Protocol of the Session on November 7, 2018

Einsatzlagen Verletzungen bei allen an der Auseinandersetzung Beteiligten verhindere.

Bei so viel Lob frage ich mich, warum wir in Schleswig-Holstein unseren Polizisten ein solches Einsatzmittel verweigern sollten. Vielleicht, weil es auch kritische Stimmen gibt, die es auch zu hören gilt. So warnt Amnesty International unter anderem vor einem hohen Missbrauchspotenzial. Die Hemmschwelle für die Anwendung sei geringer als bei Schusswaffen, und es seien auch schwere gesundheitliche Schäden bis zum Tod im Zusammenhang mit der Anwendung dokumentiert. Solche Befürchtungen gilt es natürlich, ernst zu nehmen. Daher ist es auch mit einem einfachen Gesetzentwurf nicht getan, sondern es bedarf einer breiteren und umfassenderen Diskussion über das Für und Wider. Für so etwas ist eine Schwachstellenanalyse genau der richtige Ort. Ich jedenfalls habe kein Misstrauen gegenüber unserer Polizei, dass dieses Gerät nicht verantwortungsvoll eingesetzt würde, sondern bin davon überzeugt, dass niemand leichtfertig ein solches Gerät oder eine Schusswaffe zum Einsatz bringen würde.

Lassen Sie uns daher im Innenausschuss ausführlich über den Nutzen und die Gefahren diskutieren. Zudem kann ich mir gut vorstellen, dass sich Minister Grote bereits im Rahmen der Schwachstellenanalyse Gedanken gemacht hat. Wir brauchen keine Schnellschüsse, Herr Schaffer, sondern eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich bin mir sicher, dass wir innerhalb der Koalition zu einer guten Lösung kommen werden, insbesondere zu einer Lösung, die unseren Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten hilft, die immer komplexer werdenden Einsatzlagen sowohl körperlich, aber insbesondere auch seelisch unverletzt zu meistern. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Katrin Wagner-Bockey das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt in unserer Gesellschaft eine Tendenz, bei unterschiedlichen Themen entweder in eine hohe Begeisterung oder tiefste Ablehnung zu verfallen. Es scheint zwischen Fluch und Segen manchmal nichts mehr zu geben. Wenn es um das sogenannte Distanzelektroimpulsgerät DEIG - und seine Einführung bei der Polizei geht,

gibt es inzwischen teilweise eine journalistische und politische Euphorie, die ich bei den Betroffenen, den Polizistinnen und Polizisten dieses Landes, in meinen Gesprächen so nicht eins zu eins wiederfinden konnte. Die angebliche Begeisterung ist nicht überall zu spüren, die Suche nach dem richtigen Weg schon.

Öffentlich wird das DEIG fast schon als menschenwürdige Wunderwaffe gehypt. Man könnte den Eindruck gewinnen, den Kolleginnen und Kollegen der Polizei müsste die Erleichterung ins Gesicht geschrieben stehen, nun endlich mehr töten zu müssen. Meine Damen und Herren, so einfach ist es aber nicht.

(Beifall SPD)

Es ist unstrittig, dass es eine Lücke zwischen den Einsatzmitteln des Mehrzweckstocks und des Reizstoffsprühgeräts RSG einerseits und der Schusswaffe andererseits gibt - keine Frage. Heute ist es so, dass Sie als Polizist oder Polizistin in eine Situation kommen können, von der Sie annehmen müssen, dass Leib oder Leben gefährdet sind. Wenn der Schlagstock und das RSG keinen Erfolg versprechen, haben Sie das Recht und die Pflicht zu schießen. Das sogenannte Auswahlermessen reduziert sich in dem Moment gegen null.

Das ändert sich, je mehr Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Mit dem DEIG käme eine weitere Waffe hinzu. Das bedeutet, in extremen Stresssituationen zu prüfen, ob es ein geringeres, ein milderes Mittel gibt. Es ist eine Entscheidung mehr, die in Zehntelsekunden getroffen werden soll. Um es auf den Punkt zu bringen: Es gibt Einsätze, bei denen die Anwendung eines DEIG die Lage bereinigen könnte - das nehmen wir zumindest an -, und dann wäre alles gut. Es könnte und würde aber auch Einsätze geben, bei denen das DEIG eingesetzt wird, an deren Ende - aus welchen Gründen auch immer - aber der Schusswaffeneinsatz steht.

Was ist mit den Einsätzen, in denen der eine Kollege schießt und der andere das Elektroschockgerät anwendet? Hat der Beamte, der von der Schusswaffe Gebrauch gemacht hat, dann automatisch rechtlich falsch gehandelt?

Vom warmen Schreibtisch oder vom Rednerpult aus ist es relativ einfach zu beurteilen, ob ein Auswahlermessen richtig angewendet wurde. In der Hektik eines unübersichtlichen Einsatzes ist es deutlich schwieriger.

(Beifall SPD und Eka von Kalben [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

(Tim Brockmann)

Meine Damen und Herren, das ist auch insofern entscheidend, weil es belastender für diejenigen wird, die tatsächlich schießen mussten oder geschossen haben. Es käme zu psychischen Belastungen bei denjenigen, die das Impulsgerät in einer gefährlichen Situation nicht erfolgreich nutzen konnten, obwohl sie es wollten - aus welchen Gründen auch immer - und die vielleicht sogar darauf angewiesen waren, dass ein Kollege tatsächlich mit seiner Waffe schießt. Meine Damen und Herren, deshalb kann ich die Behauptung, das Impulsgerät würde automatisch zu einer moralischen oder psychologischen Entlastung von Polizistinnen und Polizisten dienen, so nicht gelten lassen.

Verstehen Sie mich nicht falsch in diesem Punkt: Das bedeutet nicht automatisch, dass die Einführung des Impulsgerätes ein Fehler sein muss. Aber wir als SPD verwehren uns dem Druck, der öffentlich aufgebaut wird. Denn dieses Einsatzmittel ist kein Heilsbringer. Wir lehnen die Einführung zwar nicht kategorisch ab, aber es muss klar sein, dass die Ausbildung an diesem Gerät in Theorie und Praxis aufwendig sein wird. Insofern ist der offene Brief der GdP von heute Morgen eine gute Ergänzung zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Thema.

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein persönliches Wort verlieren: Ich sehe die Behauptung, dass Elektroschockgeräte deeskalierend wirkten, kritisch. Derjenige, dem der Gebrauch eines Impulsgerätes, eines Elektroschockgerätes, angedroht wird und der sich davon beeindrucken lässt, hätte möglicherweise genauso auf die Androhung eines Schusswaffengebrauchs reagiert. Es ist ja nicht gesagt, dass die Androhung des Schusswaffengebrauchs nicht gewirkt hätte. Insofern ist ein Nachweis darüber, dass Elektroschockgeräte deeskalierend wirkten, nicht führbar. Das möchte ich an dieser Stelle gern als meine persönliche Meinung einbringen.

Wir als SPD-Fraktion sehen sehr wohl, dass man sich mit diesem Thema beschäftigen muss und dass man es ausführlich im Innen- und Rechtsausschuss besprechen muss. Den öffentlichen Druck, der im Moment aufgebaut wird, diese Waffe einzuführen, finde ich an dieser Stelle unredlich. Die Begeisterung, die sich plötzlich allenthalben für dieses Einsatzmittel entfaltet, halten wir für übertrieben, denn eine sorgfältige Prüfung ist das Erste, was einem derartigen Einsatzmittel vorausgehen muss. - Danke schön.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor wir mit der Rednerliste fortfahren, begrüßen Sie bitte mit mir gemeinsam auf der Tribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtages Schülerinnen und Schüler der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung aus Altenholz und Schülerinnen und Schüler der Gemeinschaftsschule am Schiffsthal aus Plön. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Abgeordneten Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab eine klare Ansage: Uns Grünen liegt der optimale Schutz unserer Polizeikräfte und ihre Ausrüstung mit effektiven Einsatzmitteln sehr am Herzen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Kein Mensch kann wollen, dass Polizisten in die fürchterliche Situation kommen, einen tödlichen Schuss abgeben zu müssen, weil ein milderes Mittel nicht zur Verfügung stand.

Wir Grüne haben aber auch den Anspruch, im Bereich der inneren Sicherheit die Dinge gründlich zu beleuchten, bevor wir uns für etwas entscheiden, das weitreichende Folgen haben kann. Gerade bei so stark anlassbezogenen Debatten in der Sicherheitspolitik, wie es sie zurzeit gibt, bevorzugen wir eine möglichst rationale Herangehensweise und sind - ebenso wie mein Kollege Tim Brockmann misstrauisch gegenüber Schnellschüssen.

Meine Damen und Herren, der böse Zufall wollte es, dass wenige Tage nach dem tragischen Schusswaffeneinsatz in Bad Oldesloe gegen einen jungen Obdachlosen in Nürnberg ein randalierender Mann nach einem Taser-Einsatz durch ein Sondereinsatzkommando der Polizei ins Koma fiel und nicht wiederbelebt werden konnte. Beide Fälle werden zurzeit intensiv durch die Staatsanwaltschaft untersucht. Sehen Sie es uns also nach, wenn wir bei einem AfD-Gesetzentwurf, der keine zwei Wochen nach einem medial stark beachteten Ereignis eingereicht wurde, nicht in den Chor derer einfallen, die da behaupten, die sofortige Ausstattung der Polizei mit Distanzelektroimpulsgeräten sei der Schlüssel zur Lösung aller Probleme.

(Beifall SSW)

(Kathrin Wagner-Bockey)

Es wurde schon darauf hingewiesen: Der Fall in Nürnberg gibt Anlass, zumindest ein Fragezeichen zu setzen. Auch Amnesty International legt dar, dass die Gefährlichkeit des Tasers regelmäßig unterschätzt wird. Es gibt dort eine Studie, die davon spricht, dass zwischen 2001 und 2017 in den USA insgesamt 802 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz von Tasern festgestellt worden sind.

Meine Damen und Herren, es gibt aber auch Einwände aus der polizeilichen Praxis selbst. Das fängt schon mit ganz banalen Problemen an. Die Polizeikräfte müssen im Einsatz heute bereits sehr viele Gegenstände mit sich herumtragen: schwere Sicherheitsweste, Handschuhe, Funkgerät, Taschenlampe, Notizblock, Handschellen, Schlagstock, Pfefferspray und Dienstwaffe. Von schlanken Polizisten hörte ich in einer Polizeistation, dass sie schon heute Probleme haben, dies alles schnell griffbereit am Körper unterzubringen. Wo und wie soll die zusätzliche Elektroschockpistole getragen werden?

Viel gravierender ist aber das Problem der angemessenen Anwendung im konkreten Angriffsfall. Oft eskalieren Lagen in allerkürzester Zeit. Innerhalb von Sekunden muss der Beamte oder die Beamtin entscheiden: Welches Mittel soll ich jetzt einsetzen? Reicht der Schlagstock? Muss Pfefferspray eingesetzt werden? Oder sogar die Schusswaffe? Jetzt soll noch der Taser bei dieser hochkomplexen Auswahl und Entscheidung hinzukommen. Diese ist so, dass sie in jedem oder in den allermeisten Fällen nachträglich juristisch bewertet werden muss. Das erhöht den Stress, der wiederum zu Verwechslungshandlungen und zu fatalen Reaktionsverzögerungen führen kann.

Dann kommt hinzu, dass der Taser in Notwehrsituationen durchaus nicht das geeignete Mittel der Wahl ist. Der Abschlussbericht zu einem Pilotprojekt in Rheinland-Pfalz, der auch Erfahrungen aus anderen Ländern auswertete, sagt dazu eindeutig und ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -:

„Der Einsatz von DEIG ersetzt nicht die Schusswaffe. … Der Einsatz von DEIG ist ungeeignet bei dynamischen Lagen in Verbindung mit Messern. Sehr oft“

- in anderen Evaluationsberichten

„wurde die nicht geeignete Anwendung von DEIG bei lebensbedrohlichen Angriffen (Messer, Axt, Eisenstange) herausgestellt.“

Also auch im Fall in Bad Oldesloe wäre der Einsatz des Tasers nicht angezeigt gewesen.

Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen wundert es mich überhaupt nicht, dass ausgerechnet der bayerische Innenminister Herrmann, der ja nun alles andere als ein sicherheitspolitischer Softie ist, zum Modellversuch in Bayern sagte, dass eine Ausrüstung des normalen Wach- und Streifendienstes nicht vorgesehen sei, weil der Taser kein Allerweltseinsatzmittel sei.

Zum Schluss eine Äußerung beim Delegiertentag der Deutschen Polizeigewerkschaft in der letzten Woche in Kiel, die mich äußerst irritiert hat. Sie stammt vom Bundeschef der DPolG, Rainer Wendt. Er legte dar, dass ein Taser-Einsatz bei betroffenen Personen zu höllischen Schmerzen führe. Das sagte er wörtlich. Er sprach davon, dass es sich jemand angesichts eines solchen Erlebnisses in Zukunft wohl überlegen würde, noch einmal eine Einsatzkraft anzugreifen.

Der Taser-Einsatz als Denkzettelfunktion, gleichsam als Zuchtmittel gegen Randalierer? Respekt vor der Polizei durch Elektroschocker? - Da haben wir als Grüne ein erheblich anderes Verständnis von Prävention und Deeskalation im Sinne einer bürgernahen Polizei.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir werden uns mit der Frage im Innen- und Rechtsausschuss intensiv auseinandersetzen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt FDP)

Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Abgeordneten Jörg Hansen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine erste Reaktion auf die Forderung der GdP zum Taser war als Praktiker: Wo sollen wir Taser unterbringen? Burkhard Peters hat das schon angesprochen: Dienstwaffe, Reservemagazin, Handschellen, Handschuhe, Taschenlampe und jetzt noch der Taser dazu? - Das ist eine praktische Frage, die man sich stellen muss.

Tatsächlich geht dieses Argument noch weiter. Wir müssen in die Einsatzrealität schauen. Stellen Sie sich vor, Sie werden als Polizist angegriffen. Sie müssen in Sekundenschnelle entscheiden, welches Mittel zur Abwehr geeignet, angemessen und ver

(Burkhard Peters)

hältnismäßig ist. Mehr Auswahl bedeutet aber nicht automatisch, dass Sie das richtige Mittel sofort finden. Kritiker führen ins Feld, dass die Hemmschwelle - wir sprachen darüber - für einen Waffeneinsatz sinkt, weil dem Taser häufig eine generelle Harmlosigkeit unterstellt wird. Hier müssen wir alles sachlich miteinander abwägen. Wir dürfen nicht pauschalisieren, sondern müssen sehr genau differenzieren.

Zu dem eben Erwähnten sage ich nur: Polizeilicher Vollzug ist immer mit Stress verbunden. Alles, was der Polizist verwenden kann, birgt Risiken. Dessen müssen wir uns immer bewusst sein. Reizmittel können zu schweren Augenverletzungen führen. Der Einsatz eines Teleskopschlagstocks kann zu blauen Flecken führen, er kann aber auch Knochen brechen. Der Taser hingegen führt zu kurzzeitigen Lähmungen, der Angreifer kann schwer stürzen. Dabei ist die Gefahr, dass der Sturz nicht vorhersehbar beziehungsweise nicht kontrollierbar ist.

Auf der anderen Seite ist das pauschale Ablehnen des Tasers schwer vermittelbar. Der Taser ist ein milderes Mittel als die Schusswaffe. Es ist ein polizeilicher Grundsatz und auch so normiert, dass die Polizeibeamtin oder der Polizeibeamte stets das mildeste Mittel anzuwenden hat. Warum kann der Polizist zur Schusswaffe greifen, aber nicht zum Taser? - Viele werden sagen: Es muss doch etwas zwischen Schusswaffe und Schlagstock geben. Ich finde aber, dass alles, was unterhalb einer Schusswaffe liegt, mindestens getestet werden sollte,