Protocol of the Session on October 11, 2017

Sie sind daher mitverantwortlich für die wachsende Terrorgefahr in Schleswig-Holstein. Wir haben islamistische Gefährder im Land, aber keine Abschiebehaftplätze. Die drei im Jahr 2016 in Ahrensburg, Großhansdorf und Reinfeld wegen Terrorverdachts festgenommenen Syrier sowie der im vergangenen Monat in Büchen festgenommene mutmaßliche IS-Kämpfer zeigen: Das Problem ist längst auch bei uns im Norden angekommen. Wir haben Gefährder im Land, aber keine Abschiebe

(Jörg Nobis)

haftplätze wie im Wahlkampf von Ihnen selbst noch verlangt.

Im Wahlkampf gepredigt, und bislang ist nichts passiert. Sie hätten hier sehr leicht erstmals Maßnahmen zur Gewährleistung der inneren Sicherheit ergreifen können. Und ein weiteres Mal wollten wir Ihnen behilflich sein. Mit unserem Antrag zur Schaffung von Abschiebehaftplätzen hätte ein wichtiger erster Schritt zu einer Reduzierung der Problemlage im Land angegangen werden können. Wieder wurde er von Ihnen abgelehnt.

Ihr inflationäres Verwenden des Begriffs „Heimat“ in Ihrer Rede ist daher wenig glaubwürdig. Immer wenn es beim Schutz der Heimat konkret wird, spielt die Heimat für Sie keine Rolle.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Weil ihr einen anderen Heimatbegriff habt!)

Dass Ihnen bei anderen wichtigen Themen im Land, zum Beispiel bei der Betreuung von Kleinkindern, nicht viel mehr einfällt, als das Landeswaldgesetz zu ändern, damit mehr Waldkindergärten entstehen können, ist schon fast eine groteske Nebenerscheinung. Den 100-Tage-Plan haben Sie in diesem Punkt noch nicht umgesetzt. Das ist allerdings auch nicht weiter tragisch. Tragisch ist hingegen, Herr Ministerpräsident, dass Sie als Mitglied einer ehemals konservativen Partei offensichtlich ausschließlich die Kinderbetreuung durch den Staat als relevant ansehen. Schaffen Sie doch lieber die Rahmenbedingungen dafür, dass Eltern frei von äußeren Zwängen selber entscheiden können, ob sie ihr Kleinkind in eine Kita geben oder lieber selbst betreuen wollen!

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dafür braucht man Kita-Plätze!)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, ich verstehe die Misere, in der Sie sich befinden. Selbst für einen trainierten Läufer wie Sie, Herr Ministerpräsident, ist es sicherlich schwierig, einen 100-MeterLauf mit einem grünen Klotz am Bein zu gewinnen. Und anders als bei der Olympiateilnahme des jamaikanischen Viererbobs bei den Spielen in Calgary im Jahr 1988 kann der Anspruch an eine schleswig-holsteinische Landesregierung nicht heißen: Dabei sein ist alles!

Sehr geehrte Jamaikaner: Eine Koalition der Möglichmacher wollten Sie sein. Nach 100 Tagen stelle ich fest: Sie sind eine Koalition des kleinsten gemeinsamen grünen Nenners. - Vielen Dank.

(Beifall AfD - Hans-Jörn Arp [CDU]: Wer ist eigentlich Oppositionsführer?)

Für die Abgeordneten des SSW hat das Wort der Vorsitzende, der Abgeordnete Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wäre man gehässig, dann würde man sicherlich sagen: Außer Ankündigungen hat die Landesregierung bisher noch nichts Gravierendes auf die Beine stellen können.

(Zurufe)

Aber wie Sie wissen, kann ich gar nicht gehässig sein. Nach der Wahl gab es Koalitionsverhandlungen - da waren Sie noch gar nicht an der Regierung -, danach sechs Wochen Sommerferien. Auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien lege ich besonderen Wert darauf. Das limitierende Element in der Ausarbeitung von politischen Initiativen liegt eher in der Mitarbeiterschaft, wenn die in Urlaub sind, und ich gönne den Menschen ihren Urlaub. Danach vier Wochen Bundestagswahlkampf. Ich weiß selbst, wie das ist, insbesondere dann, wenn man Spitzenkandidat ist oder zum Spitzenpool einer Partei gehört. Dann ist man fleißig unterwegs. Auch das ist limitierend.

(Dennys Bornhöft [FDP]: Wen hast du ge- wählt?)

- Ihr zwei habt alles gegeben, das muss man euch lassen. - Jetzt schließen sich Verhandlungen auf Bundesebene an. Dass schleswig-holsteinische Politik versucht, da Einfluss zu nehmen, ist klar. Fürs Regieren bleibt da also kaum Zeit. Das muss man ehrlicherweise sagen. Ich werde gleich auf Inhalte eingehen und darauf, was von dem, was gemacht wurde, gut oder nicht so gut war. Dass noch nicht alles umgesetzt werden kann, ist klar.

Ich glaube aber auch, dass das gar nicht immer notwendig war, denn manchmal hat ja die Küstenkoalition auch gut vorgearbeitet, und man konnte sich mit dem zufriedengeben, was an Früchten dieser Vorarbeit einzufahren war.

So geschehen zum Beispiel bei der Rader Hochbrücke. Es freut uns alle in diesem Parlament - so hoffe ich jedenfalls -, dass der sechsstreifige Ausbau jetzt doch noch möglich geworden ist. Der damalige Wirtschaftsminister Meyer hat richtig gehandelt, als er das angeleiert hat, und unser heutiger

(Jörg Nobis)

Wirtschaftsminister kann sich freuen, dass es jetzt klappt. Das sage ich so wertfrei wie möglich, da ich glaube, dass sich die meisten hier freuen, dass wir nun doch eine vernünftige Lösung für die Rader Hochbrücke bekommen, und das ist das eigentlich Wichtige.

(Beifall SSW)

Meine Damen und Herren, allerdings ist es notwendig, dass es nun weitergeht. Der Ministerpräsident hat angekündigt, dass wir einen weiteren Ausbau der A 7 nach Norden brauchen - eine alte SSW-Forderung. Ja, wir brauchen einen sechsstreifigen Ausbau, weil nicht nur der Verkehr von Süden zunimmt, sondern sich auch der Verkehr von Norden her verstärken wird. In Zukunft wird eine zweite Autobahn auf dänischer Seite von Norden nach Süden gebaut und bei Hadersleben an die E 45, unsere A 7, herangeführt werden. Der Schwerlastverkehr wird dadurch noch zunehmen. Denn die Hauptproduktionsstätten in Dänemark liegen auf der Halbinsel Jütland und nicht rund um Kopenhagen. Wir werden hier eine große Last tragen müssen. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch auf unserer Seite zu einem Ausbau der A 7 kommen.

Der dänische Verkehrsminister hat schon vorgefühlt, ob es EU-Mittel für einen Ausbau geben kann. Wie wir auf unserer Reise nach Kopenhagen hören konnten, besteht die Möglichkeit, dass es EU-Mittel geben kann. Deshalb müssen wir jetzt zügig gemeinsame Planungen für diesen Ausbau machen. Es ist wichtig, dass wir unsere planerischen Hausaufgaben machen. Wir müssen diesen Ausbau schon jetzt für den Bundesverkehrswegeplan als überaus dringende Maßnahme anmelden. Noch steht ja gar nichts im Bundesverkehrswegeplan drin. Hier muss in den nächsten 100 Tagen etwas passieren.

Doch zurück zu den vergangenen 100 Tagen. Nach der Wahl ist ja oft alles anders als vorher, und so ist es auch hier. Vor der Wahl hieß es, die A 20 werde umgehend gebaut und sei in fünf Jahren fertig, wenn die CDU regiere. Nach der Wahl wird dieses Versprechen sofort wieder einkassiert. Mir kann keiner erzählen, dass dies völlig überraschend war. Wir alle wussten, dass dies nicht möglich war. Alle - bis auf einen - haben dies im Wahlkampf auch wahrheitsgemäß gesagt.

Die Leute erwarten jetzt, nachdem das Versprechen gegeben wurde, dass hier endlich etwas passiert. Wir brauchen ein neues Planungsrecht, und der SSW hat hier einen entsprechenden Antrag eingebracht. Sie vonseiten der Regierung müssen jetzt

handeln und endlich in die Gänge kommen, damit wir in Zukunft ein schlankes Planungsrecht bekommen. Geschehen ist hier bisher nichts. Wir müssen da ran. Das Planungsrecht muss auf Bundesebene geändert werden und in der Nachfolge auch auf Landesebene, damit wir zu schnelleren Planungen kommen können. Sonst kriegen wir tatsächlich das Problem, das die Finanzministerin schon genannt hat, dass wir unsere Mittel gar nicht verbauen können, weil wir nicht in die Puschen kommen können.

Meine Damen und Herren, in der Wirtschaftspolitik ist noch nicht allzu viel geschehen. Wir wissen jetzt, dass der Wirtschaftsminister Mindestlöhne nicht immer schön findet und dass in Mittelstandsbeiräten die Beschäftigten, sprich die Gewerkschaften, nicht mitreden sollen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er hat nur gesagt, nicht zu viel!)

- Lieber Kollege Kubicki, das wussten wir schon vorher; das ist nichts Neues.

Was wirklich spannend ist, ist, wie die angeblich notwendige Verschlankung des Vergaberechts aussehen soll. Der Vergabemindestlohn soll ja bleiben - das wissen wir -, und auch die Tariftreue soll laut Koalitionsvertrag nicht angetastet werden. Dann bleiben noch zwei Spielwiesen, auf denen sich der Wirtschaftsminister austoben kann: Umweltstandards und Sozialstandards; auch die stehen im Vergaberecht. Beides war in der Vergangenheit auch gerade für die Grünen wichtig, und hier wird es nun Abstriche geben.

Für uns kann ich sagen, dass Umweltstandards bei einer Vergabe ihre Berechtigung haben und auch Sozialstandards bei Vergaben und Beschaffungen eine Selbstverständlichkeit sein müssen. Eine saubere Umwelt und Behandlung der Beschäftigten sind keine überbordende Bürokratie, sondern immer noch eine dringende Notwendigkeit.

(Beifall SSW und vereinzelt SPD)

Auch in Sachen Bildung wissen die Menschen längst nicht immer, woran sie mit dieser Regierung sind. Sicher, mit der Rolle rückwärts zum flächendeckenden G 9 folgt man dem vermeintlichen Mehrheitswillen in der Bevölkerung. Diese Abkehr vom Abitur nach 12 Jahren, das die CDU 2007 ja selbst mit eingeführt hat, mag heute populär sein, Kontinuität und Verlässlichkeit sehen allerdings völlig anders aus.

Ganz ohne Frage lässt sich gerade in der Bildungspolitik viel bewegen, und hier werden wichtige Grundlagen für unsere Zukunft gelegt. Gleichzeitig

(Lars Harms)

muss man sich aber dringend bewusst machen, dass unsere Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern sehr direkt von den Vorgaben der Politik betroffen sind. Hier sind Augenmaß und verantwortungsbewusstes Handeln gefragt.

Es ist gar nicht lange her, da haben wir den allerersten G-8-Abiturienten zum Abschluss gratulieren können. Wirklich umfangreiche Erfahrungen mit G 8 haben wir in Schleswig-Holstein nicht, und evaluiert ist das Ganze auch noch nicht. Dazu haben unsere Gymnasien diesen strukturellen Wandel mittlerweile bewältigt und sich zunehmend gut darauf eingestellt - so zumindest die Rückmeldung aus den Gymnasien.

Wenn nun in einem scheindemokratischen Eilverfahren gravierende strukturelle Änderungen durchgedrückt werden - und das ist eine gravierende Änderung -, geht das natürlich nicht spurlos an den Betroffenen vorbei. Sprechen Sie einmal mit den Lehrerinnen und Lehrern vor Ort! Dann werden Sie schnell merken, dass die Verunsicherung schon heute enorm ist.

Mit der aktuellen schulgesetzlichen Änderung ist Fakt, dass Gymnasien nur dann G 8 oder das YModell behalten können, wenn sie sofort die entsprechenden Schritte für eine außerplanmäßige Schulkonferenz einleiten. Die Frist bis zum 23. Februar 2018 ist aus meiner Sicht ausgesprochen sportlich. Noch dazu muss sich hier eine Dreiviertelmehrheit für den Erhalt der bisherigen Struktur aussprechen. Und im Zweifel setzt sich dann auch noch die Bildungsministerin einfach über dieses Votum hinweg. So steht es im Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes. Das ist zusammengenommen keine Beteiligung, sondern reine Scheindemokratie.

(Beifall SSW und vereinzelt SPD)

Meine Damen und Herren, es wäre naiv zu behaupten, dass man bei allen bildungspolitischen Entscheidungen alle einbeziehen und mitnehmen kann. Das glaubt auch keiner. Aber man kann es zumindest versuchen. Bei einer so gravierenden strukturellen Änderung wie der flächendeckenden Rückkehr zu G 9 halte ich Beteiligung für zwingend notwendig: Schüler, Eltern, Lehrer, Kommunen, alle, die daran beteiligt sind. Selbst der ÖPNV ist davon abhängig, und niemand ist bei dieser Gesetzesinitiative im Vorwege beteiligt worden. Das ist der falsche Weg.

Nicht zuletzt haben wir hier auch erhebliche Kostenfragen - das habe ich gerade angesprochen -, und wir haben auch Fragen der Konnexität, die für die

Kommunen eine Rolle spielen. Nur zur Erinnerung: Die Rückkehr zu G 9 löst nachweislich nicht nur einen Mehrbedarf an Lehrkräften aus, sondern auch an Räumlichkeiten. Das ist eine zusätzliche Aufgabe, die die Kommunen da leisten müssen, und das kostet Geld. Und all das vor dem Hintergrund von mittelfristig steigenden Schülerzahlen. Wir haben ja noch mehr, die sie betreuen müssen. Hier erwarten die Kommunen völlig zu Recht konkrete Antworten. Doch diese Antworten bleibt Jamaika bisher weitgehend schuldig.

Man sollte bei all dem natürlich auch nicht so tun, als stünden für den Bereich Bildung plötzlich deutlich mehr Mittel bereit. Wir konnten das bei den Haushaltsvoranschlägen schon sehen. Die Rückkehr zum flächendeckenden G 9 betrifft aber - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen nicht einmal 20 % der Schülerinnen und Schüler. Die anderen gehen auf andere Schulformen. Die Ressourcen, die man hier in ganz erheblichem Maß für die Gymnasien bindet, fehlen damit logischerweise erst einmal an den anderen Schulen. Da können Sie noch so oft betonen, dass man die Schulformen nicht gegeneinander ausspielen wolle. In dem Moment tut man es, es sei denn, man haut da richtig Kohle rein. Das erwarten wir dann auch.

(Beifall SSW und SPD)

Wenn das nicht passiert, müssen am Ende des Tages rund 80 % der Schülerinnen und Schüler enger zusammenrücken, damit die anderen 20 % mehr vom Kuchen bekommen. Wenn man bedenkt, dass die führenden Bildungsforscher weder in der Qualität der Abschlüsse noch in der Belastung der Schülerinnen und Schüler nennenswerte Unterschiede zwischen G 8 und G 9 feststellen können, ist diese Entscheidung ökonomisch mehr als fragwürdig zumindest wenn man vorher nicht einmal mit allen darüber geredet hat.

(Beifall SSW und SPD)

Auch wenn Jamaika ganz offensichtlich nicht immer das direkte Gespräch mit den Betroffenen sucht, sind viele Menschen aufgrund mancher Formulierung im Koalitionsvertrag oder in einer Zeitungsmeldung verunsichert. Nicht nur bei der Frage G 8 oder G 9, sondern auch im Grundschulbereich, beim Thema Inklusion oder in der beruflichen Bildung plant diese Koalition mitunter sehr umfassende Änderungen. Zugegebenermaßen ist dies auch der politische Anspruch; es soll so sein. Bis heute kennt aber kaum jemand die konkreten Details. Vermutlich sind in fast allen Schularten erhebliche Auswirkungen auf den Schulalltag zu erwarten.

(Lars Harms)

Deshalb haben auch fast alle Lehrkräfte und viele Eltern, mit denen ich spreche, einen Haufen Fragen, auf die sie aber keine Antwort kriegen, zum Beispiel nach der zukünftigen Ausstattung mit Personal und Sachmitteln. Wie findet die Digitalisierung statt? Es gibt auch Fragen zur inhaltlichen Ausgestaltung des Unterrichts, die sich zumindest für die Gymnasien wieder ändern wird.