Protocol of the Session on February 23, 2018

Der vorliegende Antrag ist noch aus weiteren Gründen schlicht und ergreifend rechtlich nicht umsetzbar. So soll die Landesregierung dazu aufgefordert werden, sicherzustellen, dass bei allen minderjährigen Ausländern, die in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Beschuldigte sind, eine medizinische Altersfeststellung vorgenommen wird. Das Alter eines Beschuldigten ist in der Tat sowohl für die Frage der materiellen Strafbarkeit als auch für das Verfahrensrecht von exorbitanter Bedeutung. Deshalb gehen Staatsanwaltschaft und Gerichte begründeten Zweifeln über das behauptete oder vorläufig festgestellte Alter eines Beschuldigten von Amts wegen nach, Herr Nobis - auch wenn Sie da so ungläubig gucken. Hierzu bedarf es mitnichten einer Aufforderung durch die Landesregierung oder durch den Landtag. Ich will festhalten, dass unsere Justiz das geltende Recht schlicht und ergreifend anwendet.

(Beifall SSW und Eka von Kalben [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Dabei ist gängiges Mittel zur Anwendung dieses Rechts die oft zitierte radiologische Untersuchung. Allerdings - auch darauf haben Vorrednerinnen und -redner hingewiesen - ist die verfassungsrechtlich garantierte Voraussetzung für jedwede Ermittlungsmaßnahme im Einzelfall auf ihre Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit hin zu überprüfen.

Wenn Sie den Rechtsstaat beseitigen wollen, Herr Nobis, dann seien Sie so mutig: Stellen Sie sich hier vorne hin und sagen Sie das klipp und klar. Ansonsten halten Sie sich gefälligst an rechtsstaatliche Gepflogenheiten!

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich will dazu auch sagen: Was ich gerade ausgeführt habe, gilt explizit auch für Beschuldigte nicht deutscher Herkunft. Eine medizinische Altersfeststellung ist einfachgesetzlich wie verfassungsrechtlich nur dann zulässig, wenn hierzu im Einzelfall ein konkreter Anlass besteht, also ernsthafte Zweifel an dem behaupteten beziehungsweise an dem angenommenen Alter des Beschuldigten bestehen. Was bedeutet denn die AfD-Forderung nach einer medizinischen Altersfeststellung - ich zitiere jetzt mal aus Ihrem fabelhaften Werk - „bei allen minderjährigen Ausländern, die Beschuldigte in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sind“?

Sie bedeutet, Personen allein aufgrund ihrer Herkunft, anlasslos - nämlich unabhängig von konkreten Zweifeln an ihrem Alter - einer solchen Maßnahme zu unterwerfen. Das ist der Rassismus, den Ihnen der Kollege Petersdotter hier vorgeworfen hat. Das ist genau dieser Rassismus, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Abgesehen davon ist es schlicht verfassungswidrig.

Letzter Punkt: Die Antragsteller verlangen in Punkt 6 ihres Antrags, dass bei „Feststellung eines vorsätzlich falsch angegebenen Alters … gegenüber dem Betreffenden mögliche Sanktionen zu überprüfen und konsequent durchzuführen“ seien. - Was soll diese Forderung? Ein Ausländer macht sich bereits durch vorsätzlich falsche oder unterlassene Angaben zu seinem Alter strafbar. Ich will das noch einmal wiederholen, weil manche Menschen in Schleswig-Holstein das möglicherweise auch nicht wissen: Ein Ausländer macht sich bereits durch vorsätzlich falsche oder unterlassene Angaben zu seinem Alter strafbar, nachzulesen in § 95 Absatz 1 Nummer 5 des Aufenthaltsgesetzes. Deshalb begründen Zweifel über das Lebensalter eines Ausländers regelmäßig den Anfangsverdacht einer Straftat, dem die Ermittlungsbehörden nachzugehen haben. Die Ermittlungsbehörden in Schleswig-Holstein genauso wie in der Bundesrepublik halten sich an Recht und Gesetz. Sie bedürfen hierzu keiner Aufforderung - weder durch die Landesregierung, noch durch den Landtag, geschweige denn durch die AfD-Fraktion, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren Dr. Heiner Garg)

Es gibt einen Punkt, den ich aufgreifen will: Das betrifft die geforderte Kostenbeteiligung des Bundes; hierzu bedarf es allerdings auch keiner Aufforderung durch wen auch immer. Die Finanzministerkonferenz hat auf Initiative Schleswig-Holsteins am 18. Januar 2018 bereits eine entsprechende Forderung beschlossen. Das ist im Übrigen - aus meiner Sicht zu Recht - nicht auf den Bereich der Altersfeststellung verengt, sondern es sind die Kosten für die Integration der unbegleiteten minderjährigen Ausländer insgesamt gemeint. Ich schließe mich der Auffassung an, dass es gut investiertes Geld in die Zukunft einer offenen und pluralistischen Gesellschaft ist.

Im Ergebnis, meine sehr geehrten Damen und Herren Antragsteller, sind die von Ihnen erhobenen Forderungen entweder nicht umsetzbar, oder sie geben lediglich die geltende Rechtslage wieder, oder sie sind verfassungswidrig. Ich bin insofern sehr dankbar für das angekündigte Votum, dass der uns hier von Ihnen präsentierte Unsinn, mit dem Sie uns heute überrascht haben - oder auch nicht - mit einer großen Mehrheit der Demokraten zurückgewiesen wird.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank, Herr Minister. - Der Minister hat die vereinbarte Redezeit um 4 Minuten und 15 Sekunden überschritten. Diese Redezeit stünde den Fraktionen jeweils theoretisch zur Verfügung. - Ich sehe aber nicht, dass eine Fraktion davon Gebrauch machen will. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, über die Anträge in der Sache abzustimmen. Ich lasse zunächst über den Antrag der Fraktion der AfD, Drucksache 19/519, abstimmen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Damit ist der Antrag gegen die Stimmen der AfD-Fraktion von allen anderen Fraktionen im Haus und den Abgeordneten des SSW abgelehnt worden.

Ich lasse über den Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, Drucksache 19/552, abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und den Stimmen der Abgeordneten des SSW gegen die Stimmen der AfD-Fraktion so beschlossen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 32 auf:

Integration durch gute „Deutsch als Zweitsprache“ (DaZ)-Angebote

Antrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/382

Bericht und Beschlussempfehlung des Bildungsausschusses Drucksache 19/433

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich erteile das Wort zunächst dem Herrn Berichterstatter des Bildungsausschusses, dem Abgeordneten Peer Knöfler.

(Zuruf SPD: Ich verweise auf die Vorlage!)

- Das mag sein, das muss aber der Abgeordnete Peer Knöfler als Berichterstatter entscheiden. - Herr Berichterstatter, Sie haben das Wort.

Ich verweise auf die Vorlage.

Ich danke dem Berichterstatter. - Wortmeldungen zum Bericht gibt es nicht. Ich eröffne die Aussprache.

Für die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat zunächst die Abgeordnete Ines Strehlau das Wort.

Herr Präsident! Liege Kolleginnen und Kollegen! Unsere Schulen haben in den letzten zwei Jahren über 10.000 Kinder und Jugendliche aufgenommen, für die Deutsch nicht die Erstsprache ist. Für die Lehrkräfte in den Erstaufnahmeeinrichtungen und an den „Deutsch als Zweitsprache“ (DaZ)-Zentren war und ist das ein echter Kraftakt. Den haben sie hervorragend gemeistert, auch mit Unterstützung vieler Ehrenamtlicher, und sie haben es geschafft, dass alle Kinder fast vom ersten Tag an in Schleswig-Holstein zur Schule gehen können.

Wenn wir uns im Bundesgebiet umsehen, ist das leider nicht selbstverständlich. Schleswig-Holstein ist da vorbildlich, und darauf können wir stolz sein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

(Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren Dr. Heiner Garg)

Für Jamaika, genauso wie für die Küstenkoalition in der vergangenen Wahlperiode ist dies genau der richtige Weg, um Kindern und Jugendlichen möglichst gute Chancen zu eröffnen, sich zu integrieren. Denn Sprache ist und bleibt der Schlüssel zur Integration.

Von den rund 6.000 Schülerinnen und Schülern, die aktuell noch in der Basisstufe an den DaZ-Zentren an den allgemeinbildenden Schulen sind, werden die meisten im kommenden Schuljahr in die Aufbaustufe wechseln. Während die DaZ-Schülerinnen und -Schüler in der Basisstufe nur teilweise am Regelunterricht teilnehmen, also teilintegrativ beschult werden, wechseln sie mit dem Übergang in die DaZ-Aufbaustufe komplett in eine - ihrem Alter entsprechende - Regelschulklasse und bekommen ergänzend weiter DaZ-Unterricht.

Gerade für die Kinder und Jugendlichen, die aus Kriegsgebieten zu uns geflüchtet sind, ist das eine große Aufgabe: Sie müssen zum einen die harten Kriegs- und Fluchterfahrungen verarbeiten, und zum anderen haben sie mitunter erhebliche Kompetenzrückstände gegenüber ihren gleichaltrigen Mitschülerinnen und Mitschülern, weil sie aufgrund von Krieg und Flucht oft keine reguläre Schule besuchen konnten.

Um diese Kompetenzrückstände abzubauen, ist es wichtig, dass an den Schulen auch Mathe- und Alphabetisierungskurse für die DaZ-Schülerinnen und -Schüler angeboten werden. Es kommen in den DaZ-Klassen auch Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu uns, die fachpädagogische Unterstützung benötigen.

Vor diesem Hintergrund haben wir die Landesregierung gebeten, die DaZ-Angebote entsprechend weiterzuentwickeln und die Kurse bedarfsgerecht anzupassen. Wir haben am Mittwoch beschlossen, hierfür mit dem Haushalt 2018 über 250 zusätzliche Stellen bereitzustellen. Das war richtig und wichtig. Das ist gut investiertes Geld, damit Geflüchtete eine gute Perspektive bekommen für Berufsausbildung und für Integration in den Arbeitsmarkt.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Doch nicht nur für die Schülerinnen und Schüler ist der Wechsel in die DaZ-Aufbaustufe und in eine Regelklasse eine große Herausforderung, sondern auch für die vielen Fachlehrkräfte, die - im Gegensatz zu den Lehrkräften an den DaZ-Zentren - kaum Erfahrung im Bereich Fremdsprachendidaktik und weniger Erfahrung im Umgang mit einer derart heterogenen Schülerschaft haben.

Wir haben in der vergangenen Wahlperiode den Umgang mit Heterogenität und die durchgängige Sprachbildung im Lehrkräftebildungsgesetz für alle angehenden Lehrkräfte verankert. Es gibt für sie die Möglichkeit, im Referendariat einen Kurs „Deutsch als Zweitsprache“ zu belegen und dort ein DaZZertifikat zu erwerben, anstatt eine Abschlussarbeit zu schreiben. Diese Möglichkeit wird von den Lehrkräften im Vorbereitungsdienst gut angenommen.

Rückblickend zeigt sich, dass das sehr vorausschauende Maßnahmen waren. Doch nicht nur die neuen Lehrkräfte brauchen das Handwerkszeug, sondern wir müssen auch die älteren Lehrkräfte durch entsprechende Angebote am IQSH unterstützen.

Last, but not least bitten wir in unserem Antrag die Landesregierung, zu prüfen, wie auch den Schulen in freier Trägerschaft Mittel für den DaZ-Unterricht zur Verfügung gestellt werden können. Ich bin schon mehrfach von Schulen in freier Trägerschaft angesprochen worden, die sich an der Mammutaufgabe beteiligen möchten, die rund 10.000 Kinder und Jugendlichen, für die Deutsch nicht die Erstsprache ist, zu integrieren. Dieses Angebot der Schulen in freier Trägerschaft unterstützen wir ausdrücklich.

Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP, Wolfgang Baasch [SPD] und Kai Vo- gel [SPD])

Vielen Dank. - Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion Herr Abgeordneter Kai Vogel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit dem Jahr 2000 wird auf Vorschlag der UNESCO am 21. Februar der Tag der Muttersprache begangen. Der Anlass war, dass man auf das langsame Schwinden der weltweit 6.000 Sprachen hinweisen wollte. Bei DaZ geht es nun allerdings definitiv nicht um die Muttersprache, sondern, wie der Name schon sagt, um die Zweitsprache. Allerdings ist der Kern ein ähnlicher.

Die Fähigkeit, Sprache einzusetzen, ist wesentliche Grundlage für ein soziales Miteinander und soziale Teilhabe. Für Kinder und Jugendliche, deren Muttersprache nicht die deutsche Sprache ist, ist hier

(Ines Strehlau)

vor Ort die Fähigkeit der deutschen Sprache der absolut wesentliche Schlüssel zur Integration.

Die Koalitionsfraktionen haben zu den DaZ-Angeboten einen Antrag vorgelegt, dem das seltene Glück widerfahren ist, unverändert so aus dem Bildungsausschuss herausgekommen zu sein, wie er hineingegangen ist.

DaZ-Angebote sind nun überhaupt nichts Neues. Die ersten wurden schon 2002 eingerichtet. Aber in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses sind sie eigentlich erst in den letzten drei Jahren geraten, entsprechend dem sprunghaften Anstieg der Flüchtlingszahlen.