Protocol of the Session on November 20, 2020

(Beifall CDU und FDP)

Wir in Schleswig-Holstein haben gottlob nicht Missstände in der Größenordnung erlebt, wie es woanders der Fall gewesen ist. Dazu hat die ausgesprochen gute Arbeit der Landesregierung, vor allem die des Sozialministers, erheblich beigetragen.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Meine Damen und Herren von der SPD, starten Sie in Ihrer eigenen Partei in Berlin die nötigen Initiativen! Schleswig-Holstein zeigt, wie es geht.

(Beifall CDU und FDP - Lachen SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Joschka Knuth das Wort.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Vielleicht sagen Sie etwas zu diesem roten Teppich für Herrn Tönnies in Schleswig-Holstein!)

Ich zu Tönnies? Nein. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Die Große Koalition macht bei diesem Vorhaben keinen guten Eindruck. Das steht auf jeden Fall fest.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich bekomme den Eindruck - wenn ich es sinnbildlich formulieren darf -, dass wir eher von einem Trauerspiel sprechen müssen, wenn wir uns anschauen, was da passiert, als von irgendeiner anderen Form von Stück. Das, was in Bezug auf die Fleischindustrie in Berlin im Moment passiert, riecht stark nach einem Stück mit traurigem Ausgang.

Woran liegt das? Wir wissen, dass die Strukturen in den Betrieben dieser Industrie tendenziell negativ, das heißt zulasten der Tiere und zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gestrickt sind. Wir wissen das nicht erst seit den Corona-Ausbrü

chen; das haben wir hier so immer miteinander diskutiert.

Im Sommer hatten wir endlich die Situation, dass Bewegung in die Sache kam. Der Bund machte sich auf den Weg zu einer neuen Rechtsetzung. Ziel war es, eine Regelung zu schaffen, die geeignet ist, die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern. Jetzt, nach einem halben Jahr, ist die Aufmerksamkeit nicht mehr groß genug, und der Bund lässt das Vorhaben stillschweigend auslaufen. Das, meine Damen und Herren, ist nicht akzeptabel.

(Beifall Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dennys Bornhöft [FDP])

Es braucht die Regelungen, die im Arbeitsschutzkontrollgesetz vorgesehen sind, dringend, um die Situation der Beschäftigten zu verbessern. Wir haben hier schon über viele Inhalte gestritten, beispielsweise über die Werkverträge. Es ist mitnichten so, dass wir nur durch die Erhöhung des Kontrolldrucks zu einer akzeptablen Situation beitragen könnten. Die Situation in den Betrieben ist ja strukturell schlecht. Wenn durch Werkverträge die Haftung beziehungsweise die Haftbarmachung für die Vertrags- und Arbeitssituation von den Betrieben an irgendwelche Subunternehmerinnen und Subunternehmer ausgelagert wird, dann ist das doch Teil eines Problems, das wir beheben müssen.

Wenn der Bund das Regelungsvorhaben jetzt an die Wand fährt, indem er es aussitzt nach dem Motto: „Na ja, wir haben das zwar für Anfang 2021 angekündigt; aber jetzt warten wir im Jahr 2020 so lange, dass man Anfang 2021 nicht mehr in die Umsetzung gehen kann“, dann ist das einfach nicht akzeptabel.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen ganz klar und rechtswirksam das Ende der Werkverträge in der Fleischindustrie. Alle stellen sich darauf ein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Lassen Sie mich zwei weitere Punkte ansprechen, deren Bedeutung in der Anhörung und in der weiteren Beschäftigung des zuständigen Landtagsausschusses deutlich geworden ist.

Erstens. Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit für diesen massiven Einsatz von Leiharbeit in der Fleischindustrie. Es gibt dafür keinen Anlass. Wir brauchen uns nur die Statistik, das heißt die Produktionszahlen zu Fleisch, anzuschauen. Auch ha

(Werner Kalinka)

ben wir gehört, was vonseiten der Landwirtschaft und von fleischverarbeitenden Betrieben, die nicht zu den drei, vier großen gehören, die man bundesweit kennt, an Informationen vorgetragen wurde. Daran ist sehr deutlich geworden, dass es diese Spitzenlasten so eigentlich gar nicht gibt.

Der zweite Punkt betrifft die Wohnsituation. Es hat mich sehr bedenklich gestimmt, wie dazu in der Anhörung vonseiten der großen Fleischbetriebe argumentiert wurde. Es entstand der Eindruck, die Zielsetzung, das Wohnvertragsverhältnis und das Arbeitsvertragsverhältnis voneinander zu trennen, solle bewusst hintergangen werden.

Das ist doch wirklich zum Schaden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Ansage. Das ist überhaupt nicht akzeptabel und ein weiterer Beweis dafür, dass wir es mit einer Branche zu tun haben, die strukturell Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte mit Füßen tritt, und dass wir etwas dagegen tun müssen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und Dennys Bornhöft [FDP])

Ich sage in aller Deutlichkeit: Es ist mir ziemlich egal, wie SPD und CDU sich irgendwie den Schwarzen Peter dafür zuweisen, wer jetzt dafür verantwortlich ist, dass dieses Arbeitsschutzkontrollgesetz nicht kommt. Was wir am Ende brauchen, ist eine schnelle Einigung. Wir brauchen dieses Gesetz, und alle haben sich eigentlich schon dazu bekannt. Also gibt es wirklich keinen Grund mehr, diese Entscheidung und die Abstimmung dieses Gesetzgebungsverfahrens so lange hinauszuzögern. Ich wünsche mir hier wirklich mehr Rückgrat der Kolleginnen und Kollegen auf Bundesebene, damit wir endlich die Wohn- und Arbeitssituation der Beschäftigten in den Fleischbetrieben verbessern. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und Johannes Callsen [CDU])

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Kay Richert das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Die Wirtschaft ist für die Menschen da, das habe ich hier schon mehrfach gesagt. Menschenwürdige Bedingungen, Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit sind wichtig, Respekt vor den Mitmen

schen ist wichtig. Günstige Produkte auf der einen Seite rechtfertigen nicht unwürdige Produktionsbedingungen auf der anderen. Wenn diese Ordnung, die bei uns Common Sense ist, in Gefahr ist, dann müssen wir darüber reden, und das ist nicht erst seit Corona so.

(Beifall FDP und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben bereits des Öfteren über die Arbeit auf Schlachthöfen und in Zerlegebetrieben debattiert. Dabei habe ich für mich das Fazit gezogen, und das muss ich bei allem politischen Streit hier einmal sagen, dass bei dem Ziel, den angemessenen Schutz der Arbeitskräfte zu gewährleisten, kein Dissens in diesem Haus besteht.

(Beifall Dennys Bornhöft [FDP] und Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Aktuell, und das gehört auch zur Diskussion dazu, muss man konstatieren, dass die Situation in Schleswig-Holstein, also in unserem Verantwortungsbereich, insgesamt akzeptabel ist. Verstöße gegen Schutzvorschriften sind vereinzelt und nicht systematisch. Die Betriebe stellen festgestellte Mängel stets umgehend ab und sind auch ansonsten um Kooperation bemüht. Das ergibt sich aus den stets umfangreichen und aktuellen Berichten des Sozialministers Heiner Garg im Sozialausschuss, wenn man sie denn gehört hat.

Heute liegt uns wieder ein Antrag der SPD vor. Lassen Sie uns doch einmal gucken, was da drinsteht: Wir sollen uns konstruktiv für eine zügige Umsetzung des geplanten Arbeitsschutzkontrollgesetzes einsetzen. Da habe ich mich als Erstes gefragt: Ist das nicht ein Projekt des SPD-Ministers Heil? Und Sie fordern uns auf, Ihren eigenen Minister Feuer unter dem Hintern zu machen?

(Zuruf SPD: Nein, ihn zu unterstützen!)

Nach Ihrer Rede weiß ich ja nun, wir sollen der SPD helfen, sich in der Bundesregierung durchzusetzen, und konstruktiv sollen wir sein. Da scheinen Sie ja das geplante Arbeitsschutzkontrollgesetz selbst für verbesserungswürdig zu halten.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

Wir können uns einmal die Eckpunkte zu diesem Gesetz angucken. Die meisten Punkte, die wir darin finden, folgen dem Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz aus dem Jahr 2019, wie zum Beispiel die manipulationssichere Erfassung der Arbeitszeit. Auch das war hier immer unsere Forde

(Joschka Knuth)

rung. Andere Punkte wie eine verstärkte Kontrolle des Arbeitsschutzes sind auf Landesebene schon umgesetzt. Ein Mindeststandard für die Wohnunterkünfte ist auch bereits geregelt. Dafür gibt es die Arbeitsschutzregeln A4.4. Und hinsichtlich der besonderen Anforderung aufgrund der Coronapandemie gibt es die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards in der Coronapandemie für Sammelunterkünfte.

Dann soll noch der Rahmen der Bußgeldandrohung erweitert werden. Ja, wer vorsätzlich und systematisch gegen das Arbeitszeitgesetz verstößt, und nur um diese Art der Verstöße kann es hier ja gehen, der darf auch ruhig zur Rechenschaft gezogen werden.

(Beifall FDP und Doris Fürstin von Sayn- Wittgenstein [fraktionslos])

Das Herzstück des heilschen Vorschlags ist aber erkennbar das Verbot von Werkverträgen in der Fleischwirtschaft, und ich habe es hier schon einmal gesagt: Wer den Werkvertrag verbieten will und suggeriert oder tatsächlich glaubt, damit seien die Probleme gelöst, hat die Struktur des Ganzen nicht verstanden. Das ist reine Augenwischerei. Was hat denn der Werkvertrag - als juristische Konstruktion - mit den Missständen im Arbeitsschutz bei der Unterbringung zu tun? Führt denn das Verbot von Werkverträgen zu Verbesserungen? Nein, es bleibt doch alles, wie es ist.

Herr Heil sagt in seiner Pressekonferenz: Wir verbieten die Werkverträge und verhindern damit den Missbrauch von Werkverträgen. - Das ist schon fast rührend.

Ja, Werkverträge können dann nicht mehr missbraucht werden. Aber wenn Missstände bestehen, ändert das an diesen Missständen nichts. Es geht beim Werkvertrag nicht um das Ob, es geht um das Wie. Es bestehen Gesetzeslücken, die eine legale Umgehung des Arbeitsschutzes möglich machen. Das gilt für Werkvertragsarbeitnehmer, das gilt aber auch für alle anderen. Wenn Werkverträge verboten werden, dann finden sich neue Lücken. Es ist also mit diesen Verboten nichts gewonnen. Wir sollten uns um die Gesetzeslücken kümmern.

(Beifall FDP und Lukas Kilian [CDU])

Interessant ist auch, was nicht in den Eckpunkten steht. Was ist denn mit privat angemietetem Wohnraum, der den Charakter einer Unterkunft hat? Bisher gilt doch die Unverletzlichkeit der Wohnung, wenn in der Wohnung nicht gerade eine Betriebsstätte eingerichtet ist. Das wäre eine Regelungslü

cke, um die man sich einmal kümmern müsste und die es zu schließen gilt. Wie wird denn die Forderung der ASMK umgesetzt, dass alle Arbeitnehmer in einem Betrieb rechtlich in das Arbeitsschutzsystem des auftraggebenden Betriebs eingebunden werden können? Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Tat, der Gesetzentwurf des Herrn Heil braucht noch unseren konstruktiven Einsatz, und wir liefern diesen konstruktiven Einsatz mit unserem vorliegenden Antrag.

(Beifall FDP)