Ich finde übrigens auch, dass es spätestens jetzt Zeit ist, die AfD durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen - so reagiert der wehrhafte Staat -, allerdings - füge ich hinzu - durch ein Bundesamt für Verfassungsschutz, bei dem der Präsident nicht freundschaftliche Beratungsgespräche mit der Führungsspitze führt, sondern unabhängig und rechtstaatlich kontrolliert, was zu kontrollieren ist. Das allerdings wäre notwendig.
Herr Ministerpräsident, ich habe Ihre Äußerungen gelesen. Sie haben gesagt, die Kontrolle über den Verfassungsschutz würde die AfD zu Märtyrern machen. Nein, das ist nicht mein Verständnis. Erstens sind Märtyrer nach meiner Auffassung unschuldige Leute. Und zweitens muss ich Ihnen ehrlich sagen: Wenn man dieser Logik folgt, dann kann man den Verfassungsschutz gleich ganz seine Arbeit beenden lassen. Das sind keine Märtyrer, sondern das sind Demokratiefeinde, die unseren Rechtsstaat gefährden. Und die müssen überwacht werden. Ich finde das jedenfalls richtig, und meine Partei fordert das auch.
Erlauben Sie mir auch noch eine Anmerkung zu den demokratischen Parteien. Frau Merkels „Wir schaffen das!“ ist wirklich nicht der Grund und schon gar nicht die Rechtfertigung dafür, wenn rechte Horden mit Hitler-Gruß durch die Gegend ziehen.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Es ist schlimm genug, wenn Rechte so etwas sagen. Aber wenn das aus demokratischen Parteien gesagt wird - und ich möchte ausdrücklich sagen, von Leuten, die ich nicht für Rechte halte -, ist das dumm, töricht und eine Konjunkturspritze für die Umfragewerte der Rechtspopulisten in Deutschland. Das muss man klipp und klar sagen, und das weise ich hier auch zurück.
Die Äußerungen der AfD-Landesvorsitzenden zeigen, dass Sie keine Alternative für Deutschland sind, sondern eine Schande für Deutschland, für dieses Parlament, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich möchte aber auch anmerken, dass man sich fragen muss, ob es wirklich so schlau ist, solchen Äußerungen durch eine Aktuelle Stunde Publizität zu verschaffen. Ich möchte Ihnen eines sagen: Ich finde, es ist gut, wenn möglichst wenig Leute solchen Unsinn lesen müssen, und schon gar nicht Kinder und andere. Dass so etwas noch in Deutschland stattfindet, ist schlimm genug.
Wir brauchen aber eine Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten. Die Lehre aus der deutschen Geschichte für uns ist, dass es nie wieder Rassismus und Gewalt geben darf. In Artikel 1 Grundgesetz heißt es:
Wer sich nicht dazu bekennt, gehört nicht zu uns. Und die Sozialdemokratie sagt: Eine Normalisierung zur rechten Partei wird es mit uns nicht geben. Wir streiten mit den demokratischen Parteien in diesem Haus um den richtigen Weg, aber wir bekämpfen leidenschaftlich die rechten Demokratievereine. - Vielen herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Am Samstag war ich gemeinsam mit meiner Kollegin Aminata Touré und 4.000 Demokratinnen und Demokraten in Chemnitz. Wir schlossen uns den Protesten gegen den Aufmarsch von AfD, PEGIDA, Pro Chemnitz und vielen anderen an. Ja, Frau von Sayn-Wittgenstein, wir waren Teil jener Proteste, die Ihrer Aussage zufolge - Zitat „orchestriert von einem öffentlich-rechtlichen Propaganda-Apparat im Stil der Aktuellen Kamera“ waren.
Lassen Sie mich eines gleich zu Beginn sagen, weil es entscheidend für die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie ist: Ihre völlig haltlosen Angriffe gegen eine freie Presse, Ihr rhetorischer Gleichschritt zu den Lügenpresse-Chören und Ihre geschichtsvergessene Relativierung der DDR bereiten den Nährboden dafür, dass zahlreiche Journalistinnen und Journalisten nach ihren Recherchen in Chemnitz in den sozialen Medien kundtun mussten, dass sie heil zuhause angekommen sind. Ihre zum Markenkern
gewordenen Lügenpresse-Rufe sind unter anderem der Nährboden dafür, dass zahlreiche körperliche Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten aus den Demonstrationen der AfD stattgefunden haben. Es sind die Geister, die Sie riefen, und Sie werden sie nicht wieder los.
Am Sonntag des 26. August wurde der 35-jährige Daniel H. in Chemnitz Opfer eines Tötungsdeliktes. Die Tatverdächtigen sind Geflüchtete. Unsere Reaktion darauf muss Rechtsstaat und Empathie mit dem Opfer sein. Die Tat ist furchtbar, und unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen des Opfers, der auf diese niederträchtige und sinnlose Weise aus dem Leben gerissen wurde
insbesondere auch der Frau des Opfers, die nur wenige Stunden nach der Tat zum Teil der verlogenen Instrumentalisierung des rechten Mobs gemacht wurde. Ich möchte nicht weiter auf die vermutliche politische Haltung des Opfers eingehen, nicht auf seinen Migrationshintergrund und die Perfidie, wie AfD, PEGIDA, Pro Chemnitz und andere mit seinem Gedenken umgehen. Ich wünsche mir, dass die Hinterbliebenen endlich die Möglichkeit und Ruhe zur Trauer haben.
Warum ich es aber trotzdem für wichtig halte, an dieser Stelle über Ihre Äußerungen zu sprechen, da Sie aus der Mitte dieses Hauses kommt, möchte ich ganz kurz eingehen. Ich möchte auch Herrn Stegner in Teilen widersprechen, auch wenn wir in dieser Frage immer einer Meinung sind. Ich glaube, wir können solche Äußerungen nicht damit abtun zu sagen, wir hoffen, dass möglichst wenig Menschen sie lesen müssen. Denn die Reichweite, die Frau von Sayn-Wittgenstein in ihrer Position hat, ist nicht zu verachten. Wir müssen darauf immer wieder reagieren, weil es uns nicht gleichgültig sein darf.
Es darf uns nicht gleichgültig sein, wenn eine Abgeordnete dieses Hauses Neonazikader, Rassistinnen und Rassisten, Nazi-Hooligans und rechte Rädelsführer der AfD als Patrioten kleinredet. Unsere Reaktion darf nicht sein, dass man erklärt, nichts anderes von ihr erwartet zu haben, und deshalb wortlos zum Alltag übergehen könnte. Gleichgültigkeit ist keine Reaktion, Gleichgültigkeit ist auch
Wenn Frau von Sayn-Wittgenstein davon spricht, dass - Zitat - „Millionen illegal Eingereister unser Rechtssystem vorführen und unsere Kultur, die wir in Jahrhunderten erschaffen haben, verachten und zerstören“, dann empfinde ich keine Gleichgültigkeit; ich empfinde Zorn; Zorn als Motivation, Ihrer Phantasie von rechter Politik durch Solidarität mit den Opfern entgegenzutreten; Zorn im Sinne des berühmten Satzes von Papst Gregor dem Großen, der einst sagte:
„Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand ist.“
Wir werden der Politik der AfD nicht mit Gleichgültigkeit begegnen, denn Gleichgültigkeit hilft immer den Tätern, niemals den Opfern.
Wir dürfen uns nicht dem Glauben hingeben, dass das alles wahnsinnig weit weg wäre, dass Freital weit weg ist, das Heidenau weit weg ist, das Chemnitz weit weg ist. Eine der entscheidenden Lehren aus den Brandanschlägen in Mölln vor 25 Jahren ist, wie schnell aus Worten Taten werden. Auch hier. Die Tatsache, dass in Schleswig-Holstein mehr rechte Übergriffe pro Kopf stattfinden als in allen anderen westlichen Bundesländern, ist mehr als ein Warnsignal. Die Fehler der 90er-Jahre, die zahlreichen rhetorischen Brandstiftungen und Asylrechtsverschärfungen dürfen nicht wiederholt werden.
Wir haben in Chemnitz gesehen, wie schnell durch eine eng vernetzte rechte Szene aus einem Gerücht eine Pogrom-Stimmung durchbrechen kann. Eigentlich wäre zur Ablenkungsdebatte der Rechten, ob das jetzt eine Hetzjagd war und ab wann eine Jagd zu einer Hetzjagd wird, zu sagen, dass für eine Hetzjagd die Jagdstrecke nicht lang genug gewesen ist. Diese Debatte werde ich mit Ihnen aber nicht führen. Ich werde Dreck nicht nach Geschmack sortieren. Diese Nebelkerzen sind so offensichtlich wie Signalraketen.
aber nicht von Gewalttätern distanziert. Ihre moralische Erosion ist im Zeitraffer zu beobachten. Man versucht nicht einmal mehr, auf Distanz mit PEGIDA zu gehen und das irgendwie vorzuspielen. Man rief Samstag quasi gemeinsam zu Demonstrationen auf. Lutz Bachmann marschierte bei dem sogenannten Trauermarsch eine Reihe direkt hinter Björn Höcke, umgeben von zahlreichen Neonazigrößen, die ganz offen ihre Gesinnung zur Schau stellten.
Es ist nur ein Symbol der fortschreitenden Radikalisierung der AfD, dass Pro Chemnitz am Samstag problemlos in die eigene Demonstration integriert werden konnte. Es ist ein Symbol der Schande.
Und wie kommentieren Sie diese Demonstration von Samstag, Frau Sayn-Wittgenstein? Sie sagen, Sie seien stolz, dass es nicht zu Ausschreitungen gekommen sei. Sie loben die - Zitat - „Führungsqualität der AfD-Organisatorinnen und -Organisatoren“. Welch entlarvende Wortwahl. Es würde mich auch interessieren, wie Ihre Kolleginnen und Kollegen links und rechts von Ihnen zu dieser Wortwahl stehen, die sich immer wieder als liberale Splittergruppe zu inszenieren versuchen. Herr Brodehl, Herr Schaffer, wie stehen Sie zur Führungsqualität der AfD in Chemnitz, zur Tatsache, dass der Justizbeamte, der den Haftbefehl wissentlich gegen geltendes Recht veröffentlicht hat, prompt darauf ein Jobangebot der AfD erhalten hat?
Wie stehen Sie dazu? Beziehen Sie doch endlich einmal Position, anstatt ständig so zu tun, als hätten Sie mit all dem nichts am Hut.
Zum Schluss möchte ich noch auf den letzten Satz Ihrer Pressemitteilung eingehen. Sie sagten - Zitat -:
- Was meinen Sie damit eigentlich genau? Wer ist eigentlich „wir“? Wohin soll dieses Land zurückgeholt werden, und mit welchen Mitteln wollen Sie dieses Land eigentlich holen?
Ich kann Ihnen sagen, was wir wollen: Wir wollen nicht mit Angst zurück in die Vergangenheit, sondern mit Mut nach vorn in die Zukunft. Und weil es in der öffentlichen Diskussion viel zu häufig untergeht: Das Gute dabei ist, dass wir mehr sind.
Auch wenn das kein Grund zum Ausruhen ist und diese Mehrheit auch immer fragil sein kann, gibt es Hoffnung. Allein in der vergangenen Woche sind 4.000 Menschen in Kiel für Respekt und Menschenwürde auf die Straße gegangen, 15.000 Menschen in Frankfurt bei „Rock gegen Rechts“, 16.000 Menschen in Hamburg bei der SeebrückeDemonstration, 65.000 Menschen in Chemnitz, bei der größten Demonstration gegen Rechts in der Geschichte seit der Wiedervereinigung.