Protocol of the Session on February 23, 2018

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

Aus voller Überzeugung sage ich Ihnen, dass wir in Deutschland keinen gesetzlichen Regelungsbedarf haben, wenn es um die Frage geht, wie bei Minderjährigen das Alter festgestellt wird. Die Regelungen im Aufenthaltsgesetz und im SGB VIII sind völlig ausreichend, um mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln eine Altersfeststellung vorzunehmen.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ihr Ruf nach einer Verschärfung der bestehenden Gesetze ist daher reiner Populismus. Sie bauen hier ein Scheinproblem auf, das in dieser Form schlicht nicht besteht. Die medizinische Altersfeststellung ist schon heute möglich, und selbstverständlich sind hier die neuesten wissenschaftlichen und medizinischen Standards anzuwenden. Alles andere wäre grotesk, und das wissen Sie auch ganz genau. Dafür brauchen wir keine Neuregelungen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW)

Tatsächlich geht es Ihnen in erster Linie auch gar nicht um eine einheitliche gesetzliche Regelung. Ihr Ziel ist es, die Landesregierung vor sich herzutreiben. Ihre Forderung, die Jugendämter anzuweisen, stets eine amtsärztliche Feststellung des Alters

(Eka von Kalben)

durchzuführen, ist offenkundig rechtswidrig und dient nur dem Zweck, ausländerfeindliche Stimmungen zu schüren. Auch Ihre Forderung, die Altersfeststellung zwingend durch ein nicht invasives Ultraschall-Screening durchführen zu lassen, ist schlicht rechtswidrig und kann in einem freiheitlichen Rechtsstaat so nicht umgesetzt werden.

Sie ignorieren, dass jede medizinische Untersuchung ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist, das unter dem besonderen Schutz der Verfassung steht. Dieses Persönlichkeitsrecht haben der Staat und seine Organe generell und ausnahmslos bei seinem Handeln zu achten. Eine Beschränkung dieses Rechtes ist nur ausnahmsweise zulässig und bedarf stets einer besonderen Rechtfertigung. Das ignorieren Sie.

Die Grundprinzipien rechtsstaatlichen Verwaltungshandelns sind durch die gegenwärtigen gesetzlichen Vorschriften gewährleistet. Trotz der von Ihnen gezeichneten Horrorszenarien gibt es keinen gesetzgeberischen Handlungsdruck. Es gibt auch keinen konkreten Anlass, die Jugendämter in Schleswig-Holstein zu einer strikteren Handhabung der gesetzlichen Vorschriften anzuhalten, denn bereits nach geltendem Recht haben die Behörden keinen Beurteilungsspielraum bei der Frage, ob Zweifel am Alter eines Flüchtlings bestehen. Hier gibt es keinen Beurteilungsspielraum oder eine wie auch immer geartete Einschätzungsprärogative. Auch das ist heute geltendes Recht. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, bevor Sie solche Anträge stellen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es mag sein, dass dies in anderen Bundesländern vielleicht anders gehandhabt wird. Hier in Schleswig-Holstein aber halten wir uns an Recht und Gesetz. Sie haben nicht dargetan, dass dies nicht der Fall wäre. Je länger wir uns hier mit Ihrem Antrag beschäftigen, desto klarer wird nur eins: Sie wollen den Rechtsstaat vorführen, und Sie wollen diskriminieren. In Ihrem Antrag bringen Sie eine menschenverachtende Grundausrichtung Ihrer Politik zum Ausdruck.

(Zuruf Volker Schnurrbusch [AfD])

Deshalb haben wir uns entschieden, diesen Alternativantrag zu stellen, in dem wir klarstellen, dass unsere gesetzlichen Regelungen ausreichen und die Gesetze lediglich konsequent angewendet werden müssen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Kollege Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei manchen Anträgen der AfD fragt man sich ja: Wissen sie es nicht, oder wollen sie es nicht wissen? Ein Blick ins Internet hätte gereicht, um zu erkennen, dass in Bezug auf die Altersfeststellung bei minderjährigen Ausländern schon alles geregelt ist. Der Kollege Claussen hat dankenswerterweise deutlich gemacht, welche rechtlichen Regelungen bestehen.

Lassen Sie mich Ihnen von der AfD deswegen klipp und klar erklären, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen werden: Er ist wieder einmal unnötig und dient nur dem Zweck, dass Sie mit einem Thema in die Nachrichten kommen, das Vorbehalte bedient und Vorurteile schürt. Die Prüfung der Minderjährigkeit bei Menschen, die Asyl beantragen, ist in Deutschland seit Oktober 2015 per Bundesgesetz zugelassen. Diese Prüfungen haben auch Konsequenzen. Mehr braucht es nicht, und das wissen Sie auch.

Für die Altersfeststellung sind unsere Jugendämter zuständig. Wenn bei einer Person im Asylverfahren die Ausweispapiere fehlen, beginnt die sogenannte Altersfeststellung. Das heißt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes führen ausführliche Gespräche mit der Person. Dabei sehen sie diese selbstverständlich auch an und beurteilen das Alter nach dem äußeren Erscheinungsbild. Wenn dann Zweifel am Alter bestehen, hat das Jugendamt die Möglichkeit, medizinische Röntgenuntersuchungen in Auftrag zu geben. Diesen Untersuchungen müssen die Person und deren Vormund zustimmen. Wird die Zustimmung verweigert - das kann ja passieren -, ist das Jugendamt legitimiert, die Altersfeststellung zu beenden und darf die Inobhutnahme ablehnen. Das heißt: Dann gibt es keine Leistungen nach den Bestimmungen im Jugendhilfebereich, und dann gibt es für diese Personen auch keine besonderen Regelungen im Asylverfahren.

Typisch für die Antragssteller ist wieder einmal der merkwürdige Umgang mit Einschätzungen der von ihnen auserkorenen Sachverständigen. Bei Ihnen gibt es kein Abwägen und kein Einbeziehen anderer Standpunkte. Es gibt keinen ruhigen Angang an

(Jan Marcus Rossa)

Themen. Es gibt Ihre Weltsicht und das, was sich ihr anzupassen hat. Deswegen stellen Sie zum Beispiel nicht den wissenschaftlichen und ethischen Streit über die Altersdiagnostik dar. Sie zitieren natürlich nicht die Bundesärztekammer, die sich wegen der Ungenauigkeit und nicht gegebenen medizinischen Notwendigkeit gegen den Röntgenvorgang ausspricht. Deren Ethikkommission sagt eindeutig, dass sozialpädagogische Prüfungen eigentlich der bessere Weg wären.

In Ihrem drei Seiten langen Antrag widmen Sie dem Argument, ohne das sich ihr Antrag eigentlich gar nicht stellen ließe, nämlich der forensischen Altersdiagnostik, genau drei Zeilen. Das ist ein bisschen dünne.

Ich ziehe die medizinischen Erkenntnisse ausdrücklich nicht in Zweifel. Die medizinische Methode der Altersbestimmung ist die genaueste, die wir zur Verfügung haben. Ist die medizinische Untersuchung uneindeutig, gilt, wie in jedem vernünftigen Rechtsstaat: im Zweifel für den Angeklagten.

Der von der AfD angepriesene zweifelsfreie Nachweis der Volljährigkeit ist eben nicht immer ganz so zweifelsfrei. Eigentlich ist er es nie. Die forensischen Untersuchungen zur Altersdiagnostik liefern trotz des Hantierens mit dem sogenannten Minimalalter nicht immer unfehlbare Ergebnisse.

Handknochen sind normalerweise schon ab dem 16. Lebensjahr ausgewachsen, bei den Zähnen und dem Schlüsselbein ist dies zwischen dem 18. und dem 25. Lebensjahr der Fall. Das ist eine ziemliche Spannbreite. Sind also die Handknochen ausgewachsen, das Schlüsselbein und die Zähne aber noch nicht, so gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Person über 16 Jahre alt ist. Je nach Ausprägung von Zähnen und Schlüsselbein ist sie vielleicht auch über 18 oder 21 Jahre alt. Näherungsweise lässt sich so ein vermutliches Alter ermitteln. Die Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik und das Minimalalterskonzept erklären hierbei das höchste ermittelte Minimalalter für gültig. Wenn dieses bei einem der drei Kriterien über 18 Jahren liegt, so gilt die untersuchte Person als volljährig.

Wir können also feststellen: Die diagnostischen Möglichkeiten und die gesetzlichen Grundlagen sind vorhanden. Regelungen, Leistungen aufgrund der mangelnden Altersfeststellung zu verweigern, sind auch da. Der Rechtsstaat hat also alle Mittel. Der eigentlich stattfindende Prozess müsste deshalb sein, darüber nachzudenken, warum Menschen sich gegebenenfalls als jünger ausgeben, als sie eigent

lich sind, und ob gewisse Leistungen nicht viel eher auf mehr Menschen ausgeweitet werden sollten. Der eigentliche Schluss müsste sein zu sagen, dass nicht die Verfahren das Problem sind, sondern die starren Altersgrenzen in unseren asylrechtlichen Regelungen, die über Unterbringung und Bleibeperspektive entscheiden.

Hier etwas zugunsten der Betroffenen und der Verwaltung zu vereinfachen, wäre viel wichtiger, damit die neuen Menschen in unserer Gesellschaft ankommen und vor allen Dingen endlich ihren Beitrag leisten können. Das wird ihnen immer noch verwehrt. Das ist die eigentliche Herausforderung, der sich die Abgeordneten von der AfD völlig verschließen. Das ist genau der falsche Weg.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Wir kommen nun zu den Dreiminutenbeiträgen. Zunächst hat sich der Abgeordnete Nobis aus der AfD-Fraktion gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor zwei Tagen haben wir hier zusammen den Haushalt beschlossen.

(Zurufe SPD)

Da ist es auch nur recht und billig, auch einen Blick auf die fiskalische Seite dieses Problems zu werfen: 61.893 junge Flüchtlinge leben derzeit in Deutschland, rund 1.800 davon in Schleswig-Holstein. Im Durchschnitt zahlen die deutschen Behörden jeden Monat 5.250 € pro Person.

(Serpil Midyatli [SPD]: Aber an wen?)

Wenn die Zahl der Unbegleiteten auf diesem aktuellen Niveau stagnieren würde, ergäbe sich ein Betrag von etwa 3,95 Milliarden € für das laufende Jahr für Gesamtdeutschland.

In Schleswig-Holstein wurden 2017 insgesamt 105,2 Millionen € für die Unterbringung und Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aufgewendet, nur 11,9 Millionen, also 11 % der Kosten, wurden vom Bund erstattet. In SchleswigHolstein belaufen sich die Kosten für einen Unbegleiteten dabei auf durchschnittlich rund 58.600 €. Damit gibt Schleswig-Holstein im Vergleich beispielsweise zu Brandenburg 18.600 € mehr pro Person aus. Was rechtfertigt diesen Unterschied von

(Lars Harms)

immerhin 46 % Mehrausgaben im Vergleich zu Brandenburg?

(Beate Raudies [SPD]: Da können wir ja mal Brandenburg fragen! - Barbara Ostmeier [CDU]: Was hat das denn mit dem Antrag zu tun?)

Nur die niedrigen Lebenshaltungskosten können es ja nicht sein. Was den geneigten Zuhörer vielleicht am meisten verwundert: Der für die Migranten verwendete Begriff des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings ist nämlich nicht wörtlich zu nehmen: 43 % sind auch nach offiziellen Angaben schon längst erwachsen. Wir lassen uns hier auf der Nase herumtanzen.

(Lukas Kilian [CDU]: Von Ihnen! Nur von Ihnen!)

Es kursiert ja schon das geflügelte Wort, dass man mit einem gefälschten syrischen Pass eine gesamte Großfamilie nach Deutschland holen und durchfüttern kann,

(Serpil Midyatli [SPD]: Wie der deutsche Bundeswehrsoldat!)

in Pinneberg sogar gern einmal mit einer Zweit-, Dritt- oder Viertfrau. Das ist falsch, das lehnen wir ab.

(Zuruf CDU: Bleiben Sie bei den Tatsachen!)

Aber in Wirklichkeit ist es noch viel einfacher: Solange Sie nämlich nicht aussehen, als wären Sie gerade einem Seniorenstift in Kabul entbüxt,

(Zurufe)

können Sie jedes beliebige Geburtsdatum nennen, und fertig ist die Kiste.

(Beate Raudies [SPD]: Wann sind Sie denn geboren?)

Aktuell ist die Einreise nach Deutschland besonders bei den Jahrgängen 2001 bis 2003 beliebt. Unser System wird hier ausgenutzt. Sie lassen zu, dass wir alle ausgenutzt werden. Auch deshalb brauchen wir dringend Maßnahmen zur Altersfeststellung angeblich minderjähriger Ausländer.