Protocol of the Session on July 19, 2017

a) Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Gemeindewahlen in Gemeinden mit Erstaufnahmeeinrichtungen

Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/75

b) Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holsteins und zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD Drucksache 19/79

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Grundsatzberatung und erteile Frau Abgeordneter Petra Nicolaisen von der CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 4. Januar 2016 habe ich als Abgeordnete eine Kleine Anfrage, Drucksache 18/3672, gestellt. Darin ging es um die Auswirkungen von Erstaufnahmeeinrichtungen und Landesunterkünften auf die Kommunen. Dabei stellte sich zunächst die Frage, in welchen Gemeinden beziehungsweise Kreisen und kreisfreien Städten das Land und aktuell die Erstaufnahmeeinrichtungen oder Landesunterkünfte denn betroffen sind. Die Antwort nennt unter anderem die Gemeinden Seeth und Boostedt.

In der zweiten Frage wird nach den Auswirkungen der Erstaufnahmeeinrichtungen auf die Berechnung der Einwohnerzahl in den Gebietskörperschaften gefragt. Die Antwort:

„Die … ankommenden Flüchtlinge werden bei ihrer Registrierung melderechtlich am Ort der jeweiligen Erstaufnahmeeinrichtung/ Landesunterkunft als Einwohner erfasst... Dieses gilt unabhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status und von der Art der Unterkunft.

Alle von den Meldebehörden erfassten Meldedaten über Zuzüge und Fortzüge bilden die

Grundlage für die Wanderungsstatistik und werden vom Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein im Rahmen der amtlichen Bevölkerungsfortschreibung auf der Basis der Zahlen des Zensus 2011 verarbeitet. Die monatlichen Ergebnisse fließen in die Ermittlung der Einwohnerzahl der jeweiligen Gemeinde ein. Bei der Bevölkerungsstatistik wird ausschließlich die Gesamtheit der Bevölkerung einer Kommune betrachtet und verwendet. Der jeweils maßgebliche statistische Bericht über die Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung trifft keine Aussage dazu, ob und gegebenenfalls welcher Anteil der dort ausgewiesenen Bevölkerung in Erstaufnahmeeinrichtungen und Landesunterkünften lebt.“

In Frage 3 c) wird nach den konkreten Auswirkungen für die Zahl der zu wählenden Vertreterinnen und Vertreter nach § 8 Gemeinde- und Kreiswahlgesetz gefragt. In der Antwort wird auf die Zahlen des Statistischen Amtes nach dem Stand vom 31. Dezember 2015 verwiesen. In die Bevölkerungszahl sind die jeweiligen Flüchtlinge einbezogen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Politik hat bereits nach Beantwortung der Kleinen Anfrage Alarm geschlagen. Für die Gemeinde Seeth heißt das konkret, dass die Einwohnerzahl von 574 im Jahr 2014 auf 1.417 Einwohner im Jahr 2015 gewachsen ist. Die Folge ist: Das nordfriesische Dorf muss die Anzahl der Gemeindevertreter gleich um zwei Einstufungen anpassen, von neun auf 13 Gemeindevertreterinnen oder Gemeindevertreter. Sollte Seeth mangels ehrenamtlicher Kandidaten zu wenige Gemeindevertreter stellen, dann droht die Zwangsverpflichtung. Zitat des Bürgermeisters:

„Wie kann man mit Menschen Politik machen, die sie nicht freiwillig mitmachen?“

In Boostedt schnellte die Einwohnerzahl auf 5.326 Einwohner hoch. Dort muss die Gemeindevertretung von 17 auf 19 Personen erweitert werden. Der Leitende Verwaltungsbeamte Sven Plucas bewertete diese Situation damals bereits sehr kritisch:

„Das ist einer Momentaufnahme geschuldet, bildet aber nicht die tatsächliche Gegebenheit ab.“

Die Zeit drängt. Die Parteien und Wählergemeinschaften sind bereits dabei, ihre Gemeindevertreterinnen und -vertreter aufzustellen. Das Problem hätte bereits vonseiten der alten Landesregierung angegangen werden können.

(Vizepräsident Oliver Kumbartzky)

(Beifall CDU und Kay Richert [FDP])

Dieses ist nicht passiert. Daher gibt es jetzt von uns den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Gemeindewahlen mit Gemeinden in Erstaufnahmeeinrichtungen. Der Vorschlag der SPD, den § 61 a als Sondervorschrift wieder ins Gemeinde- und Kreiswahlgesetz aufzunehmen, ist weder notwendig noch zielführend. Dieser Paragraf müsste nach der Kommunalwahl wieder gestrichen werden. So könnten wir uns als Parlament dann auch selbst damit beschäftigen, aber das tut nicht not.

Liebe SPD-Fraktion, Herr Kollege Rother, ich mache keinen Hehl daraus, dass ich mit Ihrem Artikel 2 im Gesetz zur Einführung einer Sperrklausel durchaus sympathisiere. Im Landtagswahlkampf hat die CDU-Landtagsfraktion für die Einführung der 4-%-Sperrklausel geworben. Die Handlungsfähigkeit der gewählten Vertretungskörperschaften auf kommunaler Ebene muss wiederhergestellt werden. Wir brauchen arbeitsfähige Kommunalvertretungen und Kreistage. Das habe ich bereits mehrfach im Plenum betont. Ob eine Sperrklausel von 2,5 % in allen kommunalen Gremien ausreichend ist, um die Funktionsfähigkeit der kommunalen Gremien zu stärken, stelle ich aber an dieser Stelle infrage. Es ist als Opposition Ihr gutes Recht, den Finger in die Wunde zu legen. Sie haben die Sperrklausel zu Ihrer Regierungszeit ja ebenfalls leider nicht umsetzen können. Sie hätten Sie ja auch gern gehabt. So wie Sie sich damals an Ihren Koalitionsvertrag gehalten haben, werden wir es als CDUFraktion jetzt auch tun.

Ich bitte also um Überweisung der beiden Gesetzesinitiativen in den Innen- und Rechtsausschuss. Dieser wird sich dann aufgrund der Dringlichkeit auch schon morgen in der Mittagspause mit den Bürgermeistern der beiden Gemeinden und den kommunalen Landesverbänden über das weitere Verfahren dazu austauschen. Ich halte es für dringend erforderlich, dass die Sonderregelungen für Boostedt und Seeth noch in dieser Landtagstagung auf den Weg gebracht werden. Die erforderliche Rechtssicherheit sind wir den betroffenen Gemeinden schuldig. Dafür scheint unsere Gesetzesinitiative praktischer, da sie ausschließlich die Durchführung dieser Initiative zum Vorschlag hat.

(Beifall CDU, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die von Ihnen geforderte Einführung einer Sperrklausel und die damit einhergehende Verfassungsänderung bedürfen eines wesentlich längeren Verfahrens.

Ich bitte um Überweisung an den Innen- und Rechtsausschuss und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Bevor wir zum nächsten Redner kommen, begrüßen Sie bitte mit mir gemeinsam auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler der beruflichen Schule des Kreises Ostholstein, Mitglieder des Männertreffs am Falkenberg, Norderstedt, und Mitglieder der Fahrradgruppe Husum. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Thomas Rother das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe verbliebene Kolleginnen und Kollegen! Wir meinen es in der Tat ernst mit dem, was wir sagen. Bereits Anfang dieses Jahres hat Ralf Stegner für eine Große Koalition der Vernunft unmittelbar nach der Landtagswahl zur Aufnahme einer Sperrklausel für Kommunalwahlen in die Landesverfassung geworben. Daher kann auch die Überraschung nicht sonderlich groß sein, dass wir zu dieser Tagung einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen.

Es ist auch kein Geheimnis - Frau Nicolaisen hat darauf hingewiesen -, dass wir auch in der vergangenen Legislaturperiode gern eine entsprechende Landtagsinitiative auf den Weg gebracht hätten. Gelegenheiten dazu gab es genug bei der Änderung der Landesverfassung oder bei der Änderung wahlrechtlicher Vorschriften. Das war uns in der vergangenen Koalition nicht möglich, und die SPD hatte mit der CDU, die sich ja positiv dazu geäußert hat, gemeinsam auch keine Zweidrittelmehrheit. Es wäre also auch nicht gegangen, eine Änderung zu erreichen. Die Hoffnung, die wir vor der Landtagswahl hatten, dass das nach der letzten Landtagswahl geschafft werden könnte, hat sich leider auch nicht erfüllt.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ihr wolltet eine GroKo? - Heiterkeit)

- Frau von Kalben, wenn Sie es richtig in Erinnerung haben, wissen Sie, dass es vor der Wahl die Ankündigung von Herrn Stegner in der Zeit gab, bevor die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen waren, sich dieses Themas anzunehmen, einen ent

(Petra Nicolaisen)

sprechenden Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen und das außerhalb einer Vereinbarung zu bringen.

(Zuruf Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Gut, mit verfassungswidrigen Putschen kennt sich der Kollege Peters anscheinend sehr gut aus. Genau. Da reden wir noch einmal über die Gewaltfrage.

Aber es hat sich ja nun nicht erfüllt. Deshalb bringen wir Ihnen in dieser Tagung den Vorschlag entgegen, der hoffentlich letzten Endes auch die Zustimmung einer Koalition der Vernunft erlangen kann.

Frau Nicolaisen, wir erinnern natürlich, das ist klar, an das Wahlversprechen der CDU. Auf Seite 50 Ihres Landtagswahlprogrammes heißt es:

„Die Zersplitterung der kommunalen Vertretungskörperschaften zur Kommunalwahl 2013 ist in erster Linie eine Folge des Wegfalls der 5-%-Sperrklausel. Die Handlungsfähigkeit der gewählten Vertretungskörperschaften auf kommunaler Ebene muss wiederhergestellt werden. Dies bedeutet, dass das Wahlrecht die Schaffung von Mehrheiten nicht verhindern darf und dass eine zu kleinteilige Zersplitterung von Kreistagen, Gemeindevertretungen und Ratsversammlungen verhindert werden muss.

Deshalb werden wir … für Kommunalwahlen eine Sperrklausel von 4 % einführen...“

Das ist eine wirklich gute Idee, die wir gern in einer verfassungskonformen Variante aufgreifen.

(Beifall Petra Nicolaisen [CDU])

- Frau Nicolaisen, wann sollte denn diese Veränderung stattfinden, wenn nicht jetzt, wo sie schon für die kommende Kommunalwahl 2018 Gültigkeit haben kann?

Es gibt bekanntermaßen weitere Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit in den kommunalen Vertretungen. Die Frage der Sperrklausel ist jedoch eine Kernfrage, die andere Forderungen - wie zum Beispiel die einer Mindestfraktionsstärke - überflüssig machen kann. Dabei hat die CDU weitgehend von den kommunalen Landesverbänden abgeschrieben, was nicht unbedingt verkehrt ist, von eigenen Überlegungen jedoch nicht abhalten sollte.

Bernd Saxe hat in seiner Funktion als Vorsitzender des Städteverbandes Schleswig-Holstein kurz nach

der Landtagswahl an die Vorsitzenden der beiden großen Fraktionen geschrieben.

(Unruhe)

- Die Damen können gern nach draußen gehen, wenn es Sie nicht juckt, und hier nicht stören, Herr Präsident. Herr Saxe hat geschrieben, das Bundesverfassungsgericht habe die 5-%-Sperrklausel vor einigen Jahren für Kommunalwahlen abgeschafft. Seitdem hätten kleine Parteien und Wählergemeinschaften mit teilweise minimalen Stimmergebnissen in die Gemeindevertretungen einziehen können, was zu einer starken Zersplitterung der Landschaft und zur teilweisen Arbeitsunfähigkeit der Kommunalparlamente führe. Wie andere Bundesländer solle auch Schleswig-Holstein auf diesen von Karlsruhe sicher nicht gewollten Effekt reagieren und durch eine Gesetzesänderung eine 4-%-Sperrklausel einführen.

Unabhängig von einigen fehlerhaften und auch erstaunlichen Einschätzungen stimmt das natürlich im Kern. Bernd Saxe spricht in seiner Beschreibung von Arbeitsunfähigkeit und eben nicht, wie einst das Bundesverfassungsgericht, von Arbeitserschwernissen, die in Kauf zu nehmen wären. Schon damals, 2008, hatte die Landesregierung eine andere Prognose gestellt als das Bundesverfassungsgericht. Diese Prognose hat sich leider als richtig erwiesen.

Ich weiß nicht, auf welche Weise die CDU-Fraktion dem Städteverbandsvorsitzenden geantwortet hat. Unsere Antwort auf dieses Schreiben liegt Ihnen als Gesetzentwurf in der Drucksache 19/79 vor. Es ist bedauerlich, dass die Koalition dieses berechtigte Anliegen nicht in ihren Vertrag aufgenommen hat. Was dort nicht ausgeschlossen ist, kann ja noch vereinbart werden. Es war natürlich einfacher, auf der Grundlage einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2008 mit nur einem einzigen Satz das Gemeinde- und Kreiswahlgesetz zu ändern Herr Kalinka kann sich erinnern, der hatte mit unterschrieben -, als nun eine neue Vorschrift zu begründen, die Verfassungsrang haben muss und in der Tat tief in das Wahlrecht eingreift. Daher haben wir uns mit unserem Gesetzentwurf zur Einführung einer 2,5-%-Sperrklausel an dem Flächenland orientiert, bei welchem dies aufgrund einer Verfassungsänderung funktioniert.

Klar: Auch diese Regelung wird von einem eigenartigen Gemisch von Klein- und Kleinstparteien beklagt. Schauen Sie auf die Seiten 16 und 17 in der Begründung unseres Gesetzentwurfs, auch wenn es die klagende Sauerländer Bürgerliste wahrschein