Protocol of the Session on February 14, 2019

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat der Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte mithilfe der Kollegin Bohn glücklicherweise länger Zeit, zu zählen; ich bin fast bis tausend gekommen und habe mich jetzt etwas beruhigt. Trotzdem: Lieber Kollege Nobis, eines muss Ihnen klar sein: Sie ärgern sich vielleicht darüber, als rechtsextrem bezeichnet zu werden. Sie haben aber gerade eben wieder das beste Beispiel dafür gebracht, warum Sie so bezeichnet werden.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wenn man schlechtgestellte Gruppen gegeneinander ausspielt, ist das extrem. Verbindet man das dann auch noch mit einer Prise Ausländerhass, ist das rechtsextrem.

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

- Wenn Sie das nicht mehr sein wollen, dann hören Sie auf, so einen Unsinn zu erzählen.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Meine Damen und Herren, ich habe mich nicht nur wegen Herrn Nobis noch einmal gemeldet, sondern aufgrund der gesamten Debatte, weil wir als SSW der Kollege Meyer ist darauf eingegangen - sicherlich einen anderen Blickwinkel haben.

Ein Punkt ist wichtig: Die Anträge, die heute gestellt worden sind, sowohl von der SPD als auch von der Koalition, führen im bestehenden System dazu, dass es Verbesserungen gibt. Dagegen kann keiner etwas haben. Da finde ich es merkwürdig, Änderungsanträge zu stellen, wie es zum Beispiel die AfD getan hat. Ich glaube schon, dass beide Anträge jeweils einer bestimmten Klientel im Rentensystem weiterhelfen.

Ich möchte aber sagen, worin wir uns in der Diskussion bisher möglicherweise von anderen unterscheiden - wahrscheinlich liegen wir da den Grünen am nächsten -: Wir sind der Auffassung, dass es nicht ausschließlich davon abhängig sein darf, was für eine Arbeitsbiografie die Leute gehabt haben, was man landläufig als Lebensleistung bezeichnet. Für uns ist ganz klar: In der Rente müssen Menschen grundsätzlich gut abgesichert sein, sodass sie nicht mehr zum Sozialamt laufen müssen. Das muss zu einem wirklich großen Teil von der Biografie abgekoppelt sein.

Das ist im Prinzip das, was in Dänemark läuft. Wenn man dort 15 Jahre im System gesteckt hat auf welche Art und Weise auch immer -, hat man den Anspruch auf eine Volkspension. Egal ob Männlein oder Weiblein, ob man verheiratet ist oder nicht - man kriegt die Kohle. Ich glaube, das ist richtig. Es ist vielleicht ein anderes Menschenbild - um es einmal so zu sagen -, aber ich werbe dafür, auch diesen Gedanken mit in die Rentendiskussion zu nehmen. Wir haben hier eine größere Verantwortung, als nur über Arbeitsbiografien zu diskutieren, nämlich eine grundsätzliche Absicherung für alle Menschen sicherzustellen.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kalinka?

Natürlich, klar, gern.

Herr Kollege, würdest du mir jedenfalls darin zustimmen, dass dein Modell nicht das ist, das unsere bisherige Rentensystematik zur Basis hat?

(Dr. Marret Bohn)

- Na, selbstverständlich. Deswegen sage ich das noch einmal ganz deutlich und habe versucht, klarzumachen, dass wir eine andere Sicht der Dinge haben. Natürlich ist das die dänische Sicht der Dinge. Alle zahlen in ein System ein. Es wird, verpflichtend für alle Bürgerinnen und Bürger, eine Grundlage dafür geschaffen, dass auch der sozial Schwache, der vielleicht nicht so ein tolles Leben hatte, in der Rente gut abgesichert ist. Selbstverständlich kann man privat oder betrieblich etwas draufsatteln. Das ist in Dänemark auch so; das ist überhaupt keine Frage. Für uns stellt sich aber immer die Frage des Menschenbildes. Ich möchte gern davon wegkommen, dass man sagt: Rentner werden nur danach bewertet, was sie im Leben arbeitsmäßig geleistet haben.

Menschen müssen, egal was sie getan haben, in der Rente vernünftig abgesichert sein und dürfen nicht mehr gezwungen sein, zum Sozialamt zu laufen. Sie müssen sogar so gestellt sein, dass sie in den letzten 20 Jahren noch ein richtig gutes Leben haben. Das ist Aufgabe der Politik. Diese Sichtweise wollte ich auf jeden Fall noch einmal darstellen. Vielen Dank.

Gestatten Sie eine weitere Bemerkung des Abgeordneten Kalinka?

Ja, natürlich. Entschuldigung, aber das war so ein schöner Abschluss.

Dann sind wir uns doch einig, dass dieses Modell einen Systemwechsel in der Rentenversicherung bedeuten würde?

- Selbstverständlich. Das wäre ein Systemwechsel hin zu einer Bürgerversicherung, die es ermöglicht, sich privat zusätzlich abzusichern. Ich glaube, diese Lösung wäre gerecht. Sie könnte Menschen, die in Rente sind, richtig gut helfen.

(Beifall SSW und Eka von Kalben [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung der Frau Abgeordneten Dr. Bohn?

Vielen Dank, lieber Kollege Harms.

Teilen Sie meine Einschätzung, dass es insbesondere im Bereich Nordfriesland sinnvoll wäre, einmal zu gucken, was aus den Frauen wird, die mit ihren Familien nach Amerika ausgewandert sind und deren Kinder dort geboren sind? Ist es, dass sie für die Rente überhaupt nicht anerkannt werden, nicht eine riesige Ungerechtigkeit im Vergleich zu denjenigen Frauen, die hier bleiben konnten?

- Das ist ein klassisches Beispiel, an dem man sehen kann, dass die Sichtweise, die wir vertreten, durchaus helfen kann, in solchen speziellen Fällen eine ganz klare Regelungen zu schaffen, durch die man eine Absicherung hat, sodass auch die Menschen, die hierhin zurückwandern, abgesichert sind.

Eine solche Rente muss auch für Menschen möglich sein, die zu uns gekommen sind. Die kommen nicht alle schon mit 15, 16 oder 17 Jahren, sondern vielleicht erst mit 35 Jahren hierher. Ich will nicht, dass die Leute mit 65 Jahren immer noch am Hungertuch nagen, sondern möchte auch diesen Menschen eine gute Rente ermöglichen - deswegen die Sicht der Dinge des SSW. - Vielen Dank.

(Beifall SSW)

Für die Landesregierung hat das Wort der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich fand, das war in weiten Teilen eine ausgesprochen gute Diskussion. Ich fand die Diskussion deswegen gut, weil es den Kern von Demokratie ausmacht, dass es Demokraten im Parlament gibt - in überwiegender Anzahl -, die ein Ziel eint, bei komplett unterschiedlichen Wegen dorthin. Demokratische Parteien müssen mit ihren politischen Angeboten voneinander unterscheidbar sein. Das Ziel, dass sich die Lebensleistung von hart arbeitenden Frauen und Männern in den Alterseinkünften widerspiegeln muss, eint Demokratinnen und Demokraten. Das ist die zentrale Botschaft, die von dieser Debatte ausgehen muss.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich will Ihnen sagen, warum. Wir reden hier über nicht mehr und nicht weniger als über die Fundamente unseres Sozialstaats, wir reden darüber, dass unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung

(Lars Harms)

weiter Akzeptanz findet. Aus diesem Grund sind bestimmte Bemerkungen - dazu ist aber alles Notwendige von den Damen und Herren Abgeordneten gesagt worden -, die darauf abzielen, gesellschaftlich schwache Gruppen gegeneinander auszuspielen, vollkommen fehl am Platz. Wir müssen uns vielmehr gemeinsam Gedanken machen.

Es geht um eine Entwicklung, über die Politik schon seit Mitte der 70er-Jahre Bescheid weiß. Damals gab es eine Enquetekommission des Deutschen Bundestags zum demografischen Wandel unserer Gesellschaft. Das Problem ist nicht wahnsinnig neu. Bedauerlicherweise reagiert Politik meistens erst dann, wenn man schon fast am Abgrund steht; aber es ist noch nicht zu spät.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, die Aufgabe, vor der alle Demokratinnen und Demokraten stehen, ist schwierig. Wir müssen eine für Generationen tragfähige Alterssicherung gestalten, die denjenigen gerecht wird, die sich aktiv im Arbeitsleben befinden. Ich habe die Wörter „Beitragszahlerinnen“ und „Beitragszahler“ bewusst vermieden. Wir oder unsere Nachfolgerinnen und Nachfolger werden sich an dieser Stelle oder im Deutschen Bundestag möglicherweise über ganz andere Modelle unterhalten müssen.

Die Auseinandersetzung zwischen dem Abgeordneten Vogt und dem Abgeordneten Stegner über das Äquivalenzprinzip zeigt, wie brüchig und löchrig das Prinzip in den vergangenen Jahrzehnten geworden ist. Die spannende Frage ist angesichts der demografischen Entwicklung, ob das Äquivalenzprinzip in der Deutschen Rentenversicherung überhaupt noch dauerhaft tragfähig sein kann oder ob man sich - jetzt mache ich die Anleihe, Lars, das ist aber keine Versicherung, sondern ein steuerfinanziertes System - über ein Zwei- oder Dreisäulensystem unterhalten muss, das auf einer steuerfinanzierten Absicherung basiert. Auch das gehört mit in die Debatte.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für mich bedeutet Zukunftsfestigkeit, dass die Rente aus heutiger Sicht und im heutigen System für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler finanzierbar und für die Leistungsberechtigten auskömmlich sein muss, und das ist schon heute häufig nicht der Fall.

Ich widerspreche dem Abgeordneten Stegner ungern, aber bei den Zahlen müssen wir noch einmal einen Faktencheck machen. Ich habe andere Zah

len; die Durchschnittsalterseinkünfte von Frauen in Schleswig-Holstein liegen noch deutlich darunter, wenn ich Ihnen richtig zugehört habe. Der Durchschnittsbetrag durch die gesetzliche Altersversicherung in Schleswig-Holstein lag nach den Informationen meines Hauses 2017 bei 868 €; der Durchschnittsbetrag lag bei Männern bei 1.155 €, bei Frauen bei 651 €.

Im Sinne eines konstruktiven Ringens um eine zukunftssichere Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme hat die Jamaika-Koalition unter anderem ein Zukunftslabor zur Zukunft der Sicherungssysteme auf den Weg gebracht. Solche Bemühungen gab es auch vonseiten der Bundesregierung mit der Einsetzung der Rentenkommission. Zugleich wollte man in Berlin - das finde ich richtig -, ohne auf die Arbeit der Kommission zu warten, die Grundrente, die Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben, voranbringen.

Herr Dr. Stegner, an der Stelle weise ich den Vorwurf, die Regierung habe seit Verabschiedung der Resolution ein Jahr lang nichts getan, aufs Schärfste zurück. Die Fachleute meines Hauses einschließlich des Staatssekretärs beteiligen sich seit acht Monaten intensiv an einer Bund-Länder- und Tarifparteien-Arbeitsgruppe auf Einladung des Bundesarbeitsministeriums, um unterschiedliche Modelle herauszuarbeiten. Herr Stegner, Sie waren lange genug in Regierungsverantwortung; Sie wissen, dass es keinen Sinn macht, wenn man wirklich etwas erreichen will, eine Bundesratsinitiative einzubringen, wenn man vorher keine Verbündeten hat. Wir stehen kurz davor. Wir wollen das zum Erfolg bringen und als Land nicht einfach nur einen Bundesratsantrag ins Verfahren bringen, ohne Aussicht auf Erfolg zu haben.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?

Ja, selbstverständlich.

Lieber Herr Minister, ich konzediere das gern; das war uns nicht bekannt. Wie Sie das dargestellt haben, finde ich das akzeptabel, dass das so begründet wird.

Ich möchte auf eine andere Bemerkung von Ihnen eingehen. Die Tatsache, dass der Bund

(Minister Dr. Heiner Garg)