Protocol of the Session on February 23, 2018

(Claus Schaffer)

Wenn man auf die PUA der zurückliegenden Wahlperioden blickt und insbesondere auf den der letzten Wahlperiode, dann mag an der einen oder anderen Stelle der Eindruck entstehen, dass das Instrument des Untersuchungsausschusses nur sehr wenige Lösungsmodelle hervorgebracht hat. Oftmals entwickeln sich Problemstellungen zu Vorwürfen, die sich dann nicht selten hochschrauben.

Auch im vorliegenden Antrag werden nicht nur politische Fragen aufgeworfen, sondern - auch das ist wichtig - es wird auch um Einzelpersonen gehen. Deren Interessen müssen wir natürlich auch wahren. Kollege Dolgner hat es gerade deutlich gemacht, indem er von Person X und Y gesprochen hat. Wir haben eine Fürsorgepflicht für alle Beschäftigten, für die normalen Polizisten, aber auch für das leitende Personal. Dieser Fürsorgepflicht müssen wir natürlich nachkommen. Das ist in einem PUA schwieriger als beispielsweise in einer unabhängigen Richteruntersuchung, die wir auch deshalb bevorzugen.

Es ist in der Tat eine komplexe Angelegenheit, die hier in neun Fragekomplexen dargestellt und in über 80 Einzelfragen abgebildet worden ist. Jetzt kommen auch noch die Fragestellungen der Koalition dazu. Bei der Bearbeitung geht es immer wieder darum, den Aspekt der inneren Unabhängigkeit zu wahren, was aus meiner Sicht mit dem Instrument des PUA zunehmend zur Herausforderung wird.

Uns als SSW ist jedoch auch klar, dass unser Vorschlag aus der Vergangenheit, den Untersuchungsausschuss abzuschaffen und eine unabhängige Richteruntersuchung einzuführen, keine Mehrheit fand. Wenn ich mich hier im Hohen Hause einmal umsehe, dann gehe ich davon aus, dass sich an der mehrheitlichen Haltung der Parlamentarier diesbezüglich wahrscheinlich auch nichts geändert hat. Trotzdem glauben wir, dass eine unabhängige Untersuchung wie in Skandinavien besser ist. Wir stehen aber grundsätzlich selbstverständlich zu unserer Landesverfassung, in der ja dieses Recht des PUA festgeschrieben ist, und stimmen natürlich dem Antrag der SPD und auch der Koalition zu; denn schlussendlich ist es wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten.

Es bleibt für uns zu hoffen, dass man trotz unterschiedlicher Parteiinteressen gemeinsam an der Klärung der Sachverhalte arbeitet und zu angemessenen Ergebnissen kommt. Wenn nicht ein sogenanntes Köpferollen im Mittelpunkt steht, sondern die Aufklärung, dann kann ein solcher Untersuchungsausschuss in der Tat zielführend sein.

Wenn dies aber nicht so ist, sondern so, wie man es klassisch kennt, als parteipolitisches Instrument, als scharfes Schwert der Opposition und möglicherweise auch als scharfer Säbel der Regierungsfraktionen genutzt wird, dann werden wir die Sachfragen nicht aufklären können.

Noch einmal: Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landespolizei, auch gegenüber einzelnen Personen, die in diese Sachfragen involviert sind. Das ist eine schwere Verantwortung, die wir tragen müssen. Auch da müssen wir darauf achten, ob alles, was wir dort debattieren, im PUA so öffentlich debattiert werden kann, wie man es sonst aus parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gewohnt ist. Auch damit müssen wir sorgfältig umgehen und prüfen, wie man das erreichen kann.

Sie haben gemerkt, dass wir eigentlich eine andere innere Einstellung zu dem haben, wie man das eigentlich untersuchen sollte. Wir würden es lieber sehen, wenn dies ein unabhängiger Richter in unser aller Auftrag täte, ohne dass dieses politische Instrument dahintersteht. Aber es gibt nur dieses politische Instrument. Das ist ein Recht der Opposition. Natürlich ist dieses Instrument auch zu nutzen. Auch wir haben ein großes Interesse an der Aufklärung der Sachfragen. Wenn wir dazu im parlamentarischen Untersuchungsausschuss kommen können, wäre das eine gute Sache. Wir werden also beiden Anträgen zustimmen.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Ich weise zunächst darauf hin, dass nach Artikel 24 Absatz 1 Satz 1 der Landesverfassung der Landtag verpflichtet ist, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, wenn der Antrag von einem Fünftel der Mitglieder des Parlaments unterstützt wird. Ich stelle fest, dass der Antrag der Abgeordneten der Fraktion der SPD, Drucksache 19/520 (neu 2. Fassung), von einer ausreichenden Zahl von Abgeordneten unterstützt wird.

Wir kommen jetzt zu der Beschlussfassung nach § 2 Absatz 2 des Untersuchungsausschussgesetzes.

Ich lasse zunächst über den Antrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, Drucksache 19/551 (neu), abstimmen, mit dem der Untersuchungsgegenstand konkretisiert und erwei

(Lars Harms)

tert werden soll. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.

Ich lasse dann über den Antrag der Abgeordneten der Fraktion der SPD, Drucksache 19/520 (neu - 2. Fassung–), einschließlich der soeben beschlossenen Ergänzungen abstimmen. Wer dem Antrag in der geänderten Fassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 30 auf:

Maßnahmen zur Altersfeststellung bei minderjährigen Ausländern

Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 19/519

Unbegleitete minderjährige Ausländer - junge Flüchtlinge schützen und fördern

Alternativantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP Drucksache 19/552

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die AfD-Fraktion für der Abgeordnete Claus Schaffer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Gäste! Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge genießen einen Sonderstatus: Sie werden vom Jugendamt in Obhut genommen und in einer Jugendhilfeeinrichtung oder einer Pflegefamilie untergebracht. Diese Gruppe unter den Schutzsuchenden ist außerdem sicher vor Abschiebungen; denn das Gesetz erlaubt eine Rückführung von Minderjährigen nur dann, wenn sie in ihrer Heimat der Familie oder einer Jugendschutzeinrichtung anvertraut werden können. In der Praxis sind Abschiebungen damit nahezu unmöglich.

Mit Blick auf die Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen ist das auch richtig so. Dass die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge mehr Aufwand erfordert als von Volljährigen, ist insofern leicht nachvollziehbar. Deshalb tritt die AfD-Fraktion auch dafür ein, dass dieser altersbedingte Mehrbedarf in allen Fällen geleistet wird, in denen

er tatsächlich besteht, wenn also die betreffenden Flüchtlinge tatsächlich minderjährig sind. Wird dieser Mehraufwand von Flüchtlingen in Anspruch genommen, die in Wirklichkeit volljährig sind, lehnen wir einen solchen Missbrauch jedoch kategorisch ab.

Bei Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, spielt das Alter also eine entscheidende Rolle. Wer keine Papiere vorzeigt, egal aus welchen Gründen, und dazu auch noch angibt, alleine und unter 18 Jahre alt zu sein, erhält zunächst pauschal diesen Sonderstatus. Aber wer prüft diese Angaben? Bislang taten dies die Jugendämter im Rahmen einer sogenannten qualifizierten Inaugenscheinnahme. In der Praxis wird das Erscheinungsbild bewertet und ein weiteres Gespräch geführt, und das war es dann auch. Insgesamt ist das alles andere als ein verlässliches und schon gar nicht ein qualifiziertes Verfahren.

Es sind immer die besonders erschreckenden Einzelfälle, die heute in der Politik zum Umdenken führen: der Fall des Hussein K. im südbadischen Freiburg. Der Afghane steht derzeit vor Gericht, weil er eine Studentin vergewaltigt und ermordet haben soll. Bei seiner Einreise im November 2015 gab er an, 16 Jahre alt zu sein, und das Jugendamt glaubte ihm. Dass er falsche Angaben gemacht hatte, um Vorteile zu erhalten, ist inzwischen klar. Laut der Aussage seines Vaters ist er aber bereits 1984 geboren. Er war demnach bei seiner Einreise 31 Jahre alt. Es ist uns bewusst, dass diese erschreckenden Fälle nicht die Regel sind. Aber die missbräuchliche Inanspruchnahme des Minderjährigenschutzes durch in Wirklichkeit deutlich ältere Asylbewerber beschränkt sich eben nicht nur auf Einzelfälle. Die Wahrheit liegt auch hier in der Mitte.

Realistischerweise wird davon ausgegangen, dass diejenigen Fälle, bei denen Asylbewerber falsche Altersangaben gemacht haben, im zweistelligen Prozentbereich anzusiedeln sind. Die Betrugsquoten reichen, je nach Reichweite, Umfang und statistischer Methode, von knapp unter 20 % bis über 50 %. Wenn dann über 30-Jährige noch als minderjährig durchgehen, dann hat dies mit einem funktionierenden Rechtsstaat nichts mehr zu tun.

Deshalb fordern wir bundeseinheitliche Regelungen zur Altersfeststellung von Flüchtlingen auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Standards. Die in unserem Antrag konkret geforderten Maßnahmen zur standardisierten Durchführung amtsärztlicher Untersuchungen sind dabei wissenschaftlich fundiert; denn sie basieren auf Forderungen der

(Vizepräsidentin Annabell Krämer)

Arbeitsgemeinschaft für forensische Altersdiagnostik, AGFAD, der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin. Daran gibt es nichts zu rütteln, auch wenn im Dienste der Asyllobby tätige Mediziner anderer Auffassung sind.

Die bisher vorhandenen Regelungen sind dafür nicht ausreichend, da die ärztliche Untersuchung nicht der Regelfall ist, sondern sich auf Ausnahmefälle beschränkt. Auch die bisher höchst uneinheitliche Praxis der Jugendämter muss, wie von uns gefordert, beendet werden. Nicht ohne Grund ist deshalb auch bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene erörtert worden, den Jugendämtern die alleinige Verantwortung für die Altersfeststellung minderjähriger Flüchtlinge zu entziehen und sie bundeseinheitlich an Ärzte in Ankunftszentren zu übertragen. Diese Überlegungen kommen drei Jahre nach dem Beginn der Flüchtlingskrise sehr spät, für viele Opfer zu spät. Aber es ist bekanntlich nie zu spät, um Fehler zu korrigieren.

Wenn es um die Frage geht, wie mit Asylbewerbern verfahren werden soll, die sich medizinischen Untersuchungen zur Altersfeststellung verweigern, ist der Vorschlag einer Beweislastumkehr sinnvoll. Wer nicht mitwirkt, sollte als volljährig eingestuft werden. Dies hat kein Geringerer als der Oberbürgermeister von Tübingen, der grüne Boris Palmer, vorgeschlagen. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, ich frage mich dann doch wirklich: Was hat Sie dazu bewogen, den vorliegenden Änderungsantrag in dieser Form zu unterzeichnen? Dass dies die Position der Grünen ist, wissen wir. Aber ist das auch Ihre Position? Wie kann man beim Thema Altersfeststellung nach all dem, was geschehen ist, neue Regelungen pauschal für nicht erforderlich halten? Wir halten dies für erforderlich, und wir stehen damit auch nicht allein. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Das Wort hat für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Claus Christian Claussen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Bevor das Gejammer der AfD gleich wieder anfängt, will ich vorwegschicken: Wir werden Ihren Antrag nicht ablehnen, jedenfalls nicht, weil er von Ihnen kommt, sondern weil er schlicht unsinnig und auch verfassungswidrig ist.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Das will ich Ihnen im Einzelnen gerne erklären. Was Sie fordern, ist etwas anderes als das, was Sie eben gesagt haben. Sie fordern nämlich die zwingende regelmäßige medizinische Untersuchung, und das ist schlicht überflüssig. Sie brauchen einen Fünfjährigen nicht zu untersuchen. Dem können Sie ansehen, dass er nicht volljährig ist.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Wenn Sie einen solchen Unsinn fordern, dann müsste Ihnen eigentlich klar sein, dass das ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist. Das ist damit schlicht verfassungswidrig. Wenn Sie mit Ihrer Kollegin Wittgenstein sprechen würden, könnte sie Ihnen das bestimmt genau so erklären.

(Zuruf Jörg Nobis [AfD])

Sie tun so, als hätten unsere Behörden keine ausreichenden Rechtsgrundlagen, das Alter festzustellen. Auch das ist Unsinn. Sehen Sie sich § 42 f SGB VIII an. In Zweifelsfällen hat das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen, und zwar von Amts wegen. Was wollen Sie denn mehr? Genau das ist die Rechtsgrundlage, die die Jugendämter brauchen.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Sie fordern Sanktionen für falsche Altersangaben. Sehen Sie sich doch § 95 Absatz 1 Nummer 5 Aufenthaltsgesetz an. Da ist die Strafbarkeit schon kodifiziert. Was brauchen wir denn mehr?

Sie fordern Altersfeststellungen bei Strafverfahren. In § 81 a StPO steht, dass die Staatsanwaltschaft und die Gerichte solche Altersfeststellungen veranlassen können. Auch da haben wir eine hinreichende Rechtsgrundlage.

Das heißt, alles, was unsere Behörden benötigen, liegt vor. Es muss aber natürlich konsequent angewandt werden. Das drückt unser Antrag aus, dass nämlich diese konsequente Anwendung des geltenden Rechts vorgenommen werden soll.

(Jörg Nobis [AfD]: Das sagen Sie mal Frau Merkel!)

- Frau Merkel arbeitet in keinem unserer Jugendämter.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

(Claus Schaffer)