Protocol of the Session on September 26, 2018

Die SPD tut das. Es reicht ihr nicht mehr, dass intersexuelle Menschen unter dem Geschlecht „divers“ eingetragen werden können. Daran rüttelt auch niemand.

Nein, dies soll nun auch unabhängig von einer medizinischen Diagnose für alle möglich sein. Das ist ein Stück weit typisch SPD: alles für alle, Ehe für alle, Schule für alle, Ministerien für alle, heute: „divers“ für alle.

(Zurufe SPD)

- Die Aufregung zeigt mir, dass wir ein Stück weit über des Kaisers neue Kleider reden. Wir können darüber ja im Ausschuss weiterreden.

Für die AfD-Fraktion steht fest: Die Wertigkeit von Mann und Frau, Mutterschaft und Familie, die im Grundgesetz verankert ist, darf nicht verwässert werden. Dies gilt erst recht, wenn der Hebel dazu weltanschaulich begründet ist. Dies ist beim vorliegenden Antrag exakt der Fall, denn nicht die Fakten, sondern das subjektive Geschlechtsempfinden soll entscheidend sein.

Dabei könnten wir die Fakten durch Begutachtung erhalten. Im Jamaika-Antrag wird bemängelt, dass dies teuer und unnötig sei. Wir halten das nicht für unnötig, sondern glauben, dass eine Anhörung im Ausschuss da Erleuchtung bringen würde.

Keinesfalls darf eine Begutachtung in irgendeiner Art entwürdigend sein, und keinesfalls sollten damit Kosten verbunden sein. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich dem Abgeordneten Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! - Das will ich jetzt nicht weiter kommentieren. Für mich ist es nach wie vor besonders wichtig, endlich weiterzukommen, wenn es um die Rechte von transidenten und intersexuellen Menschen geht.

(Beifall SSW und SPD)

Nun dachten wir ja erst, wir können uns freuen, als das Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil im Oktober 2017 so deutlich entschieden hat, dass das Grundgesetz explizit auch die Rechte derjenigen Menschen schützt, die nicht der Einordnung in ein binäres Geschlechtersystem entsprechen, die sich

also dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Wenn nach dem Personenstandsgesetz die Kategorie „Geschlecht“ erhoben wird, ohne dass ein weiterer positiver Geschlechtseintrag neben männlich und weiblich möglich ist, dann werden damit Grundrechte verletzt.

Nun hat das Bundeskabinett im August den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Personenstandsgesetzes beschlossen, der zwar nicht auf die Registrierung des Geschlechts verzichtet, aber eben auf den ersten Blick Verbesserungen verspricht, indem er den dritten Eintrag „divers“ vorsieht. Damit waren nach dem ersten öffentlich gewordenen Referentenentwurf, der noch „anderes“ als dritte Kategorie vorsah, schon Verbesserungen eingeflossen.

Dann wurde sehr schnell klar, dass bei diesem Gesetz immer noch nicht von Selbstbestimmung gesprochen werden kann, weil es den dritten Eintrag eben nur für diejenigen Personen öffnet, die mit einer medizinischen Diagnose dokumentieren können, dass bei ihnen eine sogenannte Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt. Damit hätten wir ein Gesetz, das körperliche Merkmale wie beispielsweise Hormone oder Chromosome als ausschlaggebend für die Kategorie Geschlecht festschreibt und eben nicht die selbstbestimmte Entscheidung der Menschen.

(Beifall SSW und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier wollen wir aber hin. Die Attestpflicht muss aus dem Gesetz gestrichen werden.

(Beifall SSW und SPD)

Der SSW schließt sich der Auffassung an, dass dieser Vorgang nicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird, und er unterstützt die Forderung, die Landesregierung möge sich auf Bundesebene für eine bessere Lösung einsetzen. Das haben wir in der Vergangenheit auch deutlich gemacht, zuletzt mit dem Beschluss im Juni-Plenum, sich der Bundesratsinitiative für ein Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität von transsexuellen und intersexuellen Menschen anzuschließen.

Nun ist unser Herr Sozialminister bestimmt nicht der, bei dem ich mir Sorgen mache, dass er sich ziert, sich für die Rechte trans- und intergeschlechtlicher Menschen einzusetzen. Ich habe Ihre Wortbeiträge in dieser Hinsicht immer als engagiert und empathisch empfunden,

(Beifall SSW, vereinzelt SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

(Dr. Frank Brodehl)

und ich erinnere mich, wie Sie sich in der Plenardebatte enttäuscht über die vorgesehene medizinische Untersuchung zeigten. Sie hatten zugesagt, in den Gesundheitsausschuss des Bundesrates einen Präzisierungsvorschlag einzubringen, der vor nicht selbstbestimmten Zuweisungen zum männlichen oder weiblichen Geschlecht schützen und medizinisch nicht indizierte Operationen an intersexuellen Kindern verbieten sollte. Das fand ich richtig gut.

Aber wir sehen eben auch, dass die Aufnahme der Merkmale sexuelle und geschlechtliche Identität in den Gleichbehandlungsartikel 3 des Grundgesetzes im Juli vorerst gescheitert ist und dass es keine Mehrheit für eine Verfassungsänderung gab. Wir konnten lesen, dass unser Sozialminister zwar für Zustimmung geworben hat, dass sich das CDU-geführte Justizministerium aber nicht überzeugen ließ und letztlich kein CDU-regiertes Bundesland den Antrag offiziell mitgezeichnet hat. Außerdem scheint die Bundesregierung die Reform des Transsexuellengesetzes weiter aufzuschieben.

Vor dem Hintergrund dieser gemischten Signale wünschen wir vom SSW uns ein erneutes deutliches Zeichen für die Unterstützung all derer, die nicht der Vorstellung eines binären Geschlechtersystems entsprechen. Wir könnten eigentlich mit voller Überzeugung den SPD-Antrag, die geschlechtliche Selbstbestimmung für alle Menschen zu verwirklichen, unterstützen. Aber es ist auch gut, wenn er im Ausschuss weiterdiskutiert wird. - Jo tak.

(Beifall SSW, SPD und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Dr. Kai Dolgner.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum ist es eigentlich wichtig, dass der Staat das Geschlecht registrieren soll? Auch die AfD hatte eben Schwierigkeiten, hier irgendeine Notwendigkeit zu konstruieren, und der Mutterschutz war nun der albernste Grund überhaupt. Da gibt es eine schöne Szene aus dem Film „Das Leben des Brian“, in der Loretta das Recht hat, Kinder zu bekommen, auch wenn das biologisch unmöglich ist. Aber das Recht kann man niemandem absprechen.

(Beifall SPD und SSW)

Wenn ich über das Geschlecht gewisse menschliche Rollen festlegen will, die diese gefälligst zu erfüllen haben, dann ist es vollkommen egal, dass Dritte das Geschlecht festlegen. Wenn ich aber Menschen auf Rollen festlegen will, indem ich sage, es gibt natürliche Rollen, die ein Mensch aufgrund eines biologischen Geschlechtes und aufgrund eines Chromosomensatzes hat, dann kommen Sie relativ schnell dazu, dass das einzige Interesse dafür ist, eine Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten, in der ich Menschen anhand ihres Geschlechtes gewisse Funktionen und Rollen zuschreibe. Einen anderen vernünftigen Grund gibt es schlicht und ergreifend nicht. Um das Ganze noch ein bisschen zu verschärfen: Man kann einen XY-Chromosomensatz haben, der teilweise phänotypisch gar nicht im männlichen Geschlecht münden muss, und trotzdem wie eine Frau aussehen, und zwar mit allen äußerlichen Merkmalen. Das ist durchaus möglich.

(Beifall SPD und SSW)

Eine Ausnahme wäre, man käme auf die bescheuerte Idee, wieder die Wehrpflicht für Y-Chromosomen-Träger einzuführen. Dann hätten wir an dieser Stelle ein Problem.

(Martin Habersaat [SPD]: Pfui, das wollen wir nicht!)

Mit anderen Worten: Ich weiß nicht, an welchen Verwirrungen Menschen in der AfD leiden.

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Immer sachlich bleiben!)

- Ich bin bei der Sache. - Für die Frage meines Geschlechtes und meines Gefühls brauche ich keinen Pass.

Zu der Fragestellung, welches Geschlecht mein Gegenüber hat: Entweder es geht mich nichts an, oder ich habe andere Wege, das herauszufinden. Dafür brauche ich auch keinen Pass.

(Heiterkeit - Beifall SPD und SSW)

Sie tun immer so, als ob dann, wenn man das Geschlecht „divers“ ermöglicht oder das Geschlecht gar nicht registriert, die komplette Beliebigkeit ausbricht. Nein, das ist die Wahlfreiheit derjenigen, die das Geschlecht entweder gar nicht angeben wollen oder die sich nicht durch Dritte definieren lassen wollen, sondern sich selbst definieren wollen. Sie haben die richtige Quelle zitiert, Sie haben aber nicht weitergedacht. Wenn Sie weitergedacht hätten, dann wären Sie natürlich zum richtigen Ergebnis gekommen.

(Flemming Meyer)

Ja, die SPD steht dazu: Als egalitäre Partei haben wir nichts gegen die verschiedenen Geschlechter. Wir haben nur keinen Regulierungswahn, und wir sind dagegen, dass der Staat das vorfestlegt und ich ein riesen Verfahren durchlaufen muss, wenn ich sage: Deine Vorfestlegung war aber nicht so dolle.

Ich finde das Modell, das besagt, dass jeder das selbst festlegen kann, vollkommen in Ordnung. Da vermisse ich gar keine Information. Ich schaue auch nicht täglich ins Personenstandsregister, wo solche Fragen geklärt werden.

Mit anderen Worten: Das kann man ruhig einmal etwas liberaler sehen, außer man möchte Menschen in ihren Rollenbildern halten, die Dritte ihnen zuschreiben. Das wollen wir nicht. Deshalb wollen wir eine möglichst liberale Regelung haben.

(Beifall SPD und SSW)

Für die Landesregierung erteile ich das Wort dem Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin gespannt, ob ich das Kopfkino nach dem Beitrag des Kollegen loswerde.

(Heiterkeit)

- Alles gut. - Lieber Herr Kollege Meyer, gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Die Jamaika-Koalition hat sich darauf geeinigt, der Grundgesetzänderung zuzustimmen. Wir hätten das auch getan. Die antragstellenden Länder selbst haben ihren Antrag nicht ins Plenum eingebracht, weil noch keine Mehrheit absehbar war. Ich finde es schlau, dass man den Versuch erst dann wieder aufsetzt, wenn in der Länderkammer dafür auch die notwendige Mehrheit zu erreichen ist. Ich kann Ihnen sagen, dass Schleswig-Holstein - wie wir es miteinander verabredet haben - der Grundgesetzänderung in Artikel 3 Absatz 3 zustimmen wird.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt CDU)

Ich habe heute - das ist die zweite Vorbemerkung gelernt, dass es nicht nur wie in der Vergangenheit, wenn es um dieses Thema ging, Gegrinse und Getuschle gibt, sondern dass man auch mit pseudowissenschaftlichem Geschwurbel daherkommen kann, um etwas vermeintlich darzustellen, wenn man

schlicht und ergreifend weiterhin die Welt in Schubladen packen möchte und sie so einteilen möchte, wie es einem passt. Das kann man machen.