- Frau Rathje-Hoffmann, Sie wissen, dass Cannabis zurzeit illegal ist. Hat diese Illegalität, die wir jetzt seit über 50 Jahren haben, irgendetwas an den Zuständen, die Sie gerade richtig beschreiben, geändert? Ich habe gerade eben konstatiert, dass ich der Letzte bin, der ernsthaft behauptet, dass es keine schädlichen Wirkungen bei der Verstärkung von Prädispositionen bei psychiatrischen Erkrankungen
gibt. Das ist übrigens unbestritten. Es gibt Risikogruppen, die auf gar keinen Fall Cannabis konsumieren sollten, zum Beispiel, wenn man Schizophrenie in der Familie hat. Das ist überhaupt gar keine Frage. Aber auch darüber wird Sie Ihr Dealer nicht aufklären, schlicht und ergreifend.
Ihre Logik würde ich glauben, wenn Sie ein konsequentes Alkoholverbot fordern würden. Wissen Sie, wie viele Menschen wegen der Spätfolgen von Alkoholkonsum in Krankenhäuern liegen? Wissen Sie, dass sieben von acht Lungenkrebsfällen auf Tabakkonsum zurückzuführen sind? Wann kommt die Strafvorschrift zum Thema Tabakkonsum, frage ich mich an der Stelle. Ich habe meinen Redebeitrag damit gestartet, die Schädlichkeit nicht zu bestreiten. Ich sage nur: Das Strafrecht ist das falsche Instrument, um das in den Griff zu bekommen. Darum geht es im Endeffekt.
Herr Kollege Koch, zu Ihrem Zwischenruf: Bei der Entkriminalisierung des Konsums geht es nicht darum, etwas total freizugeben und wie Smarties in der Welt zu verteilen. Darum geht es übrigens auch in Ihrem Koalitionsvertrag nicht.
Vielen Dank, Herr Kollege Dolgner. - Ich kann Ihrer Argumentation total folgen und teile die auch. Wie kommen Sie dann aber als SPD zu der Konsequenz, dass Sie sich für eine Entkriminalisierung und nicht für eine Legalisierung in SchleswigHolstein einsetzen?
- Das kann ich Ihnen sagen. Wir setzen uns in einem ersten Schritt für eine Entkriminalisierung ein wegen der ganzen Argumentation, die ich gerade gebracht habe, die ich jetzt im Plenum - ein Großteil hat hoffentlich ein gutes Gedächtnis - nicht noch einmal wiederholen werde.
Zum Thema Inverkehrbringen, Handel, Legalisierung: Diazepine stehen zum Beispiel auch nicht im Betäubungsmittelgesetz. Es geht erst einmal um das Thema Verkehrsfähigkeit und wie man Verkehrsfähigkeit regelt. Für mich zählen tatsächlich die Argumente zum Thema Jugendschutz und zu unterschiedlichen Wirkungen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Und ja, ich habe ja auch gerade auf Frau Rathje Hoffmann geantwortet: Mir ist das schon bewusst, dass Cannabiskonsum bei gewissen Prädispositionen Krankheitsbildung begünstigen kann. Deshalb - das muss ich ganz ehrlich sagen gehöre ich auch nicht zu der kompletten „Legalizeit“-Fraktion, die mehr oder weniger sagt: „Gebt das Dope möglichst überall frei“, sondern ich finde den Weg eigentlich sehr vernünftig, erst einmal eine Entkriminalisierung vorzunehmen, denn über die Entkriminalisierung können Sie als Wissenschaftler überhaupt erst die vernünftigen Feldversuche durchführen und sich tatsächlich über die restlichen Fragen unterhalten. Ein großes, auch wissenschaftliches Problem ist ja, dass wir - außer den schwedischen Studien - wenige lange Zeitreihen haben, um diese wichtigen Fragen zu klären und dann nach der Klärung der Frage zu überlegen, ob es überhaupt verkehrsfähig ist, in welcher Art und Form sinnvollerweise abgegeben wird. Man muss ja die schlechten Wirkungen des freien Handels von Alkohol nicht dadurch noch verstärken, dass man eine zwar weniger gefährliche Droge, aber eine, die die Gesundheit auch nicht immer fördert, freigibt - außer in gewissen Bereichen, bevor Sie jetzt mit dem Thema kommen, dass es durchaus bei gewissen Krankheitsbildern auch eine hilfreiche Wirkung haben kann.
Vielen Dank. Sehr geehrter Kollege Dolgner, ich habe eine Nachfolgefrage zu Herrn Petersdotters Frage. Wenn Sie sagen, Sie möchten erst einmal entkriminalisieren, bevor Sie legalisieren, auch gerade im Wege Ihrer Argumentationskette: Sehen Sie nicht selbst die Schwäche oder die Befürchtung, dass eine Entkriminalisierung ohne eine legale Distribution dazu führt, dass es gerade Minderjährigen noch
leichter als jetzt schon zugänglich wird und wir dann eine Verstärkung haben? Bedarf ein Modellprojekt oder eine Freigabe nicht auch zwingend der Kontrolle des Staates, damit man weiß, was man - in Anführungszeichen zu sich nimmt und dass auch alle wissen: unter 18 - absolutes No-Go! Das würde ich gern von Ihnen kurz hören.
- Ich dachte, dass hätte ich dem Kollegen Lasse Petersdotter gerade gesagt. Der Begriff Legalisierung ist ein sehr weiter Begriff.
Deshalb habe ich gesagt: Es geht erst einmal um das Thema grundsätzliche Verkehrsfähigkeit. Dann muss man sich über die Bedingungen der Abgabe unterhalten. Nichts anderes habe ich gesagt. Dazu gehört natürlich auch der Jugendschutz. Es gibt auch im Legalisierungsbereich die ganzen verschiedenen Positionen. Die kann ich Ihnen jetzt nicht im Rahmen der Antwort auf eine Zwischenfrage während eines Dreiminutenbeitrags beibringen. Aber lesen Sie noch einmal nach, was ich Herrn Petersdotter geantwortet habe: Die notwendigen Schritte, um überhaupt etwas machen zu können, sind eine Entkriminalisierung und eine bundesrechtliche Änderung, damit die Modellversuche tatsächlich vernünftig stattfinden können.
Selbst wenn ich etwas persönlich nicht glaube oder sage, der Effekt ist nicht so groß, wie ein anderer ihn einschätzt, besteht die Pflicht zur Sorgfältigkeit. In diesem Fall brauche ich keine Evaluation, durch die ich irgendwelche Zahlen abfrage. Zur Sorgfältigkeit gehört, dass ich mir anschaue, was in anderen Ländern schon passiert. In Kalifornien gilt das erst seit zwei Jahren, da haben wir noch nicht so viele Studienergebnisse. Da müssen wir Dinge - am besten deutschlandweit - selbst nachholen, damit wir genau die wichtigen Fragen zum Beispiel zum Thema Jugendschutz stellen können: Bis wann haben wir Entwicklungsverzögerungsfragen? Was ist mit psychiatrischen Erkrankungen?
Die Betten sind ja tatsächlich nicht aus Daffke eingerichtet worden. Genau deshalb sage ich, dass es vernünftig ist, an der Stelle schrittweise vorzugehen. Aber der erste Schritt ist doch wohl die Entkriminalisierung, oder sehen wir das unterschiedlich? Ich glaube, dass wir beide viel weniger Unterschiede haben als Sie mit Herrn Koch. Vielleicht diskutieren Sie das da weiter.
Das Wort für die Landesregierung hat der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich stelle erstens fest, dass diese Koalition sich dazu verpflichtet hat, in der Drogenpolitik einen ganzheitlichen Ansatz zu wählen. Wir - und zwar alle drei Partner - haben im Koalitionsvertrag miteinander vereinbart, dass wir eine kohärente Drogen- und Suchtpolitik weiterentwickeln werden, die auf Prävention, Beratung, Therapie und Entkriminalisierung statt auf Repression setzt. Ich habe bisher noch niemanden vernommen, der sich von diesem Grundsatz der Drogenpolitik in Schleswig-Holstein verabschieden will.
Zweitens stelle ich für das Sozialministerium sehr deutlich fest, dass ein ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbarter Prüfauftrag nicht dadurch beendet wird, dass eine Bundesratsinitiative durch ein anderes Land gestellt wird - die übrigens die Zustimmung von Schleswig-Holstein fand. Nur weil diese Initiative keine Mehrheit fand, ist ein Prüfauftrag für uns jedenfalls nicht abgearbeitet und beendet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mir fiele jetzt vieles zu anderen Ländern ein; Reisen bildet ja. Möglicherweise wäre es spannend, wenn beispielsweise der Sozial- und Gesundheitsausschuss einmal nach Portugal führe.
Das zu empfehlen, will ich mir an dieser Stelle gar nicht anmaßen, ich käme aber gern mit, wenn Sie mich einlüden.
Ich möchte an dieser Stelle, weil ich das in der Tat für den Kern der Debatte halte, etwas zur Exegese des Bundesbetäubungsmittelgesetzes sagen. Das Problem ist, lieber Flemming Meyer, lieber Lars Harms: So einfach, wie Sie es geschildert haben, ist es nicht. Eine Erlaubnis nach § 3 Absatz 2 des Bundesbetäubungsmittelgesetzes - darauf zielt Ihr Antrag im Kern ab, und darauf berufen Sie sich - kann nur „zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken“ erteilt werden. Ob die Abgabe im Rahmen eines Modellprojekts einem wissenschaftlichen oder anderen im öffentli
Jetzt kommt es: Sie können § 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes nicht aus dem Kontext reißen, sondern müssen ihn zusammen mit § 5 Absatz 1 Nummer 6 sehen. Danach ist die Erlaubnis immer zu versagen, wenn
„die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck dieses Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen, vereinbar ist“.
Auch bei wissenschaftlicher Ausrichtung von Anträgen zu Modellprojekten zur kontrollierten Abgabe von Cannabis als Genussmittel handelt es sich nach Auffassung der Bundesregierung - jeder weiß, wer die Bundesregierung stellt - um interventionelle Studien mit Betäubungsmitteln, die außerhalb klinischer Prüfungen nach § 4 Absatz 23 des Arzneimittelgesetzes mit dem Schutzzweck des Betäubungsmittelgesetzes grundsätzlich nicht vereinbar sind.
Genau hier, meine sehr geehrten Damen und Herren, drehen wir uns permanent im Kreis. Deswegen wäre eine Änderung des Bundesbetäubungsmittelgesetzes die willkommenste und beste Version, um endlich einen - aus meiner Sicht notwendigen - Modellversuch durchführen zu können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, etwas zur Historie - denn die Versuche, nach § 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes Modellprojekte auf den Weg zu bringen, gab es -: Der Stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg und die Stadt Münster haben jeweils einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur Durchführung eines Modellprojekts zur kontrollierten Abgabe von Cannabis als Genussmittel beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eingereicht. Beide Anträge wurden bestandskräftig abgelehnt.
Darüber hinaus hat die Forschungsinitiative Cannabiskonsum GmbH aus Berlin eine Erlaubnis zur Durchführung einer wissenschaftlichen Studie zu Cannabisfolgen bei psychisch gesunden erwachsenen Konsumenten beantragt, die im weitesten Sinne als Modellprojekt bezeichnet wird. Auch dieser Antrag wurde negativ beschieden. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Die Forschungsinitiative Cannabiskonsum hat gegen den Widerspruchsbescheid Klage erhoben. Das Klageverfahren ist derzeit beim Verwaltungsgericht Köln anhängig.
Meine Damen und Herren, es gab verschiedene politische Lösungswege und Anläufe, auf die ich noch zu sprechen kommen will, um das Bundesbetäubungsmittelgesetz tatsächlich zu ändern. Es gab den Entschließungsantrag im Bundesrat, der - gegen die Stimmen von Schleswig-Holstein - 2017 keine Mehrheit fand. Schleswig-Holstein hat dieser Länderöffnungsklausel damals zugestimmt. Es gab aber auch Bundestagsinitiativen, zum Beispiel der FDPBundestagsfraktion vom 24. Januar 2018 - Cannabis-Modellprojekte ermöglichen - und der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 20. Februar 2018 - Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes.
Die zentrale Frage, die wir weiter geprüft haben: Ist eine faktische Umsetzung ohne Änderung des BtMG trotzdem möglich? - Nach § 1 des Betäubungsmittelgesetzes, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, könnte die Bundesregierung - jeder weiß, wer sie stellt - den Wirkstoff Cannabis aus Anlage I per Rechtsverordnung herausnehmen.