Ministerpräsident Albig wird mit den Worten zitiert, dass er den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Vorgänge in der
Einrichtung Friesenhof für reine Zeitverschwendung hält und dass es nur darum gehe, die Regierung zu lähmen. So seine Worte.
Diese Aussagen verdeutlichen zweierlei. Erstens belegen sie erneut das mangelnde Gewaltenteilungsverständnis des Ministerpräsidenten und zeugen auch vom mangelnden Respekt gegenüber dem Parlament. Zweitens - das wiegt in diesem Fall noch schwerer - scheint der Ministerpräsident die Tragweite der im Raum stehenden Missbrauchsvorwürfe, unter denen zahlreiche junge Mädchen zu leiden hatten, nicht erkannt zu haben.
Es geht um Isolation, körperliche Gewalt und Demütigungen. Kinderrechte und die Menschenwürde wurden nach den bisher bekannt gewordenen Informationen missachtet. Die Möglichkeiten der Aufklärung durch den Sozialausschuss sind dabei leider an ihre Grenzen gestoßen. Deshalb brauchen wir die Aufklärung in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
Von der viel versprochenen Transparenz, wie sie die Ministerin im Ausschuss noch angekündigt hat, ist nichts geblieben. Allein die Opposition hat die Aufklärung vorangetrieben. In Salamitaktik hat die Regierung nur zu den Punkten Stellung bezogen, zu denen sie aufgrund des Drucks von außen ohnehin gezwungen wurde. Die Landesregierung hat nicht mit offenen Karten gespielt.
Die letzte Posse war dabei die Herabstufung der Vertraulichkeit der Akten. Anstatt dem Ansinnen der Opposition, die ihre in der Verfassung verbürgten Rechte geltend machen wollte, nachzukommen, wurde das Verfahren weiter verzögert.
Wir müssen uns vor Augen führen, mit welchen Vorgängen wir es in diesem Verfahren zu tun haben. Das zeigen allein die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften. Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile in 13 Verfahren. Im Raum steht in der Mehrzahl der Verfahren der Verdacht auf Körperverletzung. Hinzu kommen der schwerwiegende Verdacht des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, der Verdacht der Freiheitsberaubung, Verdacht auf Verletzung des Brief- und Privatgeheimnisses sowie der Verdacht auf Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen.
Weiterhin läuft die Untersuchung der Aktenunterdrückung im Ministerium. Das ist an sich schon ein erheblicher Vorgang, wenn die Ministerin selbst die Staatsanwaltschaft einschalten muss, weil in ihrem eigenen Haus Akten manipuliert werden. Das ruft geradezu nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der die Kontrolle des Parlaments gegenüber der Exekutive ausüben kann.
Waren diese Vorwürfe unbekannt? Nein. Ausreichend Hinweise lagen vor. Das Jugendamt Bremen meldete bereits am 5. November 2013 folgende alarmierende Vorgänge aus der Einrichtung Friesenhof an das Sozialministerium: unverhältnismäßige Sanktionierungen, übermäßiger Sport, Aussitzen, Wachhalten, keine Beschwerdemöglichkeiten, Angstatmosphäre, Gewalt gegen Mädchen, Beleidigungen, Gruppenbestrafungen. Auch Ärzte der Kinder- und Jugendpsychiatrie Schleswig klagten über Fixierungen sowie Übergriffe durch Personal. Eine Familienrichterin beschrieb das gesamte System Friesenhof als geschlossene Einrichtung. Die Landesregierung hat jedoch erst gehandelt, nachdem die Vorgänge in der Presse öffentlich wurden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Jahren wurde intensiv die Heimerziehung in den früheren Jahren der Bundesrepublik Deutschland aufgearbeitet. Es ging darum, geschehenes Leid und Unrecht an Heimkindern in den 50er-, 60er- bis Mitte der 70er-Jahre aufzudecken. Bund und Länder haben sich gemeinsam ihrer Verantwortung gestellt und geschehene Missstände anerkannt.
Es ist dramatisch, und es macht betroffen, dass jetzt - 40 Jahre später - solche Vorgänge in SchleswigHolstein und möglicherweise auch anderswo immer noch möglich sind. Während das Unrecht der Vergangenheit aufgearbeitet wird, geschieht gegenüber Mädchen nicht irgendwo, sondern hier in unserem Land neues Unrecht. Niemanden können diese Geschehnisse kaltlassen.
Es ist die feste Überzeugung meiner Fraktion, dass es Aufgabe von Politik ist, diese Vorgänge aufzuarbeiten und offenzulegen, um für die Zukunft solche Missstände zu vermeiden.
Wir werden Punkt 8 Ihres Antrags nicht zustimmen. Sie können das momentan mit Mehrheit durchsetzen. Ich empfehle Ihnen jedoch die Lektüre verfassungsrechtlicher Entscheidungen zu derartigen Fragen. Es gibt das sogenannte Bepackungsverbot. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner
Entscheidung zu den Geschäftsinteressen judiziert: Dadurch könnten die Arbeit des Ausschusses ungerechtfertigt verzögert sowie Ziele der Untersuchung verschleiert werden. Bei der Ergänzung sei Zurückhaltung geboten. Dass Voraussetzungen bestünden, müsse offen zutage liegen. Sei das nicht der Fall, gehe dies in Anbetracht des Minderheitsschutzes zulasten der Mehrheit. So die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Dass wir pädagogische Konzepte bewerten sollen, hat mit dem ursprünglichen Untersuchungsauftrag überhaupt nichts zu tun.
- Das hat mit der Bewertung von pädagogischen Konzepten überhaupt nichts zu tun. Dazu ist der Untersuchungsausschuss überhaupt nicht berufen. Sie können das beschließen. Wenn es darauf ankommt, werden wir das im Zweifel auch gerichtlich durchstreiten. Sie können nicht den Untersuchungsgegenstand mit Ihren Mehrheiten komplett verändern mit der Behauptung, das sei eine Ergänzung, obwohl das ein völlig anderer Untersuchungsgegenstand ist. Wir werden das im Zweifel klären lassen.
Sie tun sich selbst und dem Institut des PUA und auch der Kultur in diesem Hause keinen Gefallen mit dem, was Sie gerade vorhaben. Sie können gerne die Einsetzung einer Enquetekommission zur Bewertung pädagogischer Konzepte beantragen. Sie können den Sozialausschuss damit beauftragen.
Mein letzter Satz, Herr Präsident. - Sie können aber nicht das, was die Minderheit will, mit Ihrem Antrag durch die Ergänzung, die Sie vornehmen wollen, komplett und in Gänze aushebeln.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass gelegentlich ein Perspektivenwechsel hilfreich ist, um zu erleben, wie es denn ist als Mädchen im Friesenhof, mache ich mir die Mühe, den Sachverhalt aus der Sicht eines 19-jährigen Mädchens, das den Friesenhof hinter sich hat, darzustellen.
Diese Denkweise - das will ich Ihnen auch ganz klar sagen - hat während der Beratungen in der Sommerpause bei CDU, PIRATEN und FDP maßgeblich bestimmt, wie wir vorgehen wollen.
Ich habe nicht wahrgenommen, dass der Schwerpunkt - wie Sie es gesagt haben, Frau Midyatli darin lag, mit Dreck auf die Ministerin zu werfen.
(Beifall PIRATEN, CDU und FDP - Serpil Midyatli [SPD]: Oh! - Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wie bleibt Schleswig-Holstein heute einem 19 Jahre alten Mädchen, einer ehemaligen Bewohnerin einer Einrichtung des Friesenhofes - wir nennen sie einmal Tanja -, in Erinnerung? Was verbindet sie mit dem echten Norden? Wie sind ihre Antworten auf ihren Aufenthalt im Friesenhof geprägt? Als 16-Jährige hat sie wie die meisten Mädchen aus zerrütteten Familienverhältnissen die Schule abgebrochen, ist kriminell geworden und hat sich am Ende prostituiert, nachdem sie Erfahrungen mit harten und weichen Drogen gemacht hat.
Beendet wurde dieser Weg in die Aussichtslosigkeit durch das zuständige Jugendamt. Sie wurde aus ihrem sozialen Umfeld herausgelöst und nach Schleswig-Holstein gebracht. Aufgenommen in eines der Häuser des Friesenhofes erlebte sie statt einer tatsächlich familienanalogen Lebensform mit einem ausgereiften und auf sie zugeschnittenen pädagogischen Konzept ein Bootcamp mit rigidem Strafenkatalog - die Kollegen Günther und Kubicki haben es erwähnt -, der sich, so viel wir wissen, gar nicht um Grund- und Menschenrechte scherte.
Dass Tanja vor ihrem Umfeld, etwa vor ihrem früheren Zuhälter, zu schützen war, ist unstrittig. Aber es geht auch darum, wie und wie lange das ohne jede externe Kontrolle geschehen ist. Das muss diskutiert werden.
Eine Abschottung dieser Art braucht jedoch auch ein pädagogisches Gegenüber, eine Alternative zum Bisherigen. Sie muss auffangend wirken. Das war nicht der Fall, denn das gab es gar nicht. Statt
dessen erlebte Tanja ein total unwürdiges Belohnungssystem als Ersatz für individuell-pädagogische Zuwendung. So erlernte sie die Fähigkeit durch äußerliches Bravsein, um so für sich das Normale als Belohnung für wohlfeiles Verhalten zu bekommen. Eine solche Belohnung war bereits das Tragen von farbigen Flip-Flops, wie wir heute wissen.
Wirklich verinnerlicht und für sich als künftig nützlich erkannt im pädagogischen Sinn hat Tanja dabei nichts. Sie hat gelernt, zu funktionieren, mehr auch nicht. Damit sind wir bei Alfred Koltermann. Sie erinnern sich, dass wir ihn im Juli in der Plenardebatte im Landtag als jemanden erwähnt haben, der im Heim in Heisterberg als behinderter Mensch zigfach vergewaltigt wurde. Er hat auch gelernt, dort zu funktionieren, um zu überleben. Da fragt man sich: Was ist eigentlich in den 30 Jahren, seitdem wir die großen staatlichen Jugendeinrichtungen abgeschafft haben, bis heute passiert?
Da kommen die Fragen auf, die geklärt werden müssen und die wir auch nach draußen erklären müssen. Da geht es um das Totalversagen Schleswig-Holsteins bei einer von diesem Bundesland zu erfüllenden Aufgabe. Es geht darum, lückenlos die Gründe aufzudecken, die dazu führten, dass unser Land seine Verantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen nur formell - und das eigentlich auch nur mit Ach und Krach - wahrgenommen hat. Dem Volumen der Aufgabe stand landesseitig nie eine entsprechende Struktur zur Verfügung.
Das Fazit ist: Zweifel an der Zuverlässigkeit Schleswig-Holsteins als Garant für die staatliche Daseinsvorsorge gerade der Jüngsten und damit der zu den schwächsten zählenden Menschen sind völlig berechtigt. Und was - das frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen - kann für das Vertrauen in das von uns zu gestaltende Gemeinwesen schlimmer sein als Zweifel daran, dass gesetzlich zugewiesene Aufgaben ernsthaft und tatsächlich wahrgenommen werden? Allein deshalb braucht Schleswig-Holstein diesen Untersuchungsausschuss.
Schleswig-Holstein muss sich selbst rehabilitieren; das ist die Aufgabe. Ich muss klar am Ende meiner Rede sagen: Mit Spielchen oder einem für die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr nachvollziehbarem parlamentarischen Hickhack wird diese Rehabilitierung nicht gelingen. Dann kommen wir unserer Aufgabe nicht pflichtgemäß nach. Das hat nichts
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie um das ernsthafte Akzeptieren unserer Verantwortung für die Wiederherstellung des Vertrauens in unser Land, damit Tanjas Nachfolgerinnen das mit dem „echten Norden“ auch ernst nehmen und nicht wie Tanja sagen: Das ist der schlechte Norden.