Protocol of the Session on June 18, 2015

Die dominierende Gefahr in der Tat ist der Islamismus. Dabei geht es insbesondere auch um Rückkehrer aus dem Machtbereich des IS beziehungsweise um Personen, die sich vielleicht mit dem Gedanken tragen, sich dorthin auf den Weg zu machen.

Es ist vollkommen klar, dass wir nicht hinter jeden Jugendlichen oder jeden potenziell Gefährdeten einen Aufpasser stellen können. Gerade in diesem Bereich ist das Risiko einer Selbstradikalisierung vor dem PC durchaus gegeben. Aber wenn, wie wir es an dem tragischen Fall von Geesthacht in diesen Tagen erleben, sich junge Frauen auf den Weg in

(Minister Stefan Studt)

die IS-Gebiete machen, die bereits schon einmal einen solchen Versuch unternommen haben, dann ist es schon Anlass, dass wir überprüfen, ob die Netzwerke, die wir haben, ob der Personaleinsatz und der Rechtsrahmen angemessen sind.

Ich stelle nur die Frage, ob es der Lage angemessen ist, wenn in den Auswertereferaten elf Mitarbeiter für Rechtsextremismus, fünfeinhalb Mitarbeiter für Linksextremismus und elf Mitarbeiter für Islamismus unterwegs sind. Ich weiß, dort wurde bereits nachgesteuert, doch ich glaube, das ist ein Prozess, den wir ständig weiter im Blick behalten sollten.

Ich frage, ob die nahezu ausschließliche Fokussierung von Präventionsmitteln auf den Bereich des Rechtsextremismus noch zeitgemäß ist. Dabei rede ich nicht einer Kürzung an dieser Stelle das Wort, sondern ich glaube, dass eine falsche oder vielleicht alte Lagebeurteilung nicht dazu führen darf, dass aktuelle Problembereiche unterschätzt werden. Denn erst mit diesem Jahr gibt es erstmalig und auf Druck der CDU-Landtagsfraktion auch 150.000 € Präventionsmittel für den religiös motivierten Bereich.

Das Gefährdungspotenzial der Islamisten nimmt stetig zu, und mit der Vergrößerung der Szene ist die Gefahr von Anschlägen auch im Norden erheblich näher gerückt. Das sage nicht nur ich, sondern das sagte Hamburgs Innensenator Neumann in der vergangenen Woche.

Deshalb verstärkt sich bei mir mehr und mehr der Eindruck, dass wir bei Prävention und Beobachtung in diesem Bereich deutlich mehr tun müssen. Prävention bedeutet für mich an dieser Stelle auch, dass wir mehr für Moscheevereine, die gutwillig und demokratisch sind, tun müssen und diese aktiv einbinden sollten. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir in Deutschland ausgebildete Imame, die jetzt Gott sei Dank zur Verfügung stehen, in den Moscheen in Schleswig-Holstein in den Dienst bekommen und wie wir solche Personen auch in die Sozialarbeit bekommen. Ich denke, mit Blick auf das Thema Fortbildung bei Lehrkräften ist noch ein bisschen Luft nach oben. Da kann man sicherlich mehr machen als das, was bislang in Schleswig-Holstein stattfindet.

Ich beantrage, die Große Anfrage der CDU-Landtagsfraktion in den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen und dort intensiv über die Konsequenzen zu beraten.

(Beifall CDU)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Kollege Tobias von Pein das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal auch von meiner Seite herzlichen Dank für die umfangreiche Beantwortung der Großen Anfrage der CDU-Fraktion. Es sind sicherlich einige spannende Antworten und Erkenntnisse dabei, auch wenn viele Dinge schon im Verfassungsschutzbericht benannt wurden.

Ich kann nur begrüßen, dass sich die CDU mit dem Thema Demokratiefeindlichkeit so intensiv auseinandergesetzt hat. Aber leider merkt man an der Art, wie Sie die Fragen stellen, mit welchem Analysemodell Sie arbeiten. Auch wenn Sie es jetzt ungern hören: Über dieses Analysemodell muss man noch einmal kritisch nachdenken.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Denn Sie versuchen, mit Ihrer Anfrage den Eindruck zu erwecken, dass Kartoffeln, Paprika und Tomaten ein und dasselbe sind. Das sind sie aber nicht. Und wahrscheinlich wollten Sie mit Ihren Fragen auch herausfinden, ob die rot-grün-blaue Koalition auf einem Auge „blind“ ist. Das sind wir aber nicht.

Das wird bei den Antworten sehr deutlich. So finden Sie auf Seite 58 den Nachweis, dass sich unsere Präventionsprogramme gegen alle Formen von Demokratiefeindlichkeit, Gewaltbereitschaft oder Militanz wenden. Denn Demokratieförderung ist immer Arbeit, um allen menschenverachtenden Meinungen in der Gesellschaft entgegenzutreten. Junge Leute, die stark und selbstbewusst sind und wissen, wo und wie sie sich für die Gesellschaft einsetzen können, kommen viel weniger auf die Idee, zu antidemokratischen Mitteln oder Gewalt zu greifen.

Die Antwort macht auch deutlich, dass die Landesregierung die neuen und gefährlichen Entwicklungen im Blick hat. Fanatisch-religiöse Jugendliche, die sich von Rattenfängern mit heiligen Schriften unterm Arm ködern lassen, können zur Gefahr werden. Die Sicherheitsbehörden haben diese Entwicklungen fest im Blick. Auch wir haben hier mit dem neuen Präventionsprogramm „Bekämpfung von religiösem Fanatismus“ einen Schwerpunkt gesetzt.

(Dr. Axel Bernstein)

Außerdem richtet sich unser Landesprogramm zur Demokratieförderung, von dem Sie immer sagen, es richte sich nur gegen Rechtsextremismus, auch an all diejenigen, die sich in dem Bereich gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aufhalten. Hier gibt es interessante Parallelen und Schnittmengen: Antisemitismus, Antiziganismus, Abwertung von sozial Benachteiligten, Homophobie oder sogar Islamfeindlichkeit in der einen oder anderen Form - all das kommt sowohl bei Rechtsextremisten als auch bei Islamisten vor, nämlich immer dann, wenn man von der Ungleichwertigkeit der Menschen ausgeht.

Deshalb greift der Extremismusbegriff teilweise einfach zu kurz. Leider beschränken Sie sich mit Ihren Fragen auf genau dieses Modell. Viele Fragen, zum Beispiel zu den Ursachen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, bleiben dabei offen. Wir haben es hier schon länger gefordert, auch in Richtung Ihrer Fraktion: Lassen Sie uns die Analyse verbreitern. Lesen Sie Heitmeyer, lesen Sie die Mitte-Studien und viele andere. Man kann dieses Thema nicht rein kriminologisch angehen; man muss es auch sozialwissenschaftlich und sozialpsychologisch angehen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Der Nährboden für Demokratiefeindlichkeit ist in der Mitte der Gesellschaft, am Küchentisch, am Arbeitsplatz oder auf dem Schulhof. Spätestens seit PEGIDA - die übrigens immer noch aktiv ist, sich jede Woche sammelt - wissen wir, dass die Gefahr vom spießigen Wutbürger ausgehen kann. Und wenn man sich die Erfahrungen einiger Lehrkräfte im Bereich der Fortbildung gegen Rassismus und Islamismus an Schulen, zum Beispiel in Hamburg, ansieht, dann kommt man schnell zu der Erkenntnis: Ausgrenzung, Diskriminierung und Abwertung sind die Probleme und nichts anderes, und die Mittel dagegen sind Begegnung, Reflektion und Konfrontation mit der eigenen Rolle. Und das Empowerment und Selbstbewusstsein von jungen Menschen.

Bei vielen desillusionierten, ausgegrenzten Jugendlichen kommen noch soziale Probleme dazu. Diese gilt es zu bekämpfen. Prävention und Demokratieschulung - hierbei sind wir, glaube ich auf einem guten Weg - sind das beste Mittel, um Ausgrenzung zu begegnen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit muss in all ihren Facetten bekämpft werden. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vielen Dank. - Für die Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Abgeordneten Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst auch von mir herzlichen Dank für die ausführliche Antwort auf die Großen Anfrage.

Sehr geehrte Kollegin Damerow, sehr geehrter Kollege Dr. Bernstein, mir ist nicht klar geworden, welchen eigenständigen Erkenntniswert Ihre mehr als 150 Fragen vor dem Hintergrund der jährlichen Verfassungsschutzberichte des Innenministeriums eigentlich haben sollen.

Legen Sie die letzten fünf Verfassungsschutzberichte nebeneinander und vergleichen Sie sie mit der nun vorliegenden Antwort. Durch Ihre Anfrage ergibt sich wenig bis nichts Neues. Das alles hätten wir schon im Mai anlässlich des Verfassungsschutzberichts 2014 in diesem Hohen Hause diskutieren und bewerten können.

Die Ergebnisse lassen sich kurz zusammenfassen: Der zahlenmäßig größte Phänomenbereich ist nach wie vor der Rechtsextremismus. Der Bereich Linksextremismus ist zahlenmäßig gering, genauso wie der nicht-islamistische Extremismus mit Auslandsbezug.

Das Phänomen Salafismus ist erst seit einigen Jahren im Blick des Verfassungsschutzes. Auch hier: keine neuen Erkenntnis - außer vielleicht, dass in diesem Phänomenbereich die Erkenntnisse stark im Fluss sind. Während der Verfassungsschutz im Jahr 2013 noch von 760 Anhängern ausging, wurde die Zahl im Jahr 2014 auf 360 korrigiert. Das liegt daran, dass die Organisation Milli Görüs herausgenommen wurde. Vor allem die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zu islamistischem Terrorismus beschränken sich im Wesentlichen auf Einzelpersonen mit unterschiedlich weitreichenden Kontakten. Im Fokus stehen dabei die in den Dschihad nach Syrien und in den Irak ausgereisten 23 Personen, von denen neun wieder nach Schleswig-Holstein zurückgekehrt sind. Bislang liegen keine Erkenntnisse vor, dass diese an Kampfhandlungen teilgenommen hätten.

(Tobias von Pein)

Mir drängt sich die Vermutung auf, dass nicht Erkenntnisinteresse, sondern vor allem sicherheitspolitisches Profilierungsbestreben der CDU bei der Formulierung der großen Anfrage die Feder geführt hat. Aber die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes geben in Ihrem Sinne einfach nichts her. Das können Sie drehen und wenden, wie Sie wollen!

Die Mittel des Verfassungsschutzes werden flexibel dort eingesetzt, wo sie gebraucht werden. Das Gleiche gilt für das Personal. Auch das wird der jeweiligen Lage angepasst. Aktuell beobachten daher zwei Mitarbeiter mehr den Bereich islamistischer Extremismus.

Ihre Fragen offenbaren zum Teil deutlichen Dilettantismus. Bei mehreren Fragen übergehen Sie das in der Verfassung festgeschriebene Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz. Auch die vielen Fragen nach genauen Personenzahlen verkennen, dass der Verfassungsschutz sein Augenmerk primär auf Bestrebungen richtet. Die Erfassung von als besonders gefährlich einzustufenden Einzelpersonen ist die Ausnahme. Auch die Frage, ob extremistische Vereine als gemeinnützig anerkannt worden sind, ergibt überhaupt keinen Sinn. Denn die Anerkennung eines Vereins als gemeinnützig hängt gerade davon ab, dass die Organisation vom Verfassungsschutz nicht als extremistisch eingestuft wird.

Vielleicht die wichtigste Antwort folgt auf Frage 154 Ihrer Anfrage: Radikalisierungstendenzen begegnen wir am besten mit religionsbezogenem Wissen und der Stärkung demokratischer Kompetenzen. - Und genau das tun wir, meine Damen und Herren,

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

mit unserem Landesprogramm gegen islamistischen Extremismus, mit dem BeraNet, mit dem Rat für Kriminalitätsverhütung oder der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus, mit der Aktion Kinder- und Jugendschutz, mit dem Landesprogramm zur Bekämpfung von Rechtsextremismus.

Natürlich ist das Bedrohungspotenzial des dschihadistischen Islamismus in Schleswig-Holstein abstrakt hoch. Doch der Vorfall in Escheburg, das Erstarken von PEGIDA, aber auch die rassistischen Entgleisungen von Mitarbeitern bei der Bundespolizei am Hauptbahnhof in Hannover sind erschreckende Belege für die Anschlussfähigkeit von Menschenfeindlichkeit in die Mitte der Gesellschaft. Hier setzen wir erfolgreich an, um der Gefahr von Fremden- und Minderheitenfeindlichkeit

in großen Teilen der Bevölkerung wirksam zu begegnen.

Ich fasse das Ergebnis zusammen: Außer Spesen nichts gewesen! Das liegt aber beileibe nicht an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Innenministeriums, die sich mit der Großen Anfrage der CDU abmühen mussten. Der geringe Ertrag der Regierungsantwort im Verhältnis zu den bereits in den Verfassungsschutzberichten der letzten Jahre enthaltenen Informationen liegt vor allem an der Substanzlosigkeit und Redundanz der von der CDU aufgeworfenen Fragen.

Wir sollten die Antworten der Landesregierung zusammen mit dem Verfassungsschutzbericht 2014 im Innen- und Rechtsausschuss beraten. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Nun hat für die FDP-Fraktion der Kollege Ekkehard Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die verschiedenen Erscheinungsformen des politischen Extremismus bleiben ein Thema, das Aufmerksamkeit und Vorsorge erfordert. Dies ist eine Aufgabe der Politik, aber natürlich auch der politischen Bildung und der damit befassten Einrichtungen sowie aller staatlichen Organe, die hierfür eine besondere Zuständigkeit haben. Nicht zuletzt ist das auch der Verfassungsschutz.

Der „klassische“ Rechtsextremismus und der „klassische“ Linksextremismus sind erfreulicherweise keine expandierenden, sondern auf dem Rückzug befindlichen Bereiche, auch in SchleswigHolstein. Gleichwohl gibt es auch hier keinen Grund für nachlassende Aufmerksamkeit. Die Entwicklung des Nationalsozialistischen Untergrunds, NSU, hat gezeigt, welch gefährliches Potenzial sich in Deutschland nach wie vor rechts außen befindet. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums haben die gewalttätigen Frankfurter Anti-EZB-Demos vor wenigen Monaten verdeutlicht, dass auch links außen ein beträchtliches Gewaltpotenzial existiert.

Die aktuell mit Abstand größten Gefahren gehen jedoch offenkundig von der islamistischen Szene aus. Vor nicht allzu langer Zeit war gar nicht daran zu denken, dass hierzulande fanatische junge Isla

(Burkhard Peters)

misten auf die Idee kommen könnten, in die Bürgerkriegsgebiete im Mittleren Osten zu reisen, sich dort an den Kämpfen zu beteiligen, um dann anschließend nach Deutschland zurückzukehren; verbunden mit dem nicht auszuschließenden Risiko, dass sie die andernorts erworbenen Kenntnisse im Umgang mit Waffen und Sprengmitteln hier für Anschläge einsetzen könnten. Im Lichte der Erfahrungen aus Paris und Kopenhagen ist jedenfalls klar, dass sich hier eine neue Gefährdungslage entwickelt hat, die Wachsamkeit und Vorsicht erfordert.

Der Innen- und Rechtsausschuss des Landtags hatte Mitte Januar 2015 eine nicht öffentliche Sitzung in den Räumen des Innenministeriums, in der wir durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzes speziell über diesen Teilbereich des politischen Extremismus detailliertere Informationen und Einschätzungen erhalten haben. Dies war, wie ich finde, ein sehr hilfreiches Meeting. Im Einzelnen haben wir über die Inhalte dieses Gesprächs Vertraulichkeit vereinbart. Ich möchte aber nicht nur daraus, sondern insgesamt drei für mich sehr klare allgemeine Schlussfolgerungen ableiten:

Erstens. Ich bin der Ansicht, dass der Verfassungsschutz und andere staatliche Stellen eine personelle und sächliche Ausstattung brauchen, mit der sie den Herausforderungen in diesem Bereich des Extremismus wirkungsvoll begegnen können.

Zweitens. Ich halte es für wichtig, dass gewaltbereiten islamistischen Gruppierungen auch dadurch das Wasser abgegraben werden muss, dass man ihnen die Nachwuchsrekrutierung speziell bei potenziellen jungen Kämpfern möglichst erschwert. Viele junge Leute, darunter Menschen aus Einwandererfamilien, aber auch Konvertiten deutscher Herkunft, finden in den extremistischen Gruppen offenbar deshalb eine Heimat, weil sie sich dort und leider nur dort - anerkannt, geborgen und in eine Gemeinschaft aufgenommen fühlen. Fänden sie eine Alternative in anderen gemeinschaftlichen Zusammenhängen, würden viele sicher nicht den Weg zu einer radikalen islamistischen Gruppierung gehen. Es geht also, kurz gesagt, um gelingende Integration in unsere Gesellschaft, um nicht mehr und nicht weniger. Wo dies misslingt, droht in einer Reihe von Fällen ein Abgleiten in den islamistischen Extremismus.