Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf den Gesetzentwurf selbst eingehe, möchte ich noch ein paar Worte zu posttraumatischen Belastungsstörungen, betrieblichem Gesundheitsmanagement und Schulung verlieren. Ich freue mich darüber, dass das sehr schnell gegangen ist, auch der Vertrag zur posttraumatischen Belastungsstörungsbehandlung. Das ist viel zügiger gegangen, als ich es aus anderen Bundes- und Landesbehörden kenne. Es ist natürlich viel zu spät und hätte schon lange vorher gemacht werden müssen, aber Sie haben es zügig hinbekommen.
Was das betriebliche Gesundheitsmanagement angeht, haben wir auch einmal im Diskurs gelegen und waren nicht immer einverstanden mit dem, was der jeweils andere sagte. Das ging mir persönlich nicht schnell genug. Aber jetzt ist es da. Ich darf Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: Wenn so etwas eingeführt ist, dann benötigt das Personal einer großen Bundesbehörde eine gewisse Zeit. Das zerschlagene Porzellan und das Misstrauen aufseiten
der Mitarbeiterschaft müssen erst ausgeräumt werden. Das ist ein natürlicher Prozess, der ein wenig Zeit braucht.
Damit bin ich dann auch schon bei den Ausführungen der Kollegin Ostmeier, die völlig zu Recht feststellt, dass wir keine Eile haben. Bevor es die Grundlagen dafür nicht gibt, müssen wir das Gesetz nicht anwenden. Das ist völlig richtig, auch wenn ich dem Tenor des Gesetzes - darauf werde ich gleich noch zu sprechen kommen - durchaus zustimme und völlig bei Ihnen bin.
Da haben wir auch ein Problem mit Ihnen, Herr Peters: Aus dem Gesetzentwurf erwachsen Rechtsansprüche für die Gefangenen, die einklagbar sind. Und wenn die eingeklagt werden können und wir das nicht leisten können, dann werden wir eine viel schwierigere Situation als jetzt haben. Deswegen sollten wir uns Ruhe und Zeit lassen, dieses Gesetz in vernünftiger Zeit auf den Weg zu bringen. Denn der Kollege Klug hat völlig recht, wenn er sagt, dass dies wohl eines der schwierigsten Themen der gesamten Legislatur sei.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Dolgner?
Herr Dudda, ich habe Ihre Konstruktion jetzt nicht ganz verstanden und weiß nicht, was dahintersteht. Wenn also ein Gefangener einen Anspruch aus dem Gesetz hat, was ja auch der Sinn ist, wenn man in einem Gesetz gewisse Standards festlegt, ein Anspruch nicht erfüllt werden kann und er daraufhin klagt und recht bekommt, dann ist es doch nicht eine Frage, ob wir einen Anspruch erfüllen wollen oder nicht, sondern dann wird eine Landesregierung, welche auch immer das ist, diesen Anspruch doch auch erfüllen.
Natürlich kann man den Anspruch mit den entsprechenden Ressourcen erfüllen. Das ist doch nichts Unmögliches, und es ist doch auch nicht so, als würde Wasser den Berg hinauf fließen.
Meine erste Antwort darauf ist diese: Sie haben wahrscheinlich lange nicht mehr in die Gerichte geschaut, um zu sehen, wie überlastet die Gerichte und die Staatsanwaltschaften insgesamt sind. Diese vermeidbaren Prozesse braucht unsere Justiz nicht auch noch zusätzlich.
Punkt zwei: Wenn ich ein Recht habe und dieses einklagen kann, aber der Zustand der Anstalten, der Zustand insgesamt, was die Betreuung angeht, so verheerend ist, dann kann der Widerspruch doch nicht größer sein, und die Glaubwürdigkeit des Strafvollzugs verliert völlig. Damit würde dann der Kollege Peters recht bekommen: Es wird nur weggesperrt und gar nicht mehr auf die Gefangenen geachtet. Was den Anspruch des Gesetzes angeht, bin ich doch auch völlig bei Ihnen, ich finde das Gesetz toll. Aber wir müssen erst die Voraussetzungen schaffen, bevor das Gesetz wirksam werden kann. Das meine ich damit. Wir brauchen dafür Zeit.
Herr Kollege Dudda, was halten Sie eigentlich von folgender Theorie, die sich in der Praxis als solche bewährt hat, wonach der Gesetzgeber der Exekutive die Leitlinie vorgibt und man dann davon ausgeht, dass die Exekutive diese Leitlinien auch erfüllt? Das ist doch auch die Analogie zu den Kindergartenplätzen, die es auch nicht gegeben hat, bei denen der Gesetzgeber in vollem Bewusstsein, dass es eine schwieri
ge und eine langwierige Sache sein würde, trotzdem nicht darauf verzichtet, neue Standards zu setzen, denen die Exekutive im Rahmen unserer Gewaltenteilung dann auch folgen muss.
Umgekehrt: Was wäre denn Ihre Lösung, wenn Sie das Gesetz für richtig halten? Glauben Sie, der Gesetzgeber sollte eine neue Standardsetzung der Exekutive nachvollziehen? Ich glaube, da haben wir ein Problem mit Ursache und Wirkung.
Herr Kollege Dr. Dolgner, erstens wenden Sie gerade eine Technik an, die Strafverteidiger gern in einem Gerichtsverfahren anwenden, dass man viele Fragen stellt, damit Theorien verbreitet, aber die wirklichen Fragen gar nicht beantwortet werden.
Zweitens hat die Ministerin eben klar gesagt: 1 % Krankenstand besser entspricht sieben Beschäftigten. Wir haben im Moment einen schlechten Krankenstand. Wir brauchen Zeit, bis das wieder im Lot ist. Von daher haben wir überhaupt keine Eile, dieses Thema zu bedienen.
Über das Warum des Gesetzentwurfs müssen wir gar nicht reden, über seinen Inhalt aber müssen wir reden. Ich finde den Entwurf im Prinzip gut, halte ihn aber noch nicht für optimal.
Wir haben in der Sitzung des Beirats für soziale Strafrechtspflege - der Kollege Rother war dabei, die Kollegin Ostmeier war dabei - von einem der Referenten, die für den Gesetzentwurf verantwortlich zeichnen, gehört, dass der Fokus auf einem sozialen Strafvollzug liegt. Das finde ich auch richtig und gut. Er meinte damit den sozialen Strafvollzug in der Anstalt und auch hinterher.
Weil es unmöglich ist - die Kollegen sagten es schon -, dieses Gesetz in fünf Minuten ausreichend und komplett zu würdigen, kann ich nur auf einige Punkte eingehen. Im Übrigen vertraue ich auf das, was wir vor gut einer Woche in einem wirklich sehr angenehmen Gespräch vereinbart haben. Das, was verbessert werden muss, wird verbessert, so hat es die Ministerin gesagt, und zwar insbesondere auch beim Strafvollzug für ältere Gefangene.
Während gerade die Formen von Kriminalität, die lange Freiheitsstrafen auslösen, rückläufig sind, und damit die Überbelegung in den Gefängnissen deutschlandweit so weit zurückgegangen ist, dass 90 % aller männlichen Gefangenen einen eigenen Haftraum haben - das war noch vor einigen Jahren ganz anders -, und obwohl die Anzahl der Gefängnisse in Deutschland seit 2003 von 207 auf 186 gesunken ist, hat sich die Anzahl der älteren Strafgefangenen über 60 Jahre - das ist die wichtige Zahl seit 1995 verdreifacht. Dieser Trend hält an. Dem müssen wir auch in Schleswig-Holstein planerisch und gesetzmäßig unbedingt gerecht werden. In seiner jetzigen Fassung tut das der Entwurf in keiner Weise. Wenn der Entwurf dem eingangs erwähnten Anspruch auf sozialen Strafvollzug gerecht werden will, muss er auch den Strafvollzug für Menschen ab dem 60. Lebensjahr organisieren.
Da stellen sich einige Fragen. Was gehört dazu? Im Strafvollzug gilt bei den Gefangenen das Recht des Stärkeren. Daran kann und wird dieser Entwurf nichts ändern. Die älteren Häftlinge haben Angst vor den jüngeren. Sie sind zudem wesentlich haftempfindlicher als die jungen. Sie brauchen deshalb eigene Abteilungen, in denen sie sich sicher und wohl fühlen können.
Sie benötigen ein vollständig anderes Entlassmanagement, das sich zum Beispiel auch um ambulante und stationäre Hilfen kümmert und die Unterbringung regelt. Die meisten der älteren Strafgefangenen haben keine Familienangehörigen mehr und können dorthin nicht zurückkehren.
Baulich muss der Haftraum für einen älteren Gefangenen ganz andere Ansprüche erfüllen. Er braucht andere Möbel und eine andere und altersgerechte Sanitärausstattung.
So traurig es klingt, müssen dieser Gefangenengruppe bessere und umfassendere Rückkehroptionen eingeräumt werden, als dies in § 62 des Entwurfs vorgesehen ist. Denn es gibt Gefangene, die sich nach langem Strafvollzug draußen nicht mehr zurechtfinden können. Der Kollege Peters hat solche Beispiele eben genannt.
Wünschenswert, aber leider nicht finanzierbar ist eine eigene Anstalt für diese Personengruppe, so wie sie in Singen in Baden-Württemberg eigerichtet wurde, in der das Durchschnittsalter der Häftlinge 70 Jahre beträgt.
Die älteren Strafgefangenen sind auch diejenigen, unter denen es die größte Zahl mit psychischen Problemen bis hin zur Demenz gibt. Diese Menschen stellen die Beamtinnen und Beamten im Strafvoll
zug vor große Probleme. Das haben die Gewerkschaften auch mehrfach deutlich gemacht. Insofern halte ich den Gedanken - an dieser Stelle sind Sie nicht ganz vollständig gewesen, Frau Ostmeier -, auch die Versorgung psychisch erkrankter Gefangener im Wege der Beleihung durchzuführen, für ein denkbares Modell. Der Kernbereich der hoheitlichen Aufgaben bleibt ja erhalten, nämlich die Gewaltausübung im Strafvollzug. Ein Teilbereich, der besondere Fähigkeiten erfordert, darf nach meiner Meinung ausgegliedert werden.
Die Vorstellung der Landesregierung, einen mit diesem Gesetz organisierten Strafvollzug mit nur 49 weiteren Stellen, die zudem aus dem Stellenabbaupfad selber realisiert werden sollen, zu gestalten, der dann „nur“ Mehrkosten von etwa 1,9 Millionen € verursacht, halte ich für äußerst ambitioniert. Ich bin da sehr skeptisch.
Ich freue mich dennoch auf die Beratungen im Ausschuss und hoffe, dass wir da genauso verantwortlich handeln, wie wir es auch bisher getan haben. Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird ein Landesstrafvollzugsgesetz präsentiert, das einerseits bewährte Regelungen beinhaltet und andererseits auch neue Schwerpunkte setzt. Dabei geht es vor allem um zwei Dinge, nämlich um die Zeit während des Vollzugs sowie um mögliche Wege für die Zeit nach der Haft. Nur wenn beides zusammen gedacht und getragen wird, kann es für uns als Gesellschaft auch einen Mehrwert geben. Wir sollten uns vor Augen führen, dass ein Vollzug nicht per se dafür da ist, Vergeltung auszuüben. Vielmehr geht es um die Frage nach dem Leben nach der Haft. Der Vollzug soll zeigen, wie ein Leben in Freiheit möglich ist. Die vorbereitenden Maßnahmen für die Zeit nach dem Alltag in der JVA sind schlichtweg unerlässlich. Wer das Ziel aus den Augen verliert oder gar bewusst aufgibt, der hat eigentlich schon verloren.