Liebe Frau Kollegin Damerow, Sie haben gesagt, ich wolle Sie in eine Ecke stellen. Ganz im Gegenteil. Ich wollte Ihnen helfen, da rauszukommen. Ich ahne, dass Sie viel näher bei uns sein möchten, als Sie dürfen. Das ist mein Gefühl. Daher wollte ich Ihnen sagen: Sagen Sie hier doch, Sie sind auf der Seite von Tauber und nicht auf der Seite von Bosbach und der CDU. Sagen Sie hier doch, Sie wollen mehr integrieren und nicht mehr abschieben. Sagen Sie doch, Sie sind nicht generell gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder das Wahlrecht, sondern wir können darüber reden. Ob Herr Günther das zulässt, weiß ich nicht, aber ich würde es klasse finden, wenn dies das Ergebnis der Debatte wäre. Dann sind Sie raus aus allen Ecken und voll in der Mitte dieses Hauses. Das wäre wunderbar. - Vielen herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Wortbeitrag von Herrn Lehnert war ein schönes Beispiel dafür, dass wir uns Gedanken über eine strukturierte Zuwanderungspolitik machen müssen, denn eine einfache Aufsummierung der Zahlen führt komplett in die Irre.
Von dem Zuwanderungssaldo von sechs Millionen waren viereinhalb Millionen sogenannte Deutschstämmige aus dem Osten. Das ist ein Einmaleffekt, der jetzt zum großen Teil abgeschlossen ist. Den können Sie nicht beliebig auf das Jahr 2050 projizieren. Dann sind schon einmal drei Viertel Ihres Wanderungssaldos weg, und wir reden über einen Mangel in der Zukunft und nicht über den, den wir jetzt haben.
Das war der erste Punkt. Punkt zwei: Wenn Sie sich die Statistiken heraussuchen, dann werden Sie feststellen, dass wir zum Beispiel in den Jahren 2008 und 2009 negative Zahlen hatten. Woran mag das
wohl gelegen haben? - Das hat daran gelegen, dass damals die Weltwirtschaft brummte. Wir haben nichts davon, wenn wir nur dann eine Zuwanderung kriegen, wenn es Schwierigkeiten mit der Weltwirtschaft oder auch in Europa gibt. Im Augenblick kommen 60 bis 70 % der Zuwanderer natürlich aus den Krisenstaaten Südeuropas. Wenn wir diese Menschen hier nicht verankern, ihnen nicht volle Bürgerrechte und nicht das volle Wahlrecht geben, und zwar auch das der EU-Bürger und nicht nur das kommunale Wahlrecht, dann frage ich Sie: Was glauben Sie, wird passieren, wenn sich die wirtschaftliche Lage in den Heimatländern wieder verbessert, was wir alle hoffen? - Dann gibt es eine Rückwanderung. Genau diese haben wir in einer sehr wichtigen Gruppe erlebt. Seit 2005 haben wir eine Nettoabwanderung in die Türkei, und es wandern nicht die schlecht Ausgebildeten ab. Diese Entwicklung haben wir seit 2005 durchgängig, nämlich seitdem es in der Türkei unabhängig von der Menschenrechtslage, die natürlich sehr kritisch zu sehen ist, einen Wirtschaftsboom gibt. Es gehen genau die qualifizierten Kräfte weg.
Herr Kollege Dr. Dolgner, Sie hatten etwas über die Aufgliederung gesagt. Wenn ich die öffentliche Diskussion und auch die Zahlen in diesem und im letzten Jahr richtig sehe, dann hatten wir eine relativ starke Zuwanderung aus Staaten der Europäischen Union.
Sie sprachen die Zukunft an. Ich habe in meinem Redebeitrag versucht, nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft zu betrachten. Ich glaube, das eine ohne das andere zu betrachten, macht auf Dauer keinen Sinn. Ich glaube, für die Zukunft ist es so, dass wir nach wie vor prognostizieren können, dass wir hochqualifizierte Zuwanderung aus den Staaten der Europäischen Union haben werden, was wohl auch mit der Situation in Südeuropa und in Südosteuropa zu tun hat. Ich glaube, das brauche ich nicht näher auszuführen. Wir haben aber auch im Bereich der Zuwanderung der Flüchtlinge deutlich
steigende Zahlen. Ich habe gesagt, dass wir in diesem Jahr mit einem Zuwanderungssaldo von 600.000 bis 800.000 rechnen. Darunter ist kein einziger, der aus der ehemaligen Sowjetunion als Deutschstämmiger zugewandert ist. Das ist übrigens in den letzten zehn Jahren so gut wie niemand.
Die vergangene Entwicklung hat uns geholfen, den demografischen Wandel so positiv zu gestalten, wie wir dies im Augenblick sehen. Aber auch der Ausblick in die Zukunft kann uns eigentlich ganz positiv stimmen, sodass Deutschland gute Ausgangsbedingungen hat, den demografischen Wandel und die Zuwanderung gemeinsam gut zu gestalten.
- Herr Kollege Lehnert, vielen Dank, dass Sie mir noch einmal die Gelegenheit geben, die notwendige Differenzierung vorzunehmen. Zurzeit haben wir in Deutschland 448.000 anerkannte Asylbewerber und Menschen mit einem dauerhaften Aufenthaltsstatus, die einmal als Flüchtlinge gekommen sind. Wenn Sie über die letzten 20 Jahre saldieren, wie viele gekommen sind, dann werden Sie feststellen, dass es ein sehr großes Gap gibt. Wenn Sie alles aufsummieren, inklusive der Zahlen zu Beginn der 90erJahre, dann wird deutlich, dass die Mehrheit wieder gegangen ist. Das ist das Problem, wenn man der eigenen Rhetorik oder der eigenen Parteirhetorik zu sehr Glauben schenkt. Nach wie vor ist es so, dass ein Großteil der Flüchtlinge höchstwahrscheinlich zu einem gewissen Zeitpunkt wieder gehen wird oder wieder gehen wird müssen.
Wir haben relativ lange über die Kosovaren gesprochen. Wir verhehlen nicht, dass ein großer Teil der Menschen, die aus den Westbalkanstaaten zu uns kommen, irgendwann wieder wird gehen müssen. Es gibt einen Unterschied in der Einschätzung, was die Westbalkanstaaten angeht. Wir sagen aber: Wir müssen trotzdem jeden einzelnen Fall prüfen, weil wir nicht glauben - hier haben wir auch Erkenntnisse -, dass es bei einem Teil dieser Gruppe keine Abschiebegründe gibt. Aufgrund der hochgerechneten Zahlen jetzt einfach zu sagen: Alle bleiben, alle können bleiben, dann ist das kein Ding. Wenn das die neue Zuwanderungspolitik bezüglich der Asylbewerber aus Westbalkanländern ist, dann nehme ich das als Information hin. Dann sollten Sie aber einen Brief nach Bayern schreiben.
Zweiter Punkt: Ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht, dass unter den genannten sechs Millionen viereinhalb Millionen sogenannte deutsche Volkszugehörige sind. Das heißt, Sie haben in den letzten
- Doch, das ist so! Herr Lehnert, das ist so, ich kann Ihnen gern die Zahlen des statistischen Bundesamtes auf „SPIEGEL ONLINE“ zeigen. Wir haben einen Wanderungssaldo von sechs Millionen. Davon sind viereinhalb Millionen sogenannte Deutschstämmige. Es bleiben eineinhalb Millionen übrig. Dann haben Sie noch 400.000 aus dem Bereich der Flüchtlinge. Dann sind Sie bei einer mageren Million aus anderen Herkunftsbereichen.
Ich habe dies beruflich erfahren. Ich habe Hochqualifizierte in einem internationalen Master-Studiengang ausgebildet. Gerade wenn diese aus sich entwickelnden Ländern kamen, sind sie zu einem guten Teil nicht geblieben, weil es einfach zu schwierig war, hier bleiben zu können. Wir haben viel Geld in die Ausbildung gesteckt, und die Menschen sind an unserem Ausländerrecht daran gescheitert, hierzubleiben. Gerade die Mobilen, gerade die gut Ausgebildeten gehen in Zukunft wieder.
Herr Lehnert, was glauben Sie, wird passieren, wenn es Südeuropa wieder besser geht? Glauben Sie ernsthaft, dass Spanien, Italien und selbst Griechenland im Wirtschaftszyklus immer unten sein werden? - Vor 15 Jahren waren wir im Wirtschaftszyklus unten, und Spanien und Irland waren oben. In dieser Zeit sind kaum Menschen aus Polen gekommen, weil sie nach Irland gegangen sind. So sind Menschen nun einmal. Derjenige wird diese Menschen dauerhaft halten können, der ihnen am dauerhaftesten eine Willkommenskultur bietet. Dazu gehören zum Beispiel eine volle Gleichstellung, die Staatsangehörigkeit; alles, was ein modernes Zuwanderungsgesetz braucht. Alles andere ist kurzsichtig. Sonst können Sie immer auf die Krisenzeiten der Welt warten, bis irgendwelche Menschen aus „Pushkräften“ zu uns kommen, weil sie aus ihrem Land weg wollen. Vielleicht wollen wir uns aber so attraktiv gestalten, dass die Menschen auch einmal zu uns kommen wollen?
Dann frage ich Sie, ob sie eine weitere Bemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Garg gestatten, auf die Sie dann noch einmal reagieren können.
Herr Kollege Dolgner, ich will die aus meiner Sicht nicht besonders zielführende Aufrechnerei gar nicht fortführen. Ich bin absolut Ihrer Meinung. Aber vielleicht hilft es dem Kollegen Lehnert, wenn man trotzdem einmal einen Blick in die Vergangenheit wirft, um zu erfahren, was eigentlich mit den Menschen passiert ist, die per Anwerbeabkommen mit den Staaten, die ich vorhin genannt habe, passiert ist. 14 Millionen Menschen kamen aus diesem Anwerbeabkommen nach Deutschland. Von diesen 14 Millionen Menschen sind zwölf Millionen Menschen wieder in ihre Herkunftsländer zurückgegangen. Deswegen halte ich den Einwand, den der Kollege Lehnert hier gerade zum Besten gegeben hat, für wenig zielführend, wenn man in die Zukunft guckt, wie viele Menschen wir bei uns angesichts der Lücke, die klaffen wird, tatsächlich brauchen werden.
Herr Dr. Garg, vielen Dank für diese Bemerkung. Sie zielt genau in diese Richtung. Die Menschen sind damals aufgrund des Anwerbeabkommens zu uns gekommen, auch aus ähnlichen Staaten wie jetzt. Das waren am Anfang ja nicht Türken,
sondern es kamen sehr viele Italiener. Als sich dann die wirtschaftliche Lage in Italien wieder gebessert hatte, ist ein Großteil dieser Italiener wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass man sagte: „Das hier ist nicht meine Heimat.“ Vor allem dann nämlich, wenn man das lebte, was immer wieder gefordert wurde, wenn man sagte: „Ihr seid nur Gäste, die arbeiten dürfen“, muss man sich nicht wundern. Das ist ja im Übrigen auch ein Widerspruch in sich. Meine Gäste zum Beispiel mussten nie arbeiten.
Es ist also durchaus interessant, einmal den Blick in die Vergangenheit zu lenken, um die eigenen Widersprüche aufzuklären.
Es geht doch schlicht und ergreifend um eine Sache: Es gibt immer noch einen großen Teil in der Bevölkerung, der Schwierigkeiten damit hat, dass Menschen zu einem kommen, die man nicht so gut kennt, die man nicht so gut versteht. Die Menschen, die zu uns kommen und die auf eine solche Kultur treffen, verstehen das auch entsprechend; die fühlen sich nicht angenommen. Aus diesem Grunde haben sie dann natürlich den Drang, wieder zurückzukehren. Wenn wir das nicht durchbrechen, dann haben wir in diesem Land schlicht und ergreifend mindestens keine wirtschaftliche, aber auch keine gesellschaftliche Zukunft.
Wenn wir die Kräfte befeuern, die das auch noch mit Worten dokumentieren, wenn sie sagen: „Rechts von mir darf nur die Wand sein“, wenn so etwas also auch noch geschürt wird und gesagt wird, das seien keine Anwerbungsprogramme, sondern das seien Abwerbungsprogramme, wenn also die Menschen gar keinen Grund mehr haben, nach Deutschland zu kommen, weil es in anderen Ländern besser geht, dann kehren die Menschen wieder zurück. Ich dachte immer, das sei immer das Ziel und der Rettungsschirm solcher Maßnahmen, zum Beispiel auch für Griechenland. Wir stehen also spätestens dann in einer Konkurrenzsituation mit anderen, ebenfalls wachsenden Ländern, und die Menschen, die wir in unserem Land ausgebildet haben, gehen dann dorthin.
Das können Sie am Beispiel der türkischen Abwanderung und der Qualifikation, die diese Abwanderer haben, seit zehn Jahren wunderbar empirisch nachvollziehen. Ein Teil der türkischen Abwanderer hat auch etwas mit der Verweigerung der doppelten Staatsbürgerschaft zu tun. Obwohl inzwischen Bürger aus mehr als 60 Staaten in Deutschland die doppelte Staatsbürgerschaft haben dürfen, inklusive Somalia, und zwar bedingungsfrei, war die doppelte Staatsbürgerschaftskampagne, die damals gefahren worden ist, eine Antitürkenkampagne. Das haben die Menschen türkischer Herkunft auch verstanden; und deshalb sind sie wieder abgewandert. Das ist das Problem, wenn man solche Sachen in dieser Weise diskutiert. Das sind Argumente aus der Mottenkiste.
Ein modernes Zuwanderungsrecht ist etwas ganz anderes. Ein solches Zuwanderungsrecht brauchen wir jetzt. Darüber können wir gern im Ausschuss sprechen. Dort werden wir auch eine intensive Anhörung durchführen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön. - Nun hat das Wort der Herr Abgeordnete Lars Harms zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch mein Dreiminutenbeitrag bezieht sich auf die statistischen Daten, die der Kollege Lehnert hier vorgetragen hat.
Man darf dabei natürlich nicht nur die Zuwanderung betrachten, lieber Kollege Lehnert; selbstverständlich muss man auch die Geburtenrate und die Sterberate in Betracht ziehen. Erst dann nämlich kann man erkennen, ob bei der Bevölkerungsentwicklung in irgendeiner Weise eine andere Entwicklung stattfindet.
Wer sich einmal den Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ansieht - den gibt es auf deren Homepage, aber auch auf der Homepage des Innenministeriums -, der sieht, dass wir 1991 80,2 Millionen Menschen in Deutschland hatten, sechs Millionen Menschen davon waren Ausländer. Ende der 90er-Jahre stieg diese Zahl dann auf 82 Millionen Menschen an. Damals gab es also tatsächlich eine Steigerung. Mit Datum von 2013 leben 80,7 Millionen Menschen in unserem Lande, und davon sind sieben Millionen Ausländer. Das heißt, wir haben jetzt wieder einen Bevölkerungsrückgang, weil das unter anderem an der „Reproduktionsrate“ liegt, um das einmal technisch auszudrücken. Ich glaube, ich darf das; denn ich habe mich ja immer heroisch dagegen gestemmt.