Protocol of the Session on September 27, 2018

Die einzige Hoffnung, die jetzt besteht, ist, dass die Labour Party den Brexit noch abwendet. Das ist gut so.

(Beifall Regina Poersch [SPD] - Zurufe FDP)

- Manchmal muss man auch gegen den eigenen Parteivorsitzenden agieren, um Sinnvolles auf den Weg zu bringen

(Dennys Bornhöft [FDP]: Das kennen Sie bei der SPD!)

und das einzigartige Friedensprojekt Europa zu erhalten. Dafür lohnt es sich auf alle Fälle.

(Beifall SPD und FDP)

Wir müssen uns auf den Brexit vorbereiten. Fakt ist, dass das Ausscheiden der zweitgrößten Volkswirtschaft in der Europäischen Union auch für Mitgliedstaaten, die verbleiben, einen Handlungsdruck erzeugt. Das gilt im Großen für die Bundesrepublik Deutschland und im Einzelnen für den Standort Schleswig-Holstein.

Trotz intensiver Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU bleiben viele Aspekte eines Austrittabkommens unklar. Unklar ist auch, was für den vereinbarten Übergangszeitraum bis 2020 gelten soll. Klarheit soll das BrexitÜbergangsgesetz schaffen, das am 5. September 2018 vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Auch andere Bundesländer sind dabei, die Folgen des Brexit auszuloten und Handlungsoptionen zu diskutieren. Seit dem 1. Januar 2018 befasst sich in Nordrhein-Westfalen der eigens ernannte BrexitBeauftragte Friedrich Merz mit den Interessen des Landes im Brexit-Prozess. Er berät den Ministerpräsidenten und die einzelnen Ministerien. In Bremen setzt sich die rot-grüne Landesregierung dafür ein, die Auswirkungen des Brexit auf die Fischindustrie abzufedern. Unsere Nachbarn in Hamburg loten aus, welche Konsequenzen es für den Hochschulstandort in Hamburg geben wird.

Und was tun wir? - Nichts.

(Martin Habersaat [SPD]: Wir entsenden Herrn Buchholz als Berater auf die Insel! - Zuruf SPD: Das habt ihr doch gerade ge- hört!)

Die IHK sagt deutlich, die Unternehmen müssen sich auf Veränderungen einstellen.

(Minister Dr. Bernd Buchholz: Ach was?)

Insbesondere im Warenverkehr wird es eine Reihe von Veränderungen geben. Die Veränderungen bei den Unternehmen auf den Brexit werden umfangreich sein, abhängig unter anderem vom künftigen Engagement in Großbritannien und der Unternehmensgröße und der Branche.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, werfen wir einen Blick auf den Außenhandel. Der Warentransport quer durch Europa ist vom Handelspartner Großbritannien abhängig. Das zeigen auch die aktuellen Zahlen des Statistikamts Nord. So wurden 2017 6 % aller Exporte aus Schleswig-Holstein nach Großbritannien geliefert. Das sind immerhin 1,3 Milliarden € Warenwert. Das hat unbestreitbar einen Einfluss auf unser Land.

Wie groß die Sorgen einzelner Brachen sind, verdeutlicht das Logistikunternehmen Sterac aus Braak im Kreis Stormarn. So erwirtschaftet dieses Unternehmen rund ein Drittel seines Gewinns über Lieferungen von und nach Großbritannien. Etwa 7.000 Aufträge gehen im Laufe des Jahres nach Großbritannien, darunter Lebensmittel, Rohstoffe, Baumaterialien, Ersatzteile für Fahrzeuge, aber auch Großanlagen für Wind- und Ölindustrie. Ich finde es

schon ein bisschen respektlos, so über die Sorgen der Unternehmen hinwegzugehen. Sie haben ein bisschen mehr verdient.

(Beifall SPD)

Der Brexit schafft Unsicherheiten. Das spürt nicht nur die Chefetage. Es geht um Arbeitsplatzsicherheit für die schleswig-holsteinische Wirtschaft, aber auch die Arbeitsplätze der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Darauf keine Antwort zu haben, wäre fatal. Um das zu beurteilen, hilft ein Blick in die Untersuchung des Ausschusses der Regionen vom 14. März 2018. Ja, der Brexit kann teilweise Innovation und Entwicklung beflügeln, heißt es dort. Die Untersuchung besagt aber auch: Es ist unwahrscheinlich, dass die positiven Effekte die negativen Konsequenzen übertreffen können. - Vielleicht hilft es, diese Studie einmal genauer zu lesen. Sie ist auf Englisch. Man kann sie sich aber auch übersetzen lassen.

Es kann nicht sein, dass wir weiterhin business as usual machen und so tun, als sei nichts geschehen oder als werde nichts geschehen. In Schleswig-Holstein haben wir nur 1,3 % Wirtschaftswachstum. Wir stehen kurz vor Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland und Sachsen. Wir haben einen sehr niedrigen Wert und können uns durch den Brexit keine Delle leisten.

Wenn die Regierung schon keinen Plan hat, ist es dringend notwendig, dass sich der Wirtschaftsausschuss über die Folgen des Brexit informiert und sich im Rahmen der Selbstbefassung mit dem Thema beschäftigt, vielleicht sogar einen Runden Tisch ins Leben ruft, damit die Wirtschaft irgendwo einen Ansprechpartner hat. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Hartmut Hamerich.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch ich will mich ein Stück weit an der Kaffeesatzleserei beteiligen, was ein mögliches Brexit-Verfahren für uns bedeutet. Aber mehr als ein Blick in die Glaskugel kann es nicht werden.

Ich danke dem Wirtschaftsminister für die realistische Einschätzung.

(Vereinzelter Beifall FDP)

Von all den Beteiligten, die damit zu tun hatten, ist auf britischer Seite fast keiner mehr übrig. Ich erinnere - ich habe meinem Kollegen Heiner Rickers versprochen, mit einem englischen Satz reinzugrätschen - an eine Aussage in einer Karikatur kurz nach der Brexit-Entscheidung: We didn‘t expect, that we win, so we don‘t have a plan.

Der eine Beteiligte war Boris Johnson, der ehemalige Bürgermeister von London. Das andere war Nigel Farage, britischer Vertreter im Europäischen Parlament. Von diesen Nasen sieht man nichts mehr. Boris Johnson war Außenminister. Er ist weg vom Fenster. David Davis war extra eingesetzter Brexit-Minister. „Secretary of State for Exiting the European Union” heißt das in Großbritannien. Die sind weg vom Fenster, weil sie festgestellt haben, dass das, was sie sich einmal vorgestellt haben, alles nicht machbar ist. Wo sind die 300 Millionen €, die Großbritannien glaubte einsparen zu können, wenn man nicht mehr Mitglied in dieser Europäischen Union ist? Es gibt bisher überhaupt keine Verhandlungsergebnisse, bis auf die eine Tatsache: Am 30. März 2019 um 23 Uhr - wegen der Greenwich-Zeit - ist die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union beendet.

Ob es eine Übergangsfrist bis zum 31.12. gibt, ist noch völlig offen. Auch das steht noch nicht fest. Wir warten ab, was da kommen wird. Ob Theresa May diesen 31.12. oder den 30.03 als Premierministerin überlebt, wage ich auch noch zu bezweifeln. Derjenige, der es angezettelt hat, David Cameron, war der erste, der weg war. So ist es vielen gegangen.

Ja, Herr Hölck, wir haben uns darauf einzustellen, dass es Veränderungen nach dem Brexit geben wird. Nach dem Brexit wird es anders sein als vor dem Brexit. Das ist vollkommen klar. Möglicherweise hat sich meine Fraktion von mir erhofft, dass ich, weil ich bestimmte familiäre Beziehungen nach Großbritannien habe, den Kaffeesatz etwas besser deuten kann als unser Minister Buchholz. Ich begleite ihn gerne, wenn er im Oktober dort hinfährt.

(Zurufe SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das Einzige, was wir in etwa kennen, sind die Auswirkungen auf den mehrjährigen Finanzrahmen. Wir haben einen Nettozahler, der vermutlich 12 bis 14 Milliarden € nicht mehr mit in den Topf wirft. Wir haben Anforderungen der 27 Mitgliedstaaten, die über Frontex, über ELER, über EFRE, über ESF, über Erasmus+, über Horizon und viele andere Dinge sagen: Wir brauchen mehr Kohle.

(Thomas Hölck)

Wir haben unter 27 Mitgliedstaaten, die möglicherweise bleiben, nur einen - und das bröckelt auch -, der sagt, wir sind bereit, ein bisschen mehr einzuzahlen und aus 1 % 1,1 % oder vielleicht 1,15 % zu machen. Ich glaube, auch das wird langsam verschwinden.

Ich kann mir nicht unbedingt vorstellen, wie wir als EU in der Lage sein können, Fördermittel in Verbindung mit mangelnder Rechtsstaatlichkeit eines Landes zu reduzieren. Wer will Ungarn und Polen sagen: „Weil eure Rechtsstaatlichkeit nicht so ist, wie wir uns das vorstellen, bekommt ihr weniger Mittel“? - Wie wollen wir es überwachen? Ich halte das für sehr schwierig und sehr kompliziert.

Ja, wir werden Verschlechterungen haben. Wir werden Verschlechterungen haben, weil wir möglicherweise keine Zollunion hinbekommen, weil wir möglicherweise keine Freihandelsabkommen hinbekommen, über die heute auch viele streiten. Wir werden das Problem haben, was passiert, wenn es zu einer Grenze zwischen Nord- und Südirland kommt. Das ist dann die einzige Grenze, die auf dieser Insel zwischen der Europäischen Union, nämlich Südirland, und dem Vereinigten Königreich besteht. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was dann passiert. Ich wage es mir wirklich nicht vorzustellen.

Wir haben eine Umfrage von der Deutschen Industrie- und Handelskammer gehabt. An dieser Umfrage bei 2.100 Unternehmen haben sich 900 Unternehmen beteiligt. Alle wissen, dass es Veränderungen geben wird. Die Unternehmen, die sich beteiligt haben, haben signifikante Geschäftsverbindungen zu Großbritannien. 91 % sind über Exporte beteiligt; 26 % sind über Importe beteiligt. 25 % haben Niederlassungen im Königreich und 19 % beschäftigen britische Staatsbürger.

Ich halte eine Prognose über die Ausmaße des Brexits für sehr gewagt. Auf was soll sich der Wirtschaftsminister, auf was soll sich Schleswig-Holstein einstellen: auf alle Möglichkeiten? Auf die Möglichkeiten der Reaktion auf einen harten Brexit? Auf die Möglichkeiten der Reaktion auf einen weichen Brexit? - Was passiert mit den Staatsbürgern? Was passiert mit den Briten, die hier bei uns in Deutschland sind? Meine Frau gehört mit ihrem britischen Pass dazu. Ich habe ihr gesagt, sie kann ein Touristenvisum bekommen. Das geht, glaube ich.

(Zurufe SPD)

- Sie kann natürlich auch einen deutschen Pass bekommen. So ist das nicht. Aber das ist bei uns ein bisschen schwierig.

(Heiterkeit)

- Das ist ein bisschen schwierig, ehrlich.

(Thomas Hölck [SPD]: Mit dem Ehemann, oder was?)

- Nein, das hat mit dem Ehemann nichts zu tun. Das hat mit der Ausländerbehörde zu tun. Das ist das Problem.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat mit der Ausländerbehörde zu tun. Ich glaube, wir müssen abwarten, was passiert. Es gibt eine gewisse Bewegung. Sadiq Khan: Ich weiß nicht, ob jemand weiß, wer das ist.

(Zurufe)

Das ist der neue Bürgermeister Londons, der jetzt noch mal deutlich gesagt hat: Selbst die Geldregion um London sagt, man glaube, man müsse neu darüber nachdenken. - Viele Briten sagen das mittlerweile. Möglicherweise haben die meisten zu spät gegoogelt, was „Brexit“ bedeutet, so, wie in Deutschland viele zu spät gegoogelt haben, was „AfD“ bedeutet.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt eine Menge offener Fragen. Eine richtige und zielgerichtete Reaktion erwarte ich dann, wenn wir Forderungen und Verträge bekommen, aber nicht vorher. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte begrüßen Sie mit mir gemeinsam die auf der Besuchertribüne des Schleswig-Holsteinischen Landtags sitzenden Mitglieder des SPD-Ortsvereins Norderbrarup. Herzlich willkommen!