eines fairen Umgangs? Ich kenne all das nicht - und das macht es spätestens dann auch problematisch.

Noch einmal zur Erinnerung: Das ist die einzige Begründung für das Verbot. Wir reden eigentlich über nichts anderes. Man muss dazu auch sagen, wie die Situation tatsächlich war: Eine Studierende kam in dieses Seminar und wurde ausgeschlossen ohne jegliche Grundlage. Anschließend wurde eine Richtlinie geschaffen - ohne jegliche gesetzliche Grundlage. Und jetzt wird die gesetzliche Grundlage gefordert. Ich finde, bei solchen Maßnahmen sollte der Weg umgekehrt verlaufen. Es bedarf einer gesetzlichen Grundlage - soweit dies überhaupt mehrheitsfähig ist -, dann müsste eine Richtlinie entwickelt werden, die den Umgang regelt, und danach müssen tatsächliche Ausführungen erfolgen und nicht umgekehrt.

Hier müsste theoretisch die Diskussion enden. Denn das ist der Kern der Debatte. Aber wir haben alle mitbekommen, dass diese Diskussion sehr viel weiter geht und dass sie auf eine Frage abzielt, die lautet: Gibt es ein Recht auf uneingeschränkte Kommunikation? - Nein. Gibt es eigentlich ein Recht auf Schutz vor Unbehagen? - Auch das gibt es nicht. Aber trotzdem wird diese Debatte weitergeführt.

Dabei ist es mir und meiner Fraktion besonders wichtig, dass unsere Kritik an der Entscheidung der CAU nicht eine Verteidigung der Vollverschleierung oder des Tragens eines Niqab ist. Der Niqab kann ein Ausdruck patriarchaler Machtansprüche sein. Der Niqab dient dazu, Frauen unsichtbar zu machen - zielt also auf genau das Gegenteil dessen, was wir in feministischen Kämpfen doch anstreben. Und das ist ein Problem.