Protocol of the Session on September 5, 2018

(Jörg Nobis [AfD]: Das war der Fußballclub und nicht die AfD, Herr Koch!)

- Herr Nobis, das habe ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht behauptet.

(Zuruf Jörg Nobis [AfD] - Weitere Zurufe)

Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Herren, es wäre angemessen, wenn wir jetzt den Redner ausreden lassen und die Zwischenrufe dann zu tätigen, wenn sie einen Bezug haben. - Vielen Dank.

Das Ergebnis war, dass bereits am Sonntagabend mehrere hundert und am darauffolgenden Montag mehrere tausend Rechtsradikale, Neonazis, Chaoten, Wutbürger durch Chemnitzer Straßen zogen und dabei Parolen brüllten wie „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“. All das sind genauso Verbrechen wie der Mord an Daniel H.: Diskriminierung, Selbstjustiz und jede Form von Gewalt verbieten wir uns in Deutschland. Ich verurteile diese Geschehnisse hier auf das Allerschärfste.

(Beifall CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der politischen Diskussion um diese Geschehnisse in Chemnitz hat sich anschließend ein Mitglied dieses Hauses öffentlich zu Wort gemeldet. Jetzt komme ich zur AfD.

Die Abgeordnete der AfD-Fraktion Doris von Sayn-Wittgenstein hat auf der Homepage des Landesverbandes Folgendes geschrieben - ich zitiere -:

„Orchestriert wird der Protest von einem öffentlich-rechtlichen Propagandaapparat im Stil der ‚Aktuellen Kamera‘. …

(Beifall AfD)

Außer Stimmungsmache keine belastbaren Informationen.“

In bester PEGIDA-Manier wird hier eine Lügenpresse skizziert. Trotz aller Zeugenberichte, trotz Fotos und Videoaufnahmen werden die Ereignisse von Chemnitz von Frau von Sayn-Wittgenstein schlichtweg in Abrede gestellt.

(Präsident Klaus Schlie)

Weiter heißt es in ihrer Pressemitteilung - ich zitiere wiederum -:

„Am gestrigen Abend kamen Tausende Patrioten aus ganz Deutschland in der sächsischen Stadt zusammen …“

Meine Damen und Herren, wer die gewalttätigen Ausschreitungen in Chemnitz mit ehrenhafter Vaterlandsliebe erklärt, der hat offensichtlich jegliche Distanz zu Neonazis und Rechtsradikalen verloren.

(Lebhafter Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Die Pressemitteilung der AfD-Landesvorsitzenden wurde am Dienstag, den 28. August, um 12:29 Uhr auf der Homepage des AfD-Landesverbandes veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt waren die Medien bereits voll von Berichten und Fotos darüber, dass von mehreren Demonstrationsteilnehmern der Hitlergruß gezeigt worden ist und die Polizei deshalb zehn Ermittlungsverfahren eingeleitet hat.

In Kenntnis dieser Tatsachen bezeichnen Sie diese Neonazis als deutsche Patrioten, Frau von SaynWittgenstein? Wenn das Ihre Auffassung ist, dann zeigt sich einmal mehr das wahre und erschreckende Gesicht der AfD.

(Lebhafter Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Kommen Sie mir jetzt nicht mit der Ausrede, dass Sie nur die „braven“ Demonstrationsteilnehmer gemeint hätten, die von den gewalttätigen Hooligans und Neonazis in Mitleidenschaft gezogen würden, die aber mit denen gar nichts zu tun hätten. Jeder gesetzestreue Bürger, der eine öffentliche Versammlung besucht, aus deren Teilnehmerkreis heraus Straftaten und verfassungswidrige Handlungen begangen werden, macht sich mitschuldig. Er sollte diese Versammlung schnellstmöglich verlassen, er sollte sich davon distanzieren. Tut er das nämlich nicht, dann macht er sich mit Verfassungsfeinden und Straftätern gemein, dann signalisiert er Zustimmung zu deren Handlungen und ist dann auch nicht besser als der rechte Mob auf den Chemnitzer Straßen.

(Lebhafter Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Diese Menschen anschließend mit deutschen Patrioten zu vergleichen, hat die gleiche Qualität wie die Bezeichnung des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg als „Feigling“ und „Verräter“ durch den Landesvorsitzenden der niedersächsischen AfD-Jugend. In diesem Fall hat die

AfD zumindest personelle Konsequenzen gezogen. In Schleswig-Holstein scheint es noch der Aufklärung über das Verhältnis von AfD zu Neonazis und Rechtsradikalen zu bedürfen.

Mir ist das Zerwürfnis in der AfD-Fraktion durchaus bekannt, ebenso die Spannungen zwischen Landtagsfraktion und Landesvorstand. Umso mehr frage ich mich, ob Sie, Herr Nobis, nach diesen Aussagen Ihrer Landesvorsitzenden nach wie vor zu einer Zusammenarbeit zurückkehren wollen, so wie Sie es vor wenigen Wochen im NDR-Sommerinterview formuliert haben. Deshalb erwarte ich heute von der AfD-Fraktion eine klare Positionsbeziehung zu diesen Aussagen ihres Fraktionsmitgliedes. Teilen Sie die Auffassung, dass die öffentlichrechtlichen Medien in Deutschland ein Propagandaapparat sind, der Stimmungsmache betreibt und keine Informationen vermittelt?

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

- Es ist schlimm, dass Sie das sagen. Das hätte ich jetzt von Ihnen nicht erwartet.

Teilen Sie auch die Auffassung, dass gewalttätige Rechtsradikale und Neonazis deutsche Patrioten sind? Auf diese Fragen erwarte ich von Ihnen jetzt und hier an diesem Rednerpult eine Antwort. Herzlichen Dank.

(Lang anhaltender Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Herr Oppositionsführer, der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen in diesem Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde handelt von wachsendem Rechtsextremismus in Deutschland sowie vom Umgang von demokratischen Parteien damit. Hinter dem, was die AfD sagt, steckt Strategie. In Amerika nennt man das Dog-whistle politics. Man formuliert Dinge, die für die eigene Zielgruppe Botschaften enthalten, die dann wieder relativiert werden können: „Das war ja nicht so gemeint, weil die Lügenpresse …“ oder sonst etwas. Das war der Fall bei Herrn Höcke mit dem „Mahnmahl der Schande“, bei Gaulands Äußerungen zum tausendjährigen Reich, wenn er von der „Entsorgung von Aydan Özoguz nach Anatolien“ sprach oder bei dem, was

(Tobias Koch)

der Fraktionsvorsitzende der AfD hier im Haus über Züge und Hochöfen gesagt hat, sowie bei dem, was wir eben über eine Abgeordnete in diesem Hohen Haus gehört haben.

Das alles sind keine Ausrutscher, das ist Strategie. Die Grenzen des Sagbaren sollen verschoben werden, die Immunisierungskräfte unserer Gesellschaft gegen Nationalismus und Rechtsextremismus sollen geschwächt werden. Warum die AfD ein Interesse daran hat, das konnte man in den letzten Tagen beobachten. Aus den Tätern sollen nämlich Opfer gemacht werden. Denn auch hinter den Vorfällen in Chemnitz steckt Strategie, eine Strategie, die Opfer missbraucht und Tatsachen verdreht, und das solange, bis sogar der grölende, den Hitlergruß zeigende Neonazi öffentlich als hilfloses Opfer der Asylpolitik bezeichnet werden kann. Das steckt dahinter, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Was ist passiert? In Chemnitz ist ein junger Mann ums Leben gekommen. Tatverdächtig sind zwei junge Männer aus Syrien und dem Irak. Das ist ohne Zweifel erschreckend und ohne Zweifel eine Tat, auf die der Rechtsstaat antworten muss. Die Gesetze gelten in Deutschland übrigens für alle Menschen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Eines darf aber niemals sein, nämlich Rechtfertigung von Gewalt und Menschenjagden. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Das Thema Gewalt heißt für mich, dass Gewalt, egal von wem sie ausgeht, egal gegen wen sie sich richtet und egal wie sie begründet wird, in Deutschland geächtet wird. - Erstens.

(Lebhafter Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [AfD])

Zweitens. Die Opfer und deren Angehörige verdienen unser Mitleid und nicht die schamlose Instrumentalisierung von Menschenfeinden und Ausländerfeinden.

(Lebhafter Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [AfD])

Drittens. Wir wollen keine Selbstjustiz, sondern wir wollen einen starken Staat, der dem rechten Mob auf der Straße zeigt, dass wir das nicht hinnehmen und dass das Gewaltmonopol in Deutschland dem Staat gehört und niemandem sonst.

(Lebhafter Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Chemnitz war eine Zäsur, übrigens nicht wegen der Chemnitzer oder der Sachsen, obwohl man schon auch sagen muss - es gefällt mir nicht, dass ich das in diesem Kontext sagen muss -: Auch die sächsische Union muss sich vorhalten lassen, dass sie über viele Jahre hinweg nicht nur auf dem rechten Auge blind war, sondern deutlich Richtung rechts gezwinkert hat, wenn ich an die NSU-Dinge denke, wenn ich an Freital und vieles andere denke.

Aber ich will auch sagen: Die AfD behauptet hier im Haus immer, sie sei Teil des doch irgendwie noch guten bürgerlichen Teils der deutschen Rechten. Wer Hand in Hand mit NPD, PEGIDA, Hooligans und anderen Rechtsextremisten durch Chemnitz marschiert, wer die freie Presse attackiert, auch wenn wir insoweit aus Amerika schon einiges gewöhnt sind, wer die Vorfälle in Chemnitz relativiert, wer Menschen durch Straßen jagt, dem muss man sagen: Der ist nicht Teil der demokratischen Kräfte in Deutschland; der steht außerhalb des Konsenses der demokratischen Parteien.

(Lebhafter Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Den rhetorischen Brandreden folgen dann Brandsätze und irgendwann auch Tote. Diese haben wir im Übrigen auch schon gesehen.

Die Äußerungen der AfD-Landesvorsitzenden zu Chemnitz sind erschreckend - rhetorisch, aber auch vor allem durch das Menschenbild, das dahinter steckt. „Wir wollen nicht in dieser Gesellschaft ankommen“, hat sie auf dem Bundesparteitag gesagt. Man ahnt jetzt, welches Gesellschaftsbild dahintersteckt.

Ich muss Ihnen heute in diesem Hohen Haus ehrlich sagen: Sie sollten Farbe bekennen. Sie haben in diesem Haus schon viel Dummes und manchmal auch Unanständiges gesagt. Das ist durch das Recht des freien Mandates gedeckt. Aber wer nach Chemnitz noch nicht begriffen hat, dass der Zeitpunkt gekommen ist, einen Verein zu verlassen, der von den Höckes, Gaulands und Weidels geführt wird, den muss man dann auch so behandeln, wenn man dem Verein angehört.

Man kann sich davon nicht distanzieren oder in die Büsche machen. Entweder man ist Teil einer solchen Partei und deckt das mit, oder man distanziert sich davon und verlässt diesen Haufen. Das muss meiner Meinung nach die Konsequenz sein.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

(Dr. Ralf Stegner)

Ich finde übrigens auch, dass es spätestens jetzt Zeit ist, die AfD durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen - so reagiert der wehrhafte Staat -, allerdings - füge ich hinzu - durch ein Bundesamt für Verfassungsschutz, bei dem der Präsident nicht freundschaftliche Beratungsgespräche mit der Führungsspitze führt, sondern unabhängig und rechtstaatlich kontrolliert, was zu kontrollieren ist. Das allerdings wäre notwendig.