In der Praxis berechtigt diese Passage die Mitarbeiter des Friesenhofes dazu, den Bewohnerinnen alles außer dem Teddybär aus den Kindertagen wegzunehmen. Das ist nicht nur pädagogisch völlig unsinnig und fragwürdig, das ist brutal und missachtet Grundrechte.
Mitarbeiter Ihres Hauses, Frau Ministerin Alheit, haben genau das allerdings für so sinnvoll gehalten, dass Sie es in dem Vertrag festschreiben ließen.
„Mit Zustimmung der Personensorgeberechtigten und des leistungszuständigen Jugendamts wird den Bewohnerinnen ein Kontakt mit Dritten in den ersten acht Wochen nach ihrer Aufnahme in eine Camp-Einrichtung grundsätzlich untersagt. Hiervon ausgenommen sind telefonische und (unkontrollierte) schriftliche Kontakte der Bewohnerinnen zu dem jeweils leistungszuständigen Jugendamt und dem Land.“
Was ich jetzt sage, habe ich mir sehr wohl überlegt. Seit Stuttgart-Stammheim ist mir eine derartig organisierte Kontaktsperre in Deutschland nicht erinnerlich.
Die Zustimmenden, also der Vormund und/oder das Jugendamt, erteilen ihren Segen zu dieser Kontaktsperre auch erst nach dem Vortrag der Bediensteten des Friesenhofs. Was die Zustimmenden von der Welt der betroffenen Bewohnerinnen wussten, bestimmt damit auch der Friesenhof.
Was ist eigentlich mit dem Begriff „Land“ gemeint? Was ist hier Land? Wir im Landtag? Die Behörden des Landes? Deutschland? Wir wissen es nicht. Machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, einmal für wenige Minuten die Augen zu und versetzen sich in die Lage einer Bewohnerin des Friesenhofs. Stellen Sie sich dann vor, wie Ihr ganzes bisheriges Leben ausgelöscht wird und Sie darüber mit niemand anderen reden können als mit denen, die für genau dieses Auslöschen verantwortlich sind. Wie hilflos und ausgeliefert fühlen Sie sich dabei?
Selbst wenn diese ersten acht Wochen vorüber sind, kann die Kontaktsperre ausweislich der nachfolgenden Paragrafen technisch auch noch fortgesetzt werden. Demnach kann sich eine Bewohnerin nur in Gegenwart eines Mitarbeiters des Friesenhofes telefonisch irgendwo beschweren.
Im Hinblick auf den bekannt gewordenen Verdacht des sexuellen Missbrauchs dort ist der Vergleich zulässig. Das ist ungefähr so, als wenn ein Opfer einer sexuellen Gewalttat in Gegenwart eines Peinigers die Polizei zur Anzeige anrufen muss.
Das alles ermöglicht also ausgerechnet ein Vertrag zwischen dem Landesjugendamt und dem Friesenhof. Sie, Frau Ministerin, sagen:
Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes haben mit Artikel 19 die mögliche Einschränkung von Grundrechten präzise geregelt und dies so, dass genau solche Dinge, wie wir sie hier zur Kenntnis nehmen müssen, nicht passieren sollen.
Ausdrücklich verweist der Artikel 19 GG in seinem vierten Absatz auf Artikel 10 GG, in dem das Postund Fernmeldegeheimnis geregelt ist. Mit den Köpfen in Ihrem Haus, Frau Ministerin, die sich für solche Verträge verantwortlich zeichnen, lassen sich die Schritte - Frau Kollegin Bohn hat sie beschrieben, und sie sind richtig -, die zur Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen gegangen werden müssen, garantiert nicht gehen. Neben dem Satz, den ich eingangs sagte - warum in die Ferne schweifen, wenn das Schlechte liegt so nah? -, frage ich Sie auch: Warum tanzen die Mäuse auf dem Tisch, obwohl die Katze im Haus ist? - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben heute wieder eine Debatte nach dem Schema F: Die Opposition in Gestalt von CDU und FDP wirft mit Daten um sich, fragt, wer wann was gewusst hat, skandalisiert das Handeln des Ministeriums und natürlich auch der dortigen Mitarbeiter, nimmt sich - wie üblich - die Ministerin vor und versucht, das Ganze zu personalisieren.
- Lieber Kollege Kubicki, das gipfelt sogar noch in der Aussage der Kollegin Rathje-Hoffmann, dass Kristin Alheit ihren Laden nicht im Griff habe und dass das der Grund sei, dass Mädchen leiden würden,
also die Ministerin dafür zuständig sei, dass Mädchen haben leiden müssen. Ich meine, da hört irgendwo der Spaß auf. Das ist nicht nur frech oder
böswillig, sondern das ist eine perfide Unterstellung, die man in einem solchen Parlament und in einem Raum, der um das Parlament ist, nicht macht.
- Entspannen Sie sich, lieber Kollege Kubicki, denn das hilft den Mädchen gerade nicht. Dass Sie hier eine Show abziehen und die ganze Zeit versuchen, die Ministerin vorzuführen, hilft nicht, führt zu nichts, hilft den Mädchen nicht. Ich glaube, darum geht es in dieser Debatte doch eigentlich.
Kollege Baasch hat gerade den Ablauf bis hin zur Schließung des Heimes beschrieben. Das ist der derzeitige Sachstand, der sich auch im Sozialausschuss ergeben hat.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen hier eher darüber debattieren, wie wir die Fehler, die hier eindeutig gemacht worden sind, korrigieren können. Uns jedenfalls geht es eher um die Bewohnerinnen der Einrichtung und weniger um ein politisches Spiel. Wir müssen uns doch jetzt Gedanken darüber machen: Hat die Zusammenarbeit zwischen dem Jugendamt Dithmarschen und dem Landesjugendamt geklappt? Nach derzeitigen Erkenntnissen scheint es so gewesen zu sein, dass sie miteinander kommuniziert haben. Aber ich wage einmal zu behaupten, dass es schlau ist, miteinander zu reden, wie man dort miteinander kommuniziert hat, um erst einmal das aufzuarbeiten, bevor man irgendwelche Schlüsse zieht.
Das Gleiche ist: Man hat Auflagen erteilt, und es hat dann entsprechende Verfahren gegeben. Auch das hat Kollege Baasch schon erklärt. Das heißt, der rechtliche Ablauf ist so gelaufen, wie er laufen musste. Die Frage ist jedoch, ob das der richtige Ablauf ist oder ob man Abläufe verändern muss, ob man dann möglicherweise auf Landesebene oder auf Bundesebene rechtliche oder gesetzliche Initiativen ergreifen muss. Das sind eigentlich die Fragestellungen, die wir hier haben.
Auch Kollegin Klahn hat es gerade noch einmal deutlich gemacht und die sogenannten Inobhutnahmen ins Feld geführt. Wir wissen nicht, ob es sie überhaupt gegeben hat. Es gibt heute einen dpaBericht, der andere Aussagen trifft. Das muss ich erst überprüfen. Ich kann es nicht sagen. Aber es
gibt auch Inobhutnahmen, die weniger mit dem Handeln einer Einrichtung zu tun haben, sondern es kann durchaus auch sein, dass eine Einrichtung nicht geeignet ist, dem Kindeswohl eines Kindes zu dienen, weil das Kind einfach nicht in eine solche Einrichtung gehört.
Meine Damen und Herren, man kann davon ausgehen, dass Bootcamps nicht immer zum Wohle der Kinder sind und dadurch auch ein Kindeswohl gefährdet sein kann und in Obhut genommen werden muss. Das sind Verfahren, aber man muss jedes einzelne Verfahren prüfen, bevor man sich pauschal zu einer solchen Maßnahme äußert. Ich glaube, wir tun alle gut daran, genau dies zu machen.
Erstens. Soll es in Zukunft unangemeldete Prüfungen in den Einrichtungen geben? Es gibt dazu auch eine Initiative aus Nordrhein-Westfalen. Ich glaube schon, dass es notwendig und möglich sein muss, wohl wissend, dass es bei 1.300 Einrichtungen keine Garantie gibt, dass man wirklich jede Einrichtung unangemeldet sofort besuchen und jeden Missstand feststellen kann. Missstände darf es nicht geben, aber ich vermute, dass es immer wieder Anlass zu solchen unangemeldeten Kontrollen geben wird.
Zweitens. Soll es solche Bootcamps geben, und wenn ja - zu einem solchen Schluss mag der eine oder andere kommen - unter welchen Bedingungen und unter welchen Auflagen soll es solche Camps oder solche Einrichtungen geben?
Ich persönlich bin kein Freund von solchen Einrichtungen, aber wenn es sie auf rechtlicher Grundlage heute in der Bundesrepublik Deutschland und auch im Land Schleswig-Holstein gibt, muss man politisch darüber diskutieren, ob man das wirklich haben will. Das ist eine Aufgabe, die wir auch hier im Land Schleswig-Holstein erfüllen müssen.
Der dritte Punkt, der Kontakt zur Außenwelt, ist, so denke ich, relativ einfach zu erklären. Auch dieser muss natürlich möglich sein, wenngleich ich aus der Erfahrung der Einrichtungen der Jugendhilfe in meinem Heimatkreis weiß, dass man den Jugendli
chen manchmal auch temporär davon abhalten muss, seine Geschäfte mit dem Telefon vor Ort weiter zu regeln. So ehrlich müssen wir miteinander umgehen. Das sind nicht immer nur einfach Jugendliche, die in irgendeiner Form gefallen sind, sondern unter ihnen befinden sich durchaus auch Jugendliche, die bereits eine kriminelle Karriere hinter sich haben. Auch damit muss man umgehen und schauen, dass auf der einen Seite dem Sicherheitsbedürfnis beziehungsweise der Kriminalitätsverhinderung Rechnung getragen wird, und auf der anderen Seite muss man den Jugendlichen sowohl die Möglichkeit geben, in Kontakt mit ihren Verwandten und Bekannten zu bleiben, als auch eine Chance geben, wieder in das normale Leben zurückzukommen.
Dann gibt es noch eine Frage, die anscheinend immer wieder ein Problem gewesen ist - das hat die Kollegin Bohn eben schon dargestellt -: Wir haben abgebende Jugendämter, beispielsweise aus anderen Bundesländern, deren Jugendliche zu uns kommen, wobei das empfangende Jugendamt im Regelfall keine intensive Betreuung dieser Jugendlichen vornimmt. Das heißt, wenn Jugendliche aus Dresden kommen, ist das Jugendamt in Dresden zuständig. Die Jugendlichen kommen hierher, das schleswig-holsteinische Jugendamt ist nicht zuständig, bearbeitet den Fall in dem Sinne nicht, sondern betrachtet nur die Einrichtung vor Ort. Insoweit gibt es eben Schwierigkeiten.
Wer trägt die Kosten, wenn dies auf das schleswigholsteinische Jugendamt übertragen werden sollte? Wenn man das haben will, muss eine gesetzliche Regelung her. Ich denke, es ist richtig, dass es immer das Jugendamt vor Ort regelt. Allerdings wird es auch nicht einfach sein, die Erkenntnisse über den Jugendlichen aus Dresden nach Schleswig-Holstein zu transferieren. Auch darüber, was insoweit der beste Weg ist, muss man fachlich diskutieren, meine Damen und Herren.
Ein vorletzter Punkt. Es gibt - so will ich es einmal nennen - ein Geschäftsmodell „Kinderheime im ländlichen Raum“. Dithmarschen ist überversorgt mit diesen Kinderheimen. Wir müssen politisch auch entscheiden, ob wir wirklich so viele Kinderheime über unseren eigenen Bedarf hinaus im Land haben und Jugendliche aus anderen Bundesländern aufnehmen wollen. Das kann gewollt sein, aber es darf auf keinen Fall ein Geschäftsmodell sein. Das wäre der verkehrte Weg, meine Damen und Herren.