Protocol of the Session on October 11, 2017

Liebe Kolleginnen und Kollegen vom SSW: Für uns ist es selbstverständlich, dass Gewerkschaften und Sozialverbände mit dazugehören. Wir stimmen dem Antrag gern zu und freuen uns über die weitere Diskussion im Zukunftslabor. Ich freue mich jetzt, dass wir den Startschuss für das Zukunftslabor geben. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP, SSW und Dr. Frank Brodehl [AfD])

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Wolfgang Baasch das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Zukunft ist in der Gegenwart angelegt.“ - So hat es Ernst Bloch formuliert. Was kann uns dieses Zitat für unsere heutige Debatte über gesellschaftliche Veränderung, soziale Entwicklung und sozialen Zusammenhalt aufgeben? - Soziale Sicherheit zu diskutieren, ist mehr, als nur neue soziale Absicherungsmodelle zu erarbeiten. Es ist vor allem ein aktiver Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, die Förderung und Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen, ein Recht auf Ausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung, gute Arbeit und faire Löhne, die dazu führen, dass man im Alter ein auskömmliches Einkommen beziehen kann - das ist die Grundlage für eine soziale und gerechte Gesellschaft. Arbeit ist die Grundlage für ein selbstbestimmtes, würdiges Leben. Im Durchschnitt des vergangenen Jahres war fast eine Million Menschen in Deutschland langzeitarbeitslos. Das ist nicht länger hinzunehmen. Das ist ein Skandal.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Ein Angebot für die circa eine Million langzeitarbeitsloser Menschen wäre ein sozialer Arbeitsmarkt, ein Arbeitsmarkt, der durch öffentliche Fördermittel geschaffen wird, der Langzeitarbeitslosen Weiterbildung und Qualifizierung bietet und der, wenn möglich, einen Übertritt in den normalen ersten Arbeitsmarkt ermöglicht. Das wäre eine soziale

(Dr. Marret Bohn)

Zukunftsperspektive, der sich auch diese JamaikaLandesregierung stellen sollte.

(Beifall SPD)

Die Aufzählung fortsetzend: Ein weiterer, aktuell nicht hinnehmbarer gesellschaftlicher Zustand ist die Kinderarmut. Armut bei Kindern und Jugendlichen ist keine Bagatelle. Kinderarmut in unserem reichen Land ist eine Schande. Darum brauchen wir eine eigenständige Kindergrundsicherung.

(Beifall SPD, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall Flemming Meyer [SSW])

Neben dieser Kindergrundsicherung bedarf es familienfreundlicher und bildungsstärkender Investitionen. Alle Kinder haben ein Anrecht auf gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft - ein Ansatz, der natürlich auch Bestandteil der Zukunft sein muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weltweit besitzen acht Menschen so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung von 3,6 Milliarden Menschen. Diese Zahl stammt aus dem Ungleichheitsbericht von Oxfam. Ich glaube, diese erschreckenden Zahlen machen deutlich, dass wir uns, wenn wir nicht an dieser Stelle für Verteilungsgerechtigkeit sorgen, viele andere Fragen von sozialer Sicherung gar nicht mehr zu stellen brauchen.

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Dieses ist eine Aufgabe, die uns echt herausfordert.

(Beifall SPD)

Diese Form von Ungerechtigkeit ist eine der größten Bedrohungen der Menschheit. Wir brauchen eine Politik der Verteilungsgerechtigkeit, denn immer mehr Menschen können ein gutes Leben nicht mehr leben, weil ihnen die notwendigen Voraussetzungen vorenthalten werden. Wer ein selbstbestimmtes und würdiges Leben fördern will, muss sich also für gute Arbeit und faire Löhne einsetzen - ein Punkt, der im Antrag der Jamaika-Koalition leider komplett fehlt.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das finde ich er- staunlich!)

Aber es fällt auch auf, dass die Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP das Thema Zukunft der sozialen Sicherung sozusagen aus der politischen Debatte des Landtages outsourcen. Sie übertragen es auf Akteurinnen und Akteure

der Arbeitsmarktpolitik, der Wissenschaft und jetzt auch der Verbände.

(Christopher Vogt [FDP]: Sonst heißt es: Kein Dialog! - Jetzt ist es Outsourcen!)

- Nun hören Sie auch einmal zu, Herr Vogt. Ich habe noch zwei, drei Sätze mehr, da ist auch noch ein Auftrag für Sie dabei.

(Christopher Vogt [FDP]: Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen!)

- Wunderbar. Sie übertragen es also auf Akteurinnen und Akteure außerhalb des Hauses hier, also auf Akteure, die in der Arbeitsmarktpolitik aktiv sind, ohne die eigenen parlamentarischen Möglichkeiten der Erarbeitung von Problemlösungen oder Zukunftskonzepten im politischen Raum zu nutzen. Wo bleibt denn zum Beispiel die Möglichkeit der Einrichtung einer Enquetekommission, um die Zukunft der sozialen Sicherung hier im Landeshaus zu diskutieren?

(Beifall SPD - Christopher Vogt [FDP]: Be- antragen Sie das doch!)

Wo bleibt denn im Text der eigene Anspruch, genau diese Punkte zu klären? - Nein, ich glaube, bei der Aufzählung Ihrer Punkte ist es Ihnen vor allem darum gegangen, das abzubilden, was Jamaika umtreibt, und nicht darum, was die wahren Probleme der Menschen in diesem Land sind.

(Beifall SPD)

Sie versuchen nur, Bürgergeld, Grundeinkommen oder die Weiterentwicklung des Versicherungssystems unter einen Hut zu bringen. Ich sage Ihnen: Wer dabei vergisst, dass es auch darum geht, eine Bürgerversicherung einzuführen, dass es darum geht, die Kindergrundsicherung stabil zu gestalten, greift zu kurz und greift nur auf sein eigenes Parteiprogramm zurück. Es darf doch nicht sein, dass die geeignetsten Instrumente nicht ausgelotet und gar nicht aufgezählt werden.

Die Vorstellung zur Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme von uns Sozialdemokraten finden Sie in unserem Antrag. Das sind gute Ideen, um unseren Sozialstaat für die kommenden Herausforderungen zukunftsfest, solidarisch und gerecht zu gestalten. Ich bin dafür, dass wir die Anträge dem Sozialausschuss überweisen. Vielleicht gelingt es ja, den einen oder anderen wirklich nachvollziehbaren Grund wie Kindergrundsicherung oder Bürgerversicherung mit in den Antrag und in den Plan der Jamaika-Koalition aufzunehmen. - In dem Sinne bitte ich Sie um Überweisung.

(Wolfgang Baasch)

(Beifall SPD)

Für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Folgen des demografischen Wandels, die Veränderungen im Arbeitsleben, die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und eine immer älter werdende Gesellschaft erfordern ein Handeln der Politik. Diese Entwicklung hat mittel- und langfristig unmittelbare Auswirkungen auf unseren Sozialstaat. Wir als Politikerinnen und Politiker müssen uns auf mögliche Szenarien einstellen und dürfen nicht an vergangenen Illusionen festhalten, denn wir müssen auch zukünftig die Sicherstellung des Sozialstaates garantieren. Auch um mögliche Antworten und Lösungen im Hinblick auf ein zukünftiges System zu finden und diese in einem geeigneten Rahmen diskutieren zu können, setzt die Jamaika-Koalition ein Zukunftslabor ein.

Unser gemeinsames Ziel ist es, dass sich die verschiedenen Akteure aus der Arbeitsmarktpolitik, aus der Wissenschaft und den Sozialverbänden denn auch wir finden diesen Antrag des SSW sehr gut - auf den Weg machen, um zu prüfen, ob und wie die neuen Absicherungsmodelle, wie zum Beispiel das Bürgergeld, das bedingungslose Grundeinkommen umgesetzt oder die bestehenden Sicherungssysteme weiterentwickelt und zukunftsfest gemacht werden könnten.

(Beifall CDU und FDP)

In Anbetracht der Veränderung der demografischen Zusammensetzung der Bevölkerung und der Änderungen am Arbeitsmarkt auch in Bezug auf die Chancen und die eventuellen Risiken der fortschreitenden Digitalisierung in Deutschland und der Welt müssen wir als Politik ausloten, wie zukunftsfest unsere sozialen Sicherungssysteme sind. Gemeinsam wollen wir die verschiedenen Möglichkeiten miteinander beraten.

Ein Diskussionspunkt des zukünftigen Zukunftslabors wird auch das sogenannte bedingungslose Grundeinkommen sein, das sich deutlich von der heute staatlich organisierten Grundsicherung abhebt. Diese Grundsicherung, so wie wir sie praktizieren, wird nur dann gezahlt, wenn das eigene Einkommen nicht zum Leben reicht und unterhalb eines festgelegten Betrags liegt.

Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens jedoch sieht eine Zuwendung für jede Person unabhängig von seiner Einkommenshöhe und seines Beschäftigungsstatus vor. Es wird weder eine Bedürftigkeitsprüfung erfolgen noch eine Bereitschaft zur Erwerbstätigkeit gefordert. Gleichzeitig entfallen alle allgemeinen steuer- und abgabenfinanzierten Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld, aber auch Rentenleistungen.

Im Zukunftslabor werden wir die verschiedenen Modelle, wie zum Beispiel das Verfahren der negativen Einkommensteuer, das Solidarische Bürgergeld, das Liberale Bürgergeld und natürlich auch das bedingungslose Grundeinkommen diskutieren. Unser Fokus als CDU liegt auf der Weiterentwicklung des bestehenden Sozialsystems.

Vorweg möchte ich einige Gedanken zum bedingungslosen Grundeinkommen formulieren. Frau Bohn hat es schon erwähnt, wir hatten eine gemeinsame Sitzung mit Herr Professor Straubhaar. Einige Punkte, die dort genannt worden sind, waren für mich sehr beunruhigend. Ich möchte diese noch einmal erläutern. Zum einen ist es die totale Entbindung des Staates von der sozialen Verantwortung, weil die deutsche Sozialordnung vom Versorgungsbeziehungsweise Wohlfahrtsstaat nach skandinavischem Vorbild wegfallen würde. Zum anderen würde zwischen Bedürftigen und nicht Bedürftigen nicht mehr unterschieden werden. Alle ohne Ausnahme bekämen beispielsweise monatlich 1.000 € Grundeinkommen und müssten damit selbst Vorsorge für die Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung leisten. Meine Damen und Herren, das gleicht aus meiner Sicht einer Zerschlagung des Sozialstaates, zumindest seiner Gefährdung.

(Beifall CDU und SPD)

Die Gewerkschaften lehnen das BGE ab, weil sie befürchten, dass Arbeitgeber von sozialer Verantwortung, die sie gegenüber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben, entbunden werden.

Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens schadet - ein weiterer Kritikpunkt - vor allem den Löhnen und Gehältern. Jeglicher Verdienst hätte den Charakter eines Dazuverdienens. Das muss man beachten. Professor Straubhaar prognostiziert dadurch einen Einkommensverlust von anfangs zirka 30 %. Nachher pendelt sich das bei einer Vollzeitbeschäftigung bei ungefähr 20 % ein. Befürchtet werden muss auch, dass das Bedingungslose Grundeinkommen als eine „Stilllegungsprämie“ angesehen werden kann. Wir müssen auch bedenken,

(Wolfgang Baasch)

welche Anreize es hinsichtlich der Migration hat. Auch darüber müssen wir nachdenken.

Besonders beunruhigend finde ich aber auch die Tatsache, dass die Entscheidung für das Bedingungslose Grundeinkommen irreversibel ist. Wenn man das einmal gemacht hat, kommt man da nicht mehr heraus. Das muss man sich genau überlegen. So sagt es jedenfalls Professor Straubhaar. Aus unserer Sicht können wir das so nicht wollen!

(Beifall Dr. Ralf Stegner [SPD])

Hier wird meines Erachtens Armut manifestiert, zementiert und überhaupt nicht verringert. Denn was von beispielsweise 1.000 € für einen Menschen bleibt, der ohnehin ein geringes Einkommen hat, wäre nicht mehr als Grundsicherungsniveau.

Ich möchte noch einen weiteren Punkt anführen. Das BGE setzt eine massive Eigenverantwortung voraus. Damit sind einige jetzt schon überfordert. Ich weiß nicht, ob das ein frontaler Weg in die Armut wäre.

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit!

Ja. - Sie sehen, meine Damen und Herren, wir haben uns schon jetzt viele Gedanken gemacht. Wir freuen uns auf die Arbeit im Zukunftslabor. Wir werden das alles engagiert miteinander und mit Fachleuten diskutieren. Darauf freuen wir uns. Danke.