Protocol of the Session on February 15, 2019

Für die Abgeordneten des SSW hat das Wort der Abgeordnete Flemming Meyer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auszubildende sind ausdrücklich vom Mindestlohngesetz ausgenommen. In § 22 Absatz 3 des Gesetzes heißt es:

„Von diesem Gesetz nicht geregelt wird die Vergütung von zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten...“

Die Auszubildenden würden schließlich nicht arbeiten, sondern lernen. Aber es muss eine Untergrenze für jeden Jugendlichen geben, der in der beruflichen Ausbildung steht. Leider bekommen aber Auszubildende, die in der Berufsschule eine Ausbildung machen, kein Geld. Das ist ganz einfach falsch. Hier ist das Land gefragt, diesen Jugendlichen zu signalisieren, dass es ihre Anstrengungen würdigt.

(Beifall SSW und SPD)

Alle anderen Auszubildenden haben Anspruch auf 80 % der tarifvertraglich vereinbarten Vergütung. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Betrieb den Tarif nun tatsächlich anerkennt oder nicht. Das sage ich ausdrücklich in Richtung derjenigen, die meinen, dass sich Mindestvergütungen und Tarifautonomie nicht vertrügen. Sogar der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßt eine gesetzliche Regelung, weil nur so Arbeitgebern beizukommen ist, die nicht mit Gewerkschaften verhandeln wollen.

Für öffentlich geförderte Ausbildungen wurde erst 2015 eine Untergrenze gerichtlich festgelegt. Damals klagte eine Verkäuferin erfolgreich dafür, dass auch für einen öffentlich geförderten Ausbildungsplatz eine Untergrenze gilt. In Ostthüringen hatte sich eine junge Frau über ein Bund-Länder-Programm zur Verkäuferin ausbilden lassen, wofür sie

monatlich 210 € im ersten und 217 € im zweiten Lehrjahr bekam. Das ist ein sehr geringes Taschengeld. Sie konnte aber eine Nachzahlung erstreiten, angelehnt an den BAföG-Satz. Die neue Untergrenze liegt damit bei zwei Drittel vom elternabhängigen BAföG; das waren im Jahre 2015 310 €. Auch davon kann keine Auszubildende selbstständig leben, eine Wohnung mieten oder gar Fahrtkosten stemmen.

Die Untergrenze war aber vor vier Jahren ein Riesenschritt gegen die Diskriminierung öffentlich geförderter Ausbildung. Viele Jugendliche, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz ergattern konnten, fühlten sich durch die geringe Höhe ihrer Vergütung doppelt bestraft. Dem haben die Arbeitsrichter in Erfurt einen Riegel vorgeschoben.

Nun hat der Facharbeitermangel neue Bewegung in die Debatte gebracht. Viele Betriebe können nämlich ihre Ausbildungsplätze nicht mehr besetzen. Das hat zu einem generellen Umdenken geführt. Die Bundesbildungsministerin will darum nun eine Untergrenze gesetzlich festlegen, und zwar laut Zeitungsberichten wohl in der Höhe von 504 € für das erste Ausbildungsjahr. Vor allem die Auszubildenden mit unteren Vergütungen würden von der Regelung profitieren, wie angehende Friseurinnen. Aktuell liegt deren Vergütung laut DGB-Ausbildungsreport bei durchschnittlich 406 €. Diese niedrige Vergütung im Friseurhandwerk sei nach Aussage des Deutschen Gewerkschaftsbunds einer der Hauptgründe, dass bei den Friseurinnen und Friseuren die Abbrecherquote bei rund 50 % liegt. Von den 10.000 angehenden Friseurinnen brechen jedes Jahr bundesweit 5.000 ihre Ausbildung ab.

Hier ist der Bedarf nach einer Untergrenze offensichtlich besonders hoch. Die Bereitschaft der Betriebe, diese zu zahlen, ist aber wohl eher sehr niedrig. Schon heute unterbieten einzelne Salons den Mindestlohn; Kontrollen haben sie aber kaum zu fürchten. Auch hier muss sich übrigens dringend etwas ändern. Der DGB fordert eine Untergrenze von 635 € und bezieht sich damit auf den Koalitionsvertrag, in dem CDU und SPD eine Neuregelung vereinbart hatten.

Nun legt die SPD-Fraktion Schleswig-Holstein einen Vorschlag auf den Tisch. In dem Antrag wird aber keine konkrete Untergrenze in Euro und Cent benannt, sondern ein Index über alle Vergütungen aller Branchen hinweg gefordert. Das setzt in der Tat komplizierte Rechnungen voraus. Es gibt schließlich sehr große Unterschiede bei den Vergütungen. Ein angehender Gerüstbauer erhält eine weit höhere Vergütung als eine Friseurin. Eine

(Volker Schnurrbusch)

branchenübergreifende Regelung nach dem Index würde aber einen enormen Sprung bei vielen Vergütungen bedeuten; denn laut DGB-Ausbildungsreport lag 2018 die durchschnittliche Vergütung bei 876 €; 80 % davon entsprechen dann 702 €.

Auch wenn ich es persönlich begrüßen würde, wenn es eine so hohe Vergütung geben würde, weiß ich nicht recht, ob das letztlich eine realistische Forderung für eine gesetzliche Untergrenze ist. Wünschen würde ich mir dies, na klar. Aber ich schlage vor, diesen Punkt besser noch einmal im Ausschuss zu behandeln. Ansonsten kann ich dem Antrag klar zustimmen; denn er ist ein Schritt in die richtige Richtung.

(Beifall SSW, SPD und Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Bevor wir fortfahren, begrüßen Sie bitte mit mir auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags unseren ehemaligen Kollegen Peter Eichstädt und unsere Bürgerbeauftragte Samiah El Samadoni.

(Beifall)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Oppositionsführer, Dr. Ralf Stegner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ganz ehrlich sagen: Als ich die Reden der Kollegen von CDU und FDP gehört habe, zog mir das wirklich die Schuhe aus.

(Zurufe CDU und FDP)

Hier über freie Marktwirtschaft, über Mitbestimmung und Tarifautonomie in einer Art und Weise zu reden, dass man meint, man sei im 19. Jahrhundert, ist wirklich ein Hammer. Und diese Beiträge kommen ausgerechnet von denen, die alles wegstimmen, was mit Mitbestimmung zu tun hat, die gegen die Mindestlöhne gekämpft haben, die gesagt haben, das koste Hunderttausende von Jobs. Was ist eingetreten? Hunderttausende Jobs sind hinzugekommen, und zwar sozialversicherungspflichtige Jobs, weil es nämlich gut für die Leute ist und weil das auch gegen den Dumping-Wettbewerb gerichtet ist.

(Beifall SPD, SSW und Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Von Fakten haben Sie keine Ahnung. Hier war vom Bäckereihandwerk die Rede. Soll ich Ihnen einmal

sagen, wie das mit den Verträgen aussieht? Gerade ist ja ein Tarifvertrag ausgehandelt worden. 565 € waren es im ersten Lehrjahr, 670 € im zweiten Lehrjahr, und seit September 2019 sind es 615 € im ersten Lehrjahr und 700 € im zweiten Lehrjahr. Das heißt, das ist überhaupt gar kein Schock, sondern das ist der Markt; wir haben Fachkräftemangel. Wir finden, gute Arbeit ist erforderlich. Damit wollen wir auch bei den Jugendlichen beginnen, die in der Ausbildung stehen. Das ist etwas anderes, als wenn man noch Schüler ist.

Diese Haltung, Lehrjahre seien keine Herrenjahre mein Gott, das ist wirklich noch 50er-Jahre und nicht Standpunkt 2019.

(Beifall SPD und SSW)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kay Richert?

Ich habe zwar nicht die Hoffnung, dass er dabei viel lernt. Aber bitte schön.

Ich habe die Hoffnung, dass ich etwas lerne, Herr Kollege.

Einmal abgesehen von unseren ideologischen Unterschieden interessiert mich Ihre Antwort auf eine Frage, die sich ganz konkret auf den Inhalt Ihrer Ausführungen bezieht. Sie fordern ja 635 € Mindestvergütung und sagen dazu, man müsse von seiner Mindestvergütung leben können. Können Sie mir sagen, wie man von 635 € im Monat leben kann?

- Erstens reden wir nicht von 635 €, sondern von 660 €. Zweitens habe ich gesagt, das ist unser Anspruch an gute Arbeit. Und das beginnt damit, dass man Auszubildende nicht behandelt, als bekämen sie Schüler-BAföG. Das passt nämlich nicht in unserem Lande. - Das ist meine Antwort darauf.

(Beifall SPD und Rasmus Andresen [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Kay Richert?

Bitte schön.

Können Sie mir denn sagen, wie man, wenn man für seine gute Ar

(Flemming Meyer)

beit 660 € im Monat bekommt, davon leben soll?

- Ich habe Ihnen gerade zu erklären versucht - -

(Zurufe FDP)

Wissen Sie, wenn ich Sie so höre, dann - das muss ich ehrlich sagen - fällt mir immer Abraham Lincoln ein, der gesagt hat: Man kann schweigen und als Narr erscheinen, und man kann sprechen und jeden Zweifel beseitigen. - Das ist es, was mir dazu einfällt, wenn man Sie hier reden hört. Das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Das ist wirklich komplett daneben.

Sie müssen mit guter Arbeit irgendwo anfangen. Aber Sie bekämpfen doch alles, was in diese Richtung geht. Das ist doch Fakt dessen, worüber wir hier miteinander sprechen.

Die Tarifautonomie soll einsetzen, und die wollen wir überall haben. Aber wir haben sie natürlich noch nicht in Teilbereichen, in denen die Organisation nicht besonders stark ist. Wir haben das zum Teil in Ausbildungsberufen. Die Folgen haben wir gestern diskutiert, als wir über die Rente gesprochen haben. Wir haben gehört, was herauskommt, wenn man zum Beispiel im Friseurberuf tätig ist. Das beginnt schon in der Ausbildung. Ich kann nur sagen: Bei Ihnen ist Hopfen und Malz verloren, was das Thema angeht. Die Jugendlichen sind bei Ihnen jedenfalls nicht gut aufgehoben.

(Anhaltende Unruhe)

Lassen Sie mich ein Zweites sagen. Der Kollege Andresen hat hier das Prinzip Hoffnung ausgedrückt - ich bin ja auch ein hoffnungsfroher Mensch - und hat gesagt, vielleicht kämen Sie in der Koalition ja noch zusammen. Ich weiß, dass Sie hier oft über Ihre Meinungsunterschiede reden. Aber, Herr Kollege Andresen, ich konnte fast jedem Satz Ihrer Rede zustimmen. Das, was Ihre Kollegen von CDU und FDP da erzählt haben, war nicht nur ein bisschen anders, sondern es war das glatte Gegenteil dessen, was Sie hier vorgetragen haben - das glatte Gegenteil! - Sie haben mit guter Arbeit nichts am Hut. Tarifautonomie ist bei Ihnen nur ein Lippenbekenntnis. Immer dann, wenn Ihnen nicht gefällt, was der Staat regeln muss, dann kommen Sie so daher. Ich kann nur sagen: Wer von Fachkräftemangel redet, muss dafür sorgen, dass wir möglichst gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen haben.

Im Übrigen haben wir teilweise ja sogar eine richtige Marktwirtschaft im Land. Reden Sie beispielsweise mal mit Gastronomen auf Sylt, und hören Sie, was diese ihren Auszubildenden zahlen müs

sen, damit sie kommen und damit die Gastronomen angesichts des Fachkräftemangels überhaupt Auszubildende finden.

(Kay Richert [FDP]: Das ist richtig! Keine Frage!)

Das haben wir in Teilbereichen ja auch; damit wird ja auch ordentlich Geld verdient.

Ich kann nur sagen: Wenn wir den jungen Leuten zu Beginn ihrer Ausbildung schon signalisieren: „Hier beginnst du mit 15 oder 16 Jahren dein Arbeitsleben; am Ende der Ausbildung, die schon zu gering vergütet wurde, wirst du einen Beruf ausüben, der eine zu geringe Vergütung erfährt, und du wirst von deiner Arbeit nicht leben können, ebenso, wie du eine Rente haben wirst, von der du nicht leben kannst“, und dann kommen Sie und sagen: „Ja, aber wir haben ja Hilfen, soziale Sicherungsvorrichtungen und so etwas!“, das ist keine Wertschätzung.

Ich finde, gute Arbeit beginnt in der Ausbildung. Wir wollen eine Mindestausbildungsvergütung. Das ist notwendig, das ist richtig. Es findet eine Mehrheit in der Bevölkerung. Reden Sie mal mit den jungen Leuten, dann werden Sie feststellen, dass Sie keine Zustimmung für das finden, was Sie hier vortragen. Die Mindestausbildungsvergütung ist gut und gerecht, und sie wird kommen, egal, was Sie hier vortragen.