Protocol of the Session on June 29, 2017

Ist es vielleicht der gemeinsame Wille zum „Anpacken“? Dieses Wort von Ihren Plakaten taucht im Koalitionsvertrag gar nicht auf. Da steht stattdessen vor allem etwas von „fortschreiben“, „weiterentwickeln“ und „prüfen“. Sage und schreibe weit über 100 Prüfaufträge sind im Koalitionsvertrag festgehalten. Dafür brauchen Sie keine Landesre

(Dr. Ralf Stegner)

gierung, sondern einen Prüfausschuss: Daniel Günther prüft für Schleswig-Holstein. Ich dachte, Sie wollten das Land regieren, Herr Ministerpräsident.

(Beifall SPD und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Herr Ministerpräsident, offenbar sind die Schmetterlinge in Ihrem Bauch so heftig, dass Ihre frisch entflammte grün-gelbe Leidenschaft nicht etwa ein flüchtiger Flirt ist, sondern wirklich etwas Ernstes zu sein scheint.

(Demonstrativer Beifall Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

So dachten Sie sich wohl:

„Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet!“

Herr Ministerpräsident, Sie wissen schon, wie es in Schillers „Glocke“ weitergeht:

„Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.“

(Heiterkeit und Beifall SPD und SSW)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei den vielen Prüfaufträgen haben wir die Finanzierungsvorbehalte noch nicht einmal einbezogen, die den Koalitionsvertrag durchziehen. Da muss man sich schon fragen, was Ihre eben versprochenen Investitionen überhaupt wert sind. Wir werden Sie an jedem einzelnen Haushalt messen.

Immerhin: Viele der Investitionen waren auch in der Finanzplanung der Küstenkoalition für IMPULS vorgesehen. Das nenne ich gute Vorarbeit, Frau Finanzministerin Heinold. Wo aber bleibt die gemeinsame politische Aussage der schwarzen Ampel für die Zukunft Schleswig-Holsteins?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich sage nur Ger- hard Schröder!)

Kontinuität, Prüfaufträge, Finanzierungsvorbehalte - das ist zwar ein bisschen langweilig, aber immerhin noch harmonisch. Und dann das: Sie stellen mehrmals fest, wo Sie sich überall nicht einig sind. Das ist an verdammt vielen Stellen der Fall. Werden etwa Änderungen des Sicherheitsgesetzes auf weitere Zeit vertagt? Soll das die richtige Antwort auf die veränderte Sicherheitslage sein? - Wohl kaum. Packen Sie doch einmal an, Herr Ministerpräsident! Was wollen Sie im Bereich der Sicherheitspolitik? Keine Einigung, nichts, weil Sie wissen, dass Sie das in Ihrer Koalition mit den Grünen und der FDP gar nicht hinkriegen.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

- Seien Sie doch nicht so aufgeregt! Sie sind doch lange genug dabei; Sie sind doch Alterspräsident, Herr Kollege!

(Beifall SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich freue mich!)

- Ich habe Verständnis, wenn der Kollege lärmen will, aber die Menschen an den Fernsehschirmen wollen ja auch mitkriegen, was die Opposition sagt, und nicht nur, was der Kollege dazwischenruft.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Die warten alle auf Stegner!)

Wie steht es eigentlich um die Themen, die Sie komplett aussparen oder nur in schönen Überschriften abhandeln? Wie geht es weiter mit der Pflegekammer? Gelten da noch Ihre Wahlversprechen, oder was ist damit los? Warum sagen Sie so wenig zur Heimerziehung, obwohl Ihnen dieses Thema in der vergangenen Legislaturperiode noch einen fruchtlosen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wert war? Um die Jugendlichen ging es Ihnen ja damals schon eher weniger. Wie steht es um das von Ihnen geplante Integrationsgesetz?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Positiv!)

Ihre bayerische Vorlage war ja an kruden Klischees nicht zu übertreffen. Wird das von Ihren Koalitionspartnern eigentlich geteilt, was Sie da aus Bayern abgeschrieben haben? Und was ist eigentlich von einer neuen Bildungsministerin zu halten, der, kurz nachdem Sie sie aus Hamburg geholt haben ich finde es schon mutig, jemanden aus Hamburg zu holen, Chapeau, Herr Ministerpräsident -,

(Unruhe)

gleich die Zuständigkeit für die schulpflichtigen Kinder an Berufsschulen entzogen wird? Damit haben wir Kinder in „Bildungsministerium-Schulen“ und Kinder in „Wirtschaftsministerium-Schulen“. Was ist das für ein Unfug! Das gibt es bundesweit nirgendwo.

(Beifall SPD und SSW)

Man könnte viele andere Beispiele nennen; wir kommen darauf sicher zurück.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der schwarz-grün-gelbe Faden in diesem Vertrag ist keine Idee für die Zukunft unseres Landes, stattdessen Prüfaufträge, Finanzierungsvorbehalte und festgehaltene Meinungsverschiedenheiten im Zwölferpack und das Aussparen schwieriger Themen obendrein. Das mag vieles sein, aber gewiss keine seriöse Regierungsbasis. Die von Ihnen heute so deut

(Dr. Ralf Stegner)

lich beschworene Dynamik entsteht so sicher nicht. Für die von Ihnen zugesagte Kontinuität hätte man wirklich keinen Regierungswechsel gebraucht.

(Zurufe CDU und FDP - Christopher Vogt [FDP]: Der böse Wähler!)

Ein paar neue Posten, und was sonst? - Nein, auf die Wähler komme ich jetzt.

(Unruhe)

Die Grünen-Wähler dürfen jetzt kiffen, die CDUWähler ihre Kinder länger aufs Gymnasium schicken und die FDP-Wähler Herrn Buchholz beim Überreichen von Förderschecks zusehen. Das kann man feststellen, wenn man in Ihren Vertrag guckt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Glücksspiel! - Anhaltende Unruhe)

Unterschätzen Sie die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner nicht! Lassen Sie mich noch auf drei Themen eingehen, über die der Herr Ministerpräsident wirklich gesprochen hat.

Erstens: Kinderbetreuung. Ich begrüße ausdrücklich, dass Sie den Dreiklang unserer Kita-Politik fortsetzen. Sie haben also dazugelernt. Sie wollen sich von den Kommunen nicht mehr verklagen lassen, sondern ihnen endlich helfen. Sie wollen wie wir die Qualität der Kinderbetreuung verbessern, und Sie wollen auch die Beitragsfreiheit erreichen. Wo wir aber klare Wege gegangen sind, um die Eltern zu entlasten, bleiben Sie unklar. Sie reden vom familienfreundlichsten Bundesland. Das Wichtigste ist doch, dass wir Familien konkret entlasten und gebührenfreie Bildung in hoher Qualität für die Kleinsten sicherstellen. Darum geht es doch.

(Beifall SPD)

Zweitens: gute Arbeit. Arbeitnehmerrechte sind für Sie offensichtlich lediglich Bürokratie.

(Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Wenn ich die unkonkreten Festlegungen richtig lese, wollen Sie Tariftreuegesetz, Mindestlohn und Korruptionsregister unter dem Deckmantel der Entbürokratisierung, so weit es geht, wirtschaftsfreundlich entkernen - und das, obwohl doch eigentlich eine intensive Weiterentwicklung nötig wäre.

In einer Zeit, in der psychische Erkrankungen immer mehr zunehmen und zu einer Belastung des Arbeitslebens werden, in der sich die Arbeitswelt radikal digital verändert - Sie selbst haben in Ihrer Regierungserklärung darauf hingewiesen - bleiben Sie jede konkrete Antwort schuldig und gründen

mit dem „Digitalisierungskabinett“ wieder einen Arbeitskreis.

Wir werden nicht hinnehmen, wenn das Gütesiegel gute Arbeit aus dem Norden verschwindet, weil Ihre Vorstellung von Mittelstandsfreundlichkeit heißt, Arbeitnehmerrechte abzubauen.

(Beifall SPD - Zuruf Wolfgang Kubicki [FDP])

Für die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst sieht es schon jetzt finster aus. Lehrkräfte und Polizei wollen Sie zwar richtigerweise schonen, gleichzeitig aber den Stellenabbaupfad einhalten. Wo Sie die ganzen Stellen einsparen wollen, sagen Sie uns nicht. Das klingt nach gewaltiger Arbeitsverdichtung.

Immerhin: Bei den Häuptlingen sind Sie in Spendierlaune. Das muss man sagen. Es entbehrt ja nicht einer gewissen Komik, dass die Schmetterlingsgefühle selbst den einen oder anderen journalistischen Beobachter in den Printmedien dermaßen angesteckt haben, dass der verblüffte Leser morgens im Briefkasten statt der schnöden Alltagspresse in den letzten Wochen teilweise die Anmutung prachtvoller Hochzeitszeitungen vorfand. Das war wirklich große Klasse.

Meine besondere Gratulation gilt dem neuen Herrn Regierungssprecher. Ich frage mich allerdings, wie der das in alter Funktion kommentiert hätte, wenn die Vorgängerregierung zwei zusätzliche Staatssekretäre und einen weiteren Regierungssprecher eingestellt hätte.

(Beifall SPD)

Aber sei’s drum; im Kleinen wollen wir großzügig sein.

Drittens: innere Sicherheit. Nicht nur das Sicherheitsgesetz liegt aufgrund innerkoalitionärer Streitigkeiten auf Eis. Sie wollten die zweite Einsatzhundertschaft. Sie wollten mehr Wasserschutzpolizei. Sie wollten mehr Polizeistationen im ländlichen Raum, als Ihr Innenminister Schlie das damals eingeleitet hatte. Das Letzte wird geprüft; von der Wasserschutzpolizei ist nicht mehr die Rede.