Herr Präsident, das will ich gern tun. Ich will meine letzte Sekunde Redezeit dazu verwenden, noch einmal deutlich zu machen: Der bundesweite gesetzliche Mindestlohn ist ein Meilenstein in der bundesdeutschen Sozialpolitik, und er sollte nicht zerredet werden.
Und wir begrüßen Tim Brockmann, den Geschäftsführer von Handwerk Schleswig-Holstein. - Herzlich willkommen!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Callsen, wir sind gerade Zeuge einer erstaunlichen Dialektik geworden: Sie haben Ihre Rede mit der Aussage begonnen, Sie wollten den Mindestlohn nicht infrage stellen, und dann haben Sie Tausende von Argumenten gebracht, die den Mindestlohn infrage stellen. Das will ich Ihnen als Vorbemerkung sagen.
Ihr Antrag kommt doch eigentlich zur Unzeit. Es sind gerade 50 Tage seit der Rechtswirksamkeit des Mindestlohns vergangen.
Ich dachte, in der Politik gelten 100 Tage, in denen man vernünftig Erfahrungen sammeln kann, bevor man sich politisch zu einem Verfahren äußert. 50 Tage sind vergangen seit Inkrafttreten des bundeseinheitlichen Mindestlohns - er beträgt übrigens 8,50 € und nicht 9,18 €. Es gibt derzeit doch überhaupt keine belastbaren Erkenntnisse über die Auswirkungen des Mindestlohns.
- Entschuldigung, wenn Sie nach 50 Tagen von belastbaren Erkenntnissen sprechen, kommt doch Ihre Denke zum Ausdruck: Sie wollten den Mindestlohn nicht. Deshalb suchen Sie jetzt reihenweise Argumente, das Haar in der Suppe, warum der Mindestlohn nicht richtig ist. Das ist die Wahrheit, und das muss man hier einmal aussprechen.
Sie argumentieren in Ihrem Antrag, dass junge Menschen keine Ausbildung mehr antreten könnten, weil sie nach dem Mindestlohn mehr verdienten. Sind das politische Mutmaßungen, Erfahrungen? - Nein, es gibt noch gar keine Erfahrungen im Hotel- und Gaststättengewerbe. Die Saison hat
noch gar nicht begonnen. Heute lese ich, dass junge Leute keinen Ausbildungsplatz mehr im Hotel- und Gaststättengewerbe antreten werden. Das Ausbildungsjahr beginnt doch erst im Sommer. Betreiben Sie Kaffeesatzleserei in Ihrer Fraktion, haben Sie einen Propheten oder Wahrsager in Ihrer Fraktion beschäftigt? Sie kommen schon jetzt zu Erkenntnissen, die noch gar nicht feststehen.
Es wird deutlich: Sie haben sich beim Mindestlohn zwar einen sozialdemokratischen Anstrich gegeben, aber Ihre Kritik gegen den Mindestlohn haben Sie in Wirklichkeit nie aufgegeben.
Wenn es Ihnen wirklich wichtig wäre und Sie ein echtes Interesse an einem gerechten Mindestlohn in Deutschland hätten, würden Sie nicht schon nach 50 Tagen eine Novellierung fordern. Umsetzung braucht Zeit, Evaluation braucht Zeit. Lassen Sie doch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern die notwendige Zeit, den Mindestlohn umzusetzen. Pfuschen Sie ihnen nicht ins Handwerk.
Ich komme jetzt zur inhaltlichen Bewertung Ihres Antrags. Die von Ihnen in Ihrem Antrag vorgeschlagenen Änderungen, lieber Herr Callsen, machen keinen Sinn. Ihre Argumentation, Dokumentation sei Bürokratie und müsse weg - ich bringe das einmal auf diesen kurzen Satz -, hört sich erst einmal gut an, ist aber doch in Wahrheit schwach. Denn Sie machen doch damit ein Hintertürchen auf, mit dem möglicherweise der Mindestlohn unterlaufen werden kann - ich weiß nicht, ob Sie das wollen; Sie verneinen das. Aber Sie schützen doch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit dieser Dokumentationspflicht gerade auch gegen diese Vorwürfe, Sie machten ein Hintertürchen auf. Wenn man eine Rechtssicherheit haben möchte, dann braucht man doch eine ordentliche Dokumentation.
Sie diskutieren hier über den Bürokratieaufbau. Im Grunde genommen geht es doch darum, mit der Dokumentation der Arbeitszeiten - das wissen wir durch wissenschaftliche Erhebungen bei Minijobberinnen und Minijobbern; dort wurde massiv getrickst - diesen Tricksereien, auf dem Papier den Mindestlohn zu zahlen, aber in der Realität den Mindestlohn zu umgehen, zu begegnen. Das ist etwas, was wir verhindern wollen.
Herr Abgeordneter Dr. Tietze, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Herrn Abgeordneten Kubicki?
Herr Kollege Dr. Tietze, es geht mir um Logik. Wenn Sie davon ausgehen, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber tricksen, wieso glauben Sie dann, dass sie nicht auch bei der Aufzeichnung und Dokumentation tricksen?
- Lieber Herr Kollege Kubicki, wahrscheinlich kann man immer tricksen, ja. Aber wenn man eine Dokumentation ordentlich führt, dann ist sie -
- Quatschen Sie doch nicht ständig dazwischen, Herr Klug. Reden Sie doch nicht von Sachen, von denen Sie nichts verstehen.
Herr Abgeordneter, ich wollte den Versuch unternehmen, die Regeln noch einmal aufzurufen. Sie haben jetzt das Wort, um die Antwort zu geben.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Die Dokumentationspflicht ist auch Bestandteil einer gewissen Qualitätsprüfung. Bei der Frage der Abrechnung von Arbeitszeit, ist die Dokumentation ein Qualitätsmerkmal, nicht ein Verdachtsmerkmal. Ich weiß, dass Sie als Strafverteidiger das vielleicht an
ders sehen. Ich sehe das als Qualitätsmerkmal, die Dokumentation. Sie gehört übrigens auch bei der Pflege dazu. Wir haben sie als Standard in vielen Gesetzen enthalten. Ich finde es auch richtig, dass wir ein Qualitätsmanagement organisieren. Arbeitszeiten gehören für mich dazu.