Protocol of the Session on January 24, 2019

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie gemeinsam mit mir auf der Tribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags die Damen und Herren der CDUSenioren-Union. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Heiner Dunckel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, erst einmal vielen Dank für den Bericht. Wir freuen uns natürlich und halten es für notwendig und sinnvoll, dass die von uns begonnene Fachkräfteinitiative fortgesetzt wird. Sie haben eine Reihe von Maßnahmen und Schwer

(Lukas Kilian)

punkten genannt, die sicherlich sinnvoll und unterstützenswert sind und in Kooperation mit den vielen genannten Partnern der Fachkräfteinitiative möglichst umgehend umgesetzt werden sollen. Sie haben auch darauf hingewiesen, welche Brisanz und Tragweite das hat; doch ich glaube, dass das immer noch nicht ganz angekommen ist. Aufgrund der Zahlen, die Sie genannt haben, glaube ich, dass wir ehrgeizigere Ziele, weitere Schwerpunkte und eine schnellere Umsetzung der Maßnahmen brauchen.

Sie haben die Zahlen genannt: Wenn wir nach der alten Schätzung davon ausgehen, dass 2030 mindestens 100.000 Fachkräfte - 2035 wahrscheinlich sogar 180.000 Fachkräfte - fehlen, können wir die Dramatik sehen. Wir werden das Problem haben, dass diese Zahl von Fachkräften nicht nur bei uns, sondern auch in allen anderen Bundesländern in vergleichbarer Größe fehlt, mit der Folge, dass wir uns auf einen harten Wettbewerb einstellen müssen, den berühmten War of Talents. Dieser Wettbewerb findet nicht erst 2030, sondern schon jetzt statt.

Die Probleme - die Kollegen haben es gesagt - sind für uns alle mittlerweile alltäglich wahrnehmbar. Im Gesundheitswesen gehen Pflegekräfte und Ärzte schon lange an ihre Leistungsgrenzen und darüber hinaus, auch weil dort in deutlichem Maß Personal fehlt. Altenpflegekräfte für die häusliche Pflege sind praktisch nicht mehr zu bekommen. Die Umsetzung des Gute-Kita-Gesetzes zum Beispiel wird gegebenenfalls an fehlenden Fachkräften scheitern. Die Wartezeiten im Handwerk können wir alle persönlich spüren: Wenn Sie überhaupt noch einen Maler, Dachdecker oder Sanitärfacharbeiter bekommen, haben Sie Wartezeiten von einem halben oder Dreivierteljahr und mehr.

(Thomas Hölck [SPD]: Vergiss die Maurer nicht!)

- Die Maurer im Besonderen kommen gar nicht mehr. Beispiele aus anderen Branchen sind beliebig zu ergänzen. Das heißt ganz deutlich: Wir müssen jetzt schnell handeln. Da reicht es nicht aus, das mittelstandsfreundlichste Land zu sein, wir müssen erst einmal das arbeitnehmerfreundlichste Land werden - dann natürlich auch gern im Mittelstand.

(Beifall SPD - Lukas Kilian [CDU]: Das ist kein Widerspruch! - Kay Richert [FDP]: Das gehört mit dazu!)

- Mir ist die andere Betonung schon wichtig: das arbeitnehmerfreundlichste Land. Daraus ergibt sich nämlich eine Reihe von Maßnahmen und Anstrengungen, die in der Schwerpunktsetzung etwas an

ders sind, als wir es gehört haben. Wir brauchen nicht nur Anstrengungen in der Aus- und Fortbildung; wir brauchen sie auch beim Arbeits- und Gesundheitsschutz, bei der Entlohnung und bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wir brauchen sicherlich - das ist gesagt worden - auch ausländische Fachkräfte, denen wir es so einfach wie möglich machen sollten, eine dauerhafte berufliche und persönliche Zukunft bei uns aufzubauen.

Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben über eine Reihe von Maßnahmen berichtet, die schon in dem Monitoringbericht 2016 angelegt waren, jetzt noch geschärft und - ich betone es noch einmal - schneller umgesetzt werden müssen.

Vor diesem Hintergrund - ich will da nicht nachkarten, aber es muss doch noch einmal sein - ist es uns wenig verständlich, dass Sie das Tariftreue- und Vergabegesetz ohne Not weitgehend schreddern wollen. Hier geht es doch um den Erhalt fairer Tariflöhne und -bedingungen und die Möglichkeit der Gestaltung zukunftsweisender Tarifverträge. Was hilft Ihnen denn der vermeintliche Bürokratieabbau, wenn Sie bald gar keine Fachkräfte mehr haben, die Sie bürokratisch verwalten können?

(Minister Dr. Bernd Buchholz: Das gucken wir uns dann mal an!)

Lassen Sie mich hier nur ein paar Punkte betonen, die Schleswig-Holstein zu einem Land guter Arbeit machen, das für junge Menschen und Fachkräfte attraktiv ist und bleibt. Die Stichworte sind: Tarifbindung, gute Entlohnung, gute Arbeit und Ausbildung. Wir brauchen - das haben Sie betont, das können wir nur unterstützen - eine Ausbildungsoffensive auf allen Ebenen mit angemessenen Ausbildungsvergütungen. Das Stichwort Mindestausbildungsvergütung mag hier genügen.

Wir müssen, wie gesagt, die Rahmenbedingungen für den Erhalt und den Ausbau tariflicher Löhne und Tarifbindungen schaffen. Wir müssen Angebote machen, um die Menschen durch Beratung und entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen fit für die Herausforderungen der Digitalisierung zu machen. Wir müssen uns auch daransetzen, dass der Mindestlohn steigt; wir haben heute Morgen schon darüber gesprochen. Ich glaube, der Bundesfinanzminister hat die Richtung angedeutet: Wir werden sicherlich über einen Mindestlohn von 12 € und mehr reden müssen.

Wir müssen alle Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützen, damit wirklich jede qualifizierte Frau und jeder qualifizierte Mann - ich möchte das extra betonen -, die arbeiten wollen und

(Dr. Heiner Dunckel)

können, eine Arbeit aufnehmen können. Zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie gehört auch, dass Auszubildende und junge Beschäftigte sicher sein müssen, dass sie übernommen werden und eine längerfristige Perspektive im Betrieb haben. Wir wissen, dass 50 % der Abgänger immer noch befristete Verträge haben. Das muss sich ändern.

Lassen Sie mich als Arbeitswissenschaftler noch einen Punkt ergänzen: Wir wissen ziemlich genau, was eine attraktive und gesundheitsförderliche Arbeit ausmacht. Sie beinhaltet Zeit- und Handlungsspielräume, ist sinnerfüllt, bietet Kooperation, Kommunikation, wenige Belastungen und so weiter und so fort. Viele der sogenannten Gefährdungsbeurteilungen in unserem Land zeigen, dass wir davon noch weit entfernt sind. Das heißt, wir müssen besondere Anstrengungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz unternehmen, um für die Menschen in diesem Land attraktive Arbeit zu ermöglichen.

Angesichts des schon mehr als deutlichen Fachkräftemangels bedarf es also besonderer Anstrengungen, damit Schleswig-Holstein ein Land guter Arbeit, guter Arbeitsbedingungen für in- und ausländische Fachkräfte und damit für die Menschen attraktiv wird. Auch wenn Ihre Maßnahmen sicherlich sinnvoll sind, brauchen wir weitere Schwerpunkte, mehr Ehrgeiz und Anstrengungen. Die Zahl von 180.000 bis 300.000 Menschen, die uns in gerade einmal zehn, 15 Jahren als Fachkräfte fehlen werden, zeigt, dass noch viel mehr Anstrengungen in diesem Bereich unternommen werden müssen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat deren Fraktionsvorsitzende das Wort, die Abgeordnete Eka von Kalben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich danke dem Wirtschaftsminister für seinen Bericht und bin froh, dass die Fachkräfteinitiative von 2012 so fokussiert vorangetrieben wird. Ich bin davon überzeugt, dass es richtig ist, Schwerpunkte zu setzen. Der Fachkräftemangel ist - so ähnlich wie der demografische Wandel oder die Digitalisierung -, wenn man ihn bekämpft, im Grunde eine eierlegende Wollmilchsau; man muss an allen Enden arbeiten.

Wenn wir heute über die Fachkräfteinitiative FI.SH reden, ist das das eine. Es ist gut, dass sie sich fo

kussiert und sehr konkrete Ziele gesetzt hat. Meiner Meinung nach müssen wir aber auch darüber reden, dass diese Landesregierung sozusagen die Fachkräfteinitiative in Jamaika ist und sich in jedem Haus mit diesem Thema auseinandersetzt. Das heißt eben auch, dass die Cluster, die sich die Initiative ausgesucht hat, gut und richtig sind. Wie hat es mein Vorredner gesagt? Es sei sozusagen ein Jamaika-Cluster. Da gibt es einen besonderen Fachkräftemangel.

Wir dürfen aber natürlich nicht vergessen, dass der Fachkräftemangel in anderen Bereichen ebenfalls extrem ist. Ich nehme einmal das einfachste oder offensichtlichste Beispiel: Kita. Dafür bin ich zufällig zuständig. Was bedeutet es, wenn wir einen Kita-Fachkräftemangel haben? - Das bedeutet, dass die Kitas die Kinder entweder nur schlecht betreuen können oder auch, wie es zum Teil im Hamburger Rand passiert, schließen müssen oder keine neuen Kitas eröffnet werden können. Das hat zur Folge, dass jemand aus dem Handwerk oder aus der Pflege - also aus den Clustern, in denen wir etwas voranbringen wollen - nicht arbeiten gehen kann, weil die Kinderbetreuung nicht gewährleistet ist.

Ein anderer Bereich ist der der Gesundheit - es war richtig, dass Herr Dunckel darauf hingewiesen hat -, in dem wir nicht genug Ärzte und Ärztinnen haben oder keine Reha-Kliniken eröffnen können. Das heißt: Wir müssen eigentlich an allen Ecken arbeiten, bis hin zu Bauingenieuren, die Straßen bauen, damit man überhaupt zum Arbeitsplatz oder zur Schule kommen kann.

Meine Damen und Herren, diese Regierung muss sich selbst insgesamt als Fachkräfteinitiative verstehen und in jedem Ressort alles dafür tun, dass die Menschen hier gern leben. Ich finde sozusagen alles gut, was Sie dargestellt haben.

Es gibt unter den fünf Zielen einen Punkt, an dem ich mir gewünscht hätte, dass wir uns auch da einen Benchmark gesetzt hätten, und zwar unter dem Gesichtspunkt „Stärken stärken“. Wir haben in letzter Zeit gehört, dass wir - entgegen mancher Verlautbarungen - bei der Integration von Geflüchteten viel erfolgreicher sind, als man noch vor drei, vier Jahren gedacht hätte. Trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass auch da noch manches zu verbessern wäre. Da hätte ich mir einen Benchmark gewünscht, und zwar im Sinne eines Signals. Vielleicht gelingt es, das irgendwann einmal in eine Fortschreibung einzubringen.

Trotzdem möchte ich an dieser Stelle der CDU hier im Land - allen voran Daniel Günther - noch einmal

(Dr. Heiner Dunckel)

ausdrücklich dafür danken, dass sie sich wirklich entgegen dem Bundestrend - für den Spurwechsel eingesetzt hat. Wenn wir über Fachkräftemangel diskutieren, aber sagen: „Wir schieben die Leute ab, die hier integriert und in Arbeit sind“, ist das ein falsches Signal. Deshalb dafür herzlichen Dank von unserer Fraktion.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Ich möchte mich auch noch bedanken, und zwar bei uns selbst,

(Heiterkeit)

dass wir mit dem Haushalt 2019 gemeinsam - auch auf Initiative der SPD - das Schulgeld für Gesundheitsberufe abgeschafft haben. Auch das ist natürlich ein ganz wichtiger Beitrag gewesen, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.

Last, but not least: Ich habe einige junge Menschen um mich herum zu Hause. Wir müssen uns vorstellen: Wenn die sich überlegen, wo sie hingehen, nachdem sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben und dann in die Stadt in das eine oder andere Bundesland gehen könnten, dann ist es natürlich wichtig, dass Tarife eingehalten werden und was man da verdient. Aber viele von denen fragen sich - meine eine Tochter hat Kinder -, wie da die Kinderbetreuung ist, wie das Schulsystem ist. Die anderen sagen, sie wollten gern wieder am Wasser wohnen, ein Land zwischen den Meeren sei sehr schön, aber es müsse vor allem einen guten ÖPNV haben. Das ist auch immer Thema. Es gibt ganz viele Faktoren, sogenannte weiche Faktoren, die eine Rolle bei der Entscheidung spielen, wo ich hingehe. Wir in Schleswig-Holstein haben nun einmal den riesigen Vorteil, dass wir in dem Land leben, in dem andere Urlaub machen. Das ist eigentlich ein Heimspiel für uns, auch bei der Frage der Fachkräfte.

Mein letzter Punkt: Ich wünsche mir tatsächlich, dass wir uns neben der fokussierten Arbeit in der Fachkräfteinitiative immer wieder klarmachen, dass diese soften Faktoren - da schließe ich gerade auch das Umweltressort mit ein - ein riesiger Standortvorteil für Schleswig-Holstein sind und dass es deshalb auch gut und richtig ist, wenn wir darauf Wert legen, dass wir das erhalten. - Danke.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Kay Richert.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fachkräfteprojektion 2030 ist schon mehrfach angesprochen worden. Sie hat uns in SchleswigHolstein eine Fachkräftelücke, also das Fehlen von Fachkräften in Höhe von 100.000 Personen aufgezeigt, von denen 85.000 Personen im mittelqualifizierten Bereich sein sollen. Das ist der Hintergrund, vor dem sich das Wirtschaftsministerium und seine Partner - das sind die Wirtschaftsverbände, die Kammern, Gewerkschaften, die Bundesagentur für Arbeit, Hochschulen und die kommunalen Landesverbände - entschlossen haben, die Fachkräfteinitiative Schleswig-Holstein - an die Abkürzung FI.SH muss ich mich erst einmal gewöhnen - ins Leben zu rufen.

(Christopher Vogt [FDP]: Maritim!)

- Ja, sehr maritim, gut.

(Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Denk an Fischbrötchen!)

Als Vertreter einer unserer wichtigsten Partner möchte ich Volker Lenke auf der Tribüne begrüßen: Vielen Dank für die Anteilnahme an der Diskussion hier.

Insgesamt haben wir rund 50 Institutionen, die diese Initiative tragen. Allein die genannten Zahlen zeigen schon, wie notwendig eine solche konzertierte Initiative war und ist. Da möchte ich ausdrücklich ein Lob an die Vorgängerregierung und auch an den viel gescholtenen Minister Meyer aussprechen: Das war wirklich ein richtiges Handeln zur richtigen Zeit.

(Vereinzelter Beifall FDP, Beifall Thomas Hölck [SPD] und Eka von Kalben [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Allerdings gehört zur Ehrlichkeit auch, dass diese Initiative bis 2017 kaum wahrnehmbare Ergebnisse gezeitigt hat. Deswegen musste das Ganze noch einmal betrachtet werden. Also haben wir, nachdem wir 2017 die Regierungsgeschäfte übernommen haben, diese Initiative einer gründlichen Bestandsaufnahme unterzogen, denn schließlich ist unser Ziel, Probleme nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu lösen.