Protocol of the Session on July 17, 2015

hebung von Autonomie und die Reduzierung der Selbstverantwortung in der Haftzeit eher die Resozialisierung, als dass sie nützen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe als Strafverteidiger Menschen kennengelernt, die durch die Haft so deformiert wurden, dass sie sich insgeheim in die fremdbestimmte Welt des Gefängnisses zurücksehnten. Wenig überraschend, sind sie häufig genau dort auch wieder gelandet. Das kann nicht der Sinn von Haft sein.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Dies vorausgeschickt, komme ich zu dem Ergebnis: Der heute vorliegende Entwurf ist ein großer Fortschritt, und zwar weil ihm daran gelegen ist, das soeben beschriebene Dilemma so gut es geht abzumildern. Er füllt den Satz aus unserem Koalitionsvertrag mit Leben: „Wir wollen einen modernen Standard für den Strafvollzug.“

Frau Ostmeier, Sie beschreiben hier das Elend des Istzustands. Wir formulieren jetzt ein Gesetz, und ein Gesetz sollte einen Anspruch für die Zukunft formulieren, denn dieses Gesetz soll viele Jahre in Schleswig-Holstein gelten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Dieser Anspruch sollte meines Erachtens in diesem ambitionierten Gesetz seinen Ausdruck finden.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder eine -bemerkung der Frau Abgeordneten Ostmeier?

Selbstverständlich.

Bitte schön.

Ich nehme Ihren Ansatz jetzt so: Sie sagen, wir schaffen ein Gesetz. Sie geben zu, dass die Voraussetzungen wahrscheinlich noch nicht geschaffen sind. Die Strafgefangenen, die Sie gerade erwähnt haben, haben aus diesem Gesetz aber noch keine Rechte, oder? Die Rechte erwachsen erst, wenn Sie die Voraussetzungen geschaffen haben, oder wie gehen Sie damit um, dass wir ein Gesetz schaffen, aus dem

den Häftlingen auch Ansprüche erwachsen? Das Gleiche gilt für die Vollzugsbediensteten. Wie wollen Sie diese Ansprüche ab Anfang des Jahres für diese Menschen, für die Sie sich einsetzen wollen, erfüllen?

Übrigens, wir alle sind auf dem Weg, dass wir uns auch um die Inhaftierten kümmern müssen, damit die Resozialisierung gelingt. Das sage ich einmal vorweg. Das, was Sie in Ihrem Vortrag über Kriminologie gesagt haben, kennen wir alle. Zum Kuschelvollzug: Der Einzige, der diesen Begriff in die Debatte einbringt, sind Sie. Das tut keiner von uns. Also: Wie wollen Sie sicherstellen, dass das, was Sie 2016 im Gesetz manifestieren, auch tatsächliche Ansprüche erwachsen lässt?

Sehr geehrte Frau Kollegin Ostmeier, es gab in der letzten Zeit mehrere Kleine Anfragen vom Kollegen Kubicki, aber auch von Ihnen, die darauf hinzielten: Was ist in den letzten zwei Jahren alles im Strafvollzug geschehen? Ich habe einmal verglichen, was unsere Regierung in der Zeit seit 2012 für bauliche Veränderungen in den Justizvollzugsanstalten ausgegeben hat. Das ist mindestens die Hälfte mehr als das, was vorher ausgegeben worden ist. Auch im Bereich des familienorientierten Vollzugs sind schon ganz wesentliche Schritte eingeleitet worden. Sie sehen, diese Regierung macht nicht nur Gesetze, in die sie schöne Sachen reinschreibt, sondern sie arbeitet jetzt schon daran, diese Strukturen zu schaffen, um dann später die im Gesetz formulierten Ansprüche auch erfüllen zu können. Ich vertraue in diesem Fall wirklich meiner Regierung. - Danke schön.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die entscheidenden Ansatzpunkte für das neue Gesetz lauten: Mehr Sozialtherapie, Stärkung des offenen Vollzugs und des Wohngruppenvollzugs, mehr schulische und mehr berufliche Bildung und Weiterbildung und ein familienorientierter Vollzug. Sie sehen, die baulichen Maßnahmen, die wir in Neumünster im Zusammenhang mit der Berufsausbildung vorhaben, werden zurzeit umgesetzt.

(Barbara Ostmeier [CDU]: Das sind Aufga- ben, die Sie noch abarbeiten aus der Vergan- genheit!)

- Ja, natürlich. Aber man kann doch heute schon in ein Gesetz schreiben, dass man dies als Vorausset

zung für einen gelungenen Vollzug macht. Was soll denn das, wenn wir das noch nicht einmal im Gesetz formulieren wollen?

(Zurufe Dr. Kai Dolgner [SPD] und Barbara Ostmeier [CDU])

Herr Abgeordneter Peters, Sie haben das Wort.

Gerade der letzte Punkt, nämlich der der familienorientierten Vollzugspraxis, ist uns besonders wichtig. Jeder zweite Strafgefangene in den sechs Haftanstalten des Landes hat minderjährige Kinder. Es liegt auf der Hand, dass nicht nur die Kinder und Partnerinnen durch die Haft ihrer - in den meisten Fällen - Väter leiden müssen, auch die Gefangenen selbst werden dadurch destabilisiert, denn das Zerbrechen der Beziehungen zu Kindern und Partnerinnen durch die Haft führt zu einer weiteren schweren Hypothek für die Zeit nach der Haftentlassung und damit zu einer Erhöhung des Rückfallrisikos.

Gelingt es dagegen, im Laufe der Haft die familiären Bindungen so weit wie möglich aufrechtzuerhalten, zum Beispiel durch mehr Langzeitbesuche oder durch zusätzliche familienunterstützende Angebote, zum Beispiel vorgesehen in § 24 des Gesetzentwurfs, bleibt ein wichtiger stabilisierender Faktor in der rückfallproblematischen Zeit nach der Entlassung erhalten. Das verbessert nicht nur die individuelle Situation der Betroffenen, es wird im Idealfall für eine größere Sicherheit für die ganze Gesellschaft sorgen, denn jede gelungene Resozialisierung und jeder verhinderte Rückfall sind unbestreitbar auch ein Gewinn für die Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, dieser Leitgedanke der Resozialisierung zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Gesetzentwurf. Ich danke Ministerin Spoorendonk und ihrem Haus für den gelungenen Entwurf. Auch die Betonung der TäterOpfer-Orientierung, der sozialen Hilfen und die intensive Vorbereitung der Wiedereingliederung im Rahmen des Übergangsmanagements gefallen uns ausgesprochen.

Wir werden die Details im Innen- und Rechtsausschuss noch intensiv beraten. Vielleicht gelingt es, an der einen oder anderen Stelle noch eine Schippe draufzulegen, zum Beispiel bei der Zulassung der Internetnutzung, der Kollege Rother sprach es schon an, oder bei den Haftlockerungen. Schon

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

jetzt kann ich aber sagen: Die Richtung stimmt uneingeschränkt. Ich freue mich auf die Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor uns liegt das vielleicht schwierigste Gesetzgebungsvorhaben dieser Wahlperiode.

(Beifall Wolfgang Dudda [PIRATEN])

Die Weiterentwicklung eines resozialisierungsfördernden Strafvollzugs ist sinnvoll und notwendig, denn sie eröffnet - potenziell jedenfalls - nicht nur den Strafgefangenen neue Chancen auf ein späteres Leben außerhalb der Kriminalität, sondern sie gibt auch der Gesellschaft die Chance, künftig mit weniger Rückfalltätern konfrontiert zu sein. Der mögliche Nutzen für alle liegt also auf der Hand.

Auf der anderen Seite gebietet es schon allein die Fürsorgepflicht, auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Vollzugsdienst Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, die ihre Sicherheit so gut wie möglich garantieren.

(Beifall FDP und Wolfgang Dudda [PIRA- TEN])

Hier hat die Geiselnahme, zu der es am vorigen Weihnachtstag in der JVA Lübeck gekommen ist, Einblicke eröffnet, die nachdenklich stimmen müssen. Die für diesen Bereich in Legislative und Exekutive verantwortlichen Personen sind in der Pflicht, diesen Aspekt bei den anstehenden Entscheidungen nicht außer Acht zu lassen.

Im Rahmen einer fünfminütigen Debattenrunde und auch mit einer Zugabe ist es nicht möglich, in allen Details auf das Thema einzugehen. Deshalb möchte ich nur ein paar grundsätzliche beziehungsweise exemplarische Anmerkungen folgen lassen.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Ziele des Gesetzentwurfs nur dann erreicht werden können, wenn die zur Umsetzung erforderlichen personellen und baulichen Rahmenbedingungen gesichert sind.

(Beifall FDP)

Das führt auch zu der Frage, ob zum Beispiel die im Gesetzentwurf genannten Anforderungen an einen Ausbau der Sozialtherapie und die Umsetzung eines stärkeren familienorientierten Strafvollzugs seitens des Justizministeriums in hinreichender Form dargestellt worden sind oder ob es hier nicht doch noch erheblichen Nachbesserungsbedarf gibt.

Nun stellt sich natürlich die Frage, inwieweit diese unerlässlichen Anforderungen auch ihren Niederschlag in Anmeldungen der Landesregierung zum Landeshaushalt beziehungsweise zur mittelfristigen Finanzplanung finden. Ich greife dazu ein Beispiel heraus: Für familienunterstützende Maßnahmen entstehen laut Gesetzentwurf jährliche Kosten in Höhe von etwa 55.000 €. Hier stellt sich die Frage, ob dies nicht eine krasse Fehleinschätzung ist.

(Beifall FDP und Barbara Ostmeier [CDU])

Die Umsetzung des Gesetzentwurfs würde zu einer Ausweitung der Aufschlusszeiten führen. Den hierdurch entstehenden personellen Mehrbedarf soll aber zunächst nur durch organisatorische Maßnahmen in den Anstalten begegnet werden. Nach unseren Erkenntnissen ist es aber so, dass allein der personelle Mehrbedarf an Wochenenden voraussichtlich bei zwölf Stellen des allgemeinen Vollzugsdienstes liegen wird.

Die Landesregierung hat bei der Gestaltung ihres Gesetzentwurfs bereits einzelne Punkte aus dem ursprünglichen Referentenentwurf herausgenommen, deren Umsetzung offensichtlich mit den Realitäten, das heißt den tatsächlichen personellen und räumlichen Gegebenheiten, kollidiert, zum Beispiel die ursprünglich vorgesehene Möglichkeit, dass Kinder von Strafgefangenen die Möglichkeit erhalten sollten, in der Justizvollzugsanstalt zu übernachten. Wir wissen, dass ein familienorientierter Vollzug wichtig ist, um den Strafgefangenen für die Zeit nach Verbüßung der Haft einen Einstieg in ein normales Leben zu ermöglichen. Die Erhaltung der Familienverbindung ist dafür von wesentlicher Bedeutung. Aber das lässt sich nicht umsetzen ohne die entsprechenden Rahmenbedingungen, Herr Kollege Peters.

(Beifall FDP)

Genau das ist der Punkt, über den wir eingehend im Rahmen der Gesetzesberatung im Ausschuss werden sprechen müssen. Hier wird sich wirklich die Frage klären, ob dieser Gesetzentwurf gut ist oder nur gut gemeint. Es ist auf jeden Fall nicht zum Nulltarif zu machen, einen modernen und zeitgemäßen Strafvollzug in diesem Land einzuführen.

(Burkhard Peters)

(Beifall FDP)

Allein die Baumaßnahmen, die erforderlich sind, werden in dem Entwurf auf eine Größenordnung von insgesamt 13 Millionen € beziffert. Das ist also kein Pappenstiel, und wir müssen uns schon erklären lassen, wie, in welchen Schritten und wann die Regierung das tatsächlich zu gewährleisten beabsichtigt. Wir müssen uns für die Beratung des Gesetzentwurfs auch wegen dieser schwierigen Fragen Zeit lassen.

Ich ziehe für meine Fraktion das Fazit: Das Strafvollzugsgesetz darf nicht von vornherein durch eine völlig unzureichende personelle und sächliche Ausstattung ad absurdum geführt werden. Es darf auch nicht auf Kosten der Sicherheit der Vollzugsbediensteten verabschiedet werden. Anders gesagt: Die hier gewiss bestehenden guten Absichten, die der Gesetzesinitiative zugrunde liegen, rechtfertigen es nicht, die damit verbundenen Anforderungen und Voraussetzungen sträflich außer Acht zu lassen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, Barbara Ostmeier [CDU] und Johannes Callsen [CDU])