Protocol of the Session on July 15, 2015

Wer den Blick auf die wirklich historisch im Sinne von einmalig zu nennenden Errungenschaften dieser Regierung richtet, wird zu unserem Bedauern leider sehr schnell fündig. Denn tatsächlich historisch ist, dass sich die Verkehrsinfrastruktur des Landes noch nie in einem so schlechten Zustand befunden hat wie heute. Historisch sind die niedrigsten Investitionsquoten seit Bestehen des Landes Schleswig-Holstein die, die diese Regierung zu verantworten hat. Historisch ist die erschreckend niedrige Aufklärungsquote bei Einbruchsdelikten von zum Teil unter 5 % bei einer historisch zu nennenden Zahl von Überstunden, die die Landespolizei zu leisten hat. Das ist die aktuelle Situation des Landes. Fast alles davon ist das Verdienst Ihrer Koalition, Herr Ministerpräsident.

(Beifall FDP und SPD)

Herr Kollege Dr. Stegner, wenn Sie der Vorgängerregierung, die nur zwei Jahre im Amt Zeit hatte, den Schuldenberg zu begrenzen, den Sie aufgehäuft haben, vorwerfen, dass sie in zwei Jahren nicht das angefasst habe, was notwendig gewesen sei, dann frage ich: Was haben Sie in den letzten drei Jahren

(Wolfgang Kubicki)

gemacht? Sie regieren schon ein Jahr länger als die alte Koalition.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Sie mussten Finanzen konsolidieren? Herzlichen Glückwunsch!

(Lachen FDP - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Der Finanzminister ab 2005 hieß Wiegard, Herr Kollege!)

- Aber Sie waren nicht in der Regierung, Herr Dr. Stegner? Sie waren nicht für die Bildungspolitik seit 1988 verantwortlich, Frau Erdsieck-Rave zum Schluss? Sie waren nicht für die Sozialpolitik im Land über Ihre Sozialministerinnen und Sozialminister verantwortlich? Sie waren nicht über die Wirtschaftsminister bis 2005 für die Verkehrsinfrastruktur verantwortlich? Sie haben mit all dem nichts zu tun? - Die Vergangenheit blenden Sie aus. Sie wollen den Leuten erklären, die Zukunft wird unter Ihnen goldener werden. Das nimmt Ihnen kein Mensch ab.

(Beifall FDP und CDU)

Die Ausgabensteigerungen, die in der Verantwortung von SPD, Grünen und SSW seit 2012 beschlossen wurden, suchen ebenfalls Ihresgleichen. Der Landesrechnungshof hat in seinen Bemerkungen 2015 aufgezeigt, dass diese Koalition bis zum Jahre 2018 Ausgabenzuwächse vorgesehen hat, die zum Teil deutlich über dem langjährigen Durchschnitt von 2,2 % liegen. Herr Dr. Stegner, das betrifft den Referenzzeitraum von 1990 bis 2013. Laut Rechnungshof steigerten Rot-Grün-Blau die Nettoausgaben im Jahr 2013 um 3,8 %, im Jahre 2014 um 2,4 % und im Jahre 2015 - das war sogar noch vor dem Nachtragshaushalt - um sage und schreibe 4,6 %.

Wir leiden heute erheblich unter den finanzpolitischen Entscheidungen der Vergangenheit. Wir tragen einen Schuldenberg vor uns her, der viele Generationen nach uns noch beschäftigen wird. Aber Sozialdemokraten, Grüne und SSW haben trotz dieser Schulden beschlossen, noch mehr auszugeben als diejenigen Landesregierungen in der Vergangenheit, die uns erst zum Haushaltsnotlageland gemacht haben.

Wir sind Haushaltsnotlageland wegen falscher Entscheidungen in der Vergangenheit, und Sie betreiben den Prozess weiter. Das kann doch nicht richtig sein!

Das heißt, wer generationenungerechte Politik machen will, sollte genauso handeln, wie diese Koali

tion handelt; denn anders als Sie es hier verkaufen möchten, Herr Ministerpräsident, nehmen Sie den jungen Menschen von heute politische Handlungsfähigkeit von morgen. Das ist nicht verantwortungsvoll, sondern rücksichtslos.

(Beifall FDP und CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Berg an Schulden -

(Zuruf SPD)

- Ja, man muss es richtig tun. Ich verstehe die Sympathie von Herrn Stegner für Herrn Tsipras, weil er genau die Politik betreibt, die das Land ins Chaos getrieben hat. Wer die sozialen Leistungen auf Dauer finanzieren will, Herr Dr. Stegner, der muss die Ertragsfähigkeit des eigenen Landes steigern, der muss dafür Sorge tragen, dass bei uns die Wirtschaft floriert; denn sonst ist das nicht finanzierbar.

(Beifall FDP und CDU)

Sie werden nicht auf Dauer Geld von anderen erhalten für Sozialleistungen, die Sie hier versprechen.

(Zuruf Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Ich weiß nicht, was Sie gegen Herrn Schäuble haben.

(Beifall Dr. Heiner Garg [FDP])

Sie sitzen gemeinsam mit ihm in der Regierung. Ich finde es schon ziemlich unverantwortlich, dass sich Teile der Regierung, die Sozialdemokratie heißen, aus der Verantwortung verpieseln wollen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bundesregierung, die verhandelt hat, ohne die Zustimmung der Sozialdemokraten gehandelt hat.

Der Schuldenberg wächst derzeit ungehindert. Selbst dann, wenn Frau Finanzministerin Heinold entgegen ihrer aktuellen Planung bereits für den kommenden Haushalt eine schwarze Null präsentieren würde, selbst dann, wenn wir rein fiskalisch betrachtet Schulden abbauen würden, verfällt unsere Infrastruktur, verfallen unsere Straßen und Brücken, unsere Hochschulen und Krankenhäuser tagtäglich. Das können die Menschen in diesem Land besichtigen.

Das Problem ist der Landesregierung längst bekannt; denn der Ministerpräsident sagte am 12. November 2014 hier im Landtag - ich zitiere -:

„Wir wissen: Investitionen in unser Land sind von zentraler Bedeutung für den Erfolg dieses Landes. Wir wissen, dass wir Geld

(Wolfgang Kubicki)

schulden nicht länger durch Betonschulden ersetzen dürfen, etwa indem wir Straßen oder Brücken nicht mehr reparieren.“

Und was tun Sie? Sie planen für das kommende Jahr einen neuen Investitionsminusrekord von 6,2 %. Ich erinnere immer wieder gerne an eine Aussage von Peer Steinbrück, dessen Sprecher Sie waren, als er Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein war. Als die Investitionsquote unter 10 % gefallen ist, hat er gesagt, dass er das sehr bedaure. Er hat gesagt: Weniger als 10 % Investitionsquote im Land ist ein Verbrechen an der jungen Generation der kommenden Jahre. - Ich kann das nur unterstreichen.

(Beifall FDP und CDU)

Wenn also Investitionen von zentraler Bedeutung für den Erfolg eines Landes sein sollen, dann tun Sie nach Ihren eigenen Maßstäben fast alles für den Misserfolg dieses Landes. Welch eine historische Tat, Herr Ministerpräsident Albig!

Der Straßenzustandsbericht hat es uns im vergangenen Jahr nur allzu deutlich aufgezeigt. Hätte das Land zwischen 1990 und 2014 280 Millionen € mehr in die Landesstraßen investiert, hätten wir 900 Millionen € an Sanierungskosten gespart. Das ist keine Aussage von uns, sondern eine Aussage der Landesregierung.

Jeder Euro, den wir heute nicht in die Verkehrsinfrastruktur investieren, kostet uns später ungefähr 3,20 €. Wenn das Konsolidierungspolitik sein soll, dann verstehe ich die Welt nicht mehr.

Um Ihnen politisch Luft zu verschaffen, haben Sie gewissermaßen als selbst erschaffenen Deus ex Machina - dieses tönend angekündigte Investitionsprogramm aus dem Boden gestampft, das sinnigerweise erst im überübernächsten Jahr beginnen soll.

Das muss man einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren lassen: Diese Landesregierung will sich sechs Jahre Zeit nehmen, um eines der drängendsten Probleme des Landes anzugehen. Das ist eine Schwerpunktsetzung, die mit Vernunft höchstens theoretisch etwas zu tun hat. Das hat Schleswig-Holstein mit Sicherheit nicht verdient.

(Beifall FDP und CDU)

Abgesehen davon sind noch viele Fragen offen, wie zum Beispiel: Woher soll plötzlich das viele Geld fast 2,3 Milliarden € - kommen? Was passiert eigentlich mit diesem Investitionsprogramm, wenn unsere Konjunktur wieder etwas schlechter laufen sollte als heute? Hierauf haben wir bis heute keine

Antwort erhalten, was darauf hindeutet, dass die Finanzierungsfrage für Sie überhaupt keine Rolle spielt. Wahrscheinlich gehen Sie davon aus, dass Sie ohnehin nicht mehr Entscheidungsträger sein werden, wenn es darauf ankommt.

Herr Ministerpräsident, die Menschen fragen sich doch zu Recht: Warum hat diese Regierung in den vergangenen drei Jahren nicht die Sanierung von Straßen und Brücken vorangetrieben? Warum kümmert sie sich darum nicht wenigstens heute?

(Beifall FDP)

Sie kündigen dauernd blühende Landschaften an und tun in der Gegenwart nichts dafür. In Ihrer Regierungserklärung sagten Sie, Sie machten eine Politik, die schon jetzt für das Übermorgen plane. Ich sage Ihnen: Es wäre besser, Sie machten eine Politik, die für das Morgen handelt.

Vernünftige Weichenstellungen für Schleswig-Holstein könnten auch so aussehen, dass Sie die Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum schaffen. Wir wissen, dass Schleswig-Holstein noch immer das geringste Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt aller westdeutschen Bundesländer hat. Diese Koalition hat mit dem wirtschaftsfeindlichen Gesetzestrio aus Tariftreuegesetz, Korruptionsregister und Mindestlohn mit Nachdruck dafür gesorgt, die Stimmung im hiesigen Mittelstand auf einen neuen Tiefpunkt zu bringen.

Ich muss Ihnen wirklich sagen, ich habe derart schlechte Zustimmungswerte bei UV-Nord-Umfragen für einen Ministerpräsidenten - 17 % - nicht in Erinnerung.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

- Frau Midyatli, auch die Bevölkerung hat offensichtlich kein Vertrauen in diesen Ministerpräsidenten. Sonst wären die Umfragewerte von Forsa nicht so schlecht.

(Beifall FDP und CDU)

Vor dem Hintergrund der bisherigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen sowie angesichts der Tatsache, dass Sie für Wirtschaftspolitik in der Regierungserklärung kaum ein Wort übrig hatten, haben Sie sich diese zweifelhafte Ehre aber gewiss verdient.

Erfreulich war im vergangenen Jahr zugegebenermaßen, dass die BIP-Steigerung in Schleswig-Holstein leicht über dem bundesdeutschen Durchschnitt lag. Das war schon sensationell. Darauf haben Sie heute auch hingewiesen. Das lag aber nicht daran, dass die Landesregierung die Voraussetzungen für

(Wolfgang Kubicki)