Protocol of the Session on April 26, 2018

In Einzelfällen mag es natürlich Gründe geben, die gegen einen regulären Schulbesuch sprechen. Grundsätzlich aber müssen alle im schulpflichtigen Alter, die bei uns leben, schulpflichtig sein. Hierdurch hätten wirklich alle Menschen im weiteren Bildungs- und Lebensverlauf annähernd gleiche Chancen, und das muss in unserem Interesse sein. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SSW, vereinzelt SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, würde ich Ihnen gern ein paar Hintergrundinformationen zu unserem Besuch auf der Tribüne geben. Herr Shun Kirishima aus Japan ist Journalist und hat in und über Fukushima und die Folgen berichtet und gear

beitet. Herr Oleg Geraschenko war Liqudator in Tschernobyl. Auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein sind beide aus Anlass des Reaktorunfalls in Tschernobyl vor 32 Jahren hier.

(Beifall)

Für die CDU-Fraktion erteile ich nun dem Herrn Abgeordneten Tobias Loose das Wort.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir freuen uns über den Besuch aus fernen Ländern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erst einmal möchte ich mich beim SSW für das Engagement für die Schulpflicht in Schleswig-Holstein herzlich bedanken. Jette Waldinger-Thiering hat es eben schon gesagt: Wir sind uns alle einig, dass Bildung der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben ist.

Ich muss selbst sagen, dass ich mich in Vorbereitung auf die Rede mit dem Thema Schulpflicht etwas beschäftigt habe. Schulpflicht ist in der Tat eine deutsche Erfindung, die es schon viele Jahrhunderte gibt und die auf das 16. Jahrhundert zurückgeht. In Deutschland ist sie seit 1919 vereinheitlicht. Wir haben in Deutschland eine echte Schulpflicht. Das ist keine Selbstverständlichkeit, in anderen Ländern gibt es eine Unterrichts- oder Bildungspflicht. Das ist am Ende in der Qualität schon ein Unterschied.

Aber zurück zum Gesetzentwurf des SSW. Wir haben meines Wissens ungefähr 800 Kinder und Jugendliche in Schleswig-Holstein, die von dieser Frage betroffen sind. Sie kommen nicht aus Schleswig-Holstein, leben aber als Heimkinder in Schleswig-Holstein. Wir haben in der Tat hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag dieses Thema nicht zum ersten Mal diskutiert. Ich habe Kleine Anfragen von Anita Klahn und Heike Franzen gefunden. Insbesondere hat auch der Runde Tisch „Heimerziehung“ sich sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Ein Ergebnis dieses Runden Tisches ist ein Erlass, auf den ich hier insbesondere hinweisen möchte: „Schulische Integration von Kindern und Jugendlichen in Erziehungshilfeeinrichtungen“. - Es ist ein sehr junger Erlass, der aus den Aktivitäten der Vorgängerregierung und des Vorgängerparlaments hervorgeht. Hier heißt es:

„Es gehört zu den Pflichten des Trägers einer Einrichtung, in der Hilfe zur Erziehung

(Jette Waldinger-Thiering)

durchgeführt wird, den Schulbesuch der bei ihm aufgenommenen Kinder und Jugendlichen sicherzustellen.“

Ich finde es schon sehr wichtig, hier zu erwähnen, dass wir eine Rechtssituation haben, bei der ein Erlass gerade für diese hier angesprochenen Kinder klarstellt, dass eine Beschulung sicherzustellen ist. Ich finde daher nicht, dass eine Regelungslücke besteht und wir zwingend eine Änderung im Schulgesetz brauchen.

Es gibt ein viel entscheidenderes Thema bei der Klientel, über die wir sprechen. Es ist nämlich eigentlich nicht die Frage der Schulpflicht, die wir hier diskutieren sollten, sondern bei den Betroffenen ist die Frage der Beschulbarkeit viel wichtiger. Das ist aus meiner Sicht auch der entscheidende Ansatz. Ich hatte ja schon eine Kleine Anfrage angesprochen. Die Abgeordnete Heike Franzen hatte genau diese Thematik aufgeschlüsselt und als Antwort vom damaligen Bildungsministerium bekommen:

„Wenn diese jungen Menschen noch nicht am Unterricht teilnehmen, so geschieht dies regelmäßig im Rahmen einer Übergangsphase, innerhalb derer sie auf den Schulbesuch vorbereitet werden. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen haben oft massive Störungen im emotional-sozialen Bereich, sind Opfer von Gewalt geworden oder haben Alkohol- und Drogenprobleme.“

Ich will das so deutlich ansprechen, dass die Probleme, über die wir reden, für die Betroffenen existentieller Natur sind. Deshalb ist die Schulpflicht vielleicht gar nicht das, was für uns im Mittelpunkt stehen sollte. Das heißt nicht, dass diese Kinder nicht auch zur Schule gehen sollen. Ich hatte ja dargestellt, dass ein Erlass das entsprechend regelt. Man muss aber überlegen, ob das am Ende für den Betroffenen eine sinnvolle Maßnahme ist.

Wir werden das Thema ja im Bildungsausschuss noch einmal aufgreifen. Das ist das Schöne an Gesetzentwürfen, dass wir uns damit dann intensiver beschäftigen. Aktuell - ich habe es dargelegt - kann ich nicht erkennen, dass das Schulgesetz am Ende, wenn wir es so ändern, dann bei dieser Problematik wirklich hilft. Ich finde, man hat nach einem langen Diskussionsprozess über diesen Erlass - der ist etwas länger; wer es mag, kann sich damit auch intensiver befassen - deutlich gemacht, dass man sich um diese Kinder intensiv kümmern möchte. In diesem Sinne freue ich mich auf eine konstruktive Dis

kussion im Schulausschuss und danke an dieser Stelle für die Aufmerksamkeit. - Danke.

(Beifall CDU und vereinzelt FDP)

Wir haben einen weiteren Gast auf der Tribüne, Herrn Kay Gottschalk, Mitglied der AfD-Fraktion im Bundestag.

(Beifall AfD)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Kai Vogel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Der Vorschlag, den der SSW heute mit seinem Gesetzentwurf vorlegt, ist nicht neu, aber richtig.

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut! - Anita Klahn [FDP]: Ja!)

Bereits bei der Vorbereitung der großen Schulgesetznovelle von 2014 hatte die LAG der freien Wohlfahrtsverbände angeregt, die Formulierung in § 20 Absatz 1 Satz 2, wonach gilt: ,,Andere Kinder und Jugendliche, die in einem Heim, einer Familienpflegestelle, einem Internat oder einem Krankenhaus untergebracht sind, können öffentliche Schulen im Lande besuchen“", dahin gehend zu ändern, dass aus der Kann-Vorschrift eine Muss-Vorschrift wird.

Das hört sich zunächst einmal nachvollziehbar an, weil sicher unstrittig ist, dass es keine Gruppen von Kindern geben darf, für die die Schulpflicht nicht gilt. Ebenso darf es keine Regelungslücken geben, die dazu führen, dass ein rein theoretischer Anspruch auf Beschulung nicht umgesetzt werden kann.

Ich entsinne mich noch genau, dass wir uns bei den Beratungen der Bildungspolitiker der damaligen Küstenkoalition die Entscheidung nicht leicht gemacht haben, der Anregung der LAG nicht zu folgen. Auch die Befassung mit den Sachverhalten um den Friesenhof führte uns erneut zu diesem Thema. Das Bildungsministerium hat uns damals überzeugend dargelegt - so fand ich -, dass eine entsprechende Änderung des Schulgesetzes zum einen nur den finanziellen Interessen der Bundesländer dienen würde, aus denen die fraglichen Heimkinder kommen, zugleich aber Probleme aufwerfen würden, weil eine erste Beschulung im Heim selber nicht mehr möglich wäre.

(Tobias Loose)

Das Bildungsministerium hat im Oktober 2017 einen Erlass herausgegeben, der einiges an Rechtssicherheit schafft, indem er den Anspruch des Kindes auf Unterricht in den Mittelpunkt stellt. Der Schulbesuch soll die Regel, die Vorbereitung auf den Schulbesuch innerhalb der Erziehungshilfeeinrichtung soll die Ausnahme sein. Die Frage ist nun, ob weiterer Regelungsbedarf auf der gesetzlichen Ebene besteht, wie es der Kinderschutzbund vor einigen Tagen gefordert hat. Diese Frage kann ich heute noch nicht beantworten. Es ist aus unserer Sicht deshalb unerlässlich, dass wir im Ausschuss über die Folgen einer solchen Gesetzesänderung beraten.

Dazu sollte uns das Bildungsministerium einen möglichst genauen Überblick über folgende Fragen geben: Wie viele Kinder und Jugendliche aus Schleswig-Holstein und aus anderen Bundesländern leben in Heimen, in Internaten, in Krankenhäusern oder in Familienpflegestellen in unserem Land? In welcher Form wird ihr Anspruch auf Schulunterricht umgesetzt? Darüber hinaus müsste das Ministerium darlegen, ob die 2013 erhobenen Bedenken heute nach wie vor gültig sind.

Wir müssen uns natürlich mit der Frage auseinandersetzen, wie wahrscheinlich es ist, dass andere Bundesländer in verstärktem Maße ihre schwierigen Minderjährigen in Institutionen nach Schleswig-Holstein abschieben und unser Land mit den Kosten dann alleinlassen. Sollte dies in größerem Umfang zu erwarten sein, muss geprüft werden, ob eine Verwaltungsvereinbarung im Sinne eines Gastschulabkommens zwischen den beteiligten Bundesländern die Ressourcenfrage im Sinne eines gerechten Ausgleiches klären kann.

Der Antrag des SSW wirft aus unserer Sicht viele Fragen auf, die wir dringend klären sollten. Ich bitte darum - was bei einem Gesetzentwurf ja ohnehin selbstverständlich ist -, dass wir ihn zur Beratung und zur Anhörung dem Bildungsausschuss überweisen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Abgeordneten Ines Strehlau das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gesetzeslage ist von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern ausführlich dargestellt worden. Das

Recht auf Bildung ist ein hohes Gut. Es steht zu Recht in unserer Landesverfassung. Dazu gehört natürlich auch der Schulbesuch - auch für Kinder und Jugendliche, die unabhängig von ihren Familien wohnen. Da sind wir uns mit dem SSW einig.

Die Situation dieser Kinder und Jugendlichen ist nicht einfach. Bis ein Kind aus einer Familie herausgenommen wird, muss ganz schön viel Belastendes vorgefallen sein. Und das will erst einmal verkraftet werden. Außerdem gibt es Problematiken, zum Beispiel Alkohol- oder Drogenprobleme, die bewältigt werden müssen. Da kann es einige Zeit dauern, bis diese Menschen wieder in der Lage sind, sich auf das Lernen in einer Schulklasse einzulassen. Deshalb gibt es aus meiner Sicht Situationen, in denen die Schülerinnen und Schüler erst einmal in der Jugendeinrichtung ,,anderweitigen Schulunterricht“ - wie es heißt - oder eine ,,besondere pädagogische Förderung“ bekommen, die eine Wiedereingliederung in die Schule möglich machen. Das muss aber die Ausnahme sein, und das ist es auch - jedenfalls soweit ich die Papierlage sehe.

An den Schulen sind diese Schülerinnen und Schüler mit zumeist vielen negativen Lebenserfahrungen vielfach eine große Herausforderung für die Lehrkräfte. Deshalb gab es leider auch Ablehnungen durch Schulen, weil sie sagen, dass sie mit der regulären Ausstattung mit Lehrkräften, Schulsozialarbeit und zum Teil Schulassistenz diesen Kindern und Jugendlichen nicht gerecht werden können. Deshalb ist es richtig, bei der Ausgestaltung des Bildungsbonus, der ja ab 2019 kommt, die Schulen mit vielen Kindern und Jugendlichen aus Heimen oder Familienpflegestellen einzubeziehen, damit alle Schulen so unterstützt werden, dass auch diese Kinder individuell gefördert und unterstützt werden können.

Der Fall Friesenhof hat gezeigt, dass die Situation dort schrecklich war. Das Heim war nicht in der Lage, die schulische Begleitung adäquat zu leisten. Deshalb war es richtig, dass der Umgang mit dem Schulbesuch von jungen Menschen in Erziehungshilfeeinrichtungen mit Wohnsitz außerhalb Schleswig-Holsteins und natürlich auch innerhalb Schleswig-Holsteins durch einen Erlass des Bildungsministeriums im Oktober 2017 standardisiert wurde. Das war richtig, weil dort klare Verfahrensweisen festgelegt werden. Da wird klargestellt, dass Voraussetzung zur Erteilung der Betriebserlaubnis einer Erziehungshilfeeinrichtung die Vorlage eines Konzeptes ist, wie anderweitiger Unterricht oder eine besondere pädagogische Förderung stattfinden sollen. Wichtig ist auch, dass im Erlass noch einmal

(Kai Vogel)

klargestellt wird, dass Kinder und Jugendliche grundsätzlich einen Anspruch auf den Besuch einer öffentlichen Schule haben. Eine Schule muss sie grundsätzlich aufnehmen, wenn sie Kapazitäten hat. Bei Ablehnung muss das Schulamt einen anderen Schulplatz nachweisen.

Der Regelfall ist nach dem Erlass der umgehende Besuch einer Schule. Das finden wir richtig, auch weil die Integration in die Gemeinde und in die Schulgemeinschaft vor Ort immens wichtig für eine positive persönliche Entwicklung ist. So sieht es auch der Kinderschutzbund.

Die Gesetzeslage und der Erlass scheinen für mich gute Rahmenbedingungen für die Beschulung und Förderung von Heimkindern zu sein. Schulbesuch ist der Regelfall, anderweitiger Schulbesuch die Ausnahme und zeitlich begrenzt. Wir sollten aber den Gesetzentwurf im Ausschuss ausführlich beraten und uns aus der Praxis berichten lassen, auch darüber, ob sich die Situation durch den Erlass 2017 verändert hat.

Wichtig ist, die Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt zu stellen und für sie die möglichst optimale Lösung zu finden. Deshalb freue ich mich auf die Beratung im Ausschuss.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch wir finden den Gesetzentwurf des SSW sehr gut, denn die Idee dahinter ist ja richtig.

(Beifall SSW)

Alle Kinder in Schleswig-Holstein, die hier leben, sollen zur Schule gehen können. Ich will an dieser Stelle nicht lange darüber sprechen, wie wichtig die profunde Schulausbildung für den Berufsweg, die eigene Selbstständigkeit ist. Da sind wir uns hier einig, wie ich vernommen habe.