Protocol of the Session on July 20, 2017

Kollege Brockmann hat die Zahlen bereits genannt, ich habe zu ihnen eine etwas andere Deutung: 2015 wurden in der Tat bundesweit rund 611.000 der insgesamt 2,8 Millionen Studierenden und 260.000 Schülerinnen und Schüler nach dem BAföG gefördert. Die Tendenz ist rückläufig. Der durchschnittliche Betrag - Sie haben das auch genannt - lag für Studierende bei 448 €, was deutlich unter dem BAföG-Höchstsatz und unter dem Satz liegt, der notwendig ist, um sein Studium und Leben zu finanzieren. In Schleswig-Holstein sind die Verhältnisse vergleichbar, auch wenn bei uns prozentual etwas mehr Studierende BAföG bekommen.

Die vor einem Jahr von der Bundesregierung verabschiedeten Reformen haben sowohl die Elternfreibeträge als auch die Bedarfssätze angehoben. Es liegen allerdings noch keine Zahlen dafür vor, was es tatsächlich bedeutet und welche Auswirkungen es hat. Seit es das BAföG gibt, gibt es die Diskussion darüber, ob zumindest die Studierenden als eigenständige, unabhängige junge Erwachsene behandelt werden sollten und entsprechend als unabhängig vom elterlichen Haushalt angesehen werden sollten. Diese sollten dann natürlich auch unabhängig vom Einkommen und Vermögen der Eltern ihr BAföG bedarfsabhängig bekommen. Wir haben für diese Position und auch für die Forderung nach ei

(Tim Brockmann)

nem elternunabhängigen BAföG durchaus eine deutliche Sympathie.

Bei einem genauen Blick gibt es jedoch eine Reihe von Punkten, die es noch zu diskutieren und zu betrachten gilt. Ich will das hier nur kurz andeuten.

Erstens. Wie auch in unserem Bundesprogramm formuliert, muss das BAföG bedarfsdeckend sein und regelmäßig an die Lebenshaltungskosten angepasst werden. Der derzeitige BAföG-Höchstsatz von 735 € dürfte dafür nicht ausreichen. Die Frage ist also, was bedarfsdeckend ist.

Zweitens. Von einem elternunabhängigen BAföG es ist schon gesagt worden - profitieren auch Studierende einkommensstarker und vermögender Herkunftsfamilien oder gar Kinder von Einkommensmillionären. Auch wenn wir es hier nicht lösen können, so muss doch erwähnt werden, dass diese Ungerechtigkeit in entsprechenden Steuerkonzepten gelöst werden kann und muss, wie Sie es beispielsweise in unserem Regierungsprogramm für den Bund nachlesen können.

(Beifall Thomas Rother [SPD])

Drittens. Der SSW verweist in seiner Begründung auf die derzeit guten Steuereinnahmen der Bundesrepublik. Ich sehe allerdings in dieser Argumentation ein Risiko. Was ist denn, wenn sich die Steuersituation des Bundes wieder verschlechtert? Wenn wir uns dafür entscheiden, die Studierenden und gegebenenfalls auch die Schülerinnen und Schüler unabhängig von der finanziellen Leistungskraft ihrer Familien zu unterstützen, so muss dies nachhaltig sein. Einen Finanzierungsvorbehalt kann es da nicht geben.

Viertens. In den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts hat die schwarz-gelbe Bundesregierung das BAföG auf Volldarlehen umgestellt, was der akademischen Bildungsbeteiligung nicht gutgetan hat auch das ist schon gesagt worden. Der SSW schlägt deshalb - natürlich mit Blick auf Dänemark - vor, dass die Leistungen nicht mehr zurückgezahlt werden müssen. Das klingt gut, ich denke aber, auch hier werden wir reden müssen, denn es sind auch andere Lösungen möglich.

Fünftens. Wenn wir formelle und informelle Teilzeit-Studierende zusammenrechnen, beträgt der Anteil der Studierenden im Teilzeit-Studium etwa 8 %. Das ist durchaus ein größerer Anteil. Auch hier müssen wir die Notwendigkeit diskutieren, das BAföG auf Teilzeitstudiengänge anzupassen.

Die vor einigen Jahren zwischen Bund und Ländern getroffene Vereinbarung sieht vor, dass die ur

sprüngliche Kostenteilung zugunsten der Länder aufgehoben wurde und der Bund jetzt alles bezahlt. Die Länder haben hier also keine direkte Entscheidungskompetenz mehr. Trotzdem halten wir es für richtig, sowohl über den Bundestag als auch über den Bundesrat auf eine verbesserte Studienförderung hinzuwirken. Insofern unterstützen wir, dass wir das Thema im Bildungsausschuss ausführlich diskutieren in der Hoffnung, dass wir dort zu einer gemeinsamen Lösung kommen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es geht weiter mit der nächsten Premierenrede: Ich erteile dem Abgeordneten Lasse Petersdotter von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort zu seinem ersten Redebeitrag im SchleswigHolsteinischen Landtag.

(Beifall)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Es gibt viele Gründe, ein Studium abzubrechen oder gar nicht erst ein Studium aufzunehmen: wenn eine berufliche Ausbildung zu dem führt, was man sich selbst für seine Zukunft vorstellt; wenn man im weiten Feld der angebotenen Studiengänge einfach nicht das findet, wofür man brennt; wenn man erkennt, dass die Arbeitsweise und das Leben, das einen als Studierenden erwartet, nicht das ist, was man sich vorstellt und das zu einem passt; oder wenn man einfach nicht bereit ist, den Anforderungen zu entsprechen und die Talente doch eher woanders liegen.

Die Gründe, nicht zu studieren, sind vielfältig. Viele von ihnen sind gute Gründe. Eines darf aber niemanden, niemals und unter keinen Umständen daran hindern, den Bildungsweg weiterzugehen und ein Studium aufzunehmen: das Einkommen der Eltern.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD und SSW)

Doch kommen bundesweit von 100 Studierenden nur 23 aus Nichtakademikerfamilien. Das ist kein Zufall oder so etwas wie die unsichtbare Hand des Bildungssystems. Es ist eine destruktive Ungerechtigkeit, die dazu führt, dass unsere Wissenschaftslandschaft von vielen geeigneten und sehr großarti

(Dr. Heiner Dunckel)

gen Menschen nicht erreicht wird. Für die 23 % der Nichtakademikerkinder ist nicht nur die Hochschule ein völlig neuer Raum, der automatisch mit zahlreichen Herausforderungen verbunden ist, sondern das Studium selbst ein scheinbar unkalkulierbares Risiko. Vielen jungen Menschen - auch mir selber - hätte es geholfen, vor dem Studium zu wissen, ob ich mir diese Entscheidung wirklich leisten kann und möchte, welche Kosten mich tatsächlich erwarten. Kein Online-BAföG-Rechner sagt einem auch nur ansatzweise zuverlässig, mit wie viel Geld man planen kann.

Wenn man das Studium aufgenommen hat, beginnt eine Odyssee mit zahlreichen Formblättern des BAföG-Antrags, die es fast ausschließlich analog gibt und die einen erst einmal zur Recherche in die finanziellen Familienniederungen zwingen. Bis der Antrag bearbeitet ist und die ersten Zahlungen anstehen, verstreichen Monate - Monate, die viele kaum bis gar nicht überbrücken können.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Immer wieder muss der Antrag im Laufe des Studiums neu gestellt werden. Auf veränderte Lebensverhältnisse reagiert das BAföG nur unzureichend und viel zu spät. Unter anderem darum muss Schluss sein mit dieser sich selbst ad absurdum führenden bürokratischen Black-Box. Darum braucht es ein BAföG für alle, elternunabhängig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Ich bedanke mich beim SSW für die Initiative zu diesem Thema und bin froh, dass unser Koalitionsvertrag in dieser Frage eine sehr deutliche Sprache spricht. Das BAföG muss so aufgestellt sein, dass alle Studierenden die Chance haben, sich zu engagieren. Deswegen fordern wir in unserem Antrag, die Fortzahlung des BAföG über die Regelstudienzeit hinaus zu gewährleisten, wenn man ein außeruniversitäres Engagement vorweist oder in Teilzeit studiert. Auch dafür gibt es gute Gründe, auch dieses Studium ist unterstützungswürdig. Deswegen fordern wir in unserem Antrag eine entsprechende Anpassung für diese Fälle.

Das BAföG ist dazu da, jungen Menschen ein Studium zu ermöglichen, und es ist das Finanzierungsmodell für den Bildungsaufstieg. Als solches versagt es aber, wenn die Anzahl der BAföG-Empfänger bundesweit sinkt, obwohl die Gesamtzahl der Studierenden steigt, wie es aktuell der Fall ist. Neugierde und Wissenshunger treiben viele junge Men

schen jedes Jahr an die Hochschulen in SchleswigHolstein. Wir brauchen diese Menschen.

Da ist es nur konsequent und richtig, sich für ein elternunabhängiges BAföG einzusetzen. Es braucht endlich eine finanzielle Gewissheit für jede und jeden, damit sie oder er zu Beginn des Studiums weiß, ob sie oder er das tatsächlich finanzieren kann. Denn der schlechteste und für alle Beteiligten sinnloseste und frustrierendste Grund für einen unbefriedigten Wissenshunger und eine verbaute Bildungsbiografie ist das Einkommen der Eltern. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD und SSW)

Vielen Dank. - Das Wort hat nun für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Dennys Bornhöft.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass der SSW den neuen Koalitionsvertrag so genau gelesen hat, und bedanke mich für den ersten Aufschlag. Die Kollegin Waldinger-Thiering formulierte noch Ende 2015 bei der Hochschulgesetznovelle, dass ein elternunabhängiges BAföG nicht in Sicht sei. Eine Initiative des SSW in der letzten Legislaturperiode zum elternunabhängigen BAföG ist mir unbekannt. Eine solche Forderung ist mir auch in Ihrem Wahlprogramm nicht bekannt. Die Forderung nach einem elternunabhängigen BAföG finde ich im Übrigen auch nicht bei anderen Oppositionsparteien.

Die Einführung eines elternunabhängigen BAföG ist jedoch eine langjährige Forderung der FDP. Ich habe beim Bingo heute Morgen darauf gewartet, dass sich jemand von der SPD hier hinstellt und wenn wir als FDP von elternunabhängigem BAföG sprechen - natürlich den Einkommensmillionär anführt. Man hat Sorge, wenigen Menschen zu viel zukommen zu lassen, und lässt deswegen eine große Mehrheit links liegen. Das finde ich nicht richtig.

(Zurufe SPD)

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz ist nicht mehr zeitgemäß: Es ist sehr bürokratisch, sodass die eingesetzten Mittel zu einem großen Teil eher in die Verwaltung des BAföG fließen als direkt in die Studierendenförderung. Es erreicht auch zunehmend weniger Studierende - auch das haben wir schon festgestellt -, sodass die meisten Studieren

(Lasse Petersdotter)

den darauf angewiesen sind, vielfältige Nebenjobs auszuüben, anstatt sich auf das Studium zu konzentrieren. Die dadurch längeren Studienzeiten zahlt jeder Steuerzahler mit.

(Unruhe SPD)

- Hier wird noch diskutiert, was ein Millionär ist; super.

Es bedarf deshalb einer grundlegenden Reform, die die Studierenden elternunabhängig so fördert, dass jeder begabte junge Mensch ein Studium aufnehmen und sich darauf konzentrieren kann. Dazu gilt es, den Studierenden in den Mittelpunkt der Förderung zu stellen, nicht die Einkommenssituation seiner Eltern.

Für die FDP sind Studierende erwachsene Menschen, die sich selbstbestimmt für eine hochwertige Ausbildung und Entfaltung ihrer Interessen entscheiden.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Wir sehen Studierende als eigenständige Persönlichkeiten und nicht als Teil einer elterlichen Bedarfsgemeinschaft an, welche sich im Regelfall ja selbst nicht einmal im selben Wohnraum befinden.

(Beifall FDP)

Die Beantragung und Gewährung oder auch die Verwehrung von BAföG aufgrund der finanziellen Situation der Familie führt wiederkehrend zu zerrütteten Verhältnissen in den Familien. Wir wollen den bürokratischen Aufwand verringern und Transparenz sowie Planungssicherheit für die Studierenden gewährleisten.

Der Änderungsantrag der Koalition setzt etwas andere Schwerpunkte als der Antrag des SSW. Die weitreichende Forderung, zukünftig keinerlei BAföG-Leistungen mehr zurückzuzahlen, tragen wir als Koalition nicht mit.

(Vereinzelter Beifall FDP und CDU)

Das Schüler-BAföG ist als Vollzuschuss hiervon ausgenommen.

Aus unserer Sicht ist die Forderung, nichts zurückzuzahlen, nicht verhältnismäßig. Für Studierende wird BAföG zu einer Hälfte als Zuschuss, zur anderen Hälfte als zinsloses Darlehen gewährt. Über Detailmodalitäten lässt sich bestimmt reden, aber im Grundsatz halten wir diese Regelung für vernünftig.

Warum? - Weil wir für diese Förderung gesamtgesellschaftliche Akzeptanz benötigen. Diese Leistun